Mit Würde
…
…
Krach!
…
Endlich…
Die bedrückende…einsame Stille wird unterbrochen…
Regungslos bleibt Uruha in der Zimmermitte stehen…Er hat die ganze Zeit gewartet…Mitten ins Zimmer hat er sich gestellt…und gewartet…gewartet bis er endlich kommt…bis er endlich…sterben wird.
Schritte…Er kommt…näher…und näher.
Der Tod…kommt…näher…und näher.
…aber er ist darauf vorbereitet…darauf vorbereitet zu sterben. Er will sterben.
Es ist an der Zeit.
Es ist an der Zeit zu gehen.
Zeit…zu sterben.
Endlich.
Die Schritte verstummen…Der erwartende Gast betritt das Zimmer…Er schaut erst auf Uruha…und dann auf die Leiche an der Wand…
Der Blonde schämt sich etwas…das Blut seines Geliebten auf seinem Gesicht…und auf seinem Körper zu spüren…aber…es muss realistisch aussehen. Sein Plan darf nicht auffliegen…
Überraschung zeichnet sich auf Kais Gesicht, als er das ganze Bild erfasst hat. Das hatte er nicht erwartet. Nicht von Uruha.
„Was…was hast du getan?“
Uruha entlockt ein Kichern…Wieso fragt der Andere das? Und wieso…ist er so überrascht? Ist das nicht das…was er wollte? Was er…selber tun wollte? Aber egal…Hauptsache Ruki wird aus dieser Sache lebendig herauskommen…wenigstens er…
Herausfordernd blickt der Blonde in die roten Augen des Anderen…Mörder. Zwei Mörder…stehen im Angesicht zu Angesicht…Doch wenn zwei Mörder aufeinander treffen…kann nur einer überleben…nur einer kann gewinnen…und nur einer der Mörder kann zum Opfer werden…Der Stärkere gewinnt. Der Stärkere ist jedoch nicht er.
„Wieso…bist du so überrascht? Höre ich da aus deiner Stimme etwa so was wie…Trauer?“
Nun muss der Andere sein wahnsinniges Kichern erwidern.
„Naja…Ich bin nur etwas überrascht. Schließlich…hätte ich das dir nie zugemutet…Ich meine…du hast dich auf deinen Geliebten gestürzt…ihn zugesetzt…und komplett ausgesaugt…“
Der Blonde zückt Rukis Messer hinter dem Rücken hervor…
„Ich wollte eben nicht, dass du ihn bekommst. Besser ich töte ihn, als du. Und außerdem…hatte ich einen ungemeinen Durst...“
Kai erblickt Uruhas Messer und zückt zugleich auch seines hervor.
„…aber genug geredet. Oder bist du etwa hierher gekommen, um zu tratschen?“
Er will es endlich hinter sich bringen…Dieses sinnlose Gerede…Dieses sinnlose Warten auf den Tod…Diese sinnlose Quälerei…Er will es endlich hinter sich lassen. Endgültig.
So macht sich der Blonde kampfbereit und rennt auf Kai zu.
Er weiß, dass er sterben wird. Er weiß, dass er keine Chance gegen Kai hat. Aber…er wird nicht wehrlos sterben! Er wird ehrenvoll sterben!
Doch…der Angriff des Blonden geht daneben, Kai ist zu schnell und weicht zur Seite aus. Und schon in der nächsten Sekunde spürt Uruha das Messer tief schneidend im Rücken.
„Argh!“
Verzweifelt versucht er sich aus Kais Fängen zu befreien. Natürlich vergeblich.
„Du bist…schwach, Kôyô. Schwach und widerwärtig.“
Kais Geflüster…Das letzte was er hören wird? Das letzte auf dieser Welt? Von so vielen schönen Geräuschen und Lauten…wird das Letzte was er hört, Kais Stimme sein…Wieso…wieso konnte es nicht wenigstens Rukis Stimme sein? Wieso…konnte er nicht wenigstens…durch Rukis Hand sterben…? Absurd. Aber…er kann nichts gegen seine Gedanken tun…Ruki…Ruki…Ruki! Hat er letztendlich nur für diesen Mann gelebt?
Dann muss er vor Schmerz aufschreien, als Kai das Messer durch sein Fleisch schneiden lässt, statt es wieder herauszuziehen.
Lachend schubst Kai seinen Rivalen mit der klaffenden Wunde nach vorne.
Uruha spürt wie ihm schwindelig wird…Zitternd hält er seine Wunde, die unaufhörlich blutet…und zitternd hält er sich noch mit letzter Kraft auf den Beinen...Ein Mensch…wäre durch so eine Wunde schon längst gestorben…Wieso…kann er jetzt nicht ein Mensch sein?
Ohne seinem Opfer eine Pause zu geben, schlägt Kai schon wieder zu und verpasst ihm einen weiteren Messerstich in die Brust…Uruha muss mit Entsetzen feststellen, dass es die falsche Brust war…Er hätte ihn ins Herz stechen sollen…Wieso…hat er ihn nicht ins Herz gestochen?
Torkelnd geht der Blonde weitere Schritte zurück…Ihm fällt es schwer bei dem Blutverlust und den schweren Wunden noch standhaft zu bleiben. Er kann sich nur noch schwer auf den Beinen halten und droht umzukippen. Er hält seine blutenden Wunden, die sich zu langsam heilen…Sein Sehvermögen ist beeinträchtigt…vor ihm ist alles verschwommen…aber er gibt nicht auf. Er wird mit Würde sterben. Schwach hebt er seine andere Hand mit dem Messer hoch und zeigt auf Kai.
Wann gibt ihm Kai endlich den Gnadenstoß?
„Hm…Respekt, dass du dich nach solchen Wunden noch auf den Beinen halten kannst. Aber…würdest du den nächsten Angriff auch noch überstehen?“
Keuchend versucht Uruha weiterhin auf den Beinen zu bleiben…aber seine Wunden hören nicht auf zu bluten…und er wird schwächer. Immer noch das Messer hochhaltend…wartet er auf Kais Gnadenstoß…er wartet auf seine Erlösung.
Doch überraschenderweise schmeißt Kai sein Messer auf den Boden und öffnet sein Hemd.
„W…was hast du…vor?“
Stumm packt der Infizierte Uruhas Hand mit dem Messer und umschließt diese, während er mit der anderen Hand über dessen blutverschmiertes Gesicht streicht…Rukis Blut…Wie kann er es nur wagen, Rukis Blut zu berühren? Er hat nicht das Recht dazu…
Doch…was hat er damit vor?
Überrascht sieht Uruha, wie der Andere mit dem Blut ein Kreuz, bestehend aus zwei Strichen, an seine eigene freigelegte Brust malt.
Dann grinst der Mörder ihn auf einmal hämisch an.
„Genau hier, verstehst du?“
Hä? Was sollen diese Spielchen?
Der Blonde will sich aus dem Griff des Wahnsinnigen befreien, aber dieser ist viel zu stark für ihn und hält seine Hand nur umso fester. Wehrlos muss Uruha mit ansehen, wie Kai seine Hand zu seiner Brust führt, genau auf die Markierung…genau auf seinem Herzen…
„Na los…Stich zu.“
Hä?
Verwirrt starrt der Blonde auf sein Messer…auf sein Messer, das direkt vor Kais Herzen ist…Nein…Unfähig…Er ist unfähig um irgendwas zu sagen…unfähig es zu tun…unfähig um irgendwas zu tun…Er ist wie…erstarrt.
„Was ist mit dir? Du weißt, dass das deine letzte Chance ist?“
N…Nein! Er kann das nicht tun!!
Zitternd lässt er das Messer fallen…Dadurch…das er das Leben des Anderen verschont hat…hat er sein eigenes Todesurteil besiegelt…aber…sein Tod ist doch schon von vorneherein klar gewesen, oder nicht?
„Du bist echt dumm…das war deine einzige Chance gewesen, zu überleben, Kôyô.“
Grinsend hebt Kai die fallen gelassene Messer wieder auf…hält nun beide Messer in den Händen…
„Aber…weißt du was? Ich habe es gewusst. Ich habe gewusst, dass du es nicht tun kannst…dass du zu schwach bist um es zu tun…“
Nein…Er hat seine Chancen verspielt…aber…aber…er…konnte es einfach nicht…Er konnte Kai nicht töten…nicht jemanden aus der eigenen Band…nicht jemanden, mit dem er so gut befreundet ist…das…kann er nicht…Zu viel Erinnerungen…und gemeinsame Erlebnisse…und…Freundschaft. Ist denn Freundschaft gar nichts mehr wert?
…Es tut weh…
Soll er es doch nun endlich beenden! Er will nicht mehr leben!! Er will nicht mehr diese psychischen sowohl auch physischen Schmerzen erleiden!
„Ich kann dich nicht umbringen! Aber du kannst mich umbringen, also tu es doch endlich!!“
Nun ertönt wiederholt Kais wahnsinniges Gekicher…
„Du…willst unbedingt sterben…“
Uruha spürt schon die Messerspitzen an seinem Bauch und schließt erwartungsvoll die Augen. Er will diese Welt verlassen…endgültig. Er will das…für Ruki. Wenigstens er soll überleben. Wenigstens seine Liebe soll überleben und dem Tod entkommen…Wenigstens ihr…sollte diese Qualen erspart bleiben…Er tut das für Ruki. Sein Tod…ist nicht unnütz…Sein Tod…ist Rukis Leben…Für Ruki. Für seine Liebe.
Wieso? Weil er für Ruki alles tut…Alles.
„…weil du denkst…deine Liebe wäre sicher…deine Liebe würde überleben…“
Geschockt reißt der Blonde seine Augen auf.
„…Du bist so süß…Du stirbst für deinen Liebsten…Du willst dich für ihn opfern…aber…“
„Argh!“
Das erste Messer erwischt ihn und er spürt wie seine Eingeweide durchtrennt werden…
„…aber…du hast mich unterschätzt. Du denkst ich würde es nicht merken…nicht merken…dass Taka noch lebt…Wenn du nicht mal mich töten kannst, wie kannst du dann Taka töten?? Denkst du ich wäre so naiv?“
Uruha verliert seine Kraft und muss sich schwach an seinem Mörder festhalten, der schon darauf sehnsüchtig wartet, das zweite Messer einzusetzen…
„Ah…Uke…Uke…bitte…bitte…“
Bettelnd und weinend bittet der Blonde darum, dass das Leben seines Geliebten verschont wird…Würde er jetzt doch würdelos sterben? Ja. Wenn Ruki dafür leben konnte…
„Hihi…Dein bemitleidenswertes Winseln wird nichts ändern, Kôyô…Du wolltest für ihn sterben…und jetzt wirst du auch für ihn sterben! Wie schon gesagt…Du wolltest dich für ihn opfern! Also wirst du auch geopfert…aber weißt du was??“
Nun nähert sich Kai langsam dem Ohr des Anderen und flüstert hinein…
„…dein Mut…deine Selbstopferung…dein Leid…dein Tod…das…war alles total umsonst…denn Taka…deine Liebe…wird nicht verschont.“
„NEEEEIIIII-!!!“
Doch Uruhas Schreien bleibt ihm im Halse stecken, als ihm Kai den Gnadenstoß versetzt und ihm das zweite Messer in die Magengegend rammt und seine letzten Blutstropfen aus seinen Körper fließen…Umsonst…Umsonst…
…Umsonst…Die letzten Worte, die er hört…Die letzten Gedanken, die er hat…bevor er auf den Boden aufschlägt…dreht sich nur um dieses eine Wort…
…umsonst.