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Das Vermächtnis des Kain

Vergessene Magie
von

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Licht und Schatten

17. Licht und Schatten

Sirius' Schritte hallten laut von den Wänden wieder. Tip, tap, tip, tap den Gang entlang. Zurück durch das zerstörte Gitter. Zurück in den Hochsicherheitstrakt. Zurück in die Hölle…

Sirius wurde langsamer. Die ersten Gefangenen kamen in Sicht. Da war ein schmutziger, heruntergekommener Mann in der Zelle links von ihm, der seine Hand durch das Gitter streckte.

„Hol mich raus...!“, bat er verzweifelt. „Hol mich raus!“

Doch Sirius hatte nicht vor, irgendjemanden zu befreien. Jedenfalls keinen Menschen. Ohne die flehentlichen Rufe der Gefangenen zu beachten, ging er weiter. Langsam, diesmal. Sein kalter Blick schweifte über die Insassen mit nichts als Verachtung. Todesser. Sie waren alle Todesser, die hier saßen. Todesser und andere Schwarzmagier, wie seine Familie es gewesen war. Er hasste diese Leute. Aber noch mehr als sie hasste er das Ministerium, das ihn zu einem von ihnen gemacht hatte.

Kälte.

Sirius reagierte sofort, kaum dass sich feine Eiskristalle in seinem Haar zu bilden begannen. Ohne seinen Lauf auch nur für eine Sekunde zu stoppen, verwandelte er sich in einen Hund. Trotzdem schrie der Wahnsinn in seinen Ohren. Trotzdem trug jeder Gefangene James' schmerzverzerrtes Gesicht. Doch das alles kannte Sirius und er lief einfach weiter.

Dann wurde es schlimmer. Fernes Lachen drang an sein Ohr und wurde immer lauter. Ein grausames, wahnsinniges Lachen. Die Dunkelheit schlug über ihm zusammen.

Sirius erstarrte. Er musste genau auf einen Dementor zulaufen. Und dieses Lachen... Das war keine Erinnerung. Dieses Lachen kannte er gut, gut genug, um Realität von Einbildung zu unterscheiden. Das war eindeutig Bellatrix.

Sirius fluchte innerlich. Er musste weiter, konnte sich aber vor seiner Cousine nicht in seiner Animagusform zeigen. Auch wenn die Frau wahnsinnig war, so besaß sie doch noch einen Funken menschlicher Intelligenz.

Sirius wagte sich noch ein paar Schritte weiter vor. Bellatrix' Lachen war in ein Schluchzen übergegangen. Der Dementor musste auf ihrer Höhe sein. Sirius, noch immer auf vier Pfoten, drückte sich so dicht an der Wand entlang wie möglich. Der raue Stein kratzte selbst durch sein dichtes Fell hindurch. Er durfte nicht entdeckt werden, nicht jetzt!

Dann war es vorbei und er atmete erleichtert auf. Das Ungetüm hatte ihn nicht bemerkt.

Sirius verwandelte sich zurück, um auf zwei Beinen an Bellatrix' Zelle vorbeizugehen, damit sie seine Hundegestalt nicht sah.

Doch da packte urplötzlich etwas seine Hand. Sirius wollte sich losreißen, doch der Griff war stark.

Bellatrix.

Aus wahnsinnigen, weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an. Ihre Haare waren schmutzig und verfilzt, mehr grau als schwarz. Trotzdem hatte sie dieselben grauen Augen wie er. Da war ein Funken in ihnen. Ein einmaliger Augenblick des klaren Denkens, begriff Sirius. Als ihre rissigen Lippen sich öffneten, sprach aus ihrer toten Seele mit einem Mal jemand, den Sirius schon lange verloren geglaubt hatte. Es war das Mädchen, das vor vielen, vielen Jahren manchmal mit ihren Eltern das Haus der Blacks besucht hatte. Es war das Mädchen, das mit ihm und seinem Bruder Regulus Fangen gespielt hatte. Es war das Mädchen, das geweint hatte, als man sie im Alter von acht Jahren mit Rodolphus Lestrange verlobt hatte.

Der Werwolfanführer hatte vergessen, seinen Kopf mit dem Hundezauber zu belegen. Sie hatte ihn erkannt.

„Die Zeit ist da, Sirius“, flüsterte die Hexe. Noch immer klang in ihrer Stimme etwas Irres mit, aber ihr Gesichtsausdruck war vollkommen ernst. Sirius konnte nicht anders, als sie anzustarren.

„Alles wird sich verändern, Cousin. Noch hast du die Wahl. Komm zu uns! Zu deiner Familie. Hol mich raus!“ Sirius wollte sich von ihr losreißen, doch sie zischte unwillig und hielt ihn noch fester. „Mach keine Dummheiten! Ich weiß von deinem Hass auf das Licht. Du hast die Chance. Du hast das Blut. Das Potenzial. Das Schlechte und Schwache muss ausgemerzt werden.“

Sirius hielt inne. Für eine winzige Sekunde.

„Wo ist er?“, fragte er heiser. Dann noch einmal, lauter und entschlossener: „Wo ist dieser elende kleine Verräter?“

Bellatrix lächelte. Grinste. Triumphierend.

„Siehst du? Das meine ich. Das bist du. Das hat Askaban aus dir gemacht.“

Sie lehnte sich zurück und ließ ihn los. Ihr Blick war noch immer klar.

„Du verweigerst dich dem Dunkel Lord. Du bist irregeleitet. Du stellst dich gegen die ganze Welt. Du bist dumm. Aber du hasst das Licht. Du weißt, was schlecht und schwach ist. Ich werde dich trotzdem töten, Sirius. Aber ich werde es genießen. Denn du bist ein würdiges Mitglied der Blacks. Es wird mir fast schon eine Ehre sein.“ Sie kicherte.

„Wo ist er?“, fragte Sirius noch einmal.

„Gar nicht weit von hier. Dort vorne links den Gang entlang. Ich habe die Beleidigungen seiner Nachbarn gehört.“

Sirius trat zurück und versuchte jetzt nicht mehr, seinen Ekel zu verbergen. Bellatrix kicherte wieder.

„Viel Spaß, lieber Cousin! Zerstöre das, was schwach und schlecht ist.“

Sirius hatte geglaubt, zu wissen, wozu er in der Lage war. Er wusste, dass er fähig war zu töten. Er wusste, dass er fähig war zu foltern. Aber den Hohn, den er der Todesserin jetzt entgegenbrachte, hatte er immer für unter seinem Niveau gehalten. Immerhin war sie trotz allem schon seit mehr als zehn Jahren in Askaban, sie war allein, halb verhungert und erfroren, wahnsinnig und ohne Hoffnung. Sie hatte ihm, wenn auch aus niederen Beweggründen, den Weg geebnet und dafür verspottete er sie. Und er genoss es.

„Ich werde ihn nicht töten, weil er klein und schwach ist“, sagte Sirius abweisend. „Sondern weil er feige ist und seine Freunde und Gryffindor verraten hat.“ Dann wandte er sich ab, doch bevor er ganz aus Bellatrix' Sichtfeld verschwand, drehte er sich noch einmal um. Beiläufig, die Hände in den Hosentaschen, rief er ihr über die Schulter hinweg zu: „Ach, übrigens: Ich bin jetzt ein Werwolf. Eine menschliche Familie benötige ich nicht mehr.“

Das war zu viel. Bellatrix sprang auf, knallte mit voller Wucht gegen die Gitter und zerrte daran:

„Du mieses Halbblut! Dreckiger Hurensohn, du verfickter Hund! Wie konntest du es wagen, das Blut der Blacks so zu besudeln!?“

Sirius lachte leise und voller Hohn. Er wusste, wie seine Familie, wie alle Blacks zu Halbblütern standen. Sie waren fast noch schlimmer als Squibs in ihren Augen. Allein diese Bemerkung hatte den Wahnsinn zurück in die Zelle seiner Cousine geschickt, wo er sich ausbreiten, sie niederringen und hoffentlich töten würde.

Sirius achtete nicht weiter auf das Geschrei, als er an ihrer Zelle vorbeischritt und die Richtung einschlug, die sie ihm genannt hatte. Vorbei an etlichen anderen traurigen Gestalten – bis er schließlich da war.

Seit Sirius' Verhandlung waren keine vierundzwanzig Stunden vergangen. Solange aber dauerte es für gewöhnlich, bis man sich von selbst von einem Schockzauber erholte. Demzufolge lag die Gestalt in der Zelle schlaff und kraftlos auf dem Boden. Blass, schmutzig und ausgezerrt. Der Grund allen Leidens, das Sirius durchgemacht hatte. Askabans neuster Gefangener.

Peter Pettigrew.

Für Sirius war es ein Leichtes, die Zelle zu öffnen und hineinzuschlüpfen. Es lag nur ein einziger Sicherheitszauber darauf, der einen Alohomora nutzlos machte. Die Zelleninsassen besaßen keine Zauberstäbe, daher war nicht viel mehr notwendig, um sie hier zu halten.

Leise schloss Sirius die Tür wieder hinter sich. Die Zelle gegenüber war leer; er würde nicht beobachtet werden. Und auf die Schreie würde niemand achten. In Askaban schrie immer irgendwer, erst recht heute, wo die Gefangenen so in Aufruhr waren.

Mit kalter Gelassenheit legte Sirius ein paar zusätzliche Banne auf das Gitter. Selbst eine Ratte würde nun nicht mehr in der Lage sein, hindurch zu schlüpfen. Dann zielte er mit dem Zauberstab auf Pettigrew.

„Enervate.“

Der Verräter schlug die Augen auf und begegnete, nachdem er sich einen Augenblick verwirrt umgesehen hatte, Sirius' hasserfüllten Blick.

„T-Tatze“, fiepte er, „du... hier...?“

„Ich, hier“, bestätigte Sirius. „Ich war doch die ganze Zeit über hier, nicht wahr?“

„E-E-Es t-t-tut mir l-l-leid! B-bitte.“

„Bitte, was? Bitte töte mich? Bitte, foltere mich? Bitte lass mich für Lilys und James' Tod bezahlen?“

„D-Das m-machst du nicht! Sirius! Ich bin doch dein F-F-Freund!“

„Mein Freund?“, höhnte Sirius. Sein Zauberstab zielte auf Pettigrews Herz.

„Freunde verraten sich nicht. Freunde verleumden einander nicht. Freunde liefern einander nicht den Dementoren aus.“

Sirius hatte geglaubt, dass er wütend sein würde. Dass er schreien und fluchen und toben würde, dass er voller Verzweiflung und Hass sein würde, wenn er Peter endlich wieder gegenüber stand. Ja, da war Hass in ihm, aber keine Verzweiflung. Vielleicht wäre es tatsächlich so gekommen, vielleicht hätte er in einem Anfall seiner alten Leidenschaft den Todesfluch auf Peter geworfen und alles wäre vorbei gewesen – wenn er ihn irgendwann auf seiner Flucht geschnappt hätte. Aber Sirius war nicht mehr auf der Flucht. Er hatte einen sicheren Platz für sich gefunden. Er hatte eine neue Familie, neue Verbündete und in Harry sogar so etwas wie einen Sohn gefunden. Er hatte seinen Namen geklärt. Er brauchte vor nichts mehr davonzulaufen. Er würde nie wieder davonlaufen. Ab heute würde er nur noch angreifen. Er würde kämpfen, aber nicht für sich selbst. Nicht nur. Er würde für all das kämpfen, was er neu dazu gewonnen hatte. Diese Verantwortung hatte ihn verändert. Er war hart und berechnend geworden. Sein angeborenes Genie, mit dem er früher in der Schule Streiche geplant hatte, konzentrierte sich nun auf Strategien und Kriegsführung. Er hatte gelernt, sein Temperament zu kontrollieren.

Das allein war der Grund, warum er nun vor dem Verräter stehen konnte, ohne eine Miene zu verziehen.

„Ich werde dich töten, Peter“, sagte er leise. „Es wird kein angenehmer Tod werden. Sondern ein langsamer und schmerzvoller.“

„B-B-B-bitte, Si-Sirius! Es war... Es war der Dunkle Lord! E-E-Er hat mich gezwungen, mich gef-f-f-foltert! Was hättest du getan?“

„Ich wäre gestorben“, erwiderte Sirius einfach. „Ich wäre für James gestorben. Genauso wie ich für Remus gestorben wäre. Oder für dich.“ Langsam trat er einen Schritt auf Pettigrew zu. Dieser zog sich sofort auf allen Vieren zur Wand zurück. Hektisch sah er sich um. Dann wollte er sich verwandeln, doch Sirius schwang seinen Zauberstab und sprach einen Bann über ihn, der das verhinderte. Den Zauber hatte er in der Bibliothek des Hauptquartiers gefunden. Er hatte lange Zeit dort verbracht, über seine Rache nachzudenken.

„Erinnere dich daran, Peter. Erinnere dich daran, wie es war, als Du-weiß-schon-wer dich folterte. Du wirst dasselbe jetzt nämlich noch einmal erleben.“

„Aber das... das...! Du bist doch im Orden! Du bist ein L-L-Lichtzauberer! Das sind die Unverzeihlichen, Sirius, das kannst du nicht wollen! Dann landest du wieder h-hier, im Gefängnis!“

„Du hast keine Ahnung, was ich kann, Peter. Ich habe heute bereits zuhauf den Imperius verwendet, um hierher zu kommen. Niemand wird herausfinden, was ich heute tun werde. Ich werde deine Leiche zurück in die Ratte verwandeln, die du bist und sie ins Meer hinab werfen. Und das ich zu so etwas in der Lage bin, Peter, das ist ganz allein deine Schuld.“

Sirius hob den Zauberstab. Er würde den Blick nicht eine Sekunde lang abwenden.
 

*
 

Gomora keuchte und sank auf die Knie. Einige Zentimeter über dem Wasser schwebend hatten ihr bisher weder Kälte noch Feuchtigkeit des Meeres Ärger bereitet. Nun aber spürte sie die Nässe durch ihre dünne Feinstrumpfhose überdeutlich. Mit jeder Sekunde versank sie ein kleines bisschen mehr im Wasser.
 

“Verschwinde!“

„Solom!“

„Ich will dich nie mehr sehen!“
 

Gomora schüttelte den Kopf. Sie durfte jetzt nicht zulassen, dass ihre Vergangenheit sie einholte.

„Hey, du! Hast du einen Zauberstab?“, fragte sie den nächsten Vampir, der ein paar Meter weiter weg im Wasser schwamm. Dieser warf ihr nur einen kurzen Blick zu und schüttelte den Kopf. Gomora fluchte leise. Sie selbst besaß natürlich auch keinen und allein war sie nicht in der Lage, einen Patronus zu erzeugen. Den vielen Schatten nach zu urteilen, die von der Festung her über das Meer strömten, hatte sie einen solchen allerdings bald nötig. Warum zum Teufel griffen diese Viecher jetzt an!?

„Hör zu“, sprach sie den Vampir, der den Einfluss der Wächter Askabans noch nicht zu spüren schien, an, „wir sind aufgeflogen. Die Dementoren verlassen die Festung und kommen genau auf uns zu. Wir müssen zum Festland zurück, sofort!“

„Aber was ist mit der Mission?“, wollte der Blutsauger wissen.

Als wenn Gomora nicht schon selbst daran gedacht hätte! Liebend gerne würde sie sich in den Kampf mit den Dementoren stürzen, wenn das Soloms Rettung auch nur ein paar Minuten mehr Zeit versprochen hätte. Aber hier sah die Sache anders aus.

„Weniger Dementoren in der Festung bedeutet mehr Fluchtmöglichkeiten für das Rettungsteam. Wir müssen sie nur zum Land locken.“

In diesem Moment nährte sich von der Seite her rasch ein gleißendes, weißes Ding.

Gomora seufzte erleichtert auf. Ein Patronus! Gerade wollte sie die Hände nach dem gleißenden Kranich ausstrecken, um ihn mit ihrer Kraft zu verstärken, da öffnete dieser seinen Schnabel und sprach mit herrischer Stimme: “Alle Vampire sofort untertauchen! Die Todesser sind im Anmarsch.“

Gomora erstarre zu Eis. Der Vampir, der ihr am nächsten war, warf den Kopf herum und richtete den Blick gen Festland. Das nun keinen Fluchtweg mehr darstellte.

Der Zwielichtige sah von Gomora zu dem Kranich und wieder zurück. Dann zuckte er mit den Schultern: „Tut mir leid.“

Eine Sekunde später verschwand er im Meer. Und Gomora war allein, zwischen Dementoren und Todessern. Die Kälte wurde immer intensiver.

Innerlich diese feigen Vampire aufs übelste verfluchend richtete sich die Veela mit Mühe wieder auf. Sie würde sich dem Kampf stellen, und wenn es das Letzte war, was sie tat! Entschlossen sammelte sie ihre Magie in ihren Handflächen – und hielt gleich darauf in jeder einen glühenden Feuerball. Sollten sie doch kommen, diese-

Etwas packte sie am Fuß. Gomora schrie leise auf, als sie mit einem kräftigen Ruck unter Wasser gezogen wurde. Verzweifelt strampelte und trat sie um sich, doch die Hand an ihrem Knöchel hatte einen eisernen Griff. Mit aller Macht versuchte sie oben zu bleiben, aber immer stärker wurde der Sog. Wasser strömte in ihre Lungen. Das Feuer war längst erloschen. Zusammen mit der Kälte der Dementoren wich das Leben nun viel schneller aus ihr heraus. Gomoras Bewegungen wurden immer schwächer...

So etwas. Sie hatte Solom retten wollen und jetzt war sie es, die hier auf dem Meer starb. Die ganze Zeit über hatte sie sich an die Hoffnung geklammert, dass ihr Bruder noch leben würde. Jetzt wünschte sie sich um seinetwillen das Gegenteil. Wenn sie starb und ihr Bruder gerettet wurde, aber allein auf der Welt stand... Nein, das wäre sein Ende. Das wäre das Ende ihres geliebten Bruders, der ihr so viel bedeutete. Und es wäre die Geburt eines grausamen, fürchterlichen Monsters. Hoffentlich war Solom bereits tot...

Luft!

Durch Gomoras Körper ging ein Stromstoß, als der Eisige Wind durch ihre Haut schnitt. Keuchend und japsend schlug sie instinktiv um sich – und traf auf Widerstand.

„Aua!“

„Du Idiot! Was machst du denn da?!“, tönte eine zweite, weibliche Stimme auf Gomoras anderer Seite.

„Veela können nicht schwimmen. Sie sind Feuerwesen, im Wasser ertrinken sie! Was bringen sie euch in diesem Scheißladen eigentlich bei, hä?“

Nur langsam kehrte Gomora bewusst in die lebende Welt zurück. Sie hörte für einen Moment auf, sich gegen den Griff um ihre Hüfte zu wehren und wischte sich das Wasser aus den Augen.

Harry?“, stieß sie überrascht hervor, als sie den Vampir erkannt. „Was machst du hier? Warum hast du versucht, mich umzubringen!?“

„Äh, sorry“, machte der Schwarzhaarige. „Eigentlich wollte ich dich retten, weißt du. Wir sind unter der Kolonne durch getaucht und, naja, du bist wie ein Leuchtfeuer hier draußen, die reinste Zielscheibe. Ich wusste doch nicht, dass Wasser dir so viel ausmacht!“

Gomora sah an sich herunter. Wasser. Was für ein widerwertiges, nasses und kaltes Element!

„Na, darüber brauchst du dir jetzt keine Sorgen mehr machen!“, fauchte sie giftig. Dementoren und Meer hatten ihr fast ihre gesamte Magie geraubt. Von ihrem Veela-Schein war nichts mehr übrig geblieben und das edle Weiß ihrer Alabasterhaut war nunmehr eine kränkliche Blässe.

„Wer ist das überhaupt?“, wollte sie wissen und deutete auf den zweiten Schopf, der da neben ihnen aus dem Wasser ragte.

„Das ist Jasmin. Sie hat mir verraten, was hier los ist. Warum hat das keiner von euch getan, hä?“, antwortete Harry. „Na, egal. Wir müssen schleunigst hier weg, Voldemort“ - die Mädchen zuckten heftig zusammen - „ist im Anmarsch. Ist Sirius schon zurück?“

Gomora schüttelte den Kopf. „Nicht das ich wüsste. Aber wir kommen ohnehin nicht durch die Wand der Dementoren, jedenfalls ich nicht. Ihr müsst allein wieder zurück...“

„Kommt nicht infrage! Wir kämpfen uns den Weg frei. Wo sind denn die anderen? Du bist doch wohl nicht ohne Unterstützung hier?“

„Die Nachricht von den Todessern kam erst vor zwei Minuten. Die Vampire sind abgetaucht.“

„Und die Veela?“

Gomora schwieg vielsagend.

Harry wurde blass – was wirklich ein Kunststück war, für einen Vampir.

„Aber – Luca-“

„Gab den Befehl, vermute ich.“

Jasmin schnaubte. „Wäre ja auch schön dumm, sich mit zwei Heeren gleichzeitig anzulegen.“

„Aber, das... Das kann er doch nach machen!“, protestierte Harry.

„Geh doch zu ihm und beschwer dich“, spöttelte Jasmin.

„Ja, genau das werde ich auch machen!“, erwidert Harry, unterstützt von dem wütenden Zischen seiner beiden Schlangen.

Jasmin lachte leise. „Sei nicht albern. Du, als einfacher Neuling kannst ja wohl nicht einfach zu Luca gehen. Zu dem Vampirherrscher schlechthin, an den nicht mal Sariel heranreicht und ihn mal eben so davon überzeugen, sich auf ein Himmelfahrtskommando einzulassen.“

„Klar kann ich das. Luca schuldet mir gefälligst noch was, immerhin hat er mir nichts von all dem hier erzählt.“

Jasmin sah ihn ungläubig an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“

„Harry wurde praktisch von Luca großgezogen, als er ins Zwielicht kam“, sprang Gomora hilfreich ein. Sie wusste zwar, dass Luca einen höheren Posten bezog als die meisten dachten, aber diese Reaktion von der fremden Vampirin überraschte sie doch etwas. „Er hat sozusagen den Platz seines Erzeugers eingenommen.“

Jasmin und Harry warfen sich einen seltsamen Blick zu.

„Lasst uns sofort loslegen“, beschloss Harry. „Jasmin, du nimmst Gomora mit, bis sie stark genug ist, wieder übers Wasser zu laufen – übrigens ein wirklich cooler Trick, Gomora! Ich halte uns derweil die Dementoren vom Leib.“

„Hey, seit wann erteilst du denn mir Befehle?“, keifte die Vampirin. Sofort zuckte sie jedoch zurück, als sich zwei geschmeidige Leiber durch das Wasser schlängelten und sich unauffällig um ihre Beine wickelten.

„Äh, ich meinte, wird gemacht...“
 

*
 

“Nicht weinen, mein Engel. Nicht weinen.“

„Ich kann das einfach nicht mehr! Ich halte es nicht aus... Ich wusste, dass Vater so reagieren würde, aber ich dachte, dass vielleicht Mutter...“

„Shh... Ganz ruhig. Es wird alles gut.“

„Nichts wird gut! Sie werden dich niemals akzeptieren und... Sie haben mich enterbt und verstoßen und... Und der Pfarrer will eine Jagd organisieren und...“

„Shh, mein Engel. Das macht mir alles nichts aus. Ich gebe nichts auf den Segen deiner Eltern. Solange du mich willst, bin ich glücklich.“

„Du verstehst das nicht. Ich hasse sie für das, was sie über dich sagen!“
 

“Aaaaarrrgh!“

„Ruhig, ganz ruhig. Atme. Vergiss nicht zu atmen, Engel.“

„Es tut so weh, es tut so weeeh! Lass mich sterben! Bring mich um, ich sterbe lieber!“

„Nein, mein Engel, das geht vorbei... Bitte, nicht weinen. Halt still. Bald ist alles vorbei.“

„Hör auf, hör auf, HÖR AUF! Lass mich! Ich will das nicht, es tut so weh!“

„Das bist nicht du, Liebste. Ich weiß, dass du es willst. Erinnere dich daran, ich bitte dich.“

„Ich HASSE dich! Lass mich los, ich will nicht, mach das weg – aaaaarrrgh!“
 

„Willst du mich nicht wenigstens begrüßen?“

„...“

„Hör zu, ich weiß, dass es schwer ist. Das ist es immer, am Anfang. Aber du musst etwas trinken. Sonst wirst du immer schwächer und schwächer werden.“

„...“

Wenn du es... Wenn du es nicht wolltest... Dann tut es mir Leid. Du hast so oft gesagt, dass du die Ewigkeit mit mir verbringen willst. Das habe... Das habe ich dir geglaubt.“

„...“

„Verdammt, jetzt sag doch etwas! Irgendetwas! Hasst du mich? Hasst du mich wirklich so sehr? Dann sprich es wenigstens aus!“

„...?“

„Ja? Was ist?“

„Was... ist das für ein widerwertiges Zeug, das du mir da bringst? Es riecht furchtbar.“

„Das ist Tierblut. Ich dachte mir, das würdest du am Anfang vielleicht bevorzugen.“

„Schmeiß diesen Scheiß weg. Ich will lebendige Menschen.“
 

„Was hast du gesagt?“

„Ich sagte: Gib mich frei.“

„Du... Was meinst du? Warum willst du-“

„Ich will nicht länger an dich gebunden sein. Du sollst mich freigeben.“

„Du weißt, dass ich das nicht kann. Es ist Gesetz, junge Vampire mindestens hundert Jahre zu beobachten...“

„Natürlich kannst du es. Du hast dich doch nie davor gedrückt, das Gesetz zu brechen, wenn es um mich geht. Wo ist der Unterschied?“

„...der Unterschied ist, dass du mich verlassen willst.“

„...“

„Ich verstehe es nicht. Was habe ich dir denn angetan? Was habe ich falsch gemacht? Ich habe dir alles gegeben!“

„Nein, hast du nicht. Du hast mir das Wertvollste auf der Welt genommen.“

„Was denn? Dein Leben? Du sagtest, du wolltest es!“

„Nicht mein Leben, mein Kind!“

„...was?“

„Ja, du hast richtig gehört! Ich war schwanger, als du mich verwandelt hast! Du hast mein Kind getötet, du Monster!“

„Das... Das wusste ich nicht... Warum hast du mir das nicht ge... Moment, dein-“

„Ja, ganz recht, mein Kind! Glaubst du, du warst der Einzige, der meinen Körper wollte? Vergiss nicht, dass ich zu dem Zeitpunkt verlobt war.“

„Eine Zwangsverlobung, als du vier warst!“

„Das bedeutet nicht, dass er bis zur Hochzeit warten wollte. Erst recht nicht, als die Gerüchte aufkamen...“

„Oh Engel, es tut mir so leid-“

„Nun, mir tut es nicht leid. Ich habe dieses Kind als deines angesehen und ich habe es geliebt. Das wäre perfekt gewesen, weißt du? Eine Familie. Aber das musstest du ja zerstören! Also tu einmal in deinem Leben das Richtige und gib mich frei!“
 

„Meister...“

„Keine Zeit, André. Ich muss zu einem Treffen der-“

„Meister, sie haben sie gefangen.“

„Was? … Wen meinst du!“

„Deine Frau. Sie verbrennen sie auf dem Scheiterhaufen.“

„Was zum – wo!?“

„Nördlich von Guston – aber Meister, es ist fast Morgen. Die Nachricht kam vor einer halben Stunde. Das schafft ihr nicht mehr. Vermutlich ist sie längst...“

„Nein! Nein, das darf nicht sein! Wir gehen los, AUF DER STELLE!“
 

Die Visionen verblassten. In seinem meditationsartigen Dämmerzustand brauchte er eine Weile, bis er begriff, dass keine neuen Bilder nachkamen. Innerlich war er dankbar, die letzte Szene nicht noch einmal durchleben zu müssen. Er bekam schon unter normalen Bedingungen die Schreie und das Gelächter der Menge nicht aus dem Kopf, das brauchten ihm die Dementoren nicht in allen Details zeigen.

Der Meistervampir öffnete die Augen – und sogleich fuhr die Zunge eines zwei Meter großen Hundes über sein Gesicht.

Luca schüttelte sich und wollte ein paar Ellen zurückschnellen – merkte jedoch, dass er sich langsamer bewegte als sonst. Ach ja, er befand sich ja immer noch unter Wasser. War abgetaucht, nachdem die Todesser aufgetaucht waren. Aber wie konnte denn hier, auf dem Grund der Nordsee, ein Hund sein?

Die Erklärung erhielt er ziemlich schnell auf den zweiten Blick: Das riesige, weiße Ungetüm sah nicht nur Sirius' Animagusgestalt verdammt ähnlich, es glitzerte auch in einem gleißendem Silber. Das war Harrys Patronus.

Luca stöhnte leise und ein Schwall Luftbläschen löste sich von seinen Lippen. Was zum Teufel machte der Junge hier!? Er sollte in Hogwarts sein, in Sicherheit! Wieso konnte auch nie einer seiner Pläne so verlaufen, wie es vorgesehen war!?

Mit wütenden Schwimmzügen folgte Luca dem Licht des Patronus. Ein paar Meter weiter oben stieß er auf zwei junge Vampire, die paddelnd im Wasser schwebten. Dem einen gab er sofort einen, wenn auch durch das Wasser gedämpften, deftigen Schlag auf den Kopf. Seine Schimpftirade musste allerdings noch ein paar Sekunden warten, bis ihre Köpfe die Wasseroberfläche durchstoßen hatten.

„Was tust du hier, Potter!?“, knurrte er zornig – und es war schon ein sehr schlechtes Zeichen, wenn er Harry 'Potter' nannte.

„Das sollte ich eigentlich dich fragen!“, rief der Junge nicht minder wütend zurück. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass der Angriff heute war? Und warum ziehst du den Schwanz vor den Todessern ein? Das ist einfach nur feige! Du lässt die Veela ohne jeden Schutz zurück!“ Wütend deutete er auf die Eisscholle, ehemals Lucas Planungspodest, auf dem jetzt Jenande und Gomora saßen und sich zitternd aneinander festhielten.

„Von solchen Dingen verstehst du nichts“, wies der Meister den Jungvampir zurecht. „Man kämpft niemals an zwei Fronten gleichzeitig.“

„Dann lässt man sich also lieber vernichten? Ohne die Veela sind die Vampire doch im Wasser gefangen!“

„Wenn ich vielleicht etwas beifügen dürfte, Mister, äh, Luca“, meldete sich die zweite kleine Vampirin zu Wort, die Luca nicht kannte, deren Gesicht ihm aber bekannt vorkam, „Auch der Dunkle Lord hat Vampire dabei. Sie werden Eure Leute bemerken, auch wenn sie sich unter Wasser verstecken. Früher oder später. Vielleicht greifen sie gar nicht an, das kann natürlich auch-“

„Genau, Luca! Das bringt doch überhaupt nichts! Wir müssen gegen Voldemort“ - das Mädchen zuckte heftig zusammen und selbst Luca hob empört eine Augenbraue - „und die Dementoren zur Wehr setzen! Wenigstens die Vampire, die einen Zauberstab haben, sollten Patroni erschaffen.“

Luca zögerte. Lange. „Sie haben auch Vampire dabei“, flüsterte er dann. Langsam ließ er seinen Blick über das Meer streifen. Überall stürzten sich dunkle Schatten auf die leuchtenden Veela auf dem Wasser. In der Ferne waren die ersten Explosionen zu hören. Sie waren nicht mehr weit entfernt.

„Dafür wirst du auf ewig in meiner Schuld stehen“, knurrte der Vampir schließlich und stieß Harry zu der treibenden Eisscholle. „Dein Patronus ist stark, bleib du bei den beiden. Wenn sie wieder stark genug sind, entflammt ihr das Meer.“

„Danke, Luca!“

„Ich werde nur diejenigen zurückholen, die einen Zauberstab haben“, betonte der Vampiranführer. „Was vermutlich nicht genug sein wird, um zu gewinnen.“

„Wir müssen nicht gewinnen. Wir müssen nur Zeit schinden, bis Sirius wieder da ist und dann abhauen.“

Luca schnaubte. „Und du hast mich feige genannt. Wenn, dann machen wir das richtig.“
 

*
 

„Mein Lord... Seht nur, da unten!“

Voldemort wandte sich von der Gruppe Dementoren ab, die ihn und seine Todesser, die auf Besen flogen, bedrängten. Natürlich trauten sie sich nicht sehr weit in seine Nähe. Vielleicht schmeckte er ihnen auch nicht, sein Leben war schließlich nicht sehr Glücklich. Glück brauchte er nicht. Aber ihm gefiel die Vorstellung besser, dass die Dementoren vor seiner Bosheit, die stärker war als ihre eigenen, zurückwichen. Das war besser als jeder Patronus. (Zu seiner Schande musste er nämlich gestehen, dass dies einer der wenigen Zauber war, die er nie gemeistert hatte.)

Voldemort sah also nach unten auf das schwarze Meer – nur dass es nicht mehr schwarz war.

„Was ist das?“, flüsterte er zu sich selbst.

Es hatte ihn ja schon überrascht, dass da überall auf der Oberfläche Veela rumliefen. Seine Spione hatten ihm zugetragen, dass die Zwielichtigen heute Askaban angreifen wollten. Aber Veela waren dafür ja wohl die schlechteste Wahl. Das hatte sich auch sogleich bestätigt, als die Frauen wie umgeknickte Blumen eine nach der anderen umkippten. Aber da, in der Ferne... Da war ein besonders heller Punkt in der Schwärze. Es mussten zwei oder drei Veela sein, wahrscheinlich zusätzlich noch ein Patronus. Aber es war nicht dieses helle Leuchten, das ihn aufmerken ließ. Nein, es waren die langen, fädenartigen Spuren, die sich leuchtend hell von dort aus über das Wasser zogen und ausbreiteten. Als hätte man eine Zündschnur ausgeworfen, sprang der Funke über und mit einem Mal stand das Wasser rings um diese Linie in Flammen. Eine Linie, die direkt zur nächsten Insel der Helligkeit, zur nächsten Veela führte. Dort gab es eine kleine Lichtexplosion – und die feurige Linie zog weiter. Immer höher stiegen die Flammen und schließlich schoss eine ganze Wand aus Feuer in die Höhe.

„Was sollen wir tun?“, fragte Lucius, der links von ihm flog.

Voldemort hob eine Hand und bedeutete ihm damit, zu warten.

Die Dementoren hatten sich auf die neue Lichtquelle gestürzt. Sie ließen von Voldemorts Trupp ab und sausten direkt in das Feuer hinein wie die Motte in das Licht einer Kerzenflamme. Aber in der Feuerwand konnten Voldemort Gestalten entdecken – silbrig weiße Gestalten, Tiere aller möglichen Herkunft, die in den Flammen spielten und herumturnten. Die Veela mussten Unterstützung von mehreren Zauberstabbenutzern haben, wenn sie solche Patroni hervorbrachten.

„Meister? Sollen wir sie angreifen?“

Voldemort richtete den Blick wieder nach vorn – und grinste.

„Aber warum denn, Lucius? Diese Halbblüter waren so nett, uns den Weg frei zu machen.“

Kein einziger Dementor blockierte mehr die Sicht auf Askaban. Jetzt würde der Dunkle Lord seinen Anhängern zeigen, wie er wahre Treue belohnte.

„Sariel!“, bellte Voldemort und sogleich kam die Vampirin heran.

„Deine Leute bleiben hier. Passt auf, dass diese minderwertigen Geschöpfe keine Dummheiten machen.“

Sariel verzog den Mund, widersprach aber nicht. „Wie ihr befehlt, Lord.“

Lord. Nicht 'mein' Lord. Das würde er sich merken.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Lika08
2012-03-02T10:57:25+00:00 02.03.2012 11:57
Uh gleich zwei Kapitel *freu*
Sehr schön geschrieben...
So ein Mist das sie auch beide gleichzeitig Askaban angreifen müssen..
Hoffentlich geht das auch gut!!! Ob Mann Jasmin trauen kann?? Ich weis ja nicht...
Von:  pingu
2012-02-16T13:30:48+00:00 16.02.2012 14:30
Kommt Sirius da wieder raus? Werden Voldemort und Harry gegen einander kämpfen und wenn ja wird etwas ähnliches passieren wie im vierten Band?
Wird sich Jasmin den Zwielichtigen zuwenden oder wird ihre Befehlsgewalt über Harry noch ein größeres Problem?
So viele Fragen nach diesem Grandiosen Kapitel...


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