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The Tiger and the Wolf

von

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Neue Teams, alte Verhaltensmuster

Gemeinsam waren sie gestern noch in der Lage gewesen, Derek einigermaßen zu beruhigen. Es waren vor allem die Schuldgefühle gewesen, die den jungen Hale zur Verzweiflung getrieben hatten. Er wollte einfach nicht erneut ein Stück Familie verlieren, für das er verantwortlich war. Zu schmerzlich waren die Erinnerungen an eine Jugend ohne sein vertrautes Umfeld. Erica und Boyd waren mittlerweile im Loft und erholten sich dort, unter strenger Bewachung und auch Aufsicht ihres Alphas.
 

Der nächste Tag stand voll und ganz im Zeichen des Orientierungslaufes. Das Gros der Schule hatte sich, pünktlich um neun Uhr, am ausgemachten Treffpunkt vor dem Wald eingefunden. Allison würde mit Isaac laufen, Lydia mit Aiden, Danny mit Ethan… Pärchen eben. Scott hatte sich mit Stiles dahingehend geeinigt, dass sie diesen Lauf gemeinsam bestreiten würden.
 

Sie hatten sich alle dementsprechend vorbereitet: Mindestens ein GPS-fähiges Handy mit genügend Akku war Pflicht, genauso wie adäquate Kleidung. Diese bestand bei Scott aus einer dunklen Jacke, Trainingshosen und schwarzen Turnschuhen. Stiles trug Ähnliches, nur in grau. Er war gerade dabei, sich den Reißverschluss seiner Jacke zuziehen, da tauchte der Coach auf und sah zwischen den beiden hin und her.
 

„Was habt ihr beide vor?“, fuhr er sie in seiner gewohnten Art an.
 

„Am Orientierungslauf teilnehmen, genauso wie alle anderen auch?“, entgegnete Stiles und stellte sich dabei bewusst dumm.
 

Coach Finstock kniff die Augen zusammen, starrte auf sein Klemmbrett, dann auf den Sohn des Sheriffs und schüttelte den Kopf. „Werdet ihr nicht. Stilinski ist mit Jackson im Team und McCall mit Taylor. Wo steckt er überhaupt?“
 

Sowohl Stiles, als auch Scott, klappe die Kinnlade herunter. Sie hatten sich beide gemeinsam in der Liste eingetragen. Das wussten sie. Jackson würde auch niemals freiwillig mit Stiles den Orientierungslauf bestreiten wollen. Das war ausgeschlossen.
 

„Wer hat das bestimmt?“, wollte Stiles wissen und verschmälerte seine Augen ein wenig.
 

„Ich“, stellte der Coach fest und zwar so, dass er keine Widerworte duldete.
 

„Aber wofür ist die Liste dann eigentlich gut gewesen, wenn Sie bestimmen können, wer mit wem ein Paar bildet?“, ließ Scotts bester Freund nicht locker.
 

„Diese Liste unterliegt mir und ich bestimme schlussendlich, was am besten fürs Lacrosseteam ist.“
 

„Aber Luke ist doch nicht mal im Lacrosseteam“, schaltete sich Scott ein und erntete dafür einen strafenden Blick seitens seines Trainers.
 

„Ja, darüber unterhalten wir uns auch noch. Ich habe mir die sportlichen Erfolge von diesem Jungen einmal angesehen.“ Damit wandte sich Finstock nun vollständig ihm zu. „Es ist deine Aufgabe, ihn zu überzeugen, dass er zu uns ins Team kommt.“
 

„Was? Warum?“
 

„Weil du der Kapitän bist und ich mir davon, sowohl spielerisch, als auch finanziell, etwas für das Team erhoffe. Nächste Woche erwarte ich, dass er uns beim Training unterstützt. Haben wir uns verstanden?“ Finstock kritzelte irgendetwas auf sein Klemmbrett. „Außerdem ist diese Rivalität gut, denn das Feuer, welches in Jackson brennt, ist geradezu…“ Er schien nach dem richtigen Wort zu suchen.
 

„Gehirnzellenvernichtend?“, beendete Stiles den Satz.
 

„Halt die Klappe, Stilinski“, schnauzte ihn der Ältere an. „Du gehst jedenfalls zu Jackson und du mit Taylor, McCall.“ Damit klemmte er sich das Brett unter den Arm und stapfte davon.
 

„Idiot“, zischte Stiles und warf ihrem Lehrer einen giftigen Blick zu. „Mit Jackson, das hat mir gerade noch gefehlt.“
 

„Tut mir leid, Bro“, murmelte Scott schuldbewusst. Er wusste ja nicht einmal, warum er sich gerade schlecht fühlte, denn er konnte nichts dafür.
 

„Irgendwie scheint das Schicksal zu wollen, dass du mit deinem Liebling ein paar Mußestunden verbringen kannst, hm?“, gluckste sein bester Freund. „Ich frage mich nur, warum ich nicht mit jemand Sinnvollem eingeteilt werden kann. Sogar Greenburg wäre mir lieber. Wo steckt dein Herzblatt eigentlich?“
 

„Nenn ihn nicht so“, schnaubte Scott und sah sich um; von Luke fehlte jedwede Spur.
 

„Wahrscheinlich kalte Füße bekommen, weil es hier nicht nur darum geht, schnell zu sein, sondern auch geistig etwas auf dem Kasten zu haben“, witzelte Stiles.
 

„An einem mangelt es dir zweifelsohne“, ertönte es hinter ihnen. Luke war, wie aus dem Nichts, hinter ihnen aufgetaucht. Er trug eine schwarz-rote Trainingsjacke, mit einem gelben Reißverschluss und Kapuze. Auf der rechten Seite prangte das Logo einer Marke, die Scott noch nie gesehen hatte, links das Zeichen, welches sich auch in seinem Zimmer befunden hatte. Die schwarze Trainingshose, mit den roten Streifen, fügte sich dazu nahtlos an, von der gleichen Marke, mit dem gleichen Zeichen. Einzig die gelb-weißen Laufschuhe stachen ein wenig heraus. Der Brite hatte die Hände in die Hosentasche geschoben und den Reißverschluss bis unters Kinn zugezogen.
 

„Warum wundert es mich nicht, dass du so einen Fummel trägst?“, stichelte Stiles und nickte in Richtung des Logos. „Hat dir Daddy auch dazu passendes Bettzeug gekauft, oder gleich einen Platz in der Mannschaft?“
 

„Mein Vater muss mir keinen Platz erkaufen, ich bin tatsächlich ein exzellenter Spieler“, entgegnete Luke kühl und rang sich dann ein Lächeln ab. „Im Gegensatz zu deinem, wäre meiner dazu aber in der Lage. Ich habe gestern einen Strafzettel kassiert. War der von deinem Dad? Soll ich noch zwei Nullen dranhängen, damit sie sich auf der Wache Computer aus dem 21ten Jahrhundert leisten können?“ Er legte den Kopf schief und fügte dann, leicht gehässig klingend, an: „Oder du eine Karte fürs Fitnessstudio ergattern, vielleicht wird dann ja was aus dir?“
 

Stiles blinzelte einen Moment, ehe er sich ebenfalls zu einem Lächeln hinreißen ließ: „Danke, ich bin ganz zufrieden mit meinem Äußeren. Wir geben uns nur nicht dem sinnlosen Konsum hin, und setzen auf Altbewährtes, das ist alles, aber jemand, dem wahrscheinlich der Butler sogar den Hintern abwischen muss, kann sich das kaum vorstellen. Schneidet er dir auch das Essen klein und schüttelt das Bettzeug aus, damit Richboy nur ja keine bösen Alpträume hat? Etwa, dass die Lieblingsmannschaft des kleinen Luke auch ohne ihn gewinnen kann? Oder vielleicht verliert?“
 

Lukes rechtes Augenlid zuckte gefährlich und Scott konnte beobachten, wie sich seine Hände in den Hosentaschen zu Fäusten ballten. Dabei fiel ihm auch eine Ausbuchtung in der rechten Tasche auf, die eindeutig zu groß für seine bloße Hand war. Gerade als der Brite ansetzen wollte, etwas zu sagen, ertönte ein lauter Pfiff und alle wandten sich dem Coach zu, der auf einem kleinen Hügel stand und wartete, bis er die volle Aufmerksamkeit genoss.
 

„Der Ablauf ist euch ja allen klar. Wir starten zeitversetzt. Ihr müsst euch von Station zu Station hangeln. Die Anfangskoordinaten habt ihr bereits in eure Handys eingegeben. Sobald ihr den nächsten Punkt gefunden habt und das Rätsel gelöst, findet ihr die nächsten Koordinaten und so weiter. Wenn ihr euch verlauft, dann kehrt ihr hierher, an den Ausgangspunkt zurück. Wie das mit Google Maps funktioniert, dürfte wohl jedem klar sein.“ Er warf einen strengen Blick in die Runde. „Keine Ausreden, ihr hättet kein Signal, die Strecke wurde ausgetestet. Es ist unmöglich, sich zu verlaufen. Damit würde ich vorschlagen gutes Gelingen und das erste Paar bewegt sich schon einmal zu mir, nämlich McCall und Taylor.“
 

Scott sog scharf die Luft ein. Er hatte ehrlich gesagt keine Lust, als Erster loszulaufen. Vor allem musste er Stiles bereits jetzt alleine lassen, dem er einen weiteren, schuldbewussten Blick zuwarf. Dieser nickte nur in Richtung Lukes und schnitt eine Grimasse, eher davonstapfte und sie alleine ließ. Damit war er mit dem Briten alleine, der sich bereits daran machte, sich beim Coach einzufinden. Unter aller Augen schloss der Alpha zu ihm auf und fühlte sich wie ein Lamm, welches man zur Schlachtbank führte.
 

Im Gehen zog der Brite ein Paar schwarzer Kurzfingerhandschuhe aus der Hosentasche, die er sich überzog und mit einem Klettverschluss festzurrte. Er bog die Finger einmal durch und Scott konnte den Geruch von Leder wahrnehmen.
 

„Ihr zwei habt einen Ruf zu verteidigen“, begann der Coach und zwar so, dass es alle hören konnten. „Du als Kapitän des Lacrosseteams und du als potentieller Kapitän einer etwaigen Fußballmannschaft. Außerdem bist du der Enkel des Direktors. Enttäusche deinen Grandpa also nicht. Ihr werdet als Schnellste ins Ziel kommen, verstanden?“
 

„Sonst noch einen Wunsch?“, erkundigte sich Luke gelangweilt und schaute desinteressiert an Finstock vorbei.
 

„Mehrere, aber das genügt für den Anfang.“ Dann warf der Lehrer Scott noch einen auffordernden Blick zu, ehe er seine Stoppuhr in die Hand nahm und die Pfeife an die Lippen legte.
 

Scott war die ganzen Situation ziemlich unangenehm. Nicht nur, dass er sich wie auf dem Präsentierteller fühlte, und das hasste er, es war auch Lukes verschrobene Art, vor allem gegenüber Stiles, die ihm missfiel und ihn sogar ein wenig verschreckte. Es war kaum vorstellbar, dass dieser Junge, der sich an ihn gedrückt hatte, als sie sich geküsst hatten, überhaupt existierte. Luke war genauso wie an dem Tag, als sie sich kennengelernt hatten: Versnobt, überheblich und herablassend. Ihm blieb aber nichts anders übrig, als sich neben den Briten zu stellen und sich bereitzumachen loszulaufen. Luke sah ihn aus den Augenwinkeln heraus an, eine kaum zu deutende Miene aufgesetzt, ehe er den Blick wieder nach vorne richtete.
 

Kaum, dass der Pfiff ertönte, rannte Luke auch schon los und Scott setzte ihm nach. Ihm war es ein Leichtes, mit seinem Teampartner Schritt zu halten, doch das Tempo, welches er vorlegte, war nichtsdestotrotz erstaunlich.
 

„Weißt du überhaupt, wo wir hinmüssen?“, wollte der Werwolf wissen.
 

„Natürlich, folge mir einfach.“
 

Vor einer großen knorrigen Eiche, nach gefühlt fünf Kilometern Wegstrecke, hielt Luke an und sah nach oben, in Richtung der Baumkrone. Erste Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, trotz der eher kühlen Brise, die sie begleitet hatte.
 

„Sind wir hier richtig?“ Scott tat es Luke gleich und schaute ebenfalls nach oben.
 

„Wahrscheinlich hat der Trottel den ersten Hinweis da oben versteckt.“ Der Brite ging einmal um den Baum herum und nickte dann. „Ganz sicher.“
 

„Müsste er dann nicht ein Seil oder eine Kletterhilfe angebracht haben? Ich meine, manche sind nicht so sportlich wie wir“, gab Scott zu bedenken.
 

„Hat er auch.“
 

Bevor der Werwolf nachhaken konnte, war Luke einige Schritte zurückgetreten, hatte Anlauf genommen und war gegen den Stamm der Eiche gesprungen. Zielsicher fanden seine Finger Halt in einem Stück herausgebrochener Rinde und so hangelte er sich, scheinbar mühelos, von Ausbuchtung zu Ast, bis er oben angekommen war. Wenige Sekunden später hing neben Scott auch schon ein langes Stück Seil, mit mehreren Knoten darin.
 

„Du brauchst nicht nach oben zu kommen, es ist eine einfache Frage“, kam es von oben. „Wann wurden die Vereinigten Staaten gegründet?“
 

„1776“, antwortete Scott und trat einen Schritt zurück, als Luke neben ihm landete, wobei dieser sich geschickt abrollte.
 

„Korrekt“, lächelte er ihm zu und griff nach seinem IPhone. „Wir müssen da lang.“ Er deutete in Richtung Westen, bevor er sein Handy wieder in seiner Jackentasche verstaute und loslief.
 

„Wie hast du das gemacht?“, wollte Scott wissen, während er sich neben Luke hielt.
 

„Übung“, antwortete Luke und atmete dabei bereits recht flach. „Ich habe viel Freizeit und in Cambridge gibt es eine große Parkourszene. Das habe ich bereits mit deiner Mutter besprochen“
 

„Das ist also Parkour?“
 

„Ist es“, wurde Scott bestätigt. „Unter anderem. Ich würde aber vorschlagen, wir verschieben unser Gespräch auf später.“
 

Trotz der Tatsache, dass der Werwolf seinem Teampartner problemlos folgen konnte, war er noch immer beeindruckt ob des Tempos, welches dieser vorlegte. Luke war tatsächlich ein ausgezeichneter Läufer und überquerte scheinbar mühelos Hindernisse, seien es umgestürzte Bäume, Grube, unebene Wege oder den kleinen Bach, ohne sich dabei nass zu machen. Scott nahm ihm einige der Aufgaben, die sich von Klettern über Tasten bis hin zum Erangeln eines Hinweises mit einem Lacrosseschläger erstreckten, ab. Die Rätsel selbst waren einfach und benötigten lediglich Allgemeinwissen in den Bereichen Geschichte, Geografie und Betriebswirtschaft. Auch wenn der Alpha nicht wirklich einzuschätzen vermochte, wie schnell sie waren, so hatte er doch das Gefühl, dass sie zweifelsohne im vorderen Spitzenfeld rangieren würden. Auch hier zeigte sich wieder, dass sie beide ein hervorragendes Team abgaben.
 

„Finalfrage“, las Scott laut vor, während Luke sich auf einem Findling niederließ und verschnaufte. Er zog das rechte Bein an und bettete seinen linken Arm darauf. Mittlerweile klebte ihm das Haar an der Stirn und sein Herz hämmerte wie wild.
 

„Also?“, keuchte der Brite. „Was ist die Finalfrage?“
 

„Wir sind verloren“, seufzte Scott.
 

„Warum?“
 

„Weil das niemand wissen kann.“
 

„Lies vor“, forderte ihn sein Teampartner auf.
 

„Was gehört zusammen?“ Scott blinzelte und kniff die Augen zusammen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen: „Fünf Ringe, Kunst des Krieges und Das Kapital, Kanada, Indien und die USA oder Sekhmet, Ares und Tyr.“ Er verstand nur Bahnhof. Kanada, Indien und die USA waren Länder, aber den Rest hatte er noch nie gehört.
 

Luke wischte sich mit dem Jackenärmel über die Stirn und lachte dann leise. „Das ist die Finalfrage? Wirklich?“
 

„Ja?“ Scott schaute von dem Blatt Papier zu seinem Teampartner und wieder zurück. „Kennst du die Antwort?“
 

„Das erste sind Bücher. Die Fünf Ringe und die Kunst des Krieges sind fernöstliche Klassiker, die sich mit der Kriegsführung beschäftigen. Das Kapital ist eine Abschrift, aus dem sich der Sozialismus herleitet. Kanada, Indien und die USA waren alle einmal unter britischer Herrschaft und Ares, Sekhmet und Tyr sind Gottheiten.“ Luke rutschte von dem Findling und kam zu Scott herüber.
 

„Aber die haben doch alle etwas gemeinsam?“, jammerte der Werwolf.
 

„Ja und nein. Zwei von drei Büchern befassen sich mit einem spezifischen Thema, während eines aus der Reihe schlägt. Bei den Ländern ist genau gleich: Zwei von drei sind Mitglieder des Commonwealth, nur die USA nicht. Einzig die drei Gottheiten haben etwas gemeinsam: Die Griechen beteten Ares als Gott des Krieges an, die Germanen Tyr und die Ägypter Sekhmet“ Er rollte mit den Schultern und lächelte. „Antwort drei ist die Richtige.“
 

Scott schenkte Luke einen überraschten Blick. „Woher weißt du das?“
 

„Hättest du Percy Jackson gelesen, wüsstest du das“, grinste er.
 

„Ich habe wohl andere Interessen“, entgegnete der Werwolf und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
 

Der Brite wirkte nun wieder ganz anders als noch vorhin beim Start: Das Grinsen mitsamt der Zahnspange verlieh ihm etwas Normales. Er stand einfach nur da, komplett verschwitzt, noch immer schwer atmend und schenkte ihm einen neugierigen Blick. Das Schlagen von Lukes Herz war wie Musik in Scotts Ohren. Sein Geruch überdeckte den von Schweiß und Waschmittel. Er musste sich mit aller Macht dazu zwingen, sich daran zu erinnern, was der Junge vor ihm mit seinem besten Freund veranstaltet hatte; dass er eingebildet war, versnobt, hochtrabend und herablassend.
 

Während der Alpha seinen Gedanken nachhing, war Luke auf ihn zugekommen. Er hatte einen lauernden Blick aufgesetzt. Ehe Scott reagieren konnte, waren seine Hände auch schon auf den Rücken seines Teampartners drapiert worden.
 

„Du denkst zu viel“, stellte sein Gegenüber kichernd fest.
 

„Tue ich das?“, brummte der Werwolf und wollte seine Hände lösen, doch er konnte nicht. Sein Körper reagierte auf Luke. Es fühlte sich richtig an, so wie sie dastanden
 

„Eindeutig“, hauchte er ihm zu und wanderte dabei mit seinem Gesicht an seinen Hals.
 

Scott spürte etwas Warmes und Weiches an seinem Hals. Es strich daran entlang. Lukes Lippen wanderten über seine Haut und hielten an seinem Muttermal, welches zärtlich geküsst wurde.
 

„Nicht“, murmelte er und wollte sich loseisen. „Wir sind noch nicht im Ziel.“
 

„Wir haben noch genügend Zeit“, lispelte Luke und fuhr mit seinen Fingern durch Scotts Haare. „Ich könnte den ganzen Tag so dastehen und das machen.“ Er zog den Kopf zurück und schenkte Scott einen verliebten Blick. „Oder willst du tatsächlich, dass ich aufhöre?“
 

Alles in ihm verlangte danach, dass sein Gegenüber nicht aufhörte. Es war unklug und doch misste Scott bereits jetzt das Gefühl von Lukes Lippen auf seiner Haut. Die Finger, die ihm durch die Haare strichen und den Nacken kraulten, hinterließen ein Prickeln und er fühlte ein scharfes Brennen in seiner Brust, welches in den ganzen Körper ausstrahlte.
 

„Nein“, brachte er über die Lippen.
 

Wie aufs Stichwort klebte Luke schon wieder an ihm, um ihn erneut am Hals zu küssen. Der Werwolf legte den Kopf ein wenig in den Nacken und schloss dabei die Augen. Es fühlte sich mehr als gut an was Luke da tat. Aus dem Küssen wurde ein behutsames Knabbern und Scott biss sich auf die Unterlippe. Das Brennen verstärkte sich mit jeder Sekunde. Er konnte kaum noch klar denken.
 

Er kannte den Jungen, der da an ihm hing, kaum und doch fühlte es sich an, als hätten sie das alles bereits einmal gemacht. Das Küssen, das Prickeln auf der Haut, das Brennen, alles wirkte so vertraut. Lukes Finger, die über seine eigenen glitten, sie miteinander verwoben, wie er sich an ihn schmiegte und ihm zuhauchte, wie gut er doch schmecken würde – es war so ähnlich zu Allison und doch so konträr. Luke war ein Junge, kein Mädchen. Er war der erste Junge überhaupt, bei dem er so empfand. Trotz dieses Umstandes, und Scott war bei Weitem nicht verklemmt oder verschlossen was Liebe gegenüber dem gleichen Geschlecht anging, erschien es ihm richtig.
 

„Darf ich dich noch etwas fragen, bevor wir diesen dämlichen Lauf beenden?“, erkundigte sich Luke leise und vergrub dabei sein Gesicht an Scotts Hals.
 

„Was denn?“ Dabei sah er nach unten und strich dem Briten in einer vertrauten Geste über den Nacken.
 

„Übernachtest du heute bei mir, wenn dir der Abend gefallen sollte?“
 

Es war nicht die Tatsache, dass er fragte, sondern wie er es tat, was Scott beinahe dahinschmelzen ließ. Luke klang überhaupt nicht mehr selbstbewusst und versnobt; seine Stimmlage war latent höher, er verschluckte einzelne Buchstaben und druckste dabei fast schon ängstlich wirkend herum.
 

„Willst du das denn wirklich?“, bohrte der Alpha nach.
 

„Klar, also ganz unverbindlich. Ich meine, nicht dass etwas passieren wird.“ Lukes Wangen zierte eine sanfte Röte bei diesen Worten. „Du hältst mich für einen Vollidioten, oder?“
 

„Nein“, beschwichtigte ihn Scott. „Nur für sehr süß, wenn ich ehrlich sein soll.“
 

„Süß ist die kleine Schwester von Scheiße“, spottete Luke verunsichert.
 

„Ich meine es aber ernst.“ Scott zögerte, bevor er dem Briten einen Kuss auf die Stirn drückte. „Sehr sogar.“
 

„Ich spare mir das für heute Abend auf, ja?“ Bei dem Kuss huschte ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht.
 

Luke löste sich von ihm, wobei er seine Hände fest drückte, ehe er in seine Hosentasche griff und sein IPhone herausfischte. Mit zitternden Fingern gab er die Koordinaten ein und vermied es, Scott direkt anzusehen. „Wir müssen da lang“, meinte er noch und setzte sich daraufhin wieder in Bewegung.
 

Den restlichen Weg bis zum vermeintlichen Ziel legten sie schweigend zurück. Lukes flacher Atem war bildete das einzig konstante Geräusch während ihres Laufes. Auch wenn er sich bemühte, es sich nicht anmerken zu lassen, so ließen seine Kräfte langsam nach, trotz der Pause, die sie eingelegt hatten. Das war aber auch kein Wunder, denn das Tempo, in welchem beide bisher agiert hatten, war extrem hoch. Es erstaunte Scott noch immer, dass jemand, der kein Werwolf war, so lange durchhielt und das auf einem so hohen Niveau.
 

Sie rannten über Stock und Stein, wobei Luke immer wieder ihre Richtung überprüfte. Er verzichtete dabei komplett auf jegliche sprachliche Kommunikation und beschränkte sich auf simple Gesten. Irgendwann wurde es Scott zu bunt und er hielt an.
 

„Du brauchst eine Pause“, stellte er ohne Umschweife fest.
 

„Ich brauche keine Pause“, wehrte sich Luke, wobei seine Knie sichtlich zitterten.
 

„Doch. Ich merke doch, wie du dich kaum noch auf den Beinen halten kannst.“
 

„Du irrst dich“, wiegelte er ab. „Ich weiß, was ich meinem Körper zumuten kann.“
 

„Augenscheinlich nicht.“ Scott kam auf ihn zu und ging dann vor ihm auf die Knie, sich mit dem Rücken zu ihm drehend.
 

„Was soll das werden, wenn es fertig ist?“
 

„Ich trage dich die letzte Distanz Huckepack.“ Scott vollführte eine auffordernde Geste mit den Armen und sah zu Luke auf, der überhaupt nicht begeistert wirkte.
 

„Kommt nicht in Frage, ich bin keine verzärtelte Prinzessin. Wie sieht das aus, wenn wir so ins Ziel kommen?“, lehnte er den Vorschlag entschieden ab.
 

„Das hier ist ein Partnerlauf, oder? Wir sind Partner und ich habe bisher kaum etwas machen müssen, weil du alles erledigt hast. Die anderen werden es genauso machen, Isaac bei Allison sicher, sofern sie nicht zu stolz ist und Aiden bei Lydia auch.“ Scott hob erneut auffordernd die Arme an. „Gib dir einen Ruck.“ Er konnte dabei zusehen, wie Lukes Widerstand zu bröckeln begann. Etwas in ihm wollte nicht, dass sein Partner sich so verausgabte, vor allem, weil es nicht notwendig war. Instinktiv fügte er noch ein „Tus für mich“ an.
 

„Du bist dir sicher, dass Allison bei Isaac auch aufsteigen würde?“, wollte er noch zögerlich wissen, doch Scott hatte bereits gewonnen, das war ihm bewusst.
 

„Ganz sicher“, bestätigte er ihm.
 

„Du lässt mich aber kurz vor dem Ziel absteigen“, verlangte Luke, machte sich aber bereits daran, auf Scotts Rücken Platz zu nehmen.
 

„Einverstanden.“
 

Als Werwolf spürte er das zusätzliche Gewicht kaum. Luke schlang die Hände um seine Brust und er fasste ihn im Gegenzug unter den Kniekehlen. Langsam richtete er sich mit seinem menschlichen Gepäck auf, prüfte noch einmal, dass er ihn nicht verlor und setzte sich dann in Bewegung.
 

„Das letzte Mal bin ich Huckepack genommen worden, als ich beim Training ausgerutscht bin und mir den Knöchel verstaut habe“, gluckste Luke und entspannte sich sichtlich. „Jonathan war aber kein so ein angenehmer Träger wie du.“
 

„Kann es sein, dass du ihn gerne hast?“, fragte Scott nach und zog das Tempo dabei ein wenig an.
 

„Jonathan ist nach Grandpa tatsächlich so etwas wie eine Konstante in meinem Leben. Er, Grandpa und Hakim.“
 

„Hakim?“
 

„Ja, Hakim ist mein Hund. Dad hat ihn mir zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt. Da war er noch ein ganz kleiner Welpe.“ Scott konnte das Lächeln förmlich heraushören, während Luke von seinem Hund berichtete. „Er ist äußerst intelligent und sehr liebenswert, mein bester Trainingspartner.“
 

„Hakim ist aber ein äußerst exotisch klingender Name.“ Scott hielt kurz inne, damit Luke ihre Richtung korrigieren konnte, ehe er sich wieder in Bewegung setzte.
 

„Hakim ist arabisch und bedeutet weise beziehungsweise intelligent. Einmal hat er selbstständig den Schrank aufgemacht, um an Futter zu kommen. Das Reinigungspersonal war außer sich, weil er dabei sämtliche Leckerlis quer über dem Boden verteilt hat. Ich habe mich köstlich amüsiert.“ Luke krallte sich in Scotts Shirt fest. „Er war immer für mich da und schläft auch bei mir im Bett.“
 

„Warum habe ich ihn dann das letzte Mal nicht gesehen?“, wollte Scott wissen. „Ich mag Tiere nämlich auch sehr gerne. Mein Nebenjob ist in der örtlichen Tierarztpraxis.“
 

„Weil Grandpa Hunde nicht mag und Hakim irgendwie ein Problem mit ihm hat. Normalerweise ist er nicht so. Wahrscheinlich ist er eifersüchtig, weil ich wegen Grandpa weniger Zeit für ihn habe“, mutmaßte Luke.
 

Das war wahrscheinlich nicht der Grund. Scott wusste aus Erfahrung, dass Hunde sehr gute Menschenkenner waren. Ihm gegenüber verhielten sie sich meist freundlich, was nicht nur an seinem Werwolfdasein lag. Natürlich gab es auch aggressive Hunde, doch Lukes Beschreibung nach, handelte es sich bei Hakim nicht um ein solches Exemplar. Er konnte sich noch sehr gut an Gerards Ausführungen über den tollwütigen Hund, den er getötet hatte, erinnern.
 

„So, hinter der nächsten Weggabelung müsste das Ziel sein, lass mich absteigen“, wurde er aufgefordert.
 

„Sicher, dass du es schaffst?“ Scott blieb stehen und sah zweifelnd nach hinten.
 

„Ganz sicher.“
 

Kaum, dass er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, setzten sie gemeinsam ihren Weg fort, dieses Mal deutlich langsamer. Tatsächlich wartete hinter der nächsten Biegung, wie prophezeit, ihr Geografielehrer, Mister Wilson auf sie. Er schenkte ihnen ein breites Lächeln und drückte auf die Stoppuhr.
 

„Gratulation, ihr seid die Ersten“, begrüßte er sie. „In Rekordzeit, wohlgemerkt.“
 

„Sind wir damit fertig?“ Luke rollte mit den Schultern und war dabei wieder wie ausgewechselt.
 

„Ja. Ich denke, der Coach möchte sich noch mit euch unterhalten…“, begann ihr Lehrer, wurde aber sogleich von Luke unterbrochen.
 

„Das kann er nach dem Wochenende auch noch machen. Ich würde es vorziehen, wenn ich mich duschen und die verschwitzten Sachen wechseln könnte.“ Luke wischte sich einige Haarsträhnen aus der Stirn.
 

„Ich kann ja bleiben“, schlug Scott vor. „Es reicht doch, wenn einer von uns da ist, oder?“
 

„Ich weiß nicht.“ Mister Wilson zuckte ein wenig ratlos mit den Schultern, wobei er Luke einen bösen Blick zuwarf.
 

„Ich fasse das als ja auf“, mischte sich der Brite erneut ein. „Wir sehen uns dann später“, meinte er noch in Richtung Scott und ließ sie dann alleine.
 

„Wäre dieser junge Mann nicht der Enkel des Direktors…“, schüttelte Mister Wilson den Kopf. „So respektlos.“
 

„Ich weiß“, seufzte Scott. „Ich weiß.“
 

Damit starrte er Luke nach und fragte sich, wie man sich so ambivalent verhalten konnte. Dabei fiel ihm auch auf, dass sie nicht geklärt hatten, ob Scott bei ihm übernachten würde. Sollte er? Wollte er? Die erste Frage war schwer zu beantworten, doch bei der zweiten meldete sich sein klopfendes Herz, welches nicht nur vor Anstrengung schneller pochte... Damit war die Entscheidung wahrscheinlich bereits gefallen.



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