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Drei Seiten der Medallie

Un vericueto al destino
von

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Ivette weckte sie am nächsten Tag. Die Sonne stand bereits am Himmel und ganz offensichtlich hatte sich das schlechte Wetter vollends verzogen. Helles Morgenlicht fiel durch die Fenster auf den Heuboden. Es sah nach einem schönen Herbsttag aus.

Als Arina aufwachte, brauchte sie allerdings erst einen Moment, um zu begreifen, wo sie war – und warum. Nach einigen Sekunden fiel es ihr wieder ein, und mit einem Mal hatte sie kein Auge mehr für das hübsche Wetter.

Ivette sagte nichts dazu, dass die beiden Geschwister so eng aneinander gekuschelt geschlafen hatten, sie stellte ihnen einen Krug Wasser hin, wenig später brachte sie ihnen ein Frühstück, mit den Worten, dass die Unruhe der Soldaten unten an so einem Morgen noch nicht auszuhalten wäre und sie deshalb besser hier blieben.

Arina und Taras sagten nichts, nur ihr Bruder brachte kurz noch ein Dankeschön hervor. Schweigend wuschen sie sich und nahmen ihr Frühstück ein. Das Mädchen versuchte, ihre Haare ein wenig zu ordnen und entfernte die Strohhalme daraus, die sich im Schlaf darin verfangen hatten. Auch ihren Bruder befreite sie von dem Stroh.

Sie war sich nicht sicher, was es war – aber etwas hatte sich heute Nacht in sie hineingepflanzt und dieses Ding, dieses so merkwürdig kalte und dennoch brennende Gefühl, ließ sie nun nicht mehr los.

Es war keine Trauer oder Wut.

Es war wie ein Schatten, der ihr sonst bereits so sensibles und weinerliches Gemüt so sehr trübte, dass sie ständig zittern musste und obwohl sie gut geschlafen hatte, fühlte sie sich schrecklich müde und nicht im Mindesten bereit, für einen neuen Tag.

Sie konnte Taras ansehen, dass es ihm ähnlich erging. Aber sie sah ebenfalls, dass in seinem Blick und in seiner Haltung noch etwas anderes lag – etwas, was sie manchmal bei ihm beobachtet hatte, wenn er verbissen versuchte, etwas zu schaffen, was er eigentlich noch gar nicht konnte.

Sie hatte es einmal gesehen, als er sturköpfig versucht hatte, eine Vase zu töpfern, aber sie ihm immer wieder auf der Drehscheibe zerfloss. Oder als er Holz hacken wollte, da war er gerade einmal sechs Jahre alt gewesen, die Axt war fast so groß wie er selbst. Es war nur noch eine schwammige Erinnerung in ihrem Kopf, aber sie wusste noch, dass er sich schrecklich aufgeregt hatte, als das dumme Holz sich einfach nicht hatte spalten lassen.

Es war etwas so Entschlossenes und gleichzeitig so Frustriertes in ihm, dass es ihr manchmal auch Angst gemacht hatte.

Jetzt machte es ihr keine Angst, aber völlig unabhängig davon wusste sie mit ziemlicher Sicherheit, genauso wie sie es all die anderen Male gewusst hatte, dass dieses Gefühl ihn betrügen würde.

Von unten schallten tatsächlich mehrere Stimmen herauf und man konnte geschäftige Schritte hin und her laufen hören. Es hörte sich danach an, als würden die Ritter aufbrechen und alles zusammen packen.
 

Wenig später stellte Arina fest, dass sie mit dieser Vermutung richtig gelegen hatte. Shayan kam zu ihnen herauf und lächelte sie aufmunternd an.

„Guten Morgen.“, sagte er, „Ich hoffe ihr konntet euch ein wenig erholen.“ Er wartete kurz auf eine Antwort – als Arina das auffiel, nickte sie schnell. „Gut. Wir werden in Kürze aufbrechen, daher würde ich euch bitten, euch bereit zu machen.“

„Wohin reisen wir?“, fragte Taras und blickte den Rothaarigen an, „Ich bewege mich erst vom Fleck, wenn ich genau weiß, wohin ihr uns bringen wollt.“

Shayan zog eine Augenbraue hoch. Eine Mischung aus Überraschung, freudige Neugierde und Amusement legte sich auf sein Gesicht. Was er an dieser Frage so amüsierend fand, konnte Arina sich nicht vorstellen, aber es verärgerte sie, ebenso wie ihren Bruder, als er das Mienenspiel ihres Gegenübers deutete.

„Wir bringen euch in die Hauptstadt Sanaryas. Zu unserem König und den Hohepriestern – dort müssen wir damit anfangen, euch zu prüfen. Nach dem, was passiert ist, dürfen wir keine Zeit mehr verlieren.“

Der Rothaarige sah die beiden abwechselnd an. Als sich weder Arina noch Taras zu einer Antwort durchrangen oder sonst eine Reaktion zeigen wollten, seufzte er leise.

„Hört zu...“, begann er, „Ich weiß, dass es für euch nicht einfach ist. Und ich weiß, dass ihr uns nicht vertraut – und das ist gut so. In diesen Zeiten solltet ihr misstrauisch sein. Aber ich möchte, dass ihr eines versteht...“

Er ging auf die Geschwister zu, die sich instinktiv an den Händen nahmen, aber es beide nicht wahrnahmen. Shayan beobachtete diese Haltung kommentarlos.

„...Selbst wenn ihr uns nicht vertaut, bleibt uns nichts anderes übrig, als unser Leben in eure Hände zu legen. Begreift ihr das? Ganz gleich, was dieser Tag bringen wird, was der König euch sagen wird, oder Dashin – falls ihr ihm jemals begegnen werdet – einer von euch wird das Schicksal unseres Landes bestimmen.“

Arina hörte, wie ihr Bruder zu einer Antwort ansetzte, und es sich dann doch anders überlegte. Er schluckte einmal. Wieder legte sich der verbitterte Ausdruck auf sein Gesicht. Sie spürte, wie seine Hand, die sie immer noch umklammerte, zu schwitzen begann und sich unruhig bewegte.

„Wir sind in ein paar Minuten unten.“, sagte er dann. Shayan nickte langsam.

„Ich danke euch beiden.“, meinte er noch, dann verließ er sie wieder und traf die letzten Vorbereitungen für den Aufbruch.
 

Wenig später saß der gesamte Trupp, der sie gestern hergebracht hat, auf Pferden, bereit zum Aufbruch. Der Hauptmann bildete die Spitze der Gruppe, Ivette stand vor der Tür ihres Hauses und sah ihnen allen mit einem Ausdruck hinterher, der Arina an eine stets besorgte Mutter erinnerte.

Wo ist meine Mutter? Macht sie sich auch Sorgen?

Macht sie sich Sorgen um uns, oder auch um sich selbst?

Nicht daran denken.

Nicht jetzt
 

„Männer, wir brechen auf!“, rief der Hauptmann, „In drei Tagen werden wir Yasenfall erreichen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Reise eine gefährliche sein wird – unsere Verfolger werden uns mit allen Mitteln zusetzen, die sie haben. Tobit!“

Ein großer, dunkelhaariger Elf hob den Blick. Arina erkannte den Mann, der sie aufgefangen hatte, als Shayan sie von den Dächern geworfen hatte. Jetzt, in der Sonne des Tages, sah er merkwürdig verändert aus. Er wirkte viel zu still und zu unnahbar für Tageslicht.

Aber vielleicht spielten ihre Gedanken ihr auch etwas vor.

„Reite vor und informiere König von unserem Kommen – und informiere uns, wenn die Gefahr zu groß ist, um weiter zu reiten.“, sagte der Hauptmann und Tobit nickte. Ohne ein Wort zu verlieren, trieb er sein Pferd an und verschwand gallopierend in der Ferne.

„Mögen wir alle schon bald die Mauern des Schlosses erblicken.“

Mit diesen Worten setzte sich der Trupp in Bewegung. Arina und Taras saßen wie bei ihrer Ankunft auf einem Pferd und dieses Mal wirkte ihr Bruder ein wenig ruhiger, als sich das Tier in Bewegung setzte. Dennoch merkte sie seine Anspannung, während sie sich an ihm festhielt.

Shayan ritt neben ihn – ob aus persönlicher Neigung, oder aus dem Pflichtgefühl, sie sofort beschützen zu müssen, sollte ihnen etwas passieren, wusste sie nicht.

Er schmunzelte leise, als sie aufbrachen.

„Immer dieser Drang zum Dramatischen, Hauptmann...“, sagte er und jetzt legte sich ein Ausdruck auf sein Gesicht, der Arina neu war.

Kampflust?

„Sollen sie kommen, die kleinen Menschen...Ich lasse sie nicht an euch heran.“
 


 

Der König von Sanarya war ein Elf, wie es seit Jahrhunderten war. Sein Blut war das reinste im Land, seine Abstammung die Edelste, Begabteste und Wohlerzogendste. Er lebte unter den klügsten Weisen und den erlesensten Künstlern, er hatte Zugriff auf das gesamte Wissen und die Weisheit seines Volkes, ebenso wie er sich in dem größten Luxus und Annehmlichkeiten zurück lehnen konnte.

Es war ein gesegnetes Leben für all jene, die an seiner Seite im Schloss leben durften. Seine Geschwister, seine Onkels und Tanten, ebenso wie seine Cousins und Cousinen, Nichten und Neffen. Sie badeten im Ansehen und im Rausch des Hochadels, sie waren die Elite dieses Landes – unangefochten seit jeher.

Die Mauern des Schlosses umfassten eine unvorstellbar große Fläche inmitten der Hauptstadt Sanaryas. Zahlreiche Hofmeister, Steinmetze, Pferdeherren, Sänger und Tänzer, Minister und Ritter hofierten hier ein und aus, gefolgt von ihren noch umso zahlreicheren Knechten und Mägden, Leibeigenen und Sklaven. Meist waren diese Diener Menschen, manchmal waren es Halbelfen, die jedoch niemals mit der Gabe der Magie gesegnet waren. Es war ihnen verboten, diese Kunst auszuüben und sollte ein Leibeigener diese Fähigkeit in sich tragen, verschwand er und die dunklen Schattenseiten des edlen Hofes verschluckten ihn mit einem Mal.

Niemand sprach darüber.

Es war ein Gesetz, wie eine Naturgewalt, was Sicherheit und Ordnung schuf. Menschen dienten Elfen. So war es, so sollte es bleiben.

Es war nichts Unmoralisches dabei, denn sollte nur einmal das Gerücht über den königlichen Hofe schallen, ein Elfenminister schändet seinen Menschendiener, würde dieser Elf schnell das Weite suchen müssen.

Denn der König wusste, dass nur die Gewissheit, dass ein Leibeigener nicht um sein Leben fürchten musste, sondern stattdessen eine ehrenhafte Arbeit als nützliches Mitglied in der Kette der Gesellschaft verrichtete, sie bisher vor Aufruhr und Gewalt bewahrt hatte.

Bisher.
 

Wir sind die Ingratia.

Wir grenzen uns in jeglicher Form, sei es Blutsverbundenheit, Sprache oder Kultur von dem Geschlecht der Elfen ab. Wir verteidigen die hohen Werte der Unabhängigkeit und Freiheit von Willen und Macht mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.

Wir sind bereit, die uns gegebenen Kräfte der Magie gegen jeden Feind und jeden Widerstand zu gebrauchen. Dem Volke der Elfen schwören wir Krieg und ewige Feindseligkeit. Jedwede Verpflichtung und Verbindung sei von diesem Tage an gelöst, auf dass wir allein ein geeintes und unabhängiges Volk werden. Unsere Tugenden sind Kraft, Wille und Weisheit, doch über all diesen Dingen steht die Freiheit.

Wir sind die Ingratia.
 

Es war dieser Brief gewesen, der die Harmonie und Ordnung der Hofgesellschaft und aller übrigen Gesellschaften in Sanarya störte und den seit Jahrhunderten währenden Frieden infrage stellte.

Dieser Brief hatte Hofdamen und Adelsritter aufschrecken lassen, er hatte ihnen gezeigt, dass ihr Leben, wie sie es bisher kannten, in Gefahr war. Er war der Grund dafür, dass der König vor Jahren seine Ritter aussandte, um die Suche nach dem Gesandten zu beschleunigen und der Grund dafür, dass er nun nicht mehr ruhig schlafen konnte.

Niemand, nicht sein Vater und nicht dessen Vater und auch nicht der Vater dieses Königs, hatte mit diesen Problemen zu tun gehabt. Ein Schrecken war in den Straßen der Elfenstädte aufgetaucht. Unruhestifter zuerst, dann randalierende und brandstiftende Banden und schließlich eine mordende und terrorisierende Organisation. Sie hatten einen Führer gefunden.

Der Aufruhr, den es immer gegeben hatte, solange das eine Volk über das andere bestimmt hatte, war von kleinen Rangeleien zu einer inneren Gefahr gewachsen. Eine Gefahr, die ernst zu nehmen war.

Das rote Auge brannte sich in das Gedächtnis der Leute, das rote Auge, was die Ingratia zu ihrem Zeichen gemacht hatten und welches nun bedrohlich wachend in ihren Nacken eingebrannt war.

Es war eine Ironie, eine Provokation und eine Warnung, dass dieser Brief auf edelstem Papier in der elitären, alten Sprache verfasst und von einer magischen Taube seinen Weg direkt in das Arbeitszimmer des Königs gefunden hatte.

Eine klare Botschaft, die jeden Zweifel ausgelöscht hatte.

Wir scherzen nicht. Wir haben die Mittel und Wege, euch zu stürzen.
 

Und der König hatte diese Botschaft verstanden und niemals mehr angezweifelt.
 

König Lloyd Vanor Linus, Sohn vom Hause Adara blickte unentwegt auf den Hof seines Schlosses hinaus. Er war das Bildnis eines Herrschers, hochgewachsen und aufrecht stehend, dunkles Haar, weiße Haut, grüne Augen. Dichter sangen über seine altelfische Schönheit. Diese Lieder waren jedoch schon alt, Jahre waren in das Land gezogen und hatten unerbittlich am Antlitz des Königs genagt. Sie hatten Sorgenfalten in seinem Gesicht hinterlassen, seine Augen getrübt und vom jugendlichen Eifer befreit, seine Bewegungen verlangsamt und seinen Blick nach unten geneigt.

König Lloyd wusste um die Pflicht, die auf seinen Schultern lag. Es war seine Pflicht, den Frieden zu bewahren – nicht mit Denkmählern und Festgelagen, wie seine Väter, sondern mit Blut und Eisen.

Noch war es nicht so weit. Aber niemand konnte sich dieser Warheit entwinden. Es würde eine Schlacht geben, früher oder später würden sich die Ingratia erheben und mit Waffen an ihre Tore klopfen.

Der König schloss für einen Moment die Augen und öffnete sie dann wieder. Es waren einige Wochen vergangen, seitdem seine Ritter aufgebrochen waren, um nach den letzten Kindern des Hauses Eldanas zu suchen. Die letzte Chance, den Gesandten der Götter zu finden, so wie es die Hohepriester prophezeit hatten. Regelmäßig erreichten ihn Nachrichten von seinem Ritter Shayan von Jonad. Er konnte Spannung aus diesen Worten lesen, ebenso wie Frust, den Kindern so nah zu sein, und doch noch auf den rechten Moment warten zu müssen. Zu viele Gefahren lauerten um dieses einfache Haus einer Töpferfamilie, wie Shayan es beschrieben hatte.

Lloyd schmunzelte kurz. War es nicht ein Wink des Schicksals, dass ihrer aller Rettung aus den einfachen bürgerlichen Verhältnissen eines Töpfers entstammen sollte?

Er wartete gespannt auf die nächste Nachricht seines Ritters – doch bevor ihn diese erreichen sollte, sah er etwas anderes auf dem Hof seines Schlosses.

Ein Reiter preschte über den steinernen Platz, kommentarlos ließen ihn die Wachen passieren, denn er trug unübersehbar die Uniform der Königsritter. Der dunkelblaue Stoff und die anthrazitfarbenen Hosen waren staubbedeckt, das Pferd nassgeschwitzt und auch der Reiter sah selbst vom hohen Sitz des Königs erschöpft aus.

Zwei Stallknechte wurden herbeigerufen, die dem Ritter sein Pferd abnahmen und es wegführten. Er selbst ging auf die Tore des Schlosses zu, wurde kurz aufgehalten und augenscheinlich nach seinem Begehr gefragt.

Der Blick des Ritters glitt nach oben und traf die Augen des Königs, der von seinem Fenster heraus auf ihn herabsah.

Lloyd war sich nicht sicher, ob er ihn sah, aber er erkannte diesen Ritter nun. Er war von jenem Trupp, der ausgesandt worden war, den Gesandten zu finden – augenblicklich fuhr dem Herrscher ein unnahbarer Schrecken durch die Adern.

Sollten sie zu spät gekommen sein?

Was war geschehen?

Er wich vom Fenster zurück und im gleichen Moment öffnete sich die Tür. Einer seiner Diener trat ein, machte einen Knicks und sprach ihn in der angemessenen Form an.

„Mein Herr und König aus dem Schoße Adaras.“, sagte er, „Ritter Tobit Dian erreichte soeben den Königshof. Er bringt dringende Nachricht von der Suche nach den Gesandten.“

Lloyd wandte sich um und nickte.

„Ich werde ihn ohne Umschweife empfangen.“, antwortete er dem Diener, der sich rasch verabschiedete und den Raum wieder verließ.
 

Ritter Tobit Dian brachte tatsächlich dringliche Nachricht. Im Thronsaal berichtete er von ihrer Suche nach dem Gesandten, gefasst und sachlich, obwohl man ihm seine Anstrengung und Eile ansah. Er berichtete von einem Angriff auf die Töpferfamilie, sehr wahrscheinlich von den Rotaugen – wie sie dem Angriff im letzten Moment entkamen und nun früher aufbrechen mussten.

Auf seiner Reise war er mehreren Rotaugen entkommen, das sichere Fortkommen der Ritter, so sagte er, sei in keinem Fall gewährleistet und sie brauchten dringende Unterstützung von ihrem König.

Ohne Zögern versprach Lloyd diese Hilfe, schickte sofort einen Diener, der mehrere Soldaten auf den Weg schicken sollte, um die Ritter auf ihrem Weg zu geleiten.

Auf die Frage, ob die Suche dieses Mal erfolgreich gewesen sei, antwortete Tobit Dian seinem König, man habe zwei Geschwister gefunden, einen siebzehnjährigen Jungen und ein dreizehnjähriges Mädchen. Einer von ihnen musste der Gesandte sein, sie sicher hierher zu eskortieren und zu prüfen war daher essentiell. Ob es eine Vorahnung gäbe, wer der beiden es sei, konnte der Ritter nicht sagen, wohl aber, dass er von beiden eine innere Stärke zu spüren glaubte – sei diese nun von göttlicher Natur oder von irdischer Überzeugung.

Drei Tage später trafen die restlichen Ritter zusammen mit den Soldaten ein.

Es waren weniger Soldaten, als der König losgeschickt hatte – sie mussten auf Widerstand gestoßen sein.

Lloyd empfing die Gruppe, wie Tobit zuvor im Thronsaal. Er sah Shayan von Jonad unter ihnen. Sein flammend rotes Haar war staubig und strähnig, seine Uniform war stark mitgenommen. Er hatte einige leichte Verletzungen, doch das schien ihn nicht zu belasten.

Ein Königsritter hatte gelernt, vielen Schmerz zu ertragen.

Auch Hauptmann Kanot war unter den Ankömmlingen, doch er stand nicht bei den übrigen im Thronsaal.

Shayan von Jonad berichtete, dass der Hauptmann bei einem Angriff schwer verletzt worden ist und deshalb dringend der ärztlichen Hilfe eines königlichen Heilers bedurfte.

„Mein Herr und König aus dem Schoße Adaras.“, sagte der rothaarige Ritter und trat einen Schritt vor, „Dies sind die Geschwister Eldanas, Arina Sinele und Taras Gonan.“ Er zeigte auf zwei Gestalten, die aus der Gruppe hervortraten.

Der König atmete tief ein, als er die beiden sah. Das waren sie also? Jene, nach denen sie so lang und verbittert gesucht hatten.

Ihre Gesichter waren dreckig, verschürft und erschöpft, ihre Kleidung zeigte nichts von einer vermeintlich göttlichen Bestimmung. Einfache Wollkleider, die ihnen nicht richtig passten und dazu ebenfalls verschmutzt und an einigen Stellen aufgerissen waren. Sie wirkten so unfassbar klein und gewöhnlich, dass Lloyd am liebsten zornig geworden wäre.

Nichts an ihren war kraftvoll. Das Mädchen war nicht mehr als ein Kind – feine, weiße Linien zeichneten sich auf ihren Wangen ab, von Tränen, die den Schmutz dort weggewaschen hatten – und der Junge starrte ihn unverhohlen trotzig und misstrauisch an, wie ein niederer Rebell ohne Anstand und Bildung.

Jetzt, da die beiden vor ihm standen, wollte der König es nicht glauben. Wie groß und ehrenvoll hatte der Gesandte in seinen Gedanken ausgesehen. Ein stolzer Elf in edler Kleidung, geübt im Umgang mit der Waffe, ebenso wie mit dem Wort. Gebildet, kraftvoll und aufrichtig.

Diese beiden waren nicht mehr und nicht weniger, als das, was ihre Herkunft ihnen vorschrieb. Zwei Kinder eines Töpfers aus einer Stadt, die friedlich und unwissend in seinem Land lebte, fern von den Geschicken Sanaryas, trotzig, schwach, weinerlich.
 

„Ihr seid der König Sanaryas?“, fragte der Junge namens Taras ihn so aufmüpfig und ungehobelt, dass seiner Leibwache ein entsetztes Stöhnen entwich.

Einen Moment lang schwieg Lloyd. Er musste sich besinnen.

Waren diese beiden Kinder auch nicht das, was er sich erhofft und erträumt hatte, waren sie doch jene, auf die sie sich verlassen mussten.

„Ja, der bin ich.“, antwortete Lloyd langsam, dem Blick des Jungen nicht ausweichend. Er glaubte, zu sehen, was Tobit Dian gemeint hatte, als er von einer inneren Stärke sprach.

„Gut.“, redete Taras laut weiter, „Dann will ich von Euch wissen, welcher König ein Trupp von nur so wenig Rittern ausschickt, um die anscheinend wichtigste Person dieses Landes zu finden, wenn Ihr wisst, wie viele Leute uns beide tot sehen wollen!“

„Unerhörte Worte! Schneidet diesem Tor die Zunge heraus!“, rief der Leibwächter neben Lloyd und schon schritten zwei Soldaten energisch auf den Jungen zu. Das Mädchen, Arina, stieß einen ängstlichen Schrei aus und klammerte sich sofort an ihn und er beschützte sie mit beiden Armen. Doch bevor es zu jeglicher Gewalt kam, hob der König die Hand.

„Lasst sie in Ruhe.“, befahl er und die Soldaten zogen sich langsam zurück. Der Elf sah den Jungen an und beugte sich auf seinem Thron nach vorn.

„Du hast ein unüberlegtes Mundwerk, Taras Gonan aus dem Hause Eldanas.“, sagte er langsam, „Wärst du ein anderer und wäre dies hier eine weniger wichtige Begebenheit, würdest du für diese Worte schwer büßen müssen.“

„Wir wären nicht hier, wenn ich ein anderer wäre!“, protestierte Taras, nicht im Geringsten eingeschüchtert, „Und nichts von alledem wäre passiert.“

Seine Schwester begann laut zu schluchzen und der König beobachtete, wie er seinen Griff um sie verstärkte, wie um sie zu beschützen.

Lloyd schwieg und der Junge ergriff erneut das Wort.

„Meine Schwester und ich sind keine Kämpfer. Wir sind Sohn und Tochter eines Töpfers und seiner Frau, die wegen Eurer Unfähigkeit nun tot oder zu Tode gequält werden.“ Das Weinen des Mädchens wurde nun lauter und unkontrollierter. Obwohl der Junge es zu verbergen versuchte, konnte der König erkennen, dass auch er zu zittern begann. Lloyd spürte einen Stich in sich.

Ob er es nun höflich sagte, oder ungehobelt – Taras hatte Recht mit seinen Worten. Es waren Kinder, die vor ihm standen und die wegen den Gesetzen und Ordnungen seiner Väter und Vorväter in diesen Konflikt geraten waren. Im gewissen Sinne war es seine Schuld und dennoch war es ihr Schicksal und so der Wille der Götter, gegen den er sich nicht erwehren konnte, dass sie hier waren und dass einer von ihnen der Gesandte war, gesegnet mit der Kraft, dieses Land wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Schweigen erfüllte den Saal und nur das Schluchzen des Mädchens hallte von den Wänden wider.

Auf die Worte des Jungen gab es keine Antwort. Nicht jetzt.

„Ich möchte, dass den Geschwistern Eldanas ein Gemach gerichtet wird, das ihrer würdig ist. Erfüllt ihnen ihre Wünsche, solange jene erfüllbar sind und lasst sie ihre Kräfte wieder gewinnen.“, sagte Lloyd schließlich, nachdem sich das Schweigen nicht mehr länger aufrecht erhalten ließ. Zwei seiner Diener machten sich sofort auf den Weg und ein weiterer ging auf die Geschwister zu, um ihnen den Weg zu weisen.

„Ich werde euch wieder sprechen, sobald wir entschieden haben, was unsere nächsten Schritte sind.“, sagte er zu ihnen und wollte sich dann seinen Rittern zuwenden. Doch so leicht ließ sich Taras nicht zum Verstummen bringen.

„Bis ihr entschieden habt, was eure nächsten Schritte sind?“, fragte er und wehrte sich gegen den Griff des Dieners, „Was soll das heißen? Wir sind nicht eure billigen Menschendiener! Ihr werdet nicht über unsere Köpfe hinweg entscheiden, wir bleiben hier!“

Lloyd atmete tief durch und mit einem Wink seinerseits schritten zwei Soldaten auf die Geschwister zu und brachten sie unter dem Geschrei Taras’ und dem Weinen Arinas hinaus.

„Was soll das?! Verfluchte Scheiße, ich dachte wir wären eure verdammten Helden!“, schrie er wütend.

Der König sah ihn an.

„Nein, noch nicht. Wie du selbst sagtest, ihr beide seid Sohn und Tochter eines Töpfers und seiner Frau. Und für diesen Moment seid ihr nichts mehr.“
 

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