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Stille Herzen

von

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Die Flucht

-Santi-
 

Als ich realisierte, was ich tat, ließ ich sofort seinen Arm los, quetschte mich an ihm vorbei und ging auf meinen Platz. Was zum Teufel hat mich denn bitte besessen? Wie offensichtlich wollte ich sein? Mein Körper war mal wieder schneller als mein Gehirn. Ich bekam überhaupt nichts mehr mit, auch nicht, dass die Stunde schon zu Ende war. Fahrig packte ich meine Sachen zusammen, hatte kaum Kontrolle über meine Hände. Khiai fragte noch, ob er beim Aufräumen helfen sollte, doch ich schickte ihn weg. Ich wusste nicht, ob ich ihm jemals wieder unter die Augen treten konnte. Nicht wegen meiner Aktion, sondern weil ich langsam am Limit war. Es war noch nicht lange gewesen, doch wenn ich weiter Zeit mit ihm verbringen würde, wäre ein Auffliegen unvermeidbar. Das hatte ich heute festgestellt. Ich nahm die restlichen Zettel, die die Schüler hatten liegenlassen und war so schnell aus der Schule verschwunden, wie schon lange nicht mehr. Ich rannte nach Hause.
 

-Khiai-
 

Ich verstand nicht, dass Santi mich weggeschickt hatte, konnte ihm nur zusehen, wie er eilig die Schule verließ. Wieso musste er plötzlich fliehen? Es tat weh, am nächsten Tag ein leeres Schuldach vorzufinden. Am Vormittag war er noch in der Klasse gewesen, doch jetzt wollte er die Pause nicht mit mir verbringen. Seufzend ließ ich mich auf die Bank fallen, aß lustlos mein Mittagessen. Diesmal war keine Freude dabei, es war nur etwas, was ich tun musste. Ich bemerkte, dass er jedoch auch nicht mehr in der Klasse war. Meine ganze Vorfreude auf diesen Tag war verschwunden, als hätte sich ein grauer Schleier darübergelegt. Seitdem ich ihn beobachtete, hatte er keinen einzigen Tag gefehlt. Was war nur los? Ich wollte mich gerade setzen, da kam der Lehrer rein.

»Ah, Khiai. Kann ich dich kurz sprechen?«

Nur dieser eine Satz löste so viele Gedanken in mir aus. Würde er jetzt sagen, dass Santi das Experiment nicht mehr wollte? War er wegen mir nicht mehr da? Zitternd folgte ich dem Lehrer zum Pult, sah ihn ängstlich an.

»Vorhin hat Santi sich bei mir abgemeldet. Er sagte, es ging ihm nicht gut, daher wird auch die Nachhilfe ausfallen. Ich habe den Eindruck ihr versteht euch ganz gut, wäre es möglich, dass du ihm die Hausaufgaben vorbeibringst?«

Es ging ihm nicht gut? Auch wenn ich mir Sorgen machte, war ich froh, dass es nicht wegen mir war. Ich war unsicher, ob ich einfach bei ihm vor der Haustür auftauchen konnte, aber es war die Chance, nachzusehen, was los war.

»Ja.«
 

-Santi-
 

Die Türklingel ging mir durch Mark und Bein, denn ich hörte sie nicht oft. Auch wenn ich niemanden erwartete, machte ich auf. Khiai. Er hatte eine Mappe in der Hand und ich konnte mir vorstellen, warum er hier war. In die Augen sehen konnte ich ihm jedoch nicht. Daher trat ich zur Seite, um ihn hereinzulassen und schloss die Tür. Gemeinsam gingen wir in mein Zimmer, dann versteckte ich mich unter der Bettdecke. Es ging einfach nicht anders. Sollte er mich ruhig für komisch halten, wenn er das nicht ohnehin schon tat.

»Santi?«, hörte ich seine Stimme gedämpft. Ich weiß nicht, ob er schon mal meinen Namen ausgesprochen hatte, aber es hörte sich schön an.

»Geht es dir nicht gut?«

Was sollte ich sagen? Irgendeine nicht existente Krankheit wollte ich ihm auch nicht vorlügen.

»Es geht schon«, gab ich knapp zurück. Ich hasste mich selbst für mein kindisches Verhalten und dafür, dass ich ihn in der Pause allein gelassen hatte. Das würde mein Image bei ihm auch nicht verbessern.

»Es tut mir leid. Ich habe dich heute allein gelassen«, entschuldigte ich mich. Ich hörte etwas rascheln, vermutlich legte er die Unterlagen ab.

»Ach, das ist nicht schlimm. Der Lehrer hat mir gesagt, dass es dir nicht gut geht. Da kann man nichts machen«, für mich klang es zu traurig. Es hatte ihn verletzt und ich habe es trotzdem getan. Noch dazu war es gelogen. Ich war einfach zu feige, musste abhauen, bevor ich etwas tue, was etwas zerstört, was nicht existiert.

»Du hast die Hausaufgaben vorbeigebracht, oder?«, ich lugte ein bisschen hinter der Bettdecke hervor, sah ihn nicken.

»Ja. Außerdem schreiben wir nächste Woche in Mathe einen Test«, erklärte er und obwohl es mich schockieren sollte, war es mir in diesem Moment egal. So viel hatte ich noch nie mit ihm geredet. Natürlich war es leichter, wenn ich mich verstecken konnte. Scheinbar war es für ihn dann auch einfacher.

»Ähm, ich habe dir ein paar Erklärungen zu den Mathehausaufgaben geschrieben«, sagte er.
 

-Khiai-
 

Ich war mir nicht sicher, warum er sich verstecken musste, aber so war zumindest das Reden einfacher. Allein, dass ich in seinem Zimmer stand, reichte aus, um mich nervös zu machen. Doch ich war auch ein bisschen glücklich. Schließlich würde ich vielleicht mehr über ihn herausfinden. Bis auf den Schreibtisch, war das Zimmer sehr ordentlich. Dort waren jedoch überall Papiere verstreut. Offene Notizbücher lagen herum, scheinbar schrieb er viel. Ich war versucht, es mir näher anzuschauen, konnte mich jedoch im letzten Moment zurückhalten.

»Kann ich dir sonst mit irgendetwas helfen?«, fragte ich, in der Hoffnung, dass es etwas gab, was ich für ihn tun könnte. Unter der Bettdecke hörte ich ein Seufzen:

»Warum tust du das für mich, Khiai? Warum bist du so nett?«, fragte er. Vor Schreck trat ich einen Schritt zurück, als würde sich ein Monster unter der Bettdecke befinden. Ich konnte ihm diese Frage auf gar keinen Fall ehrlich beantworten, denn sonst wäre die kleine Verbindung, die wir uns aufgebaut haben, vermutlich vorbei.

»Ist das denn schlimm?«, fragte ich stattdessen. Doch meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
 

-Santi-
 

Ich schlug die Bettdecke zur Seite, sprang auf. Wieso musste ich immer komische Sachen in seiner Gegenwart sagen? Wie musste er sich denn fühlen? Doch mein Kopf sprudelte einfach Dinge hervor, die ich gar nicht sagen wollte. Ich hatte erreicht, dass er völlig verängstigt vor mir stand. Ich beantwortete seine Frage nicht, stattdessen fragte ich, ohne ihn anzusehen:

»Glaubst du, ich könnte irgendetwas tun, für das du mich hassen würdest?«

Energisch schüttelte er den Kopf: »Egal was du tust. Ich kann dich nicht hassen, Santi.«

Diese Worte bestärkten mich in meinem Plan. Was war auch schon dabei? Freunde taten das schließlich auch. Seine Nähe in der Nachhilfe hatte mich so aufgewühlt, dass ich an nichts anderes denken konnte. Ich kann dich nicht hassen, echote es in meinem Kopf. Ein letztes Mal schloss ich die Augen, dann trat ich vor und legte meine Arme um ihn.



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