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Das Vermächtnis des Kain

Vergessene Magie
von

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Rettungskommando

16. Rettungskommando

Sirius schnüffelte an dem am Boden liegenden Wächter. Bewusstlos, nicht tot. Gut.

Der riesige Hund warf den Kopf herum und rief stumm seine Wölfe zu sich. Sie hatten noch weniger Ähnlichkeit mit Menschen als normalerweise unter dem Einfluss von Grindstone. Denn bevor sie den Turm des Gefängnisses erklommen hatten, hatte Sirius ihre Köpfe allesamt in die von Wölfen verwandelt. Dieser Zauber wurde meist angewandt, um sich halb in einen Fisch zu verwandeln und damit unter Wasser atmen zu können. Hier war der Spruch die perfekte Maskierung.

Sirius stellte sich auf die Hinterbeine und drückte die Klinke der Tür herunter. Seine Wölfe folgten ihm ruhig und gleichgültig hinaus. Der Imperius unterdrückte ihre Aggressivität.

Der Animagus leitete sie mit grimmiger Entschlossenheit die Gänge entlang. Die ersten Zellen tauchten auf. Hier oben wurden die Hochsicherheitsgefangenen wie Tiere gehalten. Viele saßen nur sabbernd und vor sich hin brabbelnd in der Ecke. Wenige sprangen auf, als sie das Rudel halbmenschlicher Wölfe sahen. Diese Gefangenen schrien und rüttelten an ihren Gittern, aber da das ganze Gefängnis von den Klagen der Hoffnungslosen widerhallte, fielen sie kaum auf.

Dann kam der erste Dementor.

Sirius fühlte, wie ihre grauenhafte Kälte ihn zu ertränken drohte. Sein Fell stellte sich auf und ein wehleidiges Jaulen löste sich aus seiner Kehle, als er abrupt stehenblieb. Er konnte nicht anders. Sirius hielt direkt neben einer leeren Zelle an – jedenfalls sah sie in der Schwärze der Nacht leer aus – und sein Rudel stoppte verwirrt. Er wusste nicht, ob es nicht vielleicht sogar seine alte Zelle war. Sie sahen in Askaban alle gleich aus. Aber aus der Ferne hörte er Bellatrix´ irres Geschrei und mit einem Mal waren all die schrecklichen Erinnerungen wieder da.

James, tot. Lily, tot. Peter, der Verräter. Askaban, die Kälte, die Hoffnungslosigkeit. Er würde seiner Dunkelheit nie entfliehen können. Seiner Schuld, seiner Dummheit würde er nie entkommen.

Etwas stupste ihn von der Seite her an. Remus sah ihn fragend an.

„Ich bin unschuldig!“, erinnerte sich Sirius und dieser Gedanke gab ihm wieder neue Kraft. Peter war der Verräter!

Der Dementor war vorübergegangen.

Sirius schüttelte die letzten Eindrücke seines Entsetzens ab. Er musste sich konzentrieren!

Wie erwartet hatten die Wachen Askabans kaum Einfluss auf den animalischen Geist der Werwölfe. Vermutlich hatte auch Sirius sich nur deshalb kurz verloren, weil er hier so lange Jahre verbracht hatte. Askaban war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Die Dementoren hatten einen festen Platz in seiner Seele, auch wenn sie sie nicht mehr beherrschten. Ein Teil von ihm war hier für immer zerstört worden. Und jemand ganz bestimmtes würde dafür zahlen.

Remus stieß ihn erneut an. Sirius spürte eine Welle der Zuneigung für den Werwolf. Trotz Imperius und Grindstone hatte sein Freund sich nicht in eine willenlose Puppe verwandelt. Er musste wider seinen Instinkten gehorchen und still sein, aber er erkannte Sirius, spürte seinen Horror und nahm Anteil daran. Sirius fühlte sich sofort weniger allein.

Die Wölfe jaulten leise im Hintergrund. Ihr Befehl war zu folgen; sie brauchten neue Anweisungen. Mühsam zwang der Ex-Sträfling sich, eine Pfote nach der anderen aufzusetzen und bald schon lief er wieder mit voller Geschwindigkeit durch die Gänge. Tiefer ging es, immer tiefer. Manchmal mussten sie magische Banne und verriegelte Türen durchbrechen. In diesem Turm gab es keine Treppen, nur gerade Gänge. Die Steigung war magisch verborgen worden, sodass das Rudel an jeder Biegung zwei Meter in vertikaler Richtung zurücklegte, ohne es zu bemerken.

Die Zellen schossen nur so an ihnen vorbei. Fünfmal noch liefen sie einem Dementor über den Weg, doch diese drehten sich höchstens verwirrt nach ihnen um. Sirius verbarg sich zwischen seinen Wölfen, die besser gegen ihre Wirkung geschützt waren und verhinderte so ein erneutes Stocken. Trotzdem drang die Kälte unerbittlich in ihn ein. Er fühlte sich nicht wie der Retter, der sich heimlich in die feindliche Festung einschlich. Sondern wie ein Gejagter.

Plötzlich stieg Sirius der unverwechselbare Geruch von Blut in die Nase. Das war an sich nichts Ungewöhnliches. Viele Gefangene versanken so sehr in ihrer Verzweiflung und ihren Alpträumen, dass sie sich ihre eigenen Augen auskratzten oder versuchten, mit ihren Fingernägeln und Zähnen ihre Pulsadern zu öffnen. Aber Sirius war jetzt lange genug in der Nähe der Veela gewesen, um den Geruch von Menschenblut von ihrem zu unterscheiden. Und hier gab es definitiv eine Menge davon.

Das Rudel stoppte vor einer Tür mit Eisengittern. Durch eine ähnliche waren sie bereits ein Mal gekommen, als sie den Trakt der Hochsicherheitsgefangenen verlassen und in den normalen übergegangen waren. Diese Tür grenzte den oberirdischen Teil Askabans von den Kerkern ab, in denen Halbblüter und humanoide magische Geschöpfe gefangen gehalten wurden. Bei den Zwielichtigen war Sirius so weit aufgepäppelt worden, dass er auch in seiner Animagusgestalt nicht mehr durch die Gitter passte. Dafür war er jetzt stärker und hatte Hilfe.

Zusammen mit Remus verbiss er sich in einer der Stangen, während Sylvia, Septimus und Bandit die daneben übernahmen. Gleichzeitig zogen und zerrten sie daran. Magische Funken flogen, als ihre Werwolfsmagie auf die menschliche traf. Nach einer erfolglosen Minute befürchtete Sirius bereits, sie würden es nicht schaffen. Es sprach für die Vorurteile der Zauberer, dass diese Tür schwerer geschützt war. Doch die Droge gab ihnen Kraft und schließlich gelang es ihnen, die Gitterstäbe weit genug auseinander zu biegen, um sich hindurch zu zwängen.

Fast alle Zellen waren besetzt. In den ersten, an denen sie vorbeikamen, saßen einige Gefangene, die offensichtlich schon länger hier waren. Er sah zwei grimmige Kobolde in einer von ihnen zusammenhocken. Dort war ein dünner Greis, der so groß war, dass er in seiner Zelle nur sitzen konnte und sie dabei komplett ausfüllte. Mit Sicherheit floss zumindest ein Teil Riesenblut in seinen Adern. Neben ihm sahen ein Kobold und ein Sumpfgnom auf, als sie den Gang betraten. Ihnen gegenüber hatte man sogar einen Zentaur in eine viel zu winzige Zelle gesteckt. Aufgrund mangelnder Bewegungsfreiheit waren seine starken Pferdebeine zu dünnen Stelzen verkümmert, die ihn kaum noch aufrecht hielten. Ihre trüben Augen richteten sich nur mit mäßigem Interesse auf das Rudel.

Bei ihrem Anblick entschied Sirius kurzerhand, dass diese Gestalten kein Verbrechen begangen haben konnten, das rechtfertigte, sie hier einzusperren. Der Animagus gab das vereinbarte Zeichen. Drei der Wölfe machten sich daran, die Gitterstäbe der Koboldzelle zu verbiegen. Sylvia bewachte den Ausgang. Sirius zögerte noch einen Augenblick – dann verwandelte er sich.

Die Köpfe der Werwölfe fuhren herum. Ihre glühenden Augen trafen die Seinen. Die Rückverwandlung hatte eine Störung in seiner Magie und damit auch des Imperius hervorgerufen. Doch Sirius zog seinen Zauberstab aus dem Holster an seinem Arm und zügelte seine Magie, um sie wieder unter Kontrolle zu bringen. Wenn er seine Abwehr auch nur für eine Sekunde fallen ließ, würden die unter Drogen stehenden Werwölfe ihn nicht mehr als ihren Anführer erkennen. Deswegen hatte Sirius sich auch nicht komplett zurückverwandelt. Die nackten Beine und der Oberkörper waren vom Aufstieg am Turm mit Dreck und Schlamm beschmiert, aber eindeutig menschlich. Der Kopf jedoch war noch immer überwuchert von schwarzem Haar, die Schnauze lang und voller scharfer Zähne. So war die optische Ähnlichkeit mit dem Rudel dank deren Maskierungszauber groß genug, dass sich die Wölfe bald wieder auf ihre Aufgabe konzentrierten. Sirius atmete erleichtert auf.

Er trat zu den gegenüberliegenden Zellen des Halbriesen und des Zentauren.

„Wir holen euch hier raus“, sagte Sirius mit einer rauen, verzerrten Stimme, die eher wie ein Knurren klang. „Seid ihr stark genug, um mit uns fliehen zu können?“.

Der Zentaur rührte sich. Er stolperte ein paar Mal und wankte, aber schließlich gelang es ihm, sich auf seine dünnen Beine zu erheben.

„Ich werde dir folgen. Du musst das Feuer des Mars sein, das die Zeit des Umbruchs entflammt. Ich habe auf dich gewartet.“

Sirius definierte diese rätselhaften Worte einfach mal als 'ja'.

„Meine Knochen tragen mich nicht mehr“, seufzte der greise Riese. „Verschwendet eure Zeit nicht mit mir.“

Sirius nickte dem Alten ernst zu. Er wusste, welche Wirkung Askaban nach ein paar Jahren hatte. Ohne ein festes Ziel vor Augen glitt man leicht in die Hoffnungslosigkeit ab. So sehr es ihm auch missfiel, er musste auch diese Entscheidung respektieren.

Der Animagus schwang den Zauberstab. Es dauerte nicht lange, bis er die Banne um die Zelle des Zentauren gebrochen hatte. Drei Jahre Aurorentraining machten sich eben doch bezahlt.

„Was ist mit uns?“, fragten die Kobolde aufgeregt.

„Ihr seht so lebendig aus, dass ich einfach mal davon ausgehe, dass ihr mitkommt“, meinte Sirius. Nur wenige Augenblicke später hatten die Werwölfe auch sie befreit. Nun war Sirius wirklich froh, dass sein Rudel unter dem Imperius stand und den Befehl hatte, niemanden anzugreifen. Den Zentaur beäugten sie nämlich ziemlich hungrig.

„Ihr bleibt hier bei euren Zellen“, befahl Sirius den Befreiten. „Dementoren können mit Zauberbannen nicht viel anfangen, sie werden nicht merken, dass eure Türen offen sind. Falls einer von ihnen vorbeikommt, verhaltet euch einfach ruhig, bis meine Wölfe und ich euch abholen.“

„Was ist mit den Wachen?“, wollte der Gnom ängstlich wissen.

„Die werden vorerst nicht hier auftauchen“, meinte der Animagus und grinste. „Ihr drei“, er deutete auf Remus, Septimus und Bandit, weil er vor Zeugen keine Namen nennen wollte, „kommt mit mir.“

Gehorsam trotteten die Wolfsmenschen hinter Sirius her, als der um die nächste Ecke bog. Es war der Werwolfstrakt. Hier war der Blutgeruch am intensivsten.

Sirius trat an die erste Zelle heran. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Er hatte es geahnt, aber es mit eigenen Augen zu sehen machte es nicht leichter.

Sirius erinnerte sich an den Schichtplan der Wachen. Wenn nichts Ungewöhnliches passierte, machten diese lediglich einmal im Monat einen Rundgang in den Kerkern. Der letzte Vollmond lag noch nicht so lange zurück. Niemand hatte die Leichen der Wölfe fortgeschafft.

Je länger er auf die beiden zerfleischten Gestalten herabsah, desto mehr stieg der Hass in ihm hoch. Wie konnten sie nur!? Den Wachen musste doch klar sein, dass sich die Wölfe zu Vollmond gegenseitig zerfetzten! Nur wenn sie ein ausreichend weitläufiges Gelände zum Jagen hatten, bildeten sie Rudel. In dieser Enge jedoch brachten sie sich gegenseitig um. Wäre es so schwer gewesen, sie in Einzelzellen zu stecken? Wusste das Ministerium von diesen Verhältnissen? Interessierte es sie überhaupt?

Ein rasselndes Atmen holte ihn aus seiner Starre. In der Zelle nebenan lebte noch einer!

Sirius stürzte zu der Tür. Die blutbesudelten Wände und der abgenagte Haufen Knochen in der Ecke sagten ihm, dass es hier letzten Vollmond einen eindeutigen Sieger gegeben hatte. Der Überlebende lag auf seiner Pritsche, einige klaffende Wunden behelfsmäßig mit Lumpen verbunden. Er war abgemagert, vermutlich hatte er in den letzten Tagen nicht die Kraft gefunden, sich das Essen zu holen, das die Dementoren in seiner Zelle abstellten.

„Kannst du mich hören?“, fragte Sirius, so deutlich er es in seiner halben Verwandlung konnte. „Ich hole dich hier raus!“

Er zückte seinen Zauberstab. Langsam kam Leben in den Trakt. Von gegenüber hörte er einige leise Rufe, vermutlich die Vampire. Um sie würde er sich als nächstes kümmern.

Sirius brauchte nicht lange, um die Banne zu brechen. Er stürzte in die Zelle und untersuchte den verletzten Werwolf, der jetzt, außerhalb der Vollmondzeit, wieder menschliche Gestalt hatte. Er kannte seinen Namen nicht, aber das war auch gar nicht nötig. Ihre Natur verband sie.

Hastig sprach er ein paar oberflächliche Heilzauber.

„Hör zu, du musst dich jetzt zusammenreißen. Ich hole dich hier raus. Draußen warten die Vampire bereits, um uns zu helfen. Du bist nicht allein, mein Freund.“

Dem Werwolf flatterten die Augen. Er sah nur den großen, schwarzen Hundekopf über sich.

„Wer...bist du?“, brachte er heraus.

„Ich bin Canis Majoris“, sagte Sirius, nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme. „Ich werde dir helfen. Mein Rudel kommt ungesehen an den Dementoren vorbei. Sie stehen unter dem Einfluss von Grindstone und dem Imperius. Wenn du mir erlaubst, den Fluch für die Dauer des Ausbruchs auch auf dich zu legen, wirst du mit der Droge stark genug sein, zu fliehen.“

Der Werwolf zögerte nur eine Sekunde. „Er war mein Freund.“, flüsterte er und Sirius wusste, dass er den Haufen Knochen in der Ecke meinte.

„Ich weiß“, murmelte er. „Gib nicht dir die Schuld daran. Es ist Askaban. Es macht den Geist kaputt.“

Langsam nickte der Wolf.

Sirius holte eine der Pillen aus einer winzigen, wasserfesten Innentasche an seinem Armholster und legte sie dem Mann auf die Zunge. Dann hob er den Zauberstab und sprach leise den Unverzeihlichen Fluch.

Der verletzte Wolf fuhr hoch. Seine Glieder zuckten und zitterten wie unter einem epileptischen Anfall. Er stieß einen heiseren Schrei aus und fiel von der Pritsche. Sicher landete er auf vier Beinen und hob ruckartig den Kopf. Seine gelben Augen starrten Sirius an.

„Du greifst niemanden an“, flüsterte der Anführer der Werwölfe leise. „Du bist ruhig und dein Drang zur Gewalt verschwindet. Komm mit mir.“

Langsam machte der Animagus ein paar Schritte rückwärts. Der Wolf folgte ihm lammfromm.

„Sie sind gekommen“, flüsterte es draußen im Gang aus den dunklen Zellen. „Sie sind gekommen. Wir sind gerettet!“

Andere Insassen schrien und schlugen gegen ihre Gitterstäbe: „Kommt her, kommt her, ihr verdammten Bastarde! Blut, gebt mir euer Blut!“

Es waren insgesamt vier Zellen mit je zwei Vampiren. In der Hälfte der engen Räume waren die Blutsauger sich in ihrer Erstickungsnot an die Kehle gegangen. Ihre blutleeren Körperteile lagen auf dem Boden zerstreut. Zwei Vampire saßen nur noch mit leeren, glanzlosen Augen in der Ecke. Ohne Blut konnten sie keinen Sauerstoff aus der Luft aufnehmen. Sie waren langsam und qualvoll erstickt.

Zwei andere waren furchtbar schwach. Sirius öffnete die Zelle des einen und rief Septimus herbei.

„Glaubst du, dass du von ihm trinken kannst, ohne ihn zu gefährden?“, fragte er den blonden Vampir.

„Ich...Ich versuch es...Gib es mir!“

„Wenn du zu viel nimmst, reiß ich dir auf der Stelle den Kopf ab. Ich will euch hier rausholen, aber nicht um den Preis meines Rudels“, drohte er. Der Blonde nickte.

Sirius befahl dem Wolfsmenschen still zu halten. Tatsächlich zuckte er nur etwas zusammen, als der Vampir seine Zähne in seinen Hals schlug. Gierig trank er Schluck um Schluck, die zu Krallen verlängerten Fingernägel gruben sich in die Haut des Wolfes.

„Genug!“, rief Sirius, als Septimus leise wimmerte.

Aber der Vampir hörte nicht auf.

„Ich sagte, genug!“ Gewaltsam riss der Animagus den Blutsauger von seinem Opfer herunter. Dieser fauchte wütend und wollte sich auf ihn stürzen, doch Sirius ließ ihn mit einem Schlenker seines Zauberstabs zurückprallen. Keuchend rutschte der Vampir an der gegenüberliegenden Wand herunter.

„Bist du bei Verstand?“, fragte er dann leise.

„Ich...Ja...Es tut mir leid.“

Sirius nickte nur. „Hilf mir mit dem nächsten. Halt ihn fest, damit er nicht mehr als nötig trinkt.“

„Natürlich, aber...Du...Warum hilfst du uns?“

Mit dieser Frage hatte Sirius am wenigsten gerechnet. „Was?“

„Werwölfe und Vampire haben schon immer in Feindschaft gelebt. Warum rettest du mich?“

Sirius öffnete bereits den Mund, um zu erwidern, dass sie ja alle zu den Zwielichtigen gehörten und sich gefälligst helfen sollten – doch dann schwieg er doch länger. „Wir haben einen gemeinsamen Feind“, meinte er schließlich. „Nein – um genau zu sein haben wir sogar zwei gemeinsame Feinde. Und wir haben einen Freund gemeinsam. Das ist ein starkes Band.“

Der Blonde sah noch immer verwirrt aus. Trotzdem half er Sirius, die nächsten beiden Zellen zu öffnen. Sirius gab den schwachen Vampiren darin Remus' und Bandits Blut zu trinken, bis sie wieder laufen konnten. Den wild gewordenen Schreihals speiste er aus seinen eigenen Adern, während dieser von drei seiner Artgenossen gebändigt wurde.

Danach machte ihnen keiner der vier mehr Probleme. Alle akzeptierten ihn widerstandslos als Anführer. Als Sirius auch ihnen befahl, vorerst dort zu bleiben bis er sie holte, sagte der Blonde:

„Da ist noch eine von uns. Hinten, bei den Veela.“

Sirius schluckte. Seine Wölfe waren schon etwas wackelig auf den Beinen und auch er selbst spürte bereits den Blutverlust. Aber wenn da noch jemand war, musste er das Risiko eingehen.

„Ihr sucht bei den Veela nach Überlebenden. Wenn ihr die Gitter lange genug bearbeitet, kriegt ihr sie auch ohne Magie auf“, befahl Sirius. „Ich seh‘ nach der Letzten. Und es wird niemand gebissen, oder, ich schwöre, ihr werdet diese Insel nicht lebendig verlassen!“

Den restlichen Wölfen befahl er, zum Eingang der Kerker zu Sylvia zurückzukehren. Dann machte er sich auf den Weg den Gang hinunter.

Plötzlich hörte Sirius einen lauten Knall. Das heißt – er konnte nur vermuten, dass er laut war, denn die Kerker dämpften sämtliche Geräusche. Hier unten war es mehr ein fernes Rauschen. Doch für ein paar Sekunden bebte der Boden unter Sirius‘ Füßen und er musste sich sogar kurz an der Wand abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

„Was war das?“, fragte einer der Vampire, der gerade mit einem anderen an der Zelle von zwei elendig aussehenden Veela arbeitete.

„Keine Ahnung“, meinte Sirius. „Aber es bedeutet garantiert Ärger. Beeilt euch. Ich will so schnell wie möglich hier raus.“

Natürlich. Er hätte sich ja auch denken können, dass der Angriff auf Askaban nicht so reibungslos vonstatten gehen würde. Was machten diese verfluchten Vampire denn da draußen? Waren sie nicht dafür da, genau so etwas zu verhindern?

Sirius kam an einer weiteren Zelle mit zwei Veela-Frauen vorbei. Beide saßen stumm und blicklos in der Ecke. Ihre Brust hob und senkte sich zwar, doch sie sahen aus, als hätte ihnen jemand schon vor langer Zeit den Kuss des Dementors verpasst. Da er nicht viel Zeit hatte, knurrte er nur „Reductio!“ und die Zellentür wurde geräuschvoll aus den Angeln gerissen. Die Vampire würden sie schon abholen.

Dann war er bei der letzten Zelle angekommen. Hier erlebte er eine Überraschung.

An der Zellentür stand eine junge Frau, fast noch ein Teenager. Ihr Haar mochte einmal braun gewesen sein, hatte jetzt jedoch nur noch einen undefinierbaren stumpfen Mischton. Ihre blasse Haut und die leuchtend grünen Augen wiesen sie als Vampirin aus. Doch im Gegensatz zu ihren Artgenossen saß sie nicht vor sich hinstarrend in der Ecke. Sie raste auch nicht vor Zorn und Durst. Sie stand ganz ruhig da, je eine Hand an einem der Gitterstäbe und sah ihn an. Als hätte sie auf ihn gewartet.

„Hallo“, sagte sie.

Sirius war so überrascht, dass er nur bewegungslos mit dem Zauberstab auf sie deutete. Was er damit anfangen wollte, hatte er ganz vergessen.

„Holst du mich raus?“, fragte die Vampirin einfach.

„Ah...Ja.“, machte Sirius. Sein Blick wanderte durch die Zelle. Er schluckte schwer, als er den blassen Körper hinter ihr sah. Seidenes, blondes Haar floss über die kalten Steine. Die Veela sah fast aus, als schliefe sie. Die Hände waren über ihrer Brust gefaltet, als würde sie in einem hellen Eichensarg liegen und nicht auf dem schmutzigen Grund des am meisten gefürchtetsten Gefängnisses der Welt. Sirius war sich sicher, dass sie keinen einzigen Tropfen Blut mehr in sich trug. Doch im Gegensatz zu dem Werwolf, der ganz verstört ausgesehen hatte, weil er seinen Zellenmitbewohner getötet hatte, war dieses Mädchen vollkommen ruhig.

Obwohl es offensichtlich war, dass die Veela tot war, beugte Sirius sich noch einmal zu ihr herab, als er die Zelle geöffnet hatte.

„Sie kann hier bleiben“, flüsterte die Vampirin. „Sie ist leer.“ Und mit einem kleinen, unheimlichen Lächeln fügte sie hinzu: „Ich trage alles von ihr in mir.“

Der Animagus wusste, dass sie keine Leichen mitnehmen konnten, um sie später zu bestatten. Das hätte sie nur aufgehalten. Trotzdem war es ihm zuwider, die Veela hierzulassen.

„Kümmern wir uns lieber um die Lebenden. Um ihn, zum Beispiel.“

Sirius sah in die Richtung, in die ihre ausgestreckte Hand deutete. Da war noch eine letzte Zelle. Im Gegensatz zu den anderen, bei denen sich die Farbe der Wände nicht mehr erkennen ließ, war diese hier komplett schwarz. Wände, Fußboden, Decke, alles sah aus, als wäre es mit feinem Kohlestaub überdeckt. Als Sirius einmal schnüffelnd die Luft einsog, erkannte er, dass es tatsächlich Kohlestaub war – oder vielmehr Ruß, der an den Steinen haftete. Die Zelle sah aus, als hätte in ihr ein unglaublich starkes Feuer gewütet, das nur von den magischen Bannen um die Zelle herum aufgehalten worden war. Der verkohlte, unkenntliche Leichnam darin bestätigte diese Vermutung. Aber da, in der hintersten Ecke der dunklen Zelle, saß eine einsame Gestalt. Eine Gestalt, die Sirius merkwürdig bekannt vorkam.

„Sodom?“, fragte Sirius heiser. Das Vampirmädchen lächelte seltsam entrückt, als Sirius sich an den Zauberbannen zu schaffen machte.

„Sodom? Sag was, lebst du noch?“. Oh Gott, Harry würde es ihm nie verzeihen, wenn er in Askaban einbrach und zu spät kam, um seinen Freund zu retten.

Sirius betrat die Zelle. Er fiel vor dem bewegungslosen Veela auf die Knie und fasste ihn an den Schultern.

Soloms Blick war starr und leer. Sein einst bläulich-weißes Haar hatte jede Farbe verloren und wirkte so stumpf und strohig wie das eines Greises. Sirius versuchte einen Herzschlag zu hören, doch das vertraute Geräusch kam so langsam und in so großen Abständen, dass er sich nicht sicher war, ob es überhaupt da war. Er musste seine Hand vor Soloms Mund halten und einige unendlich lange Sekunden auf den nächsten Atemzug warten, um sich davon zu überzeugen, dass Solom noch lebte.

„Sodom – komm schon Sodom. Wach auf. Denk an deine Schwester. An Gomorrha. Denk an Harry. Sie brauchen dich.“

Verflucht – aus dem Jungen war nichts herauszukriegen.

„Nimm ihn mit“ befahl er der Vampirin. „Geht den Gang entlang, bis ihr auf die anderen trefft.“

„Komm mit, mein Freund“, sagte die Frau zu Sodom und zog ihn sanft in die Höhe. „Komm mit, wir machen einen Spaziergang.“

Während die Vampirin auf den Veela einredete wie auf ein kleines Kind, lief Sirius allein den Gang hinunter. Er traf nur noch auf einen Vampir, der gerade eine von zwei leblosen Gestalten auf seinen Rücken lud.

„Das sind alle?“, fragte Sirius.

Der Vampir nickte. „Das hier ist die Letzte. Die Veela können alle nicht mehr laufen, jedenfalls nicht schnell genug. Die Atmosphäre hier schwächt sie zu sehr. Die meisten hatten einfach nicht mehr die Kraft, ihr Herz weiter schlagen zu lassen. Das hier sind die letzten beiden, die noch leben. Ich weiß nicht, ob es überhaupt einen Sinn macht, sie rauszuholen...Wahrscheinlich werden sie nie wieder richtig-“

„Das ist egal!“, unterbrach ihn Sirius und lud sich die zweite Veela auf die Schultern. „Wir nehmen sie alle mit.“

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Ausgang. Dort warteten bereits alle ungeduldig auf ihn. Sie hatten ihre Zellen bereits alle wieder verlassen.

„Sind keine Dementoren vorbeigekommen?“, fragte Sirius misstrauisch, weil keiner von ihnen zitternd oder ohnmächtig am Boden saß. Im Gegenteil, zum ersten Mal sah er in ihren Augen so etwas wie Hoffnung aufflackern – ein Gefühl, dass sie eigentlich gar nicht besitzen durften, wenn sie einem der Wächter Askabans begegnet wären.

Auf seine Frage hin schüttelten die Gefangenen die Köpfe. Das war seltsam. Die Dementoren sollten öfter hier Streifen halten. Für ihre Abwesenheit konnte es nur einen Grund geben: Etwas anderes hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Sirius zählte rasch durch. Sie hatten nur einen von vier Wölfen befreien können und nur fünf von neun Vampiren. Von den Veela hatten nicht viel mehr überlebt: Zwölf waren in Gefangenschaft geraten, doch selbst als die Vampirin mit Solom zu ihnen traf, zählte er nur fünf weiße Schöpfe. Das war insgesamt weniger als die Hälfte.

„Okay, jetzt hört mir zu“, sagte Sirius an die Gruppe gewandt. „Draußen im Meer decken ein paar Vampire unseren Rückzug. Die Dementoren sollten ebenfalls kein Problem sein. Es ist trotzdem möglich, dass da draußen Feinde sind, also passt auf. Meine Wölfe,“, er sah sein Rudel direkt an, „ihr zeigt ihnen den Weg hinaus. Macht Risse in das Eis, um einige Eisschollen davon zu trennen, die groß genug sind, euch zu tragen. Dann benutzt ihr sie als Flöße, um euch und die anderen Flüchtlinge über das Meer und in den Schutzkreis der Vampire zu bringen. Ich will, dass die Wölfe auf zwei Flößen zusammen ohne einen weiteren Flüchtling darauf fliehen, falls sie doch die Kontrolle verlieren – was nicht passieren sollte. Alles klar soweit?“

„Was ist mit dir?“, fragte der blonde Vampir, den Sirius als Erstes gerettet hatte.

„Ich habe hier noch etwas zu erledigen“, blockte Sirius ab. „Aber ich komme sofort nach. Ich bin wieder bei euch, bevor die Wölfe aus dem Einflussbereich meines Fluches heraus sind, keine Sorge.“

Keiner der Beteiligten sah aus, als wäre er zufrieden mit dieser Antwort. Überrascht begriff Sirius, dass sie sich nicht Sorgen machten, ohne ihren Führer vielleicht nicht sicher das Festland zu erreichen – sondern dass sie sich wirklich Sorgen um ihn machten. Tatsächlich jaulte in diesem Moment Remus leise auf, obwohl der Imperius ihm eigentlich jegliche Gefühle hätte nehmen müssen.

„Ist schon gut.“, meinte Sirius und hob die Schultern. „Ich habe nicht vor, hier als Märtyrer zu enden oder so. Vollkommen ungefährlich. Hab schließlich selbst ein paar Jahre hier drin gelebt. Da werde ich doch noch persönlich Abschied nehmen dürfen.“

„Gib auf dich acht, Feuer des Mars“, sagte der Zentaur leise. „Große Mächte sind an dir interessiert.“

Wieder konnte Sirius nur raten, was der Sterndeuter damit meinte.
 

*
 

Eiskaltes Wasser spritzte auf. Schäumende Wellen krachten gegen die Eisscholle und brachten sie bedenklich zum Schwanken.

Luca knurrte erzürnt auf und hob mit einer raschen Geste das Blatt Pergament an, damit es nicht nass wurde.

„Kannst du nicht aufpassen?!“, keifte er den Vampir an, der soeben aus den Fluten des Meeres aufgetaucht war.

André zog den Kopf ein.

„Entschuldigung.“, murmelte er angemessen zerknirscht.

Der Meistervampir warf ihm noch einen bösen Blick zu. In diesem Moment jedoch schwebte Jenande herbei und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter. Wider Willen entspannte er sich.

Luca ließ seinen Blick über das Meer schweifen. Nur seine enorm scharfen Vampiraugen konnten die Köpfe seiner Untergebenen sehen, wie sie knapp über dem Wasser schwebten und die ferne Festung beobachten. Seine Position stach als einzige heraus. Er saß im Schneidersitz auf einer schwimmenden Eisscholle, im Schoß die Karte Askabans ausgebreitet. Das ferne Licht der Veela, die über das Wasser liefen, konnte von Weitem für die Spiegelung der Sterne im Wasser gehalten werden. Jenande war dicht bei ihm geblieben und spendete ihm Licht. So wie sie gebannt die sich bewegenden Punkte auf der Karte beobachtete, war Luca sich jedoch sicher, dass sie nicht wegen ihm hier war.

„Hey, Boss...Ich glaube, wir könnten bald Probleme bekommen“, meinte André da.

Luca wandte sich dem Vampir zu. Dieser hatte wassertretend die Oberarme lässig auf das Eis abgestützt, dessen Kälte er nicht spüren konnte.

„Der Wind steht zwar ungünstig, deswegen können wir nichts riechen, aber...vom Festland nähert sich etwas, denke ich.“

„Denkst du?“ Warum mussten seine verdammten Vampire nur immer so unpräzise sein?!

„Naja, da sind...Schatten. Am Himmel. Sie verdecken ab und an die Sterne.“

Luca fluchte leise. „Auroren?“ Gleich darauf beantwortete er sich die Frage selbst: „Nein, Auroren würden Portschlüssel nehmen. Für Dementoren ist es die falsche Richtung. Aber was...“

In diesem Moment sog Jenande scharf die Luft zwischen den Zähnen ein. „Sieh doch!“, rief sie aus und zeigte auf die Karte, die Sirius verzaubert hatte.

Luca folgte ihrem Blick – und erstarrte.

„Scheiße!“, entfuhr es ihm.

André, der seinen Anführer selten laut hatte fluchen hören, zuckte zusammen. „Wer ist...?“

„Keine Ahnung, wer sie anführt“, meinte Luca mit einem Blick auf den kleinen Punkt, der der Schar voranflog. Der Name Riddle sagte ihm nichts. „Aber einige der Typen kenne ich. Das sind Todesser.“

Jetzt fluchte auch André.

„Sag allen Vampiren Bescheid“, befahl Luca. „Wer einen Zauberstab hat, soll ihn bereithalten. Die Todesser werden keine Skrupel haben, die Banne zu brechen und Magie zu benutzen. Ungeachtet dessen, dass das das Ministerium auf den Plan ruft. Verdammt, wenn sie nicht aufpassten, würde es hier bald einen riesigen Auflauf geben. Sie mussten unbedingt alle hier weg sein, wenn die Auroren kamen. Sollten die sich doch allein mit den Schwarzmagiern anlegen. Damit wollten die Zwielichtigen nichts zu tun haben.

André wollte bereits abtauchen – da spürte Luca eine durchdringende Kälte. Ein tiefes Grauen machte sich in ihm breit. Das ferne Geräusch von tropfendem Blut klang ihm in den Ohren, vermischt mit schrillem Gelächter.

„Jenande...“

„Ich kann nicht“, erwiderte die Veela auf seine unausgesprochene Frage. Sie hatte die Hände über dem Kopf gefaltet und sank nieder. Ihr bisher makelloses Kleid saugte sich mit eisigem Wasser voll.

„Ich kann nicht!“, wiederholte sie verzweifelt, „es sind zu viele!“

Luca fuhr herum. Jetzt waren die Schatten bereits sichtbar. Hunderte, nein, Tausende von ihnen strömten von der Festung über das Wasser. Die Vampire würden sie niemals in Schach halten können. Nicht mit den paar Zauberstäben und nicht mit den Todessern im Rücken. Die frische Energie der Menschen zog die Dementoren aus ihren dunklen Gemäuern. Sie würden alles auf ihrem Weg vernichten.

Luca wurde noch eine Spur kälter. Er konnte das nicht zulassen. Er musste seine Untertanen beschützen. Koste es, was es wolle.

„Planänderung“, murmelte Luca an André gewandt. „Die Vampire sollen abtauchen. Schwimmt so weit hinunter wie möglich.“

„Das kannst du nicht machen!“, rief Jenande keuchend aus, „du kannst Canis Majoris nicht im Stich lassen! Und was ist mit meinen Mädchen? Unter Wasser können wir nicht überleben! Wenn ihr jetzt abhaut, sind wir verloren!“

Ruckartig drehte Luca sich zu ihr um. „Bei all meinem Respekt für dich als Bündnispartnerin“, sagte er eisig, „ich werde meine Vampire nicht für diese Mission opfern. Wenn die Todesser sich an den Dementoren ausgetobt haben, können sie immer noch zu den Wölfen schwimmen und ihnen an Land helfen. Dorthin solltet ihr euch auch flüchten, ins Gefängnis. Es ist der sicherste Ort, wenn die Wachen weg sind.“

„Sei nicht albern! Dazu müssten wir genau durch die Wand der Dementoren! Weißt du, wie Veela auf diese Kreaturen reagieren? Sieh dich nur um!“

Natürlich wusste er das. Dafür brauchte er die vielen weißen Gestalten nicht zu sehen, die überall in sich zusammensackten. Sie alle hielten sich die Ohren zu und stießen stumme Schreie des Horrors aus. Einige konnten sich gar nicht mehr auf der Wasseroberfläche halten und wurden nur von einigen herbeieilenden Vampiren vor dem Versinken gerettet. Solange sie noch offenes Grauen zeigten, ging es ihnen gut, schlimm wurde es erst, wenn sie schwach und leise wurden. Dann begannen die Dementoren, ihre Lebensenergie anzuzapfen. Aber Luca hatte nicht vor, lange genug zu bleiben, um das zu sehen.

Noch einmal schüttelte er den Kopf. „Es tut mir Leid, Jenande, aber so weit geht meine Kooperation nicht. André – gib meine Befehle weiter.“

Der Vampir nickte wortlos und mit einem leisen Plätschern verschwand er im Wasser.

„Das ist unser Todesurteil“, flüsterte Jenande.

„Nein“, murmelte Luca für sich selbst, „es ist nur deines.“
 

*
 

„Aaargh! Scheiße! Du mieser, kleiner Bastard, wie kannst du es wagen!?“

Die schrille Stimme hallte in Harrys Ohren wider. Dies zusammen mit seiner unangenehmen Position, die einige verrenkte Glieder, eine Menge Erde im Mund, sowie Gomorrhas wütendes Zischen, die sich über sein Gewicht beschwerte, beinhaltete, hob seine Stimmung nicht gerade in himmlische Höhen.

„Du bist so ein unfähiger Idiot! Was sollte das? Wenn ich rausfinde, dass du das mit Absicht gemacht hast...!“

Mühsam rappelte Harry sich auf. Die ganze Welt drehte sich viel zu schnell. Vielmehr als kahle Erde gab es nicht zu sehen und auch die Nähe zum Meer musste er eher am Rauschen erraten.

„Jetzt starr nicht so dumm in der Gegend rum! Hilf mir gefälligst!“

Erst jetzt wandte er den Blick Jasmin zu – und stolperte keuchend ein paar Schritte zurück.

„D-Deine Hand!“, konnte er nur stottern. „Was ist passiert?“

„Was ist passiert?“, wiederholte die Vampirin außer sich vor Wut. „Du fragst, WAS PASSIERT ist!? Ich werd's dir sagen! Du hast mich zersplintert, du verdammter Amateur!“

Harry starrte ein paar Sekunden lang ungläubig auf die abgetrennte Hand vor seinen Füßen. Dann wanderte sein Blick hinüber zu Jasmin, die den Tränen nah am Boden kniete und sich den blutigen Armstumpf hielt.

„Ich hab noch nie jemanden beim Apparieren mitgenommen...“

„Ach nee! Auf den Gedanken wäre ich jetzt gar nicht gekommen.“

Harry riss sich zusammen. Langsam wich sein Schock und er überlegte rasch, was zu tun war.

„Jetzt beruhig dich erst einmal. Deine Hand kann wieder anwachsen. Du brauchst nur ein wenig Blut...“

„Oh, natürlich, und du hast zufällig ein paar Menschen unter deinem Schulumhang versteckt?“, meinte Jasmin sarkastisch.

„Nein“, erwiderte Harry, „aber ich habe Sodom und Gomorrha.“

Seine Erzeugerin starrte ihn an, als wäre er übergeschnappt.

„Willst du mich verarschen?“

[„Ist das okay für euch?“, fragte Harry, statt einer Antwort an seine Schlangen gewandt.

Ungern“, antwortete Sodom, „aber wenn esss sssein musss...“

„Ihr Blut ist magisch und wird dich sehr stärken“, erklärte Harry. „Einige wenige Tropfen auf die, äh, Wunde und ein paar, die du trinkst, sollten das Problem lösen.“

„Ich. Trinke. Kein. Schlangenblut“, stellte Jasmin klar und verschränkte demonstrativ die Arme – was recht gruselig aussah mit ihrem Armstumpf.

Harry wusste aus eigener Erfahrung, dass Vampire ein anderes Schmerzempfinden als Menschen hatten. Es war wohl eher Schock als alles andere gewesen, der sie vorhin so laut hatte schreien lassen.

„Aber ohne das-“

„Du darfst mir kein Schlangenblut verabreichen! Und du sollst deine Viecher zurückhalten, kapiert?!“

Harrys Schultern sackten mutlos herunter. Diesem direkten Befehl konnte er sich nicht widersetzen.

„Okay, aber...so kann ich dich nicht mitnehmen. Lass mich wenigstens etwas davon auf die Wunde streichen und dann...keine Ahnung, dann trinke ich eben von ihnen und du dann von mir.“

Diese Idee gefiel ihm selbst überhaupt nicht. Doch von dem Unterricht mit Cale wusste er, dass Jasmin durch die offene Wunde durchaus verbluten und ersticken konnte, wenn sie nicht bald Nahrung bekam. Das Basiliskenblut konnte wie ein Klebstoff wirken, um die Hand wieder anzufügen, aber damit sie nicht wieder abfiel, brauchte sie diese Magie auch in ihrem Organismus.

„Scheiße, kannst du mich nicht einfach hier lassen? Ich finde allein ein Opfer.“

„Dass du dann aussaugst, bis es tot ist? Nein, danke.“ Harry hob Sodom vom Boden auf.

Ich mag diesssses Mädchen nicht....

Dennoch biss sich die Schlange gehorsam auf die Lippe. Harry ließ ein paar Tropfen Blut auf seine Fingerspitze fallen. Die rote Flüssigkeit dampfte leicht auf seiner Haut.

„Komm her“, sagte er zu Jasmin.

Das Mädchen zögerte noch kurz. Dann aber stieß sie genervt die Luft aus und hielt ihm den Armstumpf hin. Vorsichtig rieb Harry das dampfende Blut über die rote Fläche – Jasmin musste sich erst vor Kurzem genährt haben.

„Tut es weh?“, fragte der Jungvampir unsicher.

Sie schüttelte den Kopf. „Ist inzwischen schon alles taub.“

Harry hob die kalte, tote Hand vom Boden auf. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Diese Situation war einfach nur skurril.

„Gib her“, machte die Vampirin unwirsch und entriss ihm das Körperteil. Sie hielt es an ihren Arm und wartete, bis die Magie des Blutes ihre Wirkung entfaltete.

Derweil hatte sich Gomorrha an Harrys Arm hochgewunden. Er fasste sie sanft knapp hinter ihrem Kopf und hielt sie hoch, damit ihr gespendetes Blut in seinen Mund tropfen konnte. Jasmin stieß einen angewiderten Laut aus. Harry jedoch spürte sofort, wie die Kraft der Magie ihn durchströmte. Reine Energie pulsierte durch seine Adern und gab ihm einen solchen Adrenalinstoß, dass er unwillkürlich aufsprang. Alle seine Sinne waren geschärft. Das Rauschen des Meeres hinter der nahen Küste dröhnte in seinen Ohren. Und plötzlich waren da Schreie.

„Hey, Jasmin! Hörst du das?“

„Was soll ich hören?“

Er fluchte leise. Jasmin meinte, dass Voldemort heute Askaban angreifen wollte. Und dass Sirius dort war. Was, wenn sie zu spät kamen?

„Beeil dich! Wir müssen los!“, rief er seiner Erzeugerin zu.

„Jetzt mach mal halblang! Sie ist immer noch nicht ganz dran.“

Harry stöhnte genervt auf. Sie durften keine Zeit verlieren!

Sodom!“, zischte er und sofort verwandelte sich die Schlange in einen blitzenden Dolch. Ohne lange zu zögern ritzte Harry sich die Pulsadern an. Seine letzte Mahlzeit lag schon etwas zurück, aber das wenige Blut, das aus der Wunde quoll, war angereichert von der Basiliskenmagie.

„Hey, was zum-“, brachte Jasmin nur noch erstickt hervor, bevor Harry ihr auch schon sein Handgelenk an den Mund hielt. Erst wollte sie es wegschieben, doch dann stieg ihr der verführerische Geruch des Blutes in die Nase. Sie konnte nicht anders.

Harry stöhnte leise auf, als sich die Fangzähne in seine Haut gruben. Das Blut in seinen Adern war tierisch und magisch. Vampire bildeten kaum eigenes nach und so war es kein Problem, es an andere Vampire weiterzugeben – obwohl diese Art der Fütterung natürlich unüblich war und wenn überhaupt, dann eher vom Erzeuger zum Jungvampir ging und nicht umgekehrt.

Jasmins Sog an seiner Ader wurde stärker. Sie verlor sich vollkommen in dem Geschmack des mächtigen Blutes. Als Harry ihren Griff sanft zu lösen versuchte, stieß sie ein tierisches Grollen aus. Mit einem Mal hatte sie ihn umgeworfen und kniete mit gebleckten Fangzähnen über ihm. Ein scharfer Schmerz an seiner Kehle und schon begann sie erneut zu saugen. Harry keuchte leise, einerseits vor Schmerz, andererseits vor Schreck. Erinnerungen kamen in ihm hoch. Erinnerungen an die Begegnung mit den Dementoren in Hogwarts. An die Vampire, wie sie in der Nocturngasse auf ihn zukamen...Und doch, aus irgendeinem Grund war sein Wunsch, seine Erzeugerin zu ernähren stärker als seine Angst. Vorsichtig, fast sanft legte er seine Hand auf den Hinterkopf des Mädchens, als wolle er sie ermuntern weiter zu trinken. Er konnte sich die Gefühle in seinem Inneren nicht erklären – wusste nicht einmal, ob es überhaupt seine eigenen waren oder ob sie aus der magischen Verbindung zwischen ihnen stammten, aber irgendwie...irgendwie fühlte sich es richtig an.

Ssssie musss doch langssam genug haben! Sssie soll aufhören, Harry!“, protestierte Gomorrha leise.

Der silberne Dolch auf dem Boden verwandelte sich in Sodom zurück. Sogleich wand sich der Basilisk um Jasmins Hals und zischte drohend in ihr Ohr. Harry wollte ihm sagen, dass er das lassen sollte, doch seine Zunge fühlte sich so schwer an.

Da jedoch riss sich Jasmin gewaltsam von ihm los. Sie stolperte zurück, offenbar selbst überrascht und entsetzt von dem, was sie soeben getan hatte. Dann schrie sie auf und riss sich die Schlange vom Hals.

„Scheiße! Diese verfluchten Schlangen! Ich-“ Doch dann sah sie Harry, wie er schwach und fast ausgesaugt auf dem Boden lag. „Scheiße!“, wiederholte sie, und noch einmal: „Scheiße...“ Vorsichtig trat sie näher, tippte den bewegungslosen Harry mit einer Fußspitze an.

„Hey, du...du bist doch nicht tot, oder? Das wollte ich nicht...“

In diesem Moment wand sich Gomorrha an Harry hoch und zu Jasmins großem Entsetzen ließ sie ein paar weitere Tropfen ihres Blutes in Harrys Mund fallen. Hustend und würgend erwachte dieser zu neuem Leben und setzte sich auf.

„Bäh!“, machte Jasmin angewidert und wandte sich ab. „Wie kannst du das nur ab?“

„Eben noch schienst du nicht so angewidert von dem Blut“, meinte Harry schwach und brachte sogar ein kleines Lächeln zustande.

Die Vampirin wurde rot – was wohl nur möglich war angesichts der großen Menge an Blut, die sie zu sich genommen hatte.

„Sowas ist mir noch nie passiert, klar? Und ich – du wirst das jedenfalls niemandem verraten, klar!?“

„Klar“, machte Harry grinsend. „Gib's nur zu, dir schmeckt Schlangenblut.“

Jasmin verzog angewidert das Gesicht.

Harry...Die Ssschreie!“, erinnerte ihn Sodom da und er wurde wieder ernst.

„Du hast recht. Wir müssen uns endlich aufmachen.“

„Hasssst du schon einen Plan?“

„Natürlich.“

„Und wie lautet der?“

„Improvisation“, meinte Harry schulterzuckend.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kagomee16
2012-02-06T17:17:30+00:00 06.02.2012 18:17
boha mal wieder ein wirklich klasse kapi^^
was hat sirius denn noch vor? und harry und seine improvisation? hoffentlich ist er nicht am ende der der gerettet werden muss^^
mach schnell weiter^^

lg kagomee16
Von:  Lika08
2012-02-06T10:59:28+00:00 06.02.2012 11:59
Hi,
Also ich bin hier eindeutig neu!!!
Deine Story hat was das mich zum weiterlesen zwingt & nachdem ich jetzt soweit durch bin kann ich doch tatsächlich nur WOW sagen und denken...
Wirklich Super geil bis jetzt, hoffe natürlich das du das so weiter machst...
Aber dieses Ende??? *heul* das kannst du doch wirklich nicht bringen?!? Nunja wohl doch... *weiterHeul*
Hmm Luca, naja ich kann ihn verstehen das er seine Leute beschützen muss & gut finde ich auch das er sich nicht ganz zurück zieht sondern nur im warsten Sinne des Wortes abtaucht, übel ist es aber das er dafür die Veela im Stich lassen muss... Ob Jenande (schreibt sie sich so?) ihm das so schnell verzeihen mag?? Ich glaube wohl nicht!!!
Nun meine ganze Hoffnung liegt jetzt auf Harry (okay ich will nich alles auf Harry schieben: und Sirius) das seine improvisierte Rettungsaktion Anklang findet, ein Super gelungener Patronus wäre doch schonmal ein guter Anfang?? (ich weis jetzt grad nich mehr ob er den bei den Zwielichtigen gelernt hat aber lt. Buch dürfte das jetzt so der Zeitpunkt sein wo er ihn hinbekommt)....
Wie du sicherlich bemerkt hast kann ich das nächste Kapitel kaum abwarten mach also bitte schnell weiter
Lg LiKa
Von:  pingu
2012-02-06T10:37:58+00:00 06.02.2012 11:37
Ich hoffe Sirius kommt da wieder raus und dass durch den Verrat von Luca die Allianz der Zwielichtigen nicht zerstört wird.


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