Zum Inhalt der Seite

Stille Herzen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Wahrheit

-Khiai-
 

Als ich Santis warmen Körper und seine Arme spürte, erstarrte ich. Es fühlte sich an, als würde mein Herz einfach stehen bleiben. Spätestens jetzt verstand ich gar nichts mehr. Nicht warum er das gesagt hatte oder warum er das tat. Aber ich genoss diese unbekannte Nähe, legte ganz vorsichtig meine Arme um ihn. Da wir fast gleichgroß waren, waren unsere Köpfe nah beieinander, seine Haare kitzelten mich. Die Eindrücke überforderten mich, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was war, wenn er mein Herzklopfen hören konnte? Auch Freunde konnten sich umarmen und wenn es hieß, dass wir schon Freunde waren, nahm ich das gerne an. Egal was Santi gesagt hatte, solange er mich nicht hasste, war es egal. Ich wurde den Gedanken jedoch nicht los, dass wir nie mehr als das sein würden. Auf Dauer würde ich das nicht aushalten. Ich genoss seine Nähe viel zu lange, dann löste ich mich von ihm:

»S-santi, ich..ich muss nach Hause«, stotterte ich und machte mich auf den Weg zur Tür. Ja, er hatte mich umarmt. Ja, ich hatte gesagt, dass ich ihn nicht hassen konnte. Aber ich würde zu sehr auffallen, wenn ich länger bei ihm sein würde. Ich hatte mir diese Umarmung so sehr gewünscht, warum machte sie mich dann so traurig?
 

-Santi-
 

Khiai und ich hatten weder in der Pause, noch in der Nachhilfe viel gesprochen. Als die Stunde zu Ende war, hatte er sich schnell verabschiedet. Es machte mich traurig, aber ich konnte es auch nicht ansprechen. Khiai sagte mir, er kann mich nicht hassen, aber mochte er meine Umarmung etwas trotzdem nicht? War ich zu weit gegangen?

»Santi?«, die Stimme einer Schülerin riss mich aus meinen Gedanken.

»Ja?«

Sie hielt mir ein Heft entgegen: »Ich glaube Khiai hat sein Heft vergessen.«

Ich nahm es an mich, er hatte vorne sorgfältig seinen Namen draufgeschrieben. Für mich machte es jedoch keinen Sinn. Wieso brauchte er sein Heft in der Nachhilfe? Hatte er Hausaufgaben gemacht? Gedankenlos blätterte ich in diesem Heft, wo er einige Matheaufgaben hineingeschrieben hatte. Doch an einer Seite blieb ich hängen, denn dort stand: »Ich mag Santi.«

Für einen kurzen Moment machte mein Herz einen Satz. Es stand nicht ein oder zweimal dort, sondern bestimmt hundertmal. Sauber geschrieben, wie ein Mantra. Ich mahnte mich zur Ruhe. Es war zwar sein Heft, doch es musste nicht heißen, dass er es geschrieben hatte. Und wie sollte ich das herausfinden? Allein bei der Vorstellung, dass es echt sein könnte, überschlugen sich meine Gedanken.
 

-Khiai-
 

Erst Zuhause fiel mir auf, dass ich mein Heft im Klassenraum vergessen hatte. Mir wurde heiß und kalt, wenn ich daran dachte, dass Santi sehen könnte, was darin stand. Wenn er das sah, war ich geliefert! Mein Puls erhöhte sich, als ich die Jacke wieder anzog, um mich auf den Weg zur Schule zu machen. Innerlich betete ich, dass es nicht schon zu spät war. Draußen war es schon dunkel, aber ich kannte den Weg, ohne hinsehen zu müssen. Daher rannte ich los. In meinem Kopf spielten sich Horrorszenarien ab, dass Santi mich verachten würde. Meine Ausdauer reichte nur bis zur nächsten Straßenecke, wo ich keuchend unter einer Laterne anhalten musste. Dann sah ich ihn. Spielte mein Gehirn mir etwa schon Streiche? War es eine Halluzination? Doch er sprach mich an:

»Khiai, ist das dein Heft?«, Santi schien ähnlich außer Atem zu sein, wie ich. Panisch versuchte ich seinen Gesichtsausdruck zu deuten, doch es gelang mir nicht. Verdammt. Meine Vergesslichkeit würde mir jetzt zum Verhängnis werden. Wieso musste ausgerechnet er dieses dämliche Heft finden?

»Du brauchst nicht mehr mit mir abzuhängen, Santi. Ich weiß, dass ich komisch bin«, redete ich vor mich hin und wandte mich ab. Das wars also. Ich konnte meine Tränen gerade noch zurückhalten, freundete mich mit dem Gedanken an, vermutlich bald umziehen zu müssen.
 

-Santi-
 

Seine Reaktion zeigte mir deutlich, dass er diese Worte geschrieben haben musste. Ich hatte es noch nicht einmal angesprochen und er war schon panisch geworden. Ich machte mehrere Schritte auf ihn zu, reichte ihm ein anderes Heft über die Schulter. Noch nie in meinem Leben hatte mich etwas so viel Überwindung gekostet. Als er es annahm, zog ich sofort meine Hand zurück.

»Das ist mein Heft«, sagte ich und schluckte. Alles oder nichts. Wenn es jetzt nicht echt sein würde, gab es kein Zurück mehr.
 

-Khiai-
 

Unschlüssig hielt ich das Heft in den Händen, schlug es auf. Sofort kam mir dieser Satz entgegen: »Ich mag dich auch.«

Vor Schreck ließ ich es beinahe fallen. Was? Das konnte nicht sein. Oder doch? Während mein Körper wieder erstarrte, rasten meine Gedanken. Ich ging alle Szenarien durch, doch es gab keins, in dem Santi genauso empfand wie ich. Träumte ich vielleicht? Nach einer gefühlten Ewigkeit, schaffte ich es, mich umzudrehen. Santi sah auf den Boden, spielte mit den Kordeln seiner Jacke. Ich wollte ihn nach diesem Satz fragen, brachte in meinem Zustand jedoch kein Wort raus. Aber ich musste und hatte auch schon eine Idee.
 

-Santi-
 

Ich sah zu, wie er nach meiner Schultasche griff, die ich abgestellt hatte und sich einen Stift herauskramte. Er wandte sich mit dem Heft ab und ich konnte nicht sehen, was er tat. Bis er sich wieder umdrehte und mir das Heft hinhielt. Unter meinem Satz stand das Wort: »Wirklich?«

Kurz ging ich in mich, dieses eine Mal hatte ich die Chance, alles richtig zu machen. Ich atmete aus, sah ihm in die Augen und nickte. Dieser Moment unter der Laterne fühlte sich unwirklich, aber auch unglaublich gut an.
 

-Khiai-
 

Als ich sein Nicken sah, war es endgültig um mich geschehen. Die ganze Zeit hatte ich mit der Angst gelebt, dass er mich komisch finden würde, wenn er das erfuhr. Stattdessen empfand er genauso? Ich konnte es kaum glauben. Dieses stumme Geständnis machte mich glücklich und ich brachte ein unsicheres Lächeln zustande. Es war, als hätte mir jemand eine Last von den Schultern genommen, weil ich mich nicht mehr verstecken musste. Santi erwiderte mein Lächeln, breitete seine Arme aus, in die ich sofort hineinfiel. Dann hatte sich meine Vergesslichkeit ja doch gelohnt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück