Nite
Kapitel 54:
Nite
Sanjis Sicht
Das war vielleicht nicht die beste Idee, auf ein Museumsjubiläum zu gehen, aber ich dachte, Nami
würde so etwas Kulturelles gefallen. Auf dem Flyer stand in etwa: ’der Förderverein lädt Mitglieder und
Gäste in der Hauptlonge auf Sekt und Gebäck ein’ Nami fand meinen Vorschlag ziemlich gut und mit
neu geschöpftem Mut wollte ich sie an dem Freitagabend abholen. Da ein Chauffeur nicht drin war,
beziehungsweise ich weder Auto noch Führerschein hatte, würden wir den Bus nehmen, um in die Stadt
zu fahren. Ich sollte nicht zu elegant angezogen sein, also nahm ich eine Jeans und T-Shirt, zog aber
trotzdem zusätzlich eine Krawatte an. Schon im Unterricht hatte ich totales Herzklopfen, als ich Nami
zwei Reihen vor mir sitzend beobachtet hatte, ich war so aufgeregt wie schon lange nicht mehr. Ich
nahm mehr Geld mit als üblich, da ich sie einladen wollte, falls wir danach noch irgendwo hingehen
sollten. Noch immer war es hell, ich lief den Weg zu ihr, konnte durch mein Aufgewühltsein nicht klar
denken, war mental zu sehr abgelenkt.
Namis Sicht
Meine Güte, ich war doch noch gar nicht fertig und da klingelte er auch schon! Ich legte die Pinzette
weg, wo ich mir noch mal die Augenbrauenstoppel weggezupft hatte, wrang mein Haargummi ums
Handgelenk und kam aus dem Badezimmer. Ein Glück hatte ich mich schon auf mein Outfit geeinigt,
sonst wäre ich total aufgeschmissen gewesen. Aufgeregt lief ich die Treppe runter, um Sanji zu öffnen,
aber nicht zu überstürzt. Wenn das jetzt ein Pizzabote gewesen wäre, hätte ich Nojiko den Hals
umgedreht. Doch es war wahrhaftig er, wie er leibt und lebt. „Hi.“ kam es gleichzeitig von uns beiden
und ich ließ ihn erstmal mit einem entgegenkommenden Lächeln ins Haus rein. Das lief alles schnell ab,
noch immer gab es diese Distanz zwischen uns, aber hoffentlich würde sich das an dem Abend ändern.
„Ich bin noch nicht ganz fertig, mach’s dir aber gern bequem.“ Ich deutete ins Wohnzimmer und na
klar, machte es ihm nichts aus. Ich musste noch mal nach oben verschwinden, ich war nämlich noch
nicht geschminkt. Zwar war das nicht nötig, da er in normalen Straßenanzug zu mir gekommen ist und
ich auch bloß einen Jeansrock mit Top anhatte, aber er sollte doch sehen, dass ich mich wie jedes
Mädchen zum Ausgehen schminkte. Ich frage mich immer noch, wie ich mich trotz zitternder Hand
nicht nervös gemacht hatte und den Lidstrich perfekt hingekriegt hatte, aber hauptsache es lief alles
wie am Schnürchen.
Sanjis Sicht
Dass ich auf sie wartete, machte mir nicht im Geringsten etwas aus, nur wurde ich damit noch mehr auf
die Folter gespannt, als ich eh schon war. Vorwürfe kamen mir ins Gedächtnis, hätte ich ihr vielleicht
besser eine Kleinigkeit mitgebracht? Immerhin kam von ihr das Angebot, mit mir wegzugehen und jetzt
war ich ihr nicht mehr entgegengekommen, hatte nicht mal Blumen oder so dabei. Schon hörte ich,
dass sie die Treppe herunterkam, darum stand ich auf. „Bin soweit.“ lächelte sie mir zu, über diese
Tatsache war sie wohl sehr froh, Mädchen brauchten ja immer länger im Bad. „Okay.“ Wir gingen zur
Haustür, sie hang sich eine Handtasche über die Schulter, wie ich Nami noch nie eine in der Schule habe
tragen gesehen, aber sie war farblich sehr gut auf alles abgestimmt und ich musste unwillkürlich an
einen Früchtecocktail denken. „Das Museum ist am Stadtende, oder?“ wandte sie sich an mich und ich
bejahte es. „Das macht in einer viertel Stunde auf, bis dahin sind wir dann da.“ Erzählte ich, doch
danach fiel mir keines der Themen mehr ein, die ich mir auf dem Hinweg zurechtgelegt hatte.
Glücklicherweise sprach Nami wieder. „Hast du das vorhin im Radio gehört?“ Mein Gesichtsausdruck
verriet ihr, dass ich es nicht hatte. „Da war ein Mann mit Handschellen in einem Hotel am Bett gefesselt,
weil er sich da mit irgendeiner Frau getroffen hatte. Und weil er die Dinger dann nicht mehr
aufgekriegt, ist die Polizei gekommen um ihn zu befreien.“ sprach sie belustigt, und auch mir gefiel der
Gedanken an einen Mann, der mit Spielzeughandschellen von seiner Flamme noch angekettet in einem
Hotel zurückgelassen wurde. „Ne, hab ich nicht gehört.“ grinste ich vor mich hin, schadenfreudig wegen
dem armen Kerl. Einen kurzen Moment zögerte ich noch, ob ich mir wie immer spontan eine Zigarette
rausholen sollte, ließ es aber dann bleiben. Diesen Abend wollte ich nicht rauchen, höchstens wenn ich
abends nach Hause käme.
Wir unterhielten uns über Gott und die Welt, es lief alles wie von selbst. Wir kamen bal darauf ins
Museum und brauchten keinen Eintritt zu bezahlen, wir liefen durch mehrere Galerien und ließen die
Bilder auf uns wirken. Ein wenig langweilig fand ich es schon, aber dass ich Nami begleiten durfte war
natürlich eine komplett andere Situation. Die ganzen Gemälde interessierten mich schlicht nicht, ich
bevorzugte es, zu Nami zu schielen, die dem Menschenstrom vor uns folgte und sich alle Bilder ansah.
Kunst war auch eines ihrer Lieblingsfächer, und ihr musste die Ausstellung sehr gut gefallen.
Ihretwegen mochte ich auch Kunst sehr gerne, so wie Erdkunde und alles, was ihr eben gefiel, aber
Sport fand ich langweilig, weil Jungen und Mädchen getrennt Sport hatten, und auch in Biologie waren
wir nicht im selben Kurs, in Religion auch nicht, glaube ich. Jedenfalls war ich zufrieden mit der Wahl,
ins Museum zu gehen, denn hauptsache ihr gefiel es und ich würde ihr einen schönen Abend machen
können, an den sie sich auch gut erinnern sollte. Noch zwei Blocks, dann wären wir hier durch, es hatte
insgesamt nur Eineinviertel Stunden gedauert.
Namis Sicht
Im Museum war es ganz nett, zwar mochte ich es, mir Bilder anzusehen, aber da waren so viele
Menschen, dass man sich von einem Raum bis zum nächsten durchdrängen musste, wie bei einer
langen Warteschlange. Mit der Zeit wurde es ein bisschen langweiliger, weil Sanji hinter mir lief,
konnten wir uns da nicht so gut ansehen und miteinander reden, aber ihm gefiel der Besuch
anscheinend trotzdem. Er hatte das schließlich für mich rausgesucht und vielleicht interessierte ihn das
ja auch. Wir waren dann mit dem letzten Raum fertig und wollten einen Abstecher in die Hauptlonge
gehen, so wie es auf dem Flyer klein gedruckt unten stand. Wir wuschelten uns durch, bis wir schon die
Longe, die von einer Seite mit Glaswand Blicke nach innen gewehrte, sahen. Einige Leute standen mit
Sektgläsern zu dritt oder viert zusammen, unterhielten sich, ein paar saßen auf der Couch, wo vorne
dran ein Tisch mit Knabberzeug stand. Sanji und ich betraten die Longe, wir waren Kleidungstechnik
nicht ganz wie die Personen hier, die alle Suiten oder Eleganteres trugen.
Zurückhaltend saßen wir uns auf eine Nebencouch und zögerten noch, uns von dem Essen auf dem
Tisch zu bedienen, aber da es frei herumstand, griff ich dann doch zu. „Wie fandest du das eine große
Bild am Ende der Ausstellung?“ fragte mich Sanji, denn man war ja in einer Longe, um über das Museum
zu sprechen. „Das große mit den ganzen Gesichtern?“ Er gab einen Mhm-Laut von sich und ich
überlegte, wie ich das fand. „Das war ganz okay, mir haben die Farben gut gefallen. Aber der
Hintergrund war mir zu aggressiv.“ Um auf meine Aussage einzugehen, beugte er sich zum Tisch vor,
um sich zu bedienen. Seltsamerweise wechselte er schon gleich das Thema, als er an meiner Schulter
vorbei nach hinten sah, wo wohl die Fördervereinmitglieder diskutierten. „Sag mal, kann man von dem
Sekt da nehmen?“ Ich drehte mich um, da stand eine kleine Bar, wo viele umgedrehte Gläser und drei
Flaschen Sekt standen, von denen eine geöffnet war. Schulternzuckend lächelte ich ihn an. „Ich glaub
schon, immerhin sind wir doch Gäste.“ Wenn man sich was nehmen will, soll man es sich holen. Wir
standen auf und wollten zu dem Sekttisch rübergehen, da kam eine Frau in lila Anzug auf uns zu.
„Entschuldigung, sind sie Vereinsmitglieder?“ fragte sie höflich, aber wusste doch eigentlich genau,
dass wir es nicht waren. Einen kurzen Blick wechselten Sanji und ich aus, antworteten erst dann. „Nein,
aber auf dem Blatt stand doch, dass das hier auch für Gäste ist. Und als Gast haben wir uns da
angesprochen gefühlt.“ Redete ich mich heraus, aber letztendlich wurden wir raus gebeten. Zwar gab es
keinen Ärger, sie war freundlich, aber jetzt war unser Museumsbesuch schon vorbei.
Sanjis Sicht
Nachdem uns diese Frau aus der Longe gebeten hatte, lachten Nami und ich uns kaputt. Das war schon
mal das erste Highlight des Abends, dass wir da einfach reingeplatzt sind, obwohl wir wirklich dachten,
dass da jeder Museumsbesucher reindrufte. Wir beide machten dann kurzfristig einen Spaziergang. Es
dämmerte schon und wir liefen auf den Wasserturm zu, wobei mir einfiel, dass ich mit ihr hätte an den
Strand fahren können, wenn wir jetzt sowieso nebeneinander her liefen, aber diese Idee kam mir zu
spät. Es waren noch viele Leute unterwegs, doch je mehr wir uns dem kleinen Stadtpark mit dem
Brunnen in der Mitte näherten, desto leerer wurde es. Der Mond war fast nur verschwommen erkennbar,
es gab kaum Wolken am Himmel und es war wollig warm. Mir wurde schnell klar, dass sich das alles
noch ins Romantische wandeln würde, Sterne waren zwar kaum zu sehen und ich war unmerklich
aufgeregt, aber ich nahm mir vor, das Beste aus allem rauszuholen. Ob es Nami auch so ging? Es flogen
dummerweise viele Motten herum und ich wollte sie mit Handbewegungen verscheuchen. Wir liefen am
Stadtparkrand entlang, wo Bänke standen, aber wir setzten uns nicht hin. Da waren viele Bäume am
Rand gepflanzt und mitten im Gespräch entdeckte ich ein Krabbeltier auf Namis Schulter, das musste
von einem der Gebüsche gefallen sein.
Namis Sicht
Als dieses Viech auf mir rumkrabbelte und Sanji mich darauf aufmerksam machte, bin ich total
erschrocken, ich hasse Spinnen! Alamiert wollte ich es wegkuschen, doch das Ding wollte sich einfach
nicht abschütteln lassen. Sanji wies mich an, still zu bleiben und er machte es weg. Ein wenig dumm
kam ich mir schon vor, weil ich mich vor Sanji wegen einem Insekt so aus dem Konzept habe bringen
lassen, aber das war wohl nicht weiter schlimm. Etwas errötet setzten wir unseren Weg fort, in
durcheinandertem Zustand versuchte ich wieder auf das Thema zu kommen, wo ich vorher stehen
geblieben war, doch der Faden war weg. Sanji sah mich an, als ich zaghaft nachdachte und er wusste es
wohl auch nicht mehr, dann war es irgendwie egal und wir ließen es dabei. Während er mich noch
anguckte, meinte er: „Du hast da eine Wimper.“ Schon das zweite Mal, dass er etwas an mir entdeckte
und ich sah ihn an, um von ihm zu erfahren, welche Seite meines Gesichts er meinte. Ich ging
unbewusst davon aus, dass er bei sich zeigen würde, unter welchem Auge sie war, aber er machte sie
selber weg. Als sein Finger leicht unter meinem Auge die Wimper wegstrich, bekam ich eine Gänsehaut
und irgendwo war mir das wieder zu intim, so wie es unter normalen Freunden nicht war, aber genau
das wollte ich doch.
Sanjis Sicht
Es wäre so leicht gewesen, so einfach, ich hätte bloß ihre Hand zu nehmen brauchen und ihr sagen
sollen, dass sie mir sehr viel bedeutet und alles. Wir hätten genauso gut Händchen haltend nach Hause
gehen können, ich hätte ihr einen Gutenachtkuss gegeben und wir wären zusammen gewesen. Nur
hatte ich bloß die Wimper weggestrichen und dann wieder nach vorne gesehen. Die Bestätigung war
doch schon da, dass mich Nami auch mochte, und wenn sie nicht an mir interessiert gewesen wäre,
hätten wir uns doch nie verabredet. Ich brachte sie nach langer, langer Zeit nach Hause und in ihrer
Straße blieben wir noch stehen, mir ist schon längst wieder entfallen, was wir alles zu bereden hatten.
Einen letzten Versuch hatte ich noch, das mit dem Abschiedskuss war noch verwirklichbar und
irgendwann kamen wir dann tatsächlich zum Ende, wo Nami langsam rein musste und ich langsam nach
Hause musste und wir schon halber beim Verabschieden waren. Mein Herz pochte ungemein und ich
musste mir die geschickteste Variante aussuchen, wie ich mich ihr für einen letzten Moment annähern
konnte, was alledings alles andere als leicht war!
Namis Sicht
Das fand ich so süß von ihm, dass er mir noch einen Kuss auf die Wange gegeben hatte, bevor er nach
Hause ging. Dass er sich so was trauen würde, war ich mir unsicher, aber er hatte es wirklich getan.
Nach dem kurzen Küsschen lächelte ich ihn nochmal mit ganzem Einsatz an, ich war so zufrieden mit
dem Abend und wir würden sicher noch einmal ausgehen. Ein letztes Mal wünschte er mir eine ’Gute
Nacht’ und lief dann die Straße zurück. Einen Moment noch sah ich ihm nach, dann wandte ich mich zu
Nojikos und meinem Zuhause zu. Innen drinnen war schon alles abgedunkelt und leise schlich ich mich
auf mein Zimmer. Ich zog mir grad das Nötigste aus und ein T-Shirt zum Schlafen über, dann legte ich
mich schon in mein viel zu warmes Bett. Nochmals ließ ich den Abend in meinem Kopf passieren und
lächelte vor mich hin. Meiner Meinung nach lief alles super gut, das musste sich unbedingt
wiederholen!
erstellt am 25.05.2007
4Kolibris,
Elena