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Sumus Non Dei: Wir sind keine Götter

Linkin Park im Jahre 2027
von

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Blaue Dämmerung

Blaue Dämmerung
 

„Shinoda, was machen die Demos? Sind sie endlich fertig? Du weißt, ich warte darauf.“

Seufzend zog ich den In-Ear-Kopfhörer aus meinem rechten Ohr und richtete meine Aufmerksamkeit auf den neben mir stehenden Manager, Rick Rubin. Mit einer kurzen Berührung des interaktiven Bildschirms stoppte ich die Wiedergabe des Songs, an dem ich zuletzt gearbeitet hatte und den ich gerade zur Kontrolle nochmals anhörte.
 

Es war noch früh am Abend, sodass ich noch einige Zeit hier verbringen würde. Ein wenig hatte es mich irritiert, dass Rick persönlich hier aufgekreuzt war, normalerweise gab er mir seine Aufträge und Ideen, die ich dann ausführen sollte, über die Möglichkeiten der modernen Kommunikation. Diese erlaubte es, sich fast ohne Abstriche mit dem Gesprächspartner zu unterhalten, als stünde er genau vor einem. Was manchmal positiv, oft aber auch negativ war. Notfalls konnte man immer noch den Strom abschalten, doch das sollte ich bei Rick lieber nie tun, denn er konnte wirklich ungemütlich werden. Vor allem, wenn es nicht wie erwartet vorwärts ging. Da fing er oft an zu toben und zeigte absolut keine Geduld. Leider tat er das bei mir relativ häufig, da ich mich schwer darin tat, Fristen einzuhalten. Einfach weil es sehr schwer war, zu einem bestimmten festgelegten Zeitpunkt alle Songs perfektioniert zu haben. Es kam immer mal wieder etwas Ungeplantes dazwischen, woran ich dann länger saß.
 

Ich machte nun mal keine halben Sachen und ein Song musste erst richtig gut klingen, da durfte es nichts Störendes dran geben, ansonsten war er unfertig. Und nichts störte mich mehr als einen Song zu hören, der nicht vollkommen war, der einige ungeschliffene Ecken und Kanten besaß, die ich nicht beseitigt hatte. Wobei das mit den Ecken und Kanten eine Analogie war, bezogen darauf, den Song als Ganzes, Rundes zu sehen. Meine Songs waren in ihrem Charakter, ihrer Struktur, ihren Lyrics und ihrer Instrumentalisierung eher weniger rund, aber dennoch perfekt. Perfekt in dem Moment, in dem ich sie fertig stellte. Dass ich später am liebsten sämtliche Stücke nochmals überarbeiten wollte, war eine andere Sache. Das war unumgänglich, weshalb ich es auch vermied, mir meine Songs anzuhören, wenn es nicht unbedingt sein musste.
 

Ich war eben zu perfektionistisch und ein Workaholic zudem. Rick konnte das nie so ganz verstehen, bei ihm musste alles schnell gehen, zumeist reichte ihm schon eine der ersten Demoversionen, er befand dann, dass sie gut genug waren, um sie zu veröffentlichen. Doch dieses ‚gut genug‘ war nie ausreichend gut genug für mich. Und so hatten Rick und ich öfters Differenzen diesbezüglich.
 

Würde Ricks plötzliches Erscheinen hier im Studio wieder in einer Diskussion enden? Möglich war es. Ich hoffte es nicht, da diese Streitigkeiten meine Nerven und meine Zeit fraßen, beides brauchte ich jedoch gerade dringend zum Fertigstellen meiner Arbeiten.

„Rick.“ Ich nickte dem aufgedrehten Manager zu und brachte meinen Bildschirmhintergrund auf die große Leinwand, die die gesamte Wand hinter Rick ausfüllte und deren unterer Bildrand zugestellt war mit mehreren Kartons mit Kabeln, allerhand Equipement und einigen Instrumenten wie E-Gitarren, E-Bässen und Einzelteilen eines Schlagzeugs. Nichts davon brauchte ich noch, weswegen es dort herumlag. Normalerweise räumte ich immer auf und hielt penibel Ordnung, doch in letzter Zeit war ich tatsächlich zu gestresst und zu sehr unter Druck gewesen, um diese Arbeiten zu erledigen. Das Chaos ging mir selber schon auf die Nerven, doch da es niemand von den anderen Studioarbeitern wegräumte, würde es auch noch eine Weile dort liegen bleiben.
 

Ich zeigte Rick eine Liste mit zehn Titeln und meinte mit Unzufriedenheit in der Stimme: „Ich bin noch nicht fertig. Es fehlen noch einige, die zehn hier sind so gut wie fertig. Aber ob meine Stimme da immer passt, um das Richtige herauszuheben--“

Rick unterbrach mich jäh und wiegelte mit einer hektischen Handbewegung meine Erklärung ab. Mit ebenso hektischer Stimme äußerte er daraufhin seine Pläne, mit denen ich wie immer nicht so ganz einverstanden war.

„Papperlapapp, ist doch egal, ob das die ‚Botschaft heraushebt’.“ Er parodierte diese zwei Wörter, zog sie ins Lächerliche, was mich verletzt hätte, wenn ich ihn nicht so gut kennen würde. „Was du dir wieder für unnütze Gedanken machst. Verkaufen tut sich’s so und so. Und diese zehn Demos… Das reicht doch, Mike. Mehr brauchen wir nicht. Wir haben noch ein paar nicht verwendete Songs von den letzten Alben.“ Rick ignorierte mein entsetztes Stöhnen und fuhr fort. „Ich kenne deine Meinung dazu, aber die zählt zum Glück nicht, Shinoda. Ich glaube da lieber meinen Marketing-Experten und die sagen mir, dass alles von dir geschaffene mit einer achtzig prozentigen Chance ein Hit werden wird. Egal, ob das miteinander harmoniert oder ob es ins Konzept passt. Es ist sowieso alles der Shinoda-Style, da wird es schon zusammenpassen. Und jetzt schick mir die Demos und mach Feierabend, ich brauch dich hier nicht mehr.“
 

Mit diesen Worten verschwand Rick aus dem Raum und ließ mich zurück, vor Wut kochend und aufs Äußerste gespannt. Um ihm nicht zu widersprechen hatte ich mich arg zusammenreißen müssen. Rick hatte mal wieder gnadenlos seine Auffassung kundgetan. Eine Auffassung, die ich gar nicht teilte, weil sie viel zu kapitalistisch gedacht war. Für Rick waren diese Songs nur ein Stück Konsumgut, von dem er möglichst viel verkaufen musste. Er sah darin überhaupt nichts Künstlerisches, Wertvolles, Kreatives. Doch es war Kunst, und Kunst konnte man doch nicht einfach unfertig verkaufen oder mit anderen Kunstwerken zusammenstecken. Er konnte doch nicht wirklich meine alten Songs, die sich noch viel stärker an dem Stil Nu Metal und Crossover orientierten mit den Neuen, thematisch aufeinander Abgestimmten mischen. Er würde das komplette Konzept zunichte machen. Meine ganze Arbeit zunichte machen. Das durfte doch nicht sein!
 

Wütend und enttäuscht sprang ich auf, fuhr den Computer herunter und wollte gerade rausstürmen, als ich an der Tür mit Tanja, Ricks Assistentin zusammenstieß, die eilig um die Ecke gerauscht gekommen war.
 

„Oh, Mister Shinoda, gut, dass ich Sie noch hier erwische. Sie müssen sofort zu Mister Rubin ins Büro kommen, es ist äußerst dringend“, rasselte sie ihren Befehl herunter und sah mich dabei abschätzend, gleichzeitig aber auch bewundernd und irgendwie ängstlich an. Ihr Blick war mir unangenehm, doch viel mehr störte mich die Tatsache, dass der Chef, der mich vor zwei Minuten noch in den Feierabend geschickt hatte, nach mir schickte und ich bei ihm anzutanzen hatte wie ein abgerichteter Köter. Aber so war nun mal die Hierarchie, er war der Boss und ich sein Angestellter. Und ich nahm mir schon genug Freiheiten heraus, ein paar mehr und jeder Manager würde mich feuern, ganz egal, was ich für einen künstlerischen Wert besaß. Und ich wollte meine Arbeit ja unbedingt behalten.
 

Also schlug ich den Weg zum Raum des Managers ein, klopfte gegen den Türstock und betrat das offene, geräumige Büro, das hell erleuchtet war und durch eine komplett verglaste Seite einen atemberaubend schönen Blick auf den rot eingefärbten Himmel über der Skyline Detroits bot. Ein Anblick, der eigentlich beruhigen sollte. Tat er aber nicht. Jegliche Ruhe wurde fortgewischt durch den hektisch im Raum auf und ablaufenden Rick, der wüste Flüche murmelte, die ich zum Glück nicht verstehen konnte.
 

Es gingen ein paar Gerüchte herum, ob Rick augmentiert war oder nicht. Obwohl es mich gar nicht interessierte, bekam ich von dem Klatsch doch hin und wieder etwas mit, und seien es nur im Hintergrund laufende Gespräche zwischen Rob und Brad, zwei der Musiker von ‚No Regrets’ mit Joseph, genannt Joe oder einfach Mr. Hahn, in denen wieder mal der gesamte Tratsch, angefangen von Politik über das Showbiz bis zu Ricks neuesten Ausrastern und meinen Marotten thematisiert wurde. Und so war ich bestens informiert über die verschiedenen Varianten die über den Manager kursierten.

Vermutlich besaß er ein paar Neurooptimierungen, mehr glaubte ich bei ihm nicht. Alles Andere war meiner Meinung nach nur Gerede von gelangweilten oder neidischen Personen. Davon gab es immer genug. Joe war auch so ein gelangweilter Mensch. Seine Arbeit im Studio war ihm nie aufregend genug. Er war für sämtliche ‚Special Effects’ zuständig und arbeitete eng mit mir zusammen. Und er liebte es zuweilen, über die unsinnigsten Dinge zu diskutieren.

Was ich nie richtig verstehen konnte. Er wusste höchstwahrscheinlich auch, dass er mich damit aufbrachte und reizte und es amüsierte ihn. Hin und wieder bekamen wir uns deswegen in die Haare, aber unsere Streits blieben auf einer freundschaftlichen Ebene.
 

In diesem Moment wünschte ich, Joe wäre auch mit hier, denn er schaffte es so gut wie immer, Rick herunterzubringen, wenn er so drauf war wie in diesem Moment. Kaum hatte ich diesen Gedanken gehabt, schämte ich mich auch schon wieder dafür. Wer war ich denn, dass ich mich vor einem Gespräch mit dem wütenden Rick fürchtete? Da musste ich mich alleine durchkämpfen. Nur keine Schwäche zeigen, dann würde das schon klappen.
 

„Was ist los… Rick?“, fragte ich ihn vorsichtig, wurde aber durch eine abrupte Handbewegung seinerseits unterbrochen.

Mein Blick folgte ihm, wie er weiter auf und ab lief bis er schließlich „Eine Katastrophe“ herauswürgte.

„Wird das auch noch etwas genauer?“
 

„Shinoda, verarsch mich nicht. Es ist eine Katastrophe! Eine richtige, furchtbare, unser Ende besiegelnde Katastrophe!“, kam es vom rasenden Manager, der mit hochroten Kopf immer weiter seine Bahnen zog.

„Übertreibst du da nicht ein bisschen?“ Meine Stimme klang noch leiser und zaghafter als vorhin. Wenn Rick so raste, sollte ich ihn nicht zu sehr reizen, sondern mich etwas zurücknehmen.

„Nein!“, klang es laut durch den Raum.
 

Im Nachhinein gesehen war es tatsächlich eine Katastrophe - für Rick und für ein paar andere Personen. Nicht aber für mich. Ich war ja nur der Songschreiber und hatte mit Problemen der Band nicht allzu viel zu tun. Rick dagegen war wirklich ausgerastet, da er sich hoffnungslos überfordert fühlte. Was kein großes Wunder war. Die Demos waren fertig, sie mussten nur noch eingesungen werden, das Albumrelease schon festgelegt auf den Tag genau, und dann machte ihm der Sänger von ‚No Regrets’ einen Strich durch die sorgfältig durchkalkulierte Rechnung.
 

Mark Wakefield, schon einige Zeit im Urlaub um sich zu Kurieren, hatte es endgültig geschafft, sich bei einer Operation an den Stimmbändern seine bereits angeschlagene Singstimme vollends zu ruinieren. Irgendetwas war bei der komplizierten OP schief gelaufen und es sah schlecht aus für Mark. Vermutlich würde er, wenn er seine Stimme überhaupt zurückbekam, auf alle Fälle nicht mehr so singen können wie jetzt und wie er es musste als Sänger von ‚No Regrets’.
 

Dass so etwas passieren konnte, war schon mehr als seltsam. Rick war natürlich sofort argwöhnisch gewesen und hatte eine externe Untersuchung der Umstände beantragt. Vermutlich wollte er der Klinik Pfusch nachweisen.

Doch all das holte Marks Stimme nicht zurück.
 

Und das war das Dilemma. Mark war das Zugpferd der Band, er war das dominierende Gesicht von ‚No Regrets’. Keiner der Anderen - weder Brad, der virtuose Gitarrist, noch der zurückhaltende Drummer Rob zeigten ähnlich viel Präsenz. Mark machte die Band aus.
 

Und der fehlende Sänger war ja noch nicht einmal das einzige Problem. Erst vor zwei Monaten war der Bassist Sebastian bei einem Zugunfall ums Leben gekommen. Wirklich tragisch, was die Band alles aushalten musste. Der Verlust des Bassisten, jetzt der Verlust des Sängers…
 

Denn Mark würde gehen müssen. Er konnte nicht mehr singen. Unmöglich.

Rick war außer sich darüber. Und das, was ihn am meisten ärgerte, war wohl noch etwas Anderes. Ich kannte mich mit Verträgen nicht sonderlich gut aus, doch Brad hatte mir einmal erzählt, dass Mark sich den Namen ‚No Regrets’ gesichert hatte und nur er allen entscheiden konnte, wer ihn nutzen durfte. Und Rick hatte die Befürchtung, dass Mark es nicht akzeptieren würde, wenn man ihn einfach aus der Band warf und ersetzte. Er besaß ja ein Druckmittel. Und Rick wollte den Riesenerfolg nicht einfach so aufgeben. Er hatte mit dieser Band seinen größten Zustrom an Geldern. Der Name ‚No Regrets’ besaß einen Status des Widererkennens in der Konsumgesellschaft, der allein schon zu massigen Verkäufen von Musik der Band führte. Er war mit ihnen erfolgreich. Und den Erfolg wollte er nicht aufgeben. Logisch.
 

Mich selbst bestürzte das eher weniger. Ich konnte matürlich nachvollziehen, das Rick sauer war. Ich konnte auch nachvollziehen, wie er sich fühlen musste, doch diese Emotionen erwidern konnte ich nicht.
 

Und so wie Rick im Moment seine Mitarbeiter behandelte, hatte ich keine Lust gehabt, mich noch länger dort von ihm schikanieren zu lassen. Also hatte ich mir Urlaub genommen. Für vier Tage. Vielleicht war das Chaos danach nicht mehr ganz so katastrophal.
 

Während ich in Gedanken schweifend auf einer Bank saß und auf den Zug wartete, der in einer halben Stunde hier ankommen würde, beobachtete ich die Menschen um mich herum. Die weiß und blau geflieste Unterführung war Treffpunkt vieler Personen - die meisten warteten hier auf den Zug. Von hier ging es mit der blauen Linie über einige andere Stationen, an denen ich umsteigen müsste, bis nach Southfield, wo meine Eltern wohnten. Ich hatte vor, sie zu besuchen, da es lange her war, dass ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Insofern waren diese vier Tage doch ganz praktisch.
 

Eine Gruppe Jungendlicher hatte sich an einer Ecke versammelt, sie hatten Zeitungen und Pappe auf den schmutzigen Fliesen ausgebreitet und versuchten von den Schaulustigen etwas Geld zu erbetteln. Sie hatten ein kleines Radio auf den Boden gestellt und ein Junge mit grünen Irokesen tanzte auf der Pappe herum. Oder er versuchte es, denn sonderlich interessant sah es nicht aus. Die Musik war auch nicht schön. Ich versuchte den Krawall zu ignorieren und schaffte es auch. Einige Leute fanden die Musik wohl doch nicht so schlecht denn sie standen um den tanzenden Punk herum und sahen zu. Vielleicht wollten sie so aber auch nur ihre Zeit totschlagen.
 

Irgendwann wechselte die Musik von blechernen Technoklängen zu den ruhigen Klängen einer etwas schief gestimmten Gitarre. Ich sah auf und betrachtete das Bild, das sich mir bot.
 

Der Junge mit dem grünen Schopf lehnte in der nähe der Rolltreppen, das kleine, unzeitgemäße Radio unter den Arm geklemmt. Sein missbilligender Blick war auf die Menschen gerichtet, die sich um den Gitarrespieler drängten. Es waren immer noch nicht viele, höchstens zehn, aber bedeutend mehr als vor noch einem Moment. Wo kamen die alle nur her? Einige von ihnen gehörten wohl zu den Jungendlichen, sie alle verband nachlässige Kleidung und kunstvolle, farbenfrohe Frisuren sowie zum Teil breite Sonnenbrillen und andere, auffällige Accessoires.
 

Ein Polizist stand ebenfalls dabei und schaute interessiert zu dem Musiker hin, die leichte Laserwaffe hatte er nach unten gerichtet. Ich wunderte mich wirklich, warum sie alle zu dem Musiker hingelaufen waren wie die Motten zum Licht.

Durch die Menschenmenge erkannte ich nicht, wer da Gitarre spielte, konzentrierte mich nur auf den Klang. Und dann verstand ich, warum die Menschen dort standen und lauschten.
 

Denn als ein Mann einsetzte und sang, überfuhr mich kurz eine Gänsehaut. Nicht, weil es schlecht klang. Auch nicht, weil es perfekt klang. Denn das tat es nicht. Keine Software-korrigierte Studioaufnahmestimme, sondern live und dementsprechend hin und wieder etwas dissonant zum Klang der Gitarre. Vielleicht war es ja Absicht? Glaubte ich aber nicht.
 

Ich bezweifelte sogar, dass der Sänger es hörte, dass er manche Töne wie im typischen und inzwischen ausgestorbenen Bluesstil nach unten zog. Als er den Refrain wiederholte, bemerkte ich auch, dass die Melodie an wenigen Stellen etwas abwich, kaum merklich. Es sei denn man war auf einer Musikhochschule gewesen wie ich. Mir fiel es natürlich auf, besonders, weil ich mich jetzt auf diese besondere Stimme konzentrierte. Denn sie hatte mich in ihren Bann gezogen mit ihrer Kraft, der geballten Ladung Emotionen in ihr und ganz besonders als der Sänger anfing zu schreien.
 

Ich kannte nicht viele Sänger, die das so gut beherrschten, das Schreien, das nicht zu Grölen oder Kreischen verkam. Nein, es passte zum Song, es machte ihn intensiver, verdeutlichte die Botschaft, verstärkte die Emotionen. Die Stimme hatte das gewisse Etwas. Das, was mir immer gefehlt hatte um sie in gewünschter Weise rüber zu bringen.
 

Ich musste den Sänger sehen, musste ihn mit eigenen Augen beobachten können und ihn mustern. Ihn einschätzen können.

Wer er war interessierte mich plötzlich.
 

Ich stand energisch auf und näherte mich der Menschenansammlung, um mich an ihnen vorbei zu schieben und mir einen Blick auf den Sänger zu erlauben.

Er spielte die Gitarre selber, war das Erste, das mir auffiel. Er stand da, umringt von zwei Mädchen und einem Jungen, die die Menge wachsam beobachteten und hin und wieder aufforderten, etwas Geld zu geben. Beide hatten ausgefallene Haarfarben, Neonblau, Pink und Feuerrot. Der Sänger selbst, der eine Brille mit dickem, eckigem Rahmen trug, hatte einen rot gefärbten Iro, der weit herausgewachsene Ansatz war dunkelbraun. Alle drei waren in lockere, bequeme Kleidung gehüllt, mit Piercings versehen und machten einen rebellischen Eindruck. Punks.
 

Diese Undergrundbewegung war in Detroit schon seit einiger Zeit wieder aufgelebt. Einige Gruppen hatten sich dem Kampf gegen Augmentierungen verschrieben, andere kämpften für ihre Freiheit. Gegen Gesetze und Regeln, für Anarchie. Die einzige Gemeinsamkeit, die diese Gruppen hatten, war ihr auffälliges und zuweilen abschreckendes Äußeres. Da waren diese hier vor mir relativ harmlos.
 

Geradezu unscheinbar erschien der Sänger, die Brille lenkte den Blick auf sich und verbarg so geschickt das Gesicht, da der Blick sofort darauf fixiert wurde.

Für die Anderen hatte ich keinen Blick. Nur den Musiker beobachtete ich. Lauschte und dachte nach. Mein Zug war vergessen. Die Zeit auch. War es Schicksal, dass ich ihn hier traf?

In einem solchen Augenblick?

Ich fasste einen Entschluss.



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