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Drei Seiten der Medallie

Un vericueto al destino
von

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Das Untergeschoss bestand fast aus einem großen Wohnraum. Es gab einen großen Kamin, in dem ein Feuer prasselte, darüber hing ein Topf, aus dem Dampf aufstieg. Ein langer Eichentisch mit zahlreichen Stühlen und mehrere Regale und Schränke, in denen Töpfe und andere Haushaltsgegenstände standen. Zwei Türen führten in nebenliegende Räume, eine Treppe in das Obergeschoss des Hauses. Es war ein gewöhnliches Haus eines nicht wohlhabenden, aber auch nicht armen Landbesitzers, der seinen Unterhalt vielleicht mit Viehzucht oder Früchteanbau verdiente.

Am Feuer stand eine kräftige Elfin, die Kopftuch und Schürze trug. Ihr schwarzes Haar lugte unter dem Tuch in wenigen Strähnen hervor. Am Tisch saßen mehrere Elfen, die sich über etwas scheinbar Wichtiges unterhielten, ihre Stimmen waren gesenkt und sie gestikulierten bedeutend mit ihren Händen. Als Shayan mit den Geschwistern hereinkam, verstummten sie und blickten auf, die Frau drehte sich zu ihnen um. Ihr Gesicht war rund und rotwangig und erinnerte Arina an eine warmherzige Tante, die ihren Neffen und Nichten gern ab und zu einen Apfel zusteckte. Oder ein süßes Brot.

„Ihr seid jetzt schon da? Was ist passiert, Ihr solltet doch erst morgen zurückkehren.“, fragte einer der Männer vom Tisch und stand auf. Sein Kopf war dicht unter der Decke, er hatte einen gepflegten Kinnbart und kleine, schmale Augen. Große Tellerhände, die sich um seinen Schwertknauf legten. Sein Aussehen schüchterte Arina ein und ihre Finger verflochten sich mit denen ihres Bruders, der sie beruhigend drückte.

„Wir mussten vom Plan abweichen, Hauptmann.“, antwortete Shayan dem Mann ruhig, „Man ist uns zuvor gekommen.“

Der Hauptmann ging auf die drei Neuankömmlinge zu und blieb vor Taras und seiner Schwester stehen.

„Wer von den beiden ist es?“, fragte er, als ob sie es nicht hören könnten. Der rothaarige Elf runzelte leicht die Stirn. „Wir hatten noch keine Zeit, uns zu unterhalten, Haupt...“

„Götter, ihr seid vielleicht ein Pack!“, sagte plötzlich die dunkelhaarige Frau am Feuer, eilte auf die Gruppe zu und schob sowohl den Hauptmann, als auch Shayan zur Seite.

„Ihr armen Dinger seid nass bis auf die Knochen.“, sagte sie mit mitleidiger Miene, dann drehte sie sich zu den beiden Männern um, „Und euch beiden fällt nichts besseres ein, als sie so hier stehen zu lassen? Wo sind Eure Hofmanieren, Hauptmann!“ Der Angesprochene sah die Frau irritiert an, ehe er antworten konnte, hatte sie sich schon wieder abgewandt.

„Mein Name ist Ivette Lacina, willkommen auf meinem Hof.“, sagte sie freundlich, „Und nun kommt erst einmal raus aus euren nassen Sachen, ihr beide holt euch ja den Tod.“

Ivette wandte sich ab, öffnete einen der Schränke und zog einige Kleider hervor, die sie den beiden dann in die Hände gab. Sie zeigte auf eine der beiden Türen. „Dort könnt ihr euch umziehen und...“, sie eilte noch einmal zurück und kehrte mit einem weiterem Stoffstapel zurück, „...damit könnt ihr euch abtrocknen. Ihr seid Geschwister, nicht? Da macht es euch ja nichts aus, euch im selben Raum umzuziehen. Rasch, bevor ihr euch erkältet!“ Die Elfin schob Arina und Taras zu der Tür.

Dahinter befand sich ein kleines Schlafzimmer, vielleicht für Gäste. Es war ebenso einfach eingerichtet, wie der große Wohnraum.

Kurz sahen sich die beiden Geschwister im Raum um, dann schälten sie sich beide wortlos aus ihren nassen Kleidern und rieben sich mit zwei großen Tüchern trocken. Es tat gut, danach die trockene und saubere Kleidung, die Ivette ihnen gegeben hatte, über zu ziehen, sie passte zwar nicht ganz genau – die Hose, die sie für Taras rausgesucht hatte, war ein wenig zu lang und Arinas Kleid ein klein wenig zu kurz – aber es war in Ordnung.

Als sie sich fertig umgezogen hatten, sahen sich die beiden an. Es war der erste ruhige Moment, den sie füreinander hatten, nachdem dieses ganze Chaos ausgebrochen war.

Das Mädchen schluchzte. Die Tränen kamen wie von selbst aus ihr heraus und kullerten in dicken Tropfen über ihr Gesicht, was sie sich gerade noch trocken gerieben hatte. Ihr Bruder schloss die Arme um sich.

„Was ist mit Mama und Papa?“, fragte die blonde Elfe weinend.

Taras atmete tief durch. „Ich weiß es nicht.“, antwortete er. Sie konnte hören, dass auch er mit den Tränen kämpfte. „Ich hab keine Ahnung, was hier passiert. Diese Menschen sind einfach in den Laden gestürmt, ich habe mich versteckt. Götter...“

Jetzt schluchzte auch ihr Bruder. Einmal. Dann zitterte er nur noch leise.

Aber Arina wusste, dass es für ihn ein großer Gefühlsausbruch war, ein Geheimnis, was sie wie all die anderen für sich behalten würde.

Sie spürte, wie Taras sie an sich drückte und für eine Weile standen sie so da, beide völlig hilflos und verwirrt. Sie wussten nicht, was mit ihnen geschehen war, geschweige denn, warum. Sie wussten nicht wo sie waren.

Aber eins wussten sie mit großer Sicherheit.

„Wir bleiben hier zusammen, klar?“, sagte ihr Bruder leise. Arina nickte.

„Das werden wir. Ich weiche nicht von deiner Seite.“, antwortete sie flüsternd.
 

Nach einigen Minuten klopfte es an der Tür und die Geschwister horchten auf.

„Seid ihr fertig?“, es war Shayans Stimme, „Ich weiß, dass ihr sehr verwirrt seid...ich möchte euch gern einiges erklären.“

Zögerlich lösten sich die beiden voneinander und sahen sich noch einmal gegenseitig in die Augen. Dann nickte Taras, Arina wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sie öffneten die Tür.

„In Ordnung. Wir hören euch zu.“, sagte er.

Shayan forderte sie auf, sich beide an dem großen Eichentisch nieder zu lassen, er selbst nahm in der Nähe des Kaminfeuers Platz. Augenscheinlich war Ivette so gütig gewesen, auch ihm ein trockenes Hemd zu geben, aber seine Hose war immer noch durchnässt. Es schien ihn allerdings nicht zu kümmern.

Das blonde Elfenmädchen ließ sich neben ihrem Bruder nieder und während des gesamten folgenden Gesprächs über hielt sie unter dem Tisch seine Hand.

Shayan atmete einmal tief durch, ehe er begann.

„Ich habe euch bereits gesagt, dass wir Ritter des Königs von Sanarya sind. Der König unseres Landes hat uns ausgesandt, um euch zu finden...und ich wünschte, wir hätten unseren Auftrag einige Tage früher ausführen können.“

„Was ist mit unseren Eltern?“, fragte Taras. Wenn man seine Stimme so gut kannte, wie Arina, bemerkte man, wie er versuchte, sein ängstliches Zittern zu unterdrücken, weil er sich klar war, dass es seine Aufgabe war – die Aufgabe des älteren Bruders – in dieser Situation einen klaren Kopf zu bewahren und die richtigen Fragen zu stellen.

Schweigen kam auf. Man hörte den Kamin prasseln und draußen den Regen fallen und den Wind an den Bäumen zerren.

„Es tut mir leid.“, antwortete Shayan dann, „Wir wissen es nicht. Einer unserer Ritter stürmte während des Angriffs in das Haus, aber es war bereits niemand mehr dort. Eure Eltern sind entweder geflohen...oder wurden gefangen genommen.“

Arina kniff die Augen zusammen, dennoch musste sie schluchzen und einige Tränen rannen über ihr Gesicht. Taras Hand drückte heftig ihre Finger, auf sein Gesicht legte sich ein bitterer Ausdruck.

„Diese Leute...haben euch aus dem selben Grund angegriffen, aus welchem wir euch gesucht haben.“, fuhr der Rothaarige nach einer kurzen Pause fort, „Weil wir von einem von euch glauben, dass er der Gesandte ist.“

Das Mädchen öffnete die Augen wieder und sah die fremden Elfen an. Sie starrten sie und ihren Bruder mit einer Mischung aus Abschätzigkeit, Neugier und Erwartung an – als ob sie und ihr Bruder sich jeden Moment in ein exotisches Monster verwandeln würden. Ihr wurde übel.

„Der Gesandte?“, fragte Taras unverständlich.

„Vor zehn Jahren erreichte einen Hohepriester unseres Palastes die Vision, dass die Götter einen Gesandten nach Sanarya geschickt haben, in die kommende Generation des Hauses Eldanas. Eure Familie. Seither sind wir auf der Suche.“, erklärte Shayan, „Wir suchten in jedem Winkel des Landes nach Mitgliedern eurer Familie im Alter von zehn bis zwanzig und prüften sie – ihr seid die letzten.“

„Ihr müsst die Bedeutung dieses Titels verstehen.“, sagte der Hauptmann, „Der Gesandte der Götter ist ein Bote in jenen Zeiten, da das Gleichgewicht unseres Landes ins Wanken gerät. Zeiten des Krieges und der inneren Unruhen. Ihm allein wurde die Kraft geliehen, das Gleichgewicht zu halten.“

Das blonde Mädchen sah den Hauptmann verwirrt an.

„Aber wir sind nicht im Krieg.“, sagte sie, halb schon eine Frage stellend.

Der Elf sah sie an, mit ein wenig Spott in den Augen, als könne er nicht begreifen, wie man so etwas sagen konnte.

„Die Gruppe, welche euch angriff, kommt nicht von einem anderen Land – dennoch droht uns ein vernichtender Bürgerkrieg.“, erwiderte er.

„Euer Leben verlief bisher geschützt und isoliert vom nationalen Geschehen.“, schaltete sich Shayan wieder ein, „Das wird sich nun ändern. Die Menschen, die euch überfielen, werden die Rotaugen genannt – sie selbst nennen sich die Ingratia. Ihr Ziel ist simpel – der Sturz des Königs und die Zerstörung all unserer Strukturen und Gesetze. Deshalb lag es auch in ihrem Interesse, den Gesandten zu finden, ihn auf ihre Seite zu bringen – oder ihn zu töten.

Wir tun alles, um den Rotaugen das Handwerk endgültig zu legen, aber obwohl es sich nur um Menschen handelt, scheinen sie einen Elfen gefunden zu haben, der gewillt ist, ihnen mit Magie weiter zu helfen. Das macht es für uns so schwer. Und daher ist es so wichtig, dass wir schnellstens herausfinden, wer von euch beiden der Gesandte ist, damit wir seine Kräfte gegen die Rotaugen einsetzen können.“

„Was ist, wenn wir das nicht wollen?“, fragte Taras. Er schaute den Rothaarigen und den Hauptmann abwechselnd mit trotziger Miene an. „Wir sind keine Helden und wir sind keine Soldaten. Wir sind einfache Leute, die überfallen und dann aus ihrem Zuhause verschleppt wurden! Die Geschicke des Königs gehen uns nichts an! Bringt uns nach Hause!“

Für einen Moment war die ganze Runde sprachlos und auch Arina sah ihren Bruder erschrocken an.

Dann erhob sich der Hauptmann, stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte und sah ihn so zornentbrannt an, als würde er ihn gleich in Stücke reißen.

„Wir suchen euch seit zehn Jahren – wir haben euch das Leben gerettet vor diesen Schweinehunden! Wären wir nicht gewesen, dann hättet ihr jetzt zusammen mit euren Eltern in Staub und Blut gelegen, elendig zugrunde gegangen und unserem gesamten Land den Rücken zugekehrt!“, zischte er. Seine unheimliche Größe wirkte nun noch viel bedrohlicher und Arina hatte das Gefühl, dass ein Teil des Zornes sich nicht nur auf die Worte ihres Bruders bezog, sondern vielmehr auf die jahrelange Frustration, sie nicht zu finden – und nun beinahe zu spät gekommen zu sein.

„Glaubst du Tunichtgut, dass wir das alles aus Spaß machen?“, seine Stimme polterte durch den Raum, „Tapfere Elfen setzten ihr Leben aufs Spiel – und verloren es – nur um euch zu finden! Eure eigenen Eltern setzten ihr Leben aufs Spiel-“

„Genug jetzt!“, unterbrach Ivette den Hauptmann. Sie löste sich von ihrem Platz am Herdfeuer und verschränkte die Arme, als sie vor dem hühnenhaften Elfen stand, ohne auch nur darüber nachzudenken, dass er ein hochrangiger Militär war und sie nur eine einfache Hofbesitzerin.

„Hauptmann, Ihr seid ein ehrenhafter Diener des Königs – aber genauso verbohrt und töricht, wie Euereins es immer ist.“, sagte sie ärgerlich und der Angesprochene setzte sich wieder, zornig schnaufend.

Arina konnte nicht anders, als wieder anfangen zu weinen und die Frau sah sie mitfühlend an.

„Es wird bereits dunkel draußen und die Kinder haben einen langen Tag hinter sich.“, meinte sie, ging auf den Kessel zu der über dem Feuer hing, nahm zwei Holzschalen und füllte sie nacheinander mit dem Inhalt des Kessels. Es roch nach Gemüsesuppe.

„Sie sind keine Kinder mehr, Fräulein Lacina.“, sagte Shayan, „Ich verstehe Eure Fürsorge, aber wir müssen - “

Zornig drehte sich die Elfe um. „Ich verbitte mir diese Gespräche für diesen Abend!“, sagte sie laut und stellte ohne eine weitere Antwort abzuwarten den beiden Geschwistern die Suppenschale auf den Tisch. Auch für die Soldaten begann sie nun, Essen aufzutischen – nicht jedoch, ohne sowohl Shayan, als auch dem Hauptmann einen bösen Blick zuzuwerfen, der keine Widerworte mehr duldete.

Zögerlich begannen alle zu essen und erst jetzt bemerkte Arina, was für einen Hunger sie hatte. Als hätte sie tagelang nichts gegessen, schlürfte sie die Suppe hinunter und kaute gierig auf den weichgekochten Gemüsestückchen darin herum. Ihrem Bruder ging es nicht anders.

Als man fertig gegessen hatte, nahm Ivette die Schalen wieder an sich und stellte sie in eine Zinkwanne.

„Gut.“, sagte sie dann, „Eure Betten habe ich bereits vorbereitet, meine beiden.“ Sie bedeutete ihnen, zu folgen und die drei ließen die Militärs ohne ein weiteres Wort am Tisch sitzen. Arina konnte den Hauptmann etwas ärgerliches schnauben hören – und sie war froh, seiner Gegenwart entkommen zu sein.

Sie stiegen die Treppe hinauf in das erste Stockwerk. Größtenteils war es nur ein Heuboden, außerdem eine Art Vorrats- und Abstellkammer für all die Dinge, die man auf diesem Hof gebrauchen könnte. Über ihnen befand sich das Dachgewölbe – schwere Balken trugen das Gerüst. Das schwindende Dämmerlicht leuchtete noch schwach durch die Ritzen in den Schrägwänden und durch kleine Fenster an den Seiten. Am anderen Ende des Raums jedoch waren mehrere Heuballen nebeneinander aufgeschichtet worden, sodass eine kleine Trennwand entstanden war. Dahinter waren zwei Feldbetten aufgebaut. Durch ein kleines, rundes Fenster konnte man auf die Wiesen und Felder um den Hof hinausblicken. Es war tatsächlich dunkler geworden, als Arina es gedacht hätte. Die Sonne musste schon vor einer Weile untergegangen sein. Der Regen hatte aufgehört und vereinzelt klärte sich der Himmel auf, sein fahles Abendgesicht zeigend. Wenige Sterne funkelten bereits, den Mond konnte sie allerdings nicht sehen.

Man konnte die Stimmen der Soldaten von unten heraufdringen hören, aber nur gedämpft und kaum zu verstehen.

„Ruht euch aus, solange ihr könnt.“, sagte Ivette Lacina zu ihnen und lächelte dabei. Im fahlen Licht konnte man nicht erkennen, ob es aufmunternd oder mitleidig war.

„Danke.“, brachte Taras hervor. Seine Stimme klang gepresst und unnatürlich. Arina blickte ihren Bruder an. Hier oben in der immer größer werdenden Dunkelheit sah sein Gesicht gespenstig aus – ausgemergelt und erschöpft.

Kurz verschwand die Elfe in den Schatten, dann kam sie wieder, mit einer brennenden Lampe in der Hand. „Passt auf, dass ihr sie nicht umwerft.“, warnte sie noch, dann ging sie wieder nach unten und wünschte den beiden einen erholsamen Schlaf.

Wieder waren die Geschwister allein – dieses Mal mit ein paar Antworten mehr, aber genau so vielen Fragen, die aus diesen Antworten hervorkamen.

Taras legte sich ausgestreckt auf sein Feldbett und starrte das Dachgewölbe an, Arina ließ sich ebenfalls auf ihrer Ruhestätte nieder. Nach kurzer Zeit jedoch hielt sie es schon nicht mehr aus, regungslos dort zu liegen und setzte sich auf. Sie starrte in die kleine Flamme hinter dem Glas der Lampe.

Die Stimmen unten schwollen an und das Mädchen hörte auch Ivettes Stimme, die sich laut mit den anderen vermischte.

Die blonde Elfe wandte sich zu ihrem Bruder. Nun war es vollkommen dunkel draußen und das Licht der Lampe war zu zaghaft, um erkennen zu lassen, ob er schlief, oder noch wach war. „Taras?“, fragte sie leise.

„Ja?“, kam die Antwort zurück.

Arina hielt für einen Moment inne. Sie wollte ihren Bruder so vieles fragen, obwohl sie einerseits wusste, dass er genauso wenige Antworten kannte, wie sie selbst – und andererseits kaum wusste, welche Frage sie zuerst stellen sollte.

„Glaubst du dem Hauptmann?“, fragte sie dann schließlich. Für eine Weile erhielt sie keine Antwort und sie glaubte schon, dass ihr Bruder doch eingeschlafen war.

„Ja, ich denke schon.“, sagte er dann jedoch und aus irgendeinem Grund versetzte Arina diese Antwort einen Stich im Herzen.

Vielleicht weil sie gehofft hatte, dass diese ganze Geschichte nur eine dumme Lüge war – und wenn ihr Bruder das erkannt hätte, wäre es so leicht gewesen, sich einfach von hier fortzuschleichen und wegzulaufen, auf nimmer Wiedersehen.

„Glaubst du...“, das Mädchen brach ab. „Glaubst du, unsere Eltern wussten es?“, hatte sie eigentlich fragen wollen, aber jetzt traute sie sich nicht mehr.
 

Eure Eltern sind entweder geflohen...oder wurden gefangen genommen
 

Shayans Worte hallten in ihrem Kopf wider und sie spürte, wie sich leise Tränen ihren Weg über ihr Gesicht bahnten. Und in beiden Fällen konnten sie bereits tot sein.

Nein, daran will ich nicht denken!

Bestimmt haben sie einen Weg gefunden...irgendeinen Weg...
 

„Ich denke, wir haben keine Wahl.“, unterbrach ihr Bruder ihre Gedankengänge, „Wir müssen ihnen vertrauen und mit ihnen gehen.“

Arina erwiderte nichts, weil sie wusste, dass Taras recht hatte. Wohin hätten sie denn sonst gehen sollen?

Sie kniff ihre Augen zusammen und ein Schauer lief ihr über den Rücken.

„Kann ich bei dir schlafen?“, fragte sie leise und hörte, wie ihr Bruder sich in der beinah vollkommenen Dunkelheit bewegte. Das Heu um sie herum raschelte.

„Komm schon her – aber mach die Lampe vorher aus.“, sagte er. Das Mädchen nickte, ohne darüber nachzudenken, dass man das wahrscheinlich gar nicht sehen konnte, löschte die Lampe und kroch dann zu ihrem Bruder. Seine Arme umschlossen sie fest und sie sog tief seinen Geruch ein.

Schweigend lagen sie so beieinander. Sie konnte spüren, dass Taras leicht zitterte und hören, wie er ab und zu stockend einatmete.

Großer Bruder...

„Ich behalt’s für mich.“, flüsterte sie leise. Als Antwort drückte ihr Bruder sie kurz noch fester an sich.

Hätte man sie so dort liegen sehen, hätte man sie für frisch Verliebte halten können. Untrennbar hatten sich ihre Körper ineinander geschlungen und ließen sich nicht mehr los, bis sie beide eingeschlafen waren – eigentlich viel zu früh an diesem Abend und ebenfalls mit viel zu vielen Gedanken in ihrem Kopf.

Arinas Mutter hatte immer gesagt, dass wer zu viele Gedanken vor dem Schlafengehen hatte, stets viel träumte. An ihre Träume konnte sich das Mädchen am nächsten Morgen nicht mehr erinnern – wohl aber an ihren letzten Gedanken.
 

Ich habe nicht mal ein einziges Stück von dem Kuchen gegessen.
 

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