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The Tiger and the Wolf

von

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Hinter jeder Narbe steckt eine Geschichte

Scott und Luke waren die Letzten und hatten damit auch ihre Ruhe in der Umkleide. Dem jungen Alpha brannten dutzende Fragen unter den Nägeln, unter anderem, wer Luke nun genau war, der Grund seines Hierseins oder einfach nur, wie er sich einen so teuren Sportwagen in diesem Alter leisten konnte. Daneben wirkte sogar Jacksons Porsche wie ein kleines Matchboxauto. All diese Gedanken erübrigten sich just in dem Moment, als Luke sein Shirt nach oben zog und oberkörperfrei vor Scott stand.
 

Der junge Brite war durchtrainiert und das bis aufs Äußerste, mehr noch als Derek oder Danny. Er schien kaum ein Gramm Fett zu viel auf den Rippen zu haben. Nicht, dass Scott hätte starren wollen, aber er tat es. Er selbst konnte mit Fug und Recht behaupten keinen schlechten Körperbau zu besitzen, aber neben Luke wurde er fast ein wenig neidisch. Es war aber nicht nur diese Tatsache, warum Scott den Oberkörper seines neuen Mitschülers betrachtete, nein, er suchte nach etwas Bestimmtem.
 

„Wenn du noch mehr glotzt, fallen dir die Augen raus“, schmunzelte Luke und wischte sich mit dem durchgeschwitzten Shirt notdürftig über den Körper.
 

„Ich wollte gar nicht…“, stotterte Scott ertappt und fragte sich gerade, was mit ihm los war. Nicht, dass er keinen Sinn für Ästhetik gehabt hätte und als Teenager waren die eigenen Gedanken sowieso manchmal ein wenig überspannt, und Luke sah gut aus, zweifelsohne, aber, das war es nicht. Nein, er suchte verzweifelt nach etwas und schämte sich dafür.
 

„Was denn? Starren? Gaffen?“ Ein Grinsen stahl sich auf Lukes Lippen.
 

„Nein, das ist es nicht. Ich, ähm, ich…“ Scott fiel es schwer seine Gedanken in Worte zu verpacken. Er suchte nach dem Mal für Lukes Seelengefährten. Den Initialen. Warum wusste er selbst nicht so genau. Sie waren eindeutig nicht füreinander bestimmt, denn Lukes Nachname begann nicht mit einem A, und trotzdem keimte so etwas wie Hoffnung in Scott auf. Die Hoffnung, dass er seinen Seelengefährten vielleicht doch gefunden hatte und das Universum ihm nur einen Streich spielte.
 

„Du?“ Luke legte den Kopf ein wenig schief und kam auf Scott zu. „Was ist denn los? Ich meine, du hast doch deinen Seelengefährten sicherlich bereits gefunden, oder? Da ist ein wenig Starren durchaus erlaubt. Wie lautet diese bescheuerte Binsenweisheit? ‚Appetit auswärts, Essen aber zuhause‘ oder so irgendwie.“ Seine Worte klangen dabei fast schon ein wenig bedauernd, wie Scott auffiel.
 

„Nein, habe ich nicht“, gestand der Werwolf leise und senkte den Blick ein wenig. „Ich warte schon eine ganze Weile.“
 

„Das ist schade, aber ich bin mir sicher, Scott, du findest deinen Seelengefährten bald.“
 

Scott zögerte einen Moment, ehe er aufsah und mit einem breiten, zahnspangengespickten Lächeln konfrontiert wurde. Luke streckte seine Hand aus und klopfte Scott auf die Schulter. Dabei fiel dem Werwolf erst jetzt auf, dass der Brite eine große Narbe an der linken Seite hatte. Sie stach kaum aus dem blassen Hautbild hervor, erst wenn man genauer hinsah, konnte man sie aber erkennen. Luke schien seinen Blick zu bemerken, denn er zog seine Hand zurück und machte einige Schritte nach hinten. Das Lächeln wurde ein wenig schmäler, fast schon traurig, während er das Wundmal mit seinem Zeigefinger entlangstrich.
 

„Das Ding wird mich wohl ewig verunstalten“, seufzte Luke leise.
 

„Wo hast du sie denn her, wenn ich fragen darf?“, fragte Scott vorsichtig. Man musste kein Werwolf sein, um diese Emotionen zu fühlen. Der Geruch von Verbitterung und Trauer, aber auch Wut, lag in der Luft.
 

„Wenn ich dir jetzt etwas Heroisches erzählen würde, dass ich ein Mädchen vor einer Horde potentieller Vergewaltiger gerettet habe, und sie mir dabei ein Messer in die Seite gerammt haben, würdest du es mir wohl kaum glauben, oder?“ Luke schien einen Moment mit sich selbst zu ringen, bevor er tief Luft holte: „Nichts gegen dich Scott, ich mag dich wirklich und alles, aber das ist sehr persönlich. Reicht es dir, wenn ich dir sage, dass man mir mit dieser Narbe sehr viel genommen hat?“ Seine Stimme war bei jedem Wort leiser und bedauernder geworden.
 

„Natürlich, ich wollte nicht, dass du… also es tut mir leid“, murmelte Scott schuldbewusst.
 

„Du kannst ja nichts dafür. Du kannst deinen Seelengefährten noch finden. Freue dich darauf. Es soll ein unbeschreibliches Gefühl sein, wenn sich zwei Seelen miteinander verbinden, fast schon verschmelzen. So wie Achilles und Patroklos, Lancelot und Guinevere, Romeo und Julia…“ Luke legte seine Hand auf die Narbe und kniff die Augen zusammen. Er wirkte dabei irgendwie verletzt. Ein Schmerz, der beinahe schon greifbar war. Nicht körperlich, sondern emotional.
 

Scott brauchte einen Moment, um zu begreifen, was Luke da gerade gesagt hatte. Er könne seinen Seelengefährten noch finden. Das bedeutete, dass sein Gegenüber dazu nicht mehr in der Lage war. Es dauerte einen weiteren Augenblick, dann ging ihm ein Licht auf.
 

„Du meinst…“, begann Scott behutsam und nickte in Richtung der Narbe.
 

„Richtig“, bestätigte Luke. „Dort befindet sich eigentlich mein Seelenmal, mein Gegenstück, der Teil meines Lebens, den ich zu finden hoffte.“ Der Brite pausierte einen Moment, bevor sich seine Finger um die Narbe legten, sich förmlich daran festkrallten und er bitter auflachte. „Wie kann man denn etwas vermissen, das man nie besessen hat?“
 

Scott hatte so eine Form von Schmerz selten erlebt: Einmal bei Derek, der nahezu seine gesamte Familie im Feuer verloren hat und bei Allison und Stiles, ob ihrer beiden Mütter. Jeder von ihnen war anders mit dem Schmerz umgegangen, doch am Ende hatten sie ihn nie gänzlich verbergen können. Seinem Gegenüber schien es genauso zu ergehen. Was sollte Scott sagen? Wie sollte er ihn aufmuntern? Konnte man das überhaupt?
 

„Es tut mir leid“, flüsterte der Werwolf leise.
 

„Muss es dir nicht.“ Luke straffte seine Haltung ein wenig und zwang sich zu einem Lächeln. „Du kannst ja nichts dafür, Scott.“
 

„Und es gibt keine Möglichkeit mehr für dich, deinen Seelengefährten zu finden?“
 

„Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. Grandpa meinte, dass es durchaus möglich sei, dazu müsste ich aber den Richtigen finden und er sich in mich verlieben. Dann würde das Mal wohl wieder dort erscheinen.“ Scotts Gesprächspartner zuckte ein wenig mit den Schultern. „Grandpa meinte aber auch, dass ich niemanden bräuchte, denn ich sei stark genug, eine Prüfung des Schicksals oder so.“
 

Bei diesen Worten zog sich etwas in Scott zusammen. Das klang stark nach Gerard. Vor allem, wenn er jemanden für sich vereinnahmen wollte. Der alte Mann war ein Meister der Täuschung und Manipulation. Trotzdem, oder gerade deswegen, schien Luke seinen Großvater zu lieben. Hatte er ihn vielleicht gar nicht richtig kennengelernt?
 

„Du magst deinen Grandpa sehr, hm?“, tastete sich der Werwolf vorsichtig voran, während er selbst aus seinen durchgeschwitzten Sachen schlüpfte.
 

„Grandpa ist das Eheste, was ich an Familie habe“, offenbarte Luke und dabei wurden seine Züge wieder ein wenig sanfter. „Er hat sich um mich gekümmert, als ich ihn gebraucht habe und das werde ich jetzt auch bei ihm tun.“
 

Scott hatte Mühe, die Kontrolle zu behalten. Er kannte Gerards Bemühungen um andere und wusste, wie weit der alte Mann ging um seine Ziele zu erreichen. Mehrfach. Jackson konnte davon auch ein Lied singen, genauso wie Allison. Er hätte ohne zu zögern den Seelengefährten seiner Enkeltochter getötet und auch Scotts Mutter als Druckmittel missbraucht. Dass sich so jemand überhaupt um andere scherte, schien fast unmöglich zu sein.
 

„Ich glaube, wir sollten uns aber allmählich beeilen, denn sonst wird man uns wirklich Nachsitzen aufbrummen. Und auch wenn ich mich rausboxen kann, da Grandpa der Direktor ist, weiß ich nicht, ob das bei dir klappt.“ Luke schnappte sich seine Sachen zum Duschen und verschwand damit außer Scotts Sichtweite. Mal abgesehen vom beständigen Prasseln des Wassers und Lukes Atem war es ruhig.
 

Stiles hatte in einer Sache wirklich Recht gehabt: Luke liebte Gerard. Das war an seiner Stimmlage zu hören gewesen. Sein vertrauter und liebevoller Umgang mit diesem Monster war nicht gespielt und genau das bereitete Scott Sorgen. Allison hatte nur kurzzeitig, wenn überhaupt, so ein inniges Verhältnis zu ihm gehabt und war dabei komplett auf die schiefe Bahn geraten. Der Gedanke, dass jemand länger diesem schädlichen Einfluss ausgesetzt war und die daraus resultierenden Folgen, jagten einen kalten Schauer über Scotts Rücken. Vor allem, weil Luke ob Jacksons Reaktion in der Sporthalle kaum überrascht gewirkt hatte.
 

„Scott?“, riss ihn die Stimme des Briten aus seinen Gedanken. Er stand vor ihm, mit nassen Haaren und einem Handtuch um die Hüften geschlungen.
 

„Ähm, ja?“
 

„Du solltest dich wirklich beeilen. Wir haben nur noch fünf Minuten.“
 

„Oh, ja, stimmt!“ Damit schnappte sich Scott seine Sachen und verschwand ebenfalls unter der Dusche. Während das warme Nass seine brennenden Muskeln ein wenig auflockerte, ließ er die letzte Stunde Revue passieren.
 

Fakt war, dass Luke und er gut miteinander auskamen und das, obwohl sie sich erst flüchtig kannten. Bisher waren auch keine unangenehmen Situationen entstanden, mal abgesehen von Jacksons Wutausbruch, den er aber auch bei jedem anderen bekommen hätte können. Scotts Blick fiel dabei flüchtig auf seinen rechten Oberarm und er seufzte. Trotz seiner Situation hatte er es noch immer besser als Luke. Er konnte seinen Seelengefährten finden, auch wenn es wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit dauern würde. Das war schon ein deutlich besseres Los. Wobei, technisch gesehen, bestanden für Luke ja auch noch Chancen. Er musste nur den Richtigen finden. Wie er das, bei mehreren Milliarden Menschen schaffen wollte, stand zwar auf einem anderen Blatt, aber die Hoffnung war damit noch nicht gänzlich verloren.
 

„Scott, wir müssen echt los“, hörte der Werwolf aus der Umkleide.
 

„Ich beeile mich!“, rief er zurück, schnappte sich ein Handtuch und huschte dann zurück, wo Luke, fertig angezogen, bereits wartete. Für einen flüchtigen Moment war da etwas in den Zügen des Anderen zu erkennen, das Scott nicht zu deuten vermochte. Dieser Gesichtsausdruck verflog aber so schnell wieder, dass er sich kaum sicher war, ob er ihn sich nicht einfach nur eingebildet hatte. Sein Gegenüber drehte sich jedenfalls weg und Scott schlüpfte rasch in seine Kleidung, stopfte seine gebrauchten Sportsachen in seine Tasche und schloss zu Luke auf, der bereits am Gehen war.
 

„Tust du mir einen Gefallen?“
 

„Hm? Was denn?“
 

„Kannst du das, was ich dir erzählt habe, bitte für dich behalten?“, bat Luke und drückte dabei die Tür auf. „Du bist eigentlich der Erste, dem ich nicht irgendeinen Bären aufgebunden habe.“
 

„Klar.“ Scott lächelte angedeutet. „Ich verspreche es, hoch und heilig.“
 

„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich dir wirklich vertrauen kann.“ Dabei blitzte die Zahnspange wieder auf.
 

Scott wollte noch etwas erwidern, als sie sich auch schon wieder unter einer Meute gehetzter Schüler befanden, die es eilig hatten, pünktlich in den Klassenraum zu kommen. Die beiden taten es ihnen gleich. Nachsitzen war nichts, worauf man besonders erpicht war, schon gar nicht Scott, der dieses Jahr Ärger, so gut es ging, vermeiden wollte.



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