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Jumays Kinder

Part 1: Kinder der Erde - Land des Anfangs
von

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Licht und Schatten

Einen Mond später
 

Nadeshda wusste nicht mehr, wie viele Flüche sie für Shiran ausgesprochen hatte, ohne sie wirklich ernst zu meinen. Vielleicht hätte sie sie sogar ernst gemeint – und wirksam gemacht – wäre ihre momentane Situation anders gewesen. Weniger anstrengend und schmerzhaft, zum Beispiel.

„Ich werde ihn erwürgen, ich werde seinen Kopf zerschmettern, das schwöre ich, argh!“

Sie keuchte erstickt und ließ ihr angehobenes Haupt wieder zurück auf die Felle sinken.

Die ganze Nacht hatte regelmäßig wiederkehrendes Ziehen in ihrem Unterleib ihr eigentlich schon deutlich gemacht, was sie erwarten würde, am Morgen hatte ein unangenehmer Schwall Wasser, den sie sehr zu ihrem Leidwesen gerade in Mahrrans Zimmer verteilt hatte, ihr dann ihren Verdacht bestätigt. Seitdem bemühte sie sich, das Baby, das scheinbar genau so einen dicken Holzkopf hatte wie sein Vater, endlich aus sich heraus zu pressen, in ständiger Begleitung von Alaji, selbst hochschwanger, und Mabalysca, die es bisher jedoch noch nicht wirklich geschafft hatte, sich nützlich zu machen. Die Heilerin im übrigen auch nur bedingt, was sollte sie auch tun, wenn das Kind einfach nicht kommen wollte? Inzwischen war es später Nachmittag und die kleine Frau verließ allmählich die Kraft.

„Sei tapfer, du hast es bald.“, hörte sie ihre beste Freundin behutsam auf sie einreden, während ihr entblößter Intimbereich von ihr fachmännisch begutachtet wurde. Mabalysca fiepste kurz auf; sie war mindestens so tapfer wie sie selbst, dachte sich Nadeshda, der es leid tat, dass sie ihr vermutlich seit Stunden jeden einzelnen Knochen in ihrer Hand brach – aber irgendwo dran musste sie es doch auslassen!

„Jaja, das sagst du so!“, schnaubte die kleine Frau schließlich, wieder an Alaji gerichtet, die jetzt jedoch erstaunlich ernst drein blickte.

„Nein, wirklich, gib dir noch einmal Mühe, dann hast du es.“

„Oh Himmel sei Dank!“, bekundete Mabalysca den Tränen nah und biss erwartend die Zähne zusammen, als eine erneute Wehe ihre Schwester überkam und diese ihren Schmerz in gewohnter Manier weitergeben musste.

Alaji atmete einmal tief ein und beugte sich dann dank ihres eigenen Bauches etwas schwerfällig nach vorn, um nach etwas zu greifen – dem Kopf des Kindes.

Dann ging es ganz schnell. Nadeshda bemerkte mehr beiläufig, wie sie daran zog, deutlicher war dann ein kurzes Gefühl der Erleichterung, als das Baby endlich geboren war. Weder, wie die Heilerin das Kleine von ihr trennte, noch die Nachgeburt bemerkte die Frau wirklich, als sie für einen kurzen Moment von Erschöpfung gepackt in einen Dämmerzustand fiel.

Das nächste, was sie mitbekam, war die Stimme von Mabalysca, die sie zu wecken versuchte. Sanft rüttelte sie an ihrer Schulter, bis Nadeshda schließlich schwerfällig wieder ihre Augen öffnete. Ihre Schwester strahlte.

„So wach doch auf!“, verlangte sie mit einer Fröhlichkeit, die sie seit Monden nicht mehr gezeigt hatte, „Du hast es geschafft, dein Baby ist da, sieh es dir an, halte es!“

Sieh es dir an, halte es.

Die Ältere verengte ihre Augen minimal. Nein, sie wollte kein Kind. Und sie würde auch kein Kind groß ziehen und dabei bei dem Volk noch mehr in Ungnaden fallen als ohnehin schon, vor allen Dingen, wenn es von Shiran war.

Also erwiderte sie Mabalyscas Frohsinn in keinster Weise.

„Du hattest klare Anweisungen bezüglich des Kindes, Alaji.“, sagte sie mit erstaunlich fester Stimme in den Raum, selbst die Zimmerdecke anstarrend. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie dennoch ihre erbleichende Schwester und die Heilerin, die näher kam.

„Stimmt etwas nicht mit dem Baby?!“, wollte die frisch gebackene Tante unterdessen beunruhigt wissen und Nadeshda drehte nun doch den Kopf zu ihrer besten Freundin, die dem Neugeborenen scheinbar routiniert mit dem Finger in den Hals fuhr und schließlich etwas Schleim heraus beförderte. Ohne zu antworten wischte sie ihn an einem Tuch ab, dann schlug sie dem Kind auf den nackten Hintern und grinste zufrieden, als es zu schreien begann.

„Na also, du kannst es ja doch.“

„Aww!“

Mabalysca klatschte entzückt in die Hände und Nadeshda erschauderte. Kurz klebte ihr Blick an dem Säugling; sie sah ihn nur von hinten, ein winziges nacktes, zitterndes Wesen, an dessen Kopf nass ein paar violette Haare klebten. Sie schnaubte und sah weg, als sich Alaji zu ihr an ihr Lager setzte.

„Nimm den Schreihals weg und entsorge ihn, ich bin müde!“

Sie bemerkte den zerknirschten Blick ihrer Schwester, die sich darauf kurz umsah, dann die blutigen Tücher aufhob und mit ihnen aus dem Raum verschwand. Irgendwie wäre es ihr lieber gewesen, sie wäre geblieben...

„Das ist ein gesundes kleines Mädchen.“, erklärte die Heilerin da ungefragt, „Ich tue, was du sagst, aber erst hältst du sie einen Moment.“

Es war keine Frage, nicht einmal eine Bitte oder Aufforderung, sondern eine selbstverständliche Feststellung. Nadeshda zischte und sah sie an, gekonnt das Kind ignorierend, und sie zischte. Was maßte sie sich an?!

„Ich bin deine Herrin und du tust, was ich dir...“

Tat sie nicht. Sie verstummte, als Alaji ihr den Säugling einfach mit einem siegessicheren Lächeln in die Arme legte – und sie ihn beinahe aus Reflex einfach hielt. In ihren Armen verstummte das Baby. Es öffnete seine Augen, die darauf im selben Orange leuchteten wie die seiner Mutter, und sah ihr in ihr Gesicht. Ein Moment verharrte es so, dann gab es glucksende Laute von sich und begann wieder zu zittern. Natürlich, es war nackt und gerade erst aus dem wärmenden Mutterleib gerissen worden...

Einen Augenblick lang ihre komplette Situation vergessend zog Nadeshda die Decke etwas höher, sodass sie den kleinen Körper bedeckte. Es war so ein hübsches Kind... und nur ihres. Sie war seine Mutter...
 

Nein. Sie durfte sich ihr Leben nicht ruinieren lassen!

Shiran hatte davon gewusst, von ihren weiblichen Instinkten, aber wenn er gedacht hatte, sie würde sich jenen unterwerfen, dann hatte er sich gewaltig geirrt. Mit verhärteter Miene hielt sie das kleine Mädchen wieder der Heilerin entgegen, die es verblüfft annahm – scheinbar hatte auch sie gedacht, ihre Herrin sei im Bezug auf ihr Kind gebrochen. Das war ein Irrtum... sie war bloß etwas angerissen.

Als sie sprach, hatte sie den Blick abgewandt. Das kleine Mädchen begann wieder zu jammern.

„Na schön, sie soll leben. Aber nicht bei mir. Bring sie da hin, wo du sie gut aufgehoben siehst.“

„Aber... bist du wirklich sicher?“

Ihre Stimme klang zittrig, als sie sich noch einmal vergewisserte, das Kind aber in weiser Erwartung bereits in eines der wertvollen, seltenen Felle wickelte, die Nadeshdas Lager inne hatte – immerhin das konnte sie ihrer Tochter geben.

„Alaji, tu das, was ich dir sage!“

Sie zuckte unter der scharfen Stimme zusammen, dann nickte sie schweren Herzens und schritt langsam aus dem Raum.

Dabei war sie sich so sicher gewesen...

Die Heilerin war bereits an der Außentür angelangt, als ihre Herrin ihr noch etwas nachrief.

„Ihr Name ist Nocasi!“
 

Der Abend dämmerte bereits. Im Dorf war es relativ still; die Zeiten waren schlecht und ein leichter Nieselregen fiel auf die Welt hinab. Alaji blickte seufzend in die Wolken, das Neugeborene sanft an sich pressend. Sie hätte schwören können, noch vor kurzem sei der Himmel vollkommen klar gewesen... das passte aber besser zu ihrer Stimmung.

Im Gehen schielte sie kurz in das kleine, vom unzufriedenen Jammern verzogene Gesicht. Nocasi war so niedlich... kerngesund, gut gewachsen, ein besseres Baby konnte man sich nicht wünschen, es war beneidenswert. Wie hatte Nadeshda ihr Kind bloß freiwillig weg geben können? Immerhin hatte sie nicht mehr seinen Tod verlangt, das sprach für sie, aber die Heilerin konnte es sich nicht im Entferntesten vorstellen, ihr Kleines freiwillig irgendjemandem fremdes in die Hände zu geben.

Immerhin wusste sie, wo sie hin wollte – als Heilerin half sie natürlich vielen Frauen bei der Geburt ihrer Kinder und hatte daher immer die meiste Ahnung davon, in welchem Haus es Frauen mit Babys – und genügend Milch – gab, denen sie eventuell die kleine Nocasi anvertrauen konnte. Es waren gute Leute...

Als sie in die nächste Gasse einbog, begann das Kind wieder aus ganzem Herzen zu schreien. Alaji hielt seufzend inne...

„Ja, meine Kleine, ich verstehe dich ja! Psst, alles wird gut... es ist kalt und nass und eklig, ich weiß, du Ärmste...“

Sie versuchte, das Kind zu beruhigen, indem sie es etwas wiegte, aber ihr eigener Bauch war ihr dabei im Weg – und irgendwie hatte sie auch keine Nerven dafür, sie fand diese ganze Situation einfach zu grauenhaft, um irgendeinen klaren Gedanken fassen zu können.
 

Von dem Weinen des Säuglings scheinbar verwirrt öffnete sich just in dem Moment, in dem sie die Unzufriedenheit des Mädchens schweren Herzens hatte ignorieren und weiter gehen wollen, die Tür zu einem kleinen, aber hübschen Haus, vor dem sie gerade gestanden hatte. Alaji erkannte den Mann sofort, als Kind hatte er in derselben Gasse gelebt wie sie und sie hatte seine Nähe gesucht, weil er ein so überaus hübscher Junge gewesen war und sie ihn als Mädchen nun einmal interessant gefunden hatte. Allerdings hatte sie das schnell wieder aufgegeben – nicht, dass er nicht nett gewesen wäre, bloß nicht interessiert und zu intelligent für ihr kindliches Spiel. Als er sie nur anstarrte und nichts sagte, errötete sie etwas.

„Ich... kann nichts dazu sagen.“, murmelte sie dann, bloß, um der unangenehmen Situation zu entfliehen – sie hatte doch nicht einfach weiter gehen können. Nocasi jammerte weiter.

Sein Blick wanderte ungewöhnlich langsam von Alajis Gesicht zu dem Neugeborenen, wo er auch eine Weile verharrte – dann sprach er endlich.

„Dieses... Fell. Es... ist schlecht.“, er drehte sich schwankend um und verschwand in seinem Haus, „Komm.“
 

Die Heilerin kam nicht dazu, sich großartig darüber Gedanken zu machen, weshalb seine Art zu sprechen auffällig schwerfällig war, als sie das kleine Haus betrat, war es ihr schnell klar. Sie hüstelte, aus Nocasis Schreien wurde ein Jammern, vermutlich, weil es nun wenigstens nicht mehr auf sie regnete.

„Chigaru, was hast du hier geraucht?!“

Er antwortete nicht sofort, sondern wühlte gemütlich in seinem Lager herum, zog verschiedene Tücher und Felle hervor, begutachtete sie gründlich und legte sie wieder bei Seite, weil irgendetwas mit ihnen nicht stimmte. Die Frau schüttelte den Kopf.

„Und vor allen Dingen... wie viel?“

Das Baby leicht vor sich hin wiegend sah sie sich etwas um – das war zwar nicht höflich, aber ihr seltsamer Gastgeber würde es vermutlich ohnehin nicht bemerken.

Es gab alles, was man gebrauchen konnte in schönster Ausführung. Ein vermutlich extrem gemütliches Lager, das er gerade sorgfältig auseinander nahm, eine gut gebaute Feuerstelle, eine Vorratsgrube, sogar einen Tisch und einen Stuhl, die er sich wahrscheinlich selbst gebaut hatte, denn mit Holz war er begabt – damit arbeitete er auch beruflich.

Beinahe erschrocken fuhr sie zu ihm herum, als er ihr nach einer Ewigkeit doch noch antwortete.

„Kräuter aus... Zerits Garten. In speziell getrocknete Blätter gedreht... auch von Zerit. Seit Ewigkeiten schon. Diese... ganze... dämliche... Aufmerksamkeit, sie... macht mich krank.“, er hob das Fell, das er begutachtet hatte, beinahe triumphierend hoch, auch wenn sein glasiger Blick aus den schmalen Augen nicht unbedingt von Stolz sprach.

„Mein bestes Fell... ich... nehme an, es ist das... das Kind der Herrin?“

Sie nahm das in der Tat ausgezeichnet verarbeitete Fell entgegen, befreite das jammernde Baby von dem nassen und kuschelte es rasch in das neue, trockene. Dabei seufzte sie.

„Ich kann nicht darüber reden.“

Er grinste kurz.

„Natürlich... natürlich ist es das. Man... sieht es doch.“

Mit zitternder Hand strich er dem kleinen Mädchen über den Kopf, dann fuhr er sich selbst durch sein Gesicht.

„Verzeihung, dass ich so... komisch bin. Ich hoffe... ich konnte irgendwie helfen... und habe mich da-damit nicht schon... wieder in irgendeine... komische Situation gebracht.“

Er drehte dich um und taumelte zu seinem Lager, das er achtlos wieder zusammenwarf und sich dann selbst darauf fallen ließ.

„Soll bloß keiner... irgendwie auf die Idee kommen, dass... dass ich auch Kinder hüten könnte... oder so.“

Sie schüttelte matt lächelnd den Kopf. Natürlich wusste sie von der Verantwortung, die man ihm mit einem Mal auferlegt hatte, bloß weil er im falschen Moment am falschen Ort die falschen Worte gesprochen hatte. Ihr war klar, dass ihm das nicht gefiel... und es tat ihr leid, dass es ihn so mitnahm. So verbeugte sie sich leicht, soweit es möglich war.

„Sei unbesorgt. Vielen Dank für deine Hilfe.“

Damit verabschiedete sie sich und brachte das Baby endgültig zu seiner vermeintlich neuen Familie.
 

„Dann hat sie das Kind tatsächlich weg gegeben? Bewundernswert, meine Schwester – auch wenn sie einst prophezeit hat, sie würde Shirans Tochter das Leben nicht gewähren, aber wäre sie dazu imstande gewesen, hätte ich auch ernsthaft an ihr gezweifelt.“

Mahrran saß auf seinem Lager und bekam gerade von Kili etwas Tee gebracht. Normalerweise war sie es, die bedient wurde, aber angesichts der schweren Krankheit ihres Mannes hatte sie sich was das betraf sehr kooperativ gezeigt.

Tatsächlich hatte er es irgendwie geschafft, zu überleben. Es hatte wirklich lange gedauert, bis er wieder einigermaßen stabil gewesen war und auch heute schaffte er nur wenige Schritte, ohne von einer zähen Erschöpfung niedergestreckt zu werden. Es gefiel ihm nicht, so viel Zeit zu vergeuden – besser war da schon, dass seine Schwester nun ihre Belastung los war und bald wieder die Politik würde regeln können; dieser Chigaru missfiel ihm immer mehr.

Er nahm den Tee von Kili an, ihr dankend, und sie setzte sich an seine Seite, als Mabalysca, die auf einem Schemel neben seinem Lager saß, unglücklich seufzte.

„Ich finde das schrecklich. Es ist so ein hübsches Baby gewesen, mit ganz dicken Bäckchen, ein ganz pummeliges, gut geratenes, da wären viele Frauen neidisch geworden.“

Sie im übrigen auch, mangels Kajira – wie sah der gleich noch einmal aus? – würde sie niemals ein Kind haben können. Ach Kajira...

„Du musst das verstehen.“, bat ihr Bruder sie da, einen Arm um seine ihrerseits ebenfalls hochschwangere Frau legend, „Nadeshda ist sehr wichtig für das Dorf, besonders in dieser Zeit. Sie darf nicht noch mehr vor dem Volk in Ungnaden fallen als ohnehin schon – sie hat sehr lobenswert gehandelt. Auch wenn ich selbst kein Problem mit meiner Nichte gehabt hätte, im übrigen.“

Er lächelte müde und strich seiner kleinen Schwester kurz über den Kopf.

„Wie geht es ihr denn?“

Mabalysca war zu unzufrieden mit der ganzen Situation, als dass sie zu ihm hätte aufsehen können.

„Ich habe ihr eben beim Waschen geholfen. Jetzt schläft sie.“
 

Sie schlief nicht. Die ganze Nacht nicht.

Alaji war nicht zurückgekommen, vielleicht hatte sie ausnahmsweise einmal wieder zuhause übernachtet, um ihr etwas Ruhe zu gönnen, an sich war es der jungen Frau jedoch auch gleich.

Ihrem eigenen leisen Atem lauschend lag sie auf dem Rücken und starrte in die Finsternis. Ihr Unterleib schmerzte... bedächtig, etwas zitternd, legte sie ihre Hand auf ihren Bauch. Er war etwas geschwollen... und sowieso nicht mehr so flach wie zuvor, denn in den vorangegangenen Monden hatte sie es tatsächlich geschafft, etwas zuzunehmen, aber er war leer. Nichts regte sich mehr... sie war wieder allein.

Sie erschauderte unter dieser Gewissheit, ohne sich weiter zu rühren. Ihre Brüste schmerzten auch... laut Alaji war das Bisschen, das die Götter ihr gegeben hatten, tatsächlich ganz wunderbar darin, gute Milch zu produzieren, mit der man auch locker zwei Kinder satt bekommen hätte.

Aber sie hatte überhaupt keines.

Zischend fuhr sie sich mit den Händen durch ihr Gesicht und schalt sich eine Närrin. Sie hatte alles richtig gemacht... sie sollte zufrieden sein. Sie brauchte keine Kinder, sie hatte nie welche gebraucht – und sie war ja wohl wirklich mehr als gnädig mit Shirans Balg gewesen!

Sie dachte an jenen stürmischen Tag, als er sie in jener Höhle geschwängert hatte... Nocasi war ein Wunder. Nicht nur, weil der Seher mit nur sehr begrenzt vorhandener Potenz gestraft war, dass sie schwanger geworden war, war wahrlich beinahe noch unwahrscheinlicher gewesen als sein Erfolg.

Ewige Jahre lang war sie davon überzeugt gewesen, unfruchtbar zu sein. Sie hatte keine Blutung bekommen, wie andere Frauen sie drei Mal im Mond bekamen – was ihren Eltern im übrigen egal gewesen war; mit genügend Willen war laut ihnen alles möglich gewesen. Eigentlich hatte Nadeshda sich niemals darüber gewundert, sie war es gewohnt gewesen, immer nur halb da zu sein, sie war nun einmal eine Missgeburt gewesen, auch wenn es sie schon sehr gestört hatte, als Mabalysca kurz nach ihrem zwölften Jahrestag geblutet hatte. Zu ihrer großen Überraschung war es bei ihr dann einen Mond später plötzlich doch noch dazu gekommen, aber es war nur so wenig gewesen und in den folgenden Mondzyklen so selten, dass sie auch in der Zeit danach nicht damit gerechnet hatte, eine ganze Frau zu sein – Nocasi hatte ihr das Gegenteil bewiesen. Sie war eine Frau, sie konnte Leben empfangen und austragen, sie konnte es gebären und ernähren... konnte.

Schwer atmend schloss sie die Augen und lernte unmittelbar darauf, dass das ein Fehler gewesen war, als die Götter ihr sofort die Bilder vom vergangenen Nachmittag zeigten... das kleine Köpfchen mit dem lichten, violetten Haar, der kleine, nackte Körper, der sich zitternd an sie geschmiegt hatte... weil sie seine Mutter war. Nur sie war Nocasis Mama.

Mama.

Sie setzte sich auf, den Schmerz ignorierend und die Hände vor das Gesicht schlagend.

Das Dorf, sie musste sich um das Dorf kümmern. Sie hatte alles richtig gemacht. Man würde ihren Schritt respektieren und bald würde sie die Macht zurück haben und ihr Volk in die letzte Schlacht führen, die unweigerlich in ihrem Sieg enden würde. Alles würde gut werden.

Das sagte ihr Verstand, aber ihr Herz, das sich ersterem sonst immerzu loyal gezeigt hatte, widersprach. Und die Götter schwiegen, als sie nachgab und zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren heftig zu weinen begann.

„Ich will mein Baby haben!“, jammerte sie in die Dunkelheit, ohne davon auszugehen, dass ihr jemand antworten würde, geschweige denn, dass ihr jemand den Wunsch erfüllte, „Ich will es zurück haben, ich... kann nicht ohne es leben, ich will es wieder haben, verdammt...“

Sie schluchzte heftig.

„Warum tut ihr mir das an?“
 

„Was tust du da? Du musst dich doch noch ausruhen!“

„Mabalysca hat völlig recht, was immer du vorhast, ich halte es nicht für gut...“

Mahrran und seine jüngste Schwester warfen sich einen irritierten Blick zu. Es war noch früh am Morgen, Mabalysca war noch im Nachtkleid und er hatte sich ebenfalls gerade erst aus seinem Lager gequält, damit er es nicht verlernte, wenigstens ein wenig mobil zu sein, bis die Götter ihm endlich wieder seinen Atem zurück gegeben hatten – er hoffte inständig, dass das bald der Fall war, er hatte es satt, so schwach zu sein.

Nadeshda schnaubte nur und band sich etwas schwerfällig ihre Sandalen, auf der Bank im Kochzimmer sitzend, wo Rayada nur kopfschüttelnd neben ihr saß, sich aber nicht wagte, sich einzumischen.

„Ich möchte bloß etwas an die frische Luft.“

„Aber dann nimm doch jemanden mit, du hast doch gestern erst entbunden, du solltest eigentlich noch in deinem Lager liegen... du wirkst völlig übernächtigt, Nadi.“

Und absolut schwächlich obendrein. Sie konnte sich kaum bücken, um ihr Schuhwerk richtig anzuziehen, vermutlich wegen der Schmerzen (als Mann wusste er das nicht so genau) und wie sie in ihr Kleid gekommen war, war ihm auch ein Rätsel, wenn man auf ihre zitternden Hände achtete. Ihr Gesicht war fahl und ihre Augen dunkel unterlaufen; sie wirkte absolut ungesund. Er hoffte bloß, dass Alaji bald zurück kam und sich um sie kümmerte...

Eigentlich hatte er sich ja von ihr lösen wollen, seiner älteren Schwester, aber mittlerweile hatte er genügend Distanz zu der ganzen Sache, dass er das als nicht mehr nötig ansah. Eigentlich war er schon seit Jahren sehr selbstständig, ohne, dass sie etwas davon wusste... es war belanglos, sie war seine Zwillingsschwester und sie war seiner Meinung, dass es an der Zeit war, ihren Streit beizulegen und zusammen zu arbeiten, denn darin waren sie geübt und gut. Er sorgte sich ehrlich um sie...

„Das bin ich auch.“, gab sie dann zu und erhob sich wankend und mit zitternden Knien, „Ich möchte frische Luft. Und ich möchte allein sein.“

Mit diesen Worten schritt sie langsam aus dem Kochzimmer und schließlich aus dem Haus. Einen Moment dachte Mahrran daran, ihr Rayada nachzuschicken, doch das hätte sie zweifelsohne bemerkt und vermutlich ein böses Ende genommen. So bat er die Götter bloß stumm, ihre Tochter zu beschützen.
 

Vor dem Haus begegnete ihr Alaji, die sie vollkommen entsetzt anstarrte, als Nadeshda ihr entgegen kam.

„Was... um Himmels Willen, bei allen Göttern, was machst du da?! Du bist doch noch völlig erschöpft, leg dich in dein Lager, verdammt!“

Sie wirkte tatsächlich etwas erbost... vermutlich hatte sie auch recht damit – wie mit so vielem. Aber sie hatte doch etwas zu erledigen... und sie spürte, dass ihre Götter ihr beistanden dabei.

„Ich möchte mir nur kurz die Beine vertreten.“, versuchte sie so, ihre beste Freundin abzuwimmeln und ging einfach weiter. Die Heilerin schnaubte empört und hielt sie am Oberarm fest.

„Nun ist aber gut, Beine vertreten, doch nicht ein paar Stunden, nachdem du ein Baby auf die Welt gebracht hast, bei einer derart anstrengenden Geburt! Du wirst zusammenbrechen, du bist völlig erschöpft, das schafft dein Körper nicht – tu dir das doch nicht an.“

Nadeshda riss sich los und ging ohne sich noch einmal umzusehen weiter bergab. Ja, sie wusste, dass sie recht hatte, aber es ging nicht anders...

„Mache dir keine Sorgen... das brauchst du wirklich nicht. Und wage nicht, mir zu folgen.“
 

Sie merkte selbst, dass sie schwach war. Ihr Bauch schmerzte noch immer und ihre Beine trugen sie kaum, doch sie beachtete es nicht, sondern konzentrierte sich vollkommen auf ihre Instinkte, die sie mit sicheren Schritten durch das Dorf führten – zumindest sicher im Bezug auf die Richtung, in die sie ging.

Es war ein schöner, klarer Morgen; die Sonne erhob sich gerade erst aus ihrem Lager im weiten Ozean und kaum jemand begegnete ihr; und wenn doch, dann grüßte er sie höflich und sie erwiderte es mit einem Nicken, die verblüfften, neugierigen Blicke, die darauf folgten, ignorierend.

Dass sie sich schlecht dabei fühlte lag letztendlich weniger an ihrem physischen als an ihrem psychischen Befinden, denn sie hatte das Gefühl, bewusst einen großen Fehler zu begehen. Ihr Verstand sträubte sich mit aller Macht gegen das, was ihr Geist ihr sagte, was sie tun musste und das tat ihr weh und machte sie mehr und mehr schwindelig, je länger sie ging und je mehr sie darüber nachdachte – vielleicht war es doch die Schwäche.

Seufzend lehnte sie sich gegen eine Hauswand und zuckte zusammen, als sich die Tür neben ihr öffnete und sie ein nur all zu bekanntes Gesicht mit hochgezogenen Brauen ansah.

„Die Götter lenken mich zielstrebig in Schwierigkeiten.“, war dann Chigaru Tamassys Begrüßung und sie schnaubte, nicht wissend, dass er am Abend zuvor bereits Alaji zu Hilfe gekommen war. Er wirkte ebenfalls etwas ermüdet und zitterte genau so wie sie, als sie sich einen Moment lang stumm ansahen.

Dieser Mann war sehr intelligent, auch wenn sie es nur ungern zugab. Und er regelte die Politik gut – wenn auch nicht mehr lang, sie würde ihre Macht zurück gewinnen; er hatte sie ja nicht einmal haben wollen, wenn ihre Götter sie da richtig unterrichtet hatten. Wie auch immer, dafür hatte sie nun keinen Kopf... sie zuckte heftig zusammen, als er ihr eine seiner zitternden Hände auf die Schulter legte.

„Ihr sucht Euer Kind... es ist bei der Mutter von Zerits Frau. Ich bringe euch hin, Herrin. Falls ihr erlaubt.“

Es war ihr zuwider, zu nicken, aber sie tat es dennoch, und als sie es wagte, ihm in sein Gesicht zu sehen, errötete sie. Sie würde sie ihm heimzahlen, seine unterschwellige Demütigung...
 

Mittels Teleport stand sie einen Augenblick später gemeinsam mit dem seltsamen Mann aus dem Dorf vor dem kleinen Haus, in dem sich ihre Tochter Nocasi nun befand. Sie erschauderte – sollte sie wirklich hinein gehen? Deprimiert erinnerte sie sich an ihre Verzweiflung der vergangenen Nacht... sie war so schwach. Sie warf ihr Leben fort für ein Kind, das ausgerechnet Shiran ihr untergejubelt hatte... und das als Tankana. Aber sie konnte nicht anders... wenn sie ihr Baby nicht zurück bekam, hätte es sie wahnsinnig gemacht.

Chigaru kramte unterdessen eine seltsame Zigarette aus einer in seine Hose eingenähte Tasche und zündete sie sich mittels Feuermagie an.

„Ich warte hier. Ich... habe heute nicht viel zu tun.“

Vermutlich meinte er damit, dass er sie auch wieder zurückbrachte... sie nickte, dann überwand sie sich und trat einfach ein – ohne zu klopfen, sie war die Herrin und zumindest etwas Würde wollte sie sich bewahren.

Das Haus hatte zwei Räume. Im vorderen traf sie auf den rothaarigen Mann, Zerits Schwiegervater, wenn man so wollte, der sie erschrocken anstarrte und sich dann hastig vor ihr verneigte, nicht mehr tragend als seine Unterwäsche, denn es war noch immer früh am Morgen. Sie seufzte.
 

Rayada dachte sich, sie hätte ihrer Herrin doch folgen sollen, denn alle Wut, die sie daraufhin auf sie gehabt hätte, wäre nicht so ätzend gewesen wie die Person, mit der sie nun sprechen musste. Das verdiente sie doch nicht – als sie auf ein Klopfen hin die Tür geöffnet hatte, hatte sie der Natter gegenübergestanden, die sie nun falsch anlächelte, die Hände über ihrem runden Bauch gefaltet.

„Wie schön, dich zu sehen.“, zwitscherte sie fröhlich und Rayada hob nur missmutig eine Braue und überlegte sich, dass sie das selbst mit noch so viel gutem Willen nicht ernst meinen konnte, denn in ihrer Kindheit hatte sie sie jedes Mal verprügelt, wenn sie ihr begegnet war. Sie konnte solche falschen Schlangen nicht ausstehen...

„Guten Morgen, Iavenya.“, erwiderte sie dennoch gezwungen neutral und fragte sich einen kurzen Moment, ob es in diesem Dorf wohl nur eine einzige Person gab, die es ihr ernsthaft übel nehmen würde, wenn sie sie einfach wie gehabt weiter verprügelte in jenem Moment – dann dachte sie an das unschuldige Kind unter ihrem Herzen und unterließ es; wobei diese Frau das Arme ohnehin verziehen würde.

„Ich wollte unseren Herrn Mahrran besuchen.“, erklärte die Natter unterdessen noch immer gut gelaunt und Rayada lehnte sich gegen den Türrahmen und musterte sie kurz, ehe sie sich zu einem kalten Lächeln herabließ.

„Ich nahm an, im Dorf wüsste man von seiner schweren Krankheit.“, war ihre Antwort und sie hoffte, dass das reichte, um das miese Stück wieder zu vertreiben, was auch immer es nun wirklich dazu veranlasst hatte, den anstrengenden Weg in seinem Zustand auf sich zu nehmen.

Iavenya, die scheinbar langsam auch genug von ihrer aufgesetzten guten Miene hatte, biss sich kurz auf die Unterlippe, dann blinzelte sie auffällig und lächelte weiter, den Blick etwas abwendend.

„Ich nahm an, in diesem Hause genest man gut. Ich meine... hier geht es einem doch allgemein gut, nicht? Sieh dich an...“

Rayada zog bloß abermals eine Braue hoch. Und aus diesem Grund verabscheute sie diese Frau. Sie war immer schon so gewesen, auf eine in fröhliche Worte gepackte, aber unglaublich direkte gemeine Art einfach bösartig. Die Haushälterin selbst war die meiste Zeit ihres Lebens etwas mollig gewesen, auch ohne viel zu essen, und das war der giftigen Zunge der Natter ein gefundenes Fressen gewesen... sie hatte sich ihre Abreibung immerzu verdient, oh ja. Aber dass ihr nach all den Jahren nichts neues einfiel, sprach für sich...

„Deine Kreativität lässt zu wünschen übrig, Iavenya. Ja, ich lebe hier sehr, sehr gut und wenn man es mir noch so sehr ansieht, sei es drum, ich würde um nichts auf der Welt tauschen wollen – und ich glaube, das weißt du auch. Bist du neidisch auf mich?“

Sie grinste. Wenn sie etwas über die Natter wusste, außer, dass sie einen extrem widerlichen Charakter hatte, dann, dass sie auch eine sehr begabte Magierin war und dass sie vermutlich wirklich genau wusste, dass ihr Gegenüber nicht log. Das zog dann scheinbar wirklich und die Schwangerer verdrehte die Augen und seufzte einmal tief.

„Hör mal.“, begann sie da scheinbar vernünftig, „Es geht dich zwar nichts an, aber da du mich sonst anscheinend nicht vorbei lässt... Die Götter sprachen davon, dass der Herr langsam damit beginnt, sich Gedanken über den nächsten Angriff zu machen. Mir ist allerdings leider ein Fehler bei einer meiner Karten unterlaufen und das würde seine Planung möglicherweise stark beeinflussen, also bin ich gekommen, um ihn darüber aufzuklären, damit die nächste Schlacht auch die letzte Schlacht wird – mit dem Sieg auf unserer Seite.“
 

Alaji verkniff sich jeglichen Kommentar, dennoch fühlte sie sich wie eine Siegerin. Und Mabalysca, die schweigend neben ihr saß und ihrem Blick folgte, ging es vermutlich ähnlich – Nadeshda war tatsächlich über ihren Schatten gesprungen und hatte sich ihr Kind zurückgeholt.

Es musste ihr sehr unangenehm sein – zudem warf es ihre ganze sorgfältige Planung über das zukünftige Vorgehen über den Haufen. Nicht nur, dass sie als alleinerziehende Mutter die Missgunst ihres Volkes auf sich ziehen konnte, mit einem Säugling war sie auch gewissermaßen angebunden; sie hatte Verpflichtungen, die es irgendwie mit den Verpflichtungen gegenüber dem Dorf zu kombinieren galt. Die Heilerin verstand ihre Motive, weshalb ihre beste Freundin sich zunächst des Kindes hatte entledigen wollen und sie schwor sich, ihr beizustehen, wo sie nur konnte. Es würde mit Sicherheit nicht leicht werden.

„Mache ich das so richtig?“, erkundigte Nadeshda sich da gedämpft, mit leicht geröteten Wangen ihre Tochter anblickend, die sie gerade zum ersten Mal in ihrem Leben stillte. Sie saßen einfach in ihrem Zimmer und schwiegen und jeder dachte sich seines... und die junge Mutter wollte alles richtig machen.

„Ja, genau so. Wenn du sie das nächste Mal fütterst, denke daran, die Brust zu wechseln. Immer abwechselnd, ganz wichtig.“

Alaji lächelte und Mabalysca tat es ihr gleich. Nadeshda nickte. Dann seufzte sie.

„Dieses Mädchen...“, begann sie dann beinahe vorsichtig; scheinbar schämte sie sich ihrer Schwäche tatsächlich, „Es sieht aus wie Shiran. Ist ja fürchterlich.“

Ihre Schwester kicherte darauf und sah zu ihr auf; während die Herrin es sich auf ihrem Lager bequem gemacht hatte, saß Alaji auf dem Schemel und Mabalysca einfach daneben am Boden; damit hatte sie trotz ihres Nachnamens keinerlei Probleme.

„Aber trotz allem ist Shiran doch ein schöner Mann, freu dich doch!“

„Schon...“, erwiderte die Ältere, ohne den Blick von dem friedlichen kleinen Gesicht ihrer Tochter zu heben, „Aber am Ende bekommt sie sein Gebiss...“

Daraufhin lachte auch die Heilerin und Nadeshda sah schnaubend auf.

„Ich finde das jetzt gar nicht mal so lustig.“
 

Am späteren Nachmittag hatten sich die beiden Besucherinnen auf ins Dorf gemacht, um etwas Kleidung für das kleine Mädchen zu besorgen. Die junge Mutter war ihnen dankbar – nicht nur für ihre Hilfe, sondern auch für die Ruhe, die sie ihr so gönnten.

Sie hatte es tatsächlich getan... Nocasi zu sich zurück genommen, sich dazu bereit erklärt, für das Kind zu sorgen, ihm eine Mutter zu sein. Und einmal ganz davon abgesehen, dass sie keinen blassen Schimmer hatte, wie es nun in nächster Zeit vorzugehen galt, ärgerte sie sich extrem darüber, dass der Seher weit entfernt nun vermutlich über sie lachte. Ja... er hatte gewonnen. Zumindest halb, geheiratet hatten sie offensichtlich nicht.

Aber sie hatte seine Tochter... und verdammt, sie liebte sie über alles, so sehr, dass es beinahe schmerzte. Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste sie mit Sicherheit, dass es Liebe war, was sie für dieses kleine Wesen empfand – es war ein ganz besonderer Zauber.

Irgendwann jedoch war das kleine Mädchen müde geworden und sie hatte es in seinen geflochtenen Korb gelegt, wo es in Ruhe schlafen konnte. Sie selbst war leisen Schrittes ins Kochzimmer gegangen, wo sie dann Kili und Rayada vorfand – würde Nocasi erwachen, würde sie sie hören. Nadeshda trieb die Neugierde, denn wie ihre Götter ihr verrieten, hatte ihr Bruder schon eine ganze Weile wichtigen Besuch; von wem und weshalb erschloss sich ihr jedoch nicht. Vielleicht wusste die Haushälterin ja etwas.

Sie stapelte gerade überraschend schlecht gelaunt Feuerholz, als ihre Herrin den Raum betrat. Die Menschenfrau ihrerseits saß mit einer Schale Tee auf der Sitzbank und ihre Miene sprach ebenfalls nicht von Begeisterung – Nadeshda fühlte sich in dem schlechten Gefühl, das ihre Götter ihr sandten, bestätigt.

„Wer ist da bei Mahrran?“

Sie hatte keine Lust, lange um den heißen Brei herum zu reden, und Rayada erhob sich schnaubend.

„Die Natter hat sich die Ehre gegeben. Warum, wissen nur die Aasgeier in der Savanne.“

Es wunderte sie nicht ernsthaft, dass die Haushälterin nicht sonderlich gut auf die zwielichtige Frau aus dem Dorf zu sprechen war; das war eigentlich niemand, höchstens Shiran, aber der war auch seltsam. Kili erschauderte.

„Slechte... Frau... ist das. Mag nicht... soll... wieder weg.“

Wenn selbst die es bemerkte... Nadeshda schüttelte seufzend den Kopf. Ihr Bruder würde sie schon noch darüber unterrichten. So griff sie nach einer Kanne und einer Schale und goss sich ebenfalls Tee ein...
 

Nocasi weinte. Nein, sie schrie. Sie schrie anders als am Tag zuvor, als sie geboren worden war und auch anders, als sie geschrien hatte, als sie vor kurzem in ihre Windeln gemacht hatte. Sie war ein Säugling, noch ganz klein, und dennoch überkam ihre Mutter das Gefühl, dass in ihrer doch eigentlich so zarten Stimme Panik mitschwang – und diese griff innerhalb eines Atemzuges so stark auf sie über, dass sie die Teeschale auf der Stelle auf dem Boden zerschellen ließ und in ihr Zimmer hastete.

Und sie wusste, weshalb ihre Götter warnend zischten, als sie ihr Baby in den Armen einer Person wieder fand, die ganz sicherlich nicht dazu privilegiert war, das Kind zu halten.

„Was tust du da?!“, fuhr sie Iavenya an, die sie fröhlich anlächelte, dabei die kleine Nocasi haltend. Unterdessen öffnete sich die Eingangstür des Hauses und aus der Küche hörte man laute Stimmen und dann aufgeregtes Geschrei; Nadeshda registrierte es nur am Rande.

„Es hat begonnen.“

Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht der Natter und ihre Stimme wurde so eisig, dass die Kleinere eine Gänsehaut überkam und ihre zittrigen Knie sie unschön an die Strapazen des vergangenen Tages zu erinnern begannen.

„Wovon... wovon redest du?!“, die Götter zischten unangenehm in ihrem Kopf, tausende Stimmen, die sie versuchten, wahnsinnig zu machen, als sie die Arme nach ihrer Tochter ausstreckte, „Gib mir mein Baby zurück!“

Iavenya legte bloß ihren Kopf leicht schief, ihr Gegenüber aus den schmalen, gelben Augen eine Weile musternd. Dann lächelte sie.

„Wie klein und armselig du bist, Nadeshda... und dir gehört das Erbe? Dass ich nicht lache. Das verdienst du nicht. Genau so wenig wie ein Kind von Shiran...“

Die Kleinere hob zitternd die Brauen. Erbe? Etwas sagte ihr, dass sie ihren Stand als Tankana ansprach – aber was wunderte sie sich darüber, es war doch ihr recht!

„Als... Tochter meiner abscheulichen Eltern steht mir die Herrschaft über das Dorf zu... mir und Mahrran. Was zweifelst du daran, Natter?!“

Ihr Gegenüber lachte kalt, das panisch schreiende Kind nur weiter an sich drückend.

„Ich zweifle nicht daran, dass du eine Erbin dieser Familie bist. Ich zweifle nur daran, dass du eine geeignete Erbin bist... du bist so klein und schwach, Nadi. Ich habe dir einiges voraus, im übrigen sogar ein männliches Kind.“

„Und warum bildest du dir ein, das würde dir irgendetwas nützen?!“, fauchte die Kleinere darauf empört und hätte sie am liebsten mit etwas Himmelsmagie zerstückelt – wenn ihr geschwächter Körper ihr denn gehorcht hätte. Sie war noch zu schwach... und die Götter sprachen unheilvoll, als die empörten Stimmen aus dem Kochzimmer verhallt waren.

Iavenya seufzte theatralisch.

„Sieh mich an. Sieh mich genau an... ich habe volles Haar, nicht wahr? Wie du. Ich habe eine leider ziemlich garstige Stimme... wie du. Sieh dir meine Augen an... sind es nicht deine?“, sie ließ einen Schwall Lichtmagie in einer ihrer Hände erscheinen, während sie den Säugling noch immer in der anderen hielt, „Ich bin größer und gesünder als du... weil unser Vater und meine Mutter nicht verwandt waren. Mein Glück. Und mein Anspruch auf mein Erbe... das du mir stiehlst, bloß weil du den... netteren Nachnamen hast, Nadeshda!“

Sie grinste sie verzerrt an, als sie die tödliche Magie langsam immer näher an das Köpfchen des vollkommen panischen Babys führte und dessen Mutter sie kurz nur entgeistert anstarrte.

„... was?!“

Dann ging alles ganz schnell. Was auch immer ihr die Götter in ihrer Vergangenheit vorenthalten haben mochten, nun war es belanglos; wichtig war Nocasi. Ihre eigene Schwäche ignorierend preschte sie nach vorn und ließ kurzzeitig einen gefährlichen Wasserwirbel zwischen ihren Handflächen entstehen; nur einen Moment, dann stolperte sie und ließ die Magie erlöschen, weil jemand sie an ihren zusammengebundenen Haaren gepackt hatte. Als sie sich kurz umsah, erblickte sie Irlak... diesen wahnsinnigen Menschenfresser. Panisch rappelte sie sich wieder auf und versuchte sich zu befreien, doch der Mann lachte nur und die Natter schenkte ihm in ihrem eigenen offensichtlichen Wahnsinn ein abstrus liebevolles Lächeln, als sie den mächtigen Lichtzauber unmittelbar vor dem winzigen Gesicht des kleinen Mädchens konzentriert hatte.

Nein. Meine Tochter gebe ich dir nicht. Genau so wenig wie meine Macht... Schwester.

In manchen Situationen galt es, Prioritäten zu setzen, besonders als Dorfoberhaupt. Nadeshda registrierte nicht wirklich, wie sie einen ihrer Arme hob und mit einem gezielten Schlag Wassermagie ihr langes Haar beinahe direkt an ihrem Kopf abtrennte, ebenso wenig, dass Iavenya aus irgendwelchen Gründen davor zögerte, das kleine Mädchen zu töten. Es war ihr Augenblick... da ihre Kraft für eine Dematerialisierung nicht ausreichte, überwand sie die Entfernung mit ihren wackeligen Beinen – und niemals zuvor hatten ihre schlechten Knie sie so schnell von einem Ort zum anderen befördert. Ohne weiter darüber nachzudenken, ob sie sich selbst womöglich an dem gleißenden Zauber ihrer Kontrahentin verletzen konnte, riss sie ihr ihre Tochter aus den Armen und schleuderte sie mit einem Schwall Wasser auf ihr eigenes Lager, wo sie schreiend landete. Irlak, der etwas dümmlich mit Nadeshdas Haaren in der Hand im Raum herum stand, starrte entsetzt zu seiner Frau, die sich sofort darauf empört wieder aufrappelte – und unter dem Blick ihrer Halbschwester zusammenzuckte.

„Ermesse meine Macht nicht an diesem elendigen kleinen Körper, den das Schicksal mir geschenkt hat, Iavenya, ich bin und bleibe eine Göttin des Wassermondes und glaube mir, ich werde deine Seele zerfetzen, wenn du nicht auf der Stelle verschwindest. Wage es niemals wieder, meine Tochter auch nur anzusehen.“

Nadeshdas Augen leuchteten unnatürlich und ein jedes Kind des Wassermondes – einschließlich Iavenya und auch Irlak – waren in diesem Augenblick gezwungen, sich ihrem Willen zu beugen. Die schwarzhaarige Frau erhob sich dank ihres Umstandes mühsam von dem Lager und schritt langsam an die Seite ihres Mannes, der nun endlich die einstige Haarpracht seiner Herrin zu Boden gleiten ließ.

„Für den Moment bist du uns los.“, stellte die Natter dann mit eisiger Miene klar, „Aber denke nicht, dass das so bleibt. Irgendwann bekomme ich dich, Schwester... und ich gestehe an dieser Stelle, dass ich mich wissentlich über die Götter meines Geburtsmondes stelle.“

Dann drehte sie sich um und ging, Irlak folgte ihr, einen verunsicherten Blick zurück werfend.
 

Nocasi verstummte, als ihre Mutter zusammenbrach, es nur mühsam schaffte, am Boden sitzen zu bleiben und nicht gänzlich ihr Bewusstsein zu verlieren. Draußen erklangen bekannte Stimmen.
 

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Hey, hier fängt die Story an XD



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Linchan
2011-12-06T09:21:14+00:00 06.12.2011 10:21
uuh, zeitsprung o.o Baby! die arme Nadi... ^^' Ich finde, du hast die Geburtsszene gut gelöst^^ wir beid ehaben zu viele davon durchgemacht als dass wir Bock drauf hätten das ausführlich zu schreiben, und ich finde es auch sehr angenehm zu lesen so xD es war alles wichtige drin und dadurch, dass Nadi dann kurz zet sagt, spart man sich das lästige Hinterher-Geblah, findet gut <33

Ein herz für Alaji! óo Rette das niedliche Baby! Wie kann man sowas süßes töten wollen? .///////. ein Kleines, das eeeh sagt óò Süß, wie Nadi es hält und dann herz denkt...

XDDDDDDDDD Kiff-Chigaru!! XDD ahahaha... wie geil, wie er so lallt XDDD Alaji ist süß, sie herzt das Kleine an! <3 Ich finde es btw gut so, dass Nadi eben nicht wie erwartet auf die Instinkte als Mama reingefallen ist, das wäre einfach... zu leicht gewesen^^ und überleben sollte Nocasi ja, also war das so eine gute Lösung^^
Oh mein Gott, ist Chigaru süß .//////. er ist so lieb, ich meine, wie er das Baby streichelt und extra das Fell sucht óo er wäre sicher ein liebevoller Vater! óo

Bin ja gespannt wo Alaji die Kleine hinbringt oô haha und aaaw, Mabalysca ist süß <3

> Sie im übrigen auch, mangels Kajira – wie sah der gleich noch einmal aus? – würde sie niemals ein Kind haben können. Ach Kajira...
XDDDDDDD lool...

Oh? óo Die szene mit Nadi, die alleine im Bett liegt, fand ich rührend... wie sie an das Kleine denkt und es haben will, dieses, der Bauch ist leer, und so, das war total niedlich, irgendwie traurig aber auch eeh... óo mochte sehr!

Haha aaw, da ist ja noch mehr Chigaru xDDD lol, alle landen zufällig vor seiner haustür xD und er hat jetzt nen Tatter weil er Kiffentzug hat, oder was, hahaha? xD ach lol, ich steh auf ihn XD Nadi ist toll dieses kapi óo ich meine, sie war auch vorher toll xD aber gerade herze ich sie irgendwie sehr, sie ist irgendwie echt arm óo
Ah, das Baby ist zu Sundris Eltern gekommen ^/////^ süß, da wurde es sicher lieb behandelt, hofft? <3

Lol, Rayada! xD Cool, dass sie eine Szene kriegt XD und die Natter ist irgendwie rulig. xD Darf ich bei der Erwähnung ihres Babys gerade mal dumm grinsen weil... ja? XDDD und öh, LOL, Rayada hat die Natter als Kind verprügelt? o,o XDDDD was die Natter wohl vorhat mit der Karte jetzt? o_o *wartet gespannt*

LOOL, Nadi sorgt sich ob das Kind Shirans geile Zähne kriegt xDDD hahaha süüüß <333

> Es wunderte sie nicht ernsthaft, dass die Haushälterin nicht sonderlich gut auf die zwielichtige Frau aus dem Dorf zu sprechen war; das war eigentlich niemand, höchstens Shiran, aber der war auch seltsam.
...lol. XDDD *kichert*

.....okay, Moment! o.O die Natter.... die Natter und Nadi haben denselben Vater o___O wtf! XDDDD omg, die Szene ist jetzt gerade spannend, das arme Baby, ich habe Angst um das Baby! q____q und was geht überhaupt ab und... wtf! o.O *hibbel*
Boah! o___O das Ende war SO poser, es war cool und echt spannend! o.o muahaha, mochte DOLL!!!! *////////////////* aaah! o.o *rennt schreiend im Kreis weil hyper*


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