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Fremder Feind

von

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Erinnerungen

Jodie saß auf dem Sofa und versuchte die Gedanken, die auf sie niederprasselten, zu ordnen. Ihre Wohnung – falls man sie als solche bezeichnen konnte – war klein und befand sich in einem Wohnkomplex, der der Organisation gehörte. Nur Mitglieder die unter Beobachtung standen, verletzt waren oder dringend eine Bleibe brauchten, wohnten dort. Sie hatte zwar einen eigenen Wohnbereich, eine Küche, Badezimmer und auch Schlafzimmer, aber hochrangige Mitglieder wie Vermouth konnten die Räumlichkeiten nach Lust und Laune betreten. Und sie konnte nichts dagegen tun. Zudem befand sich im Erdgeschoss der Pförtner, der jeden Besuch notierte und bei Bedarf an die Organisation weitergab. Er schrieb sich aber auch die Zeiten auf, wenn sie die Wohnung verließ und sobald sie zurück kam. Manchmal fragte sie sich, ob nicht sogar jemand in ihren Räumen war, wenn sie sich draußen befand. Das Leben an diesem Ort hatte eine Art Dauerüberwachung an sich, aber welche andere Möglichkeit blieb ihr? Sie war allein und von Schmerzen gepeinigt.

Jodie beugte den Kopf nach unten und legte ihre Finger an die Schläfen. Sie begann mit der Massage, aber die Kopfschmerzen wurden – wie gewohnt – immer schlimmer. Sie schloss die Augen.

Sofort loderte das Feuer auf. Flammen schlugen umher. Der Geruch, das etwas Brennen würde, stieg ihr in die Nase, obwohl sie eigentlich weit genug entfernt war. Die Atmosphäre war geladen. In der vollkommenen Dunkelheit rieb sich Jodie die Augen. Sie setzte sich langsam auf und blickte durch das Fenster. Es brannte. Das Haus ihrer Eltern brannte. Hell und lichterloh. Sie weitete ihre Augen. Etwas Schlimmes musste passierte sein, aber Jodie konnte sich keinen Millimeter bewegen. Dann sah sie einen Schatten auf sich zukommen und…

Jodie kniff die Augen zusammen. „Nein...nicht…“, murmelte sie leise und streckte ihre Hand nach der kleinen Pillendose auf ihrem Tisch aus. Ihre Vergangenheit war zwar ausgelöscht, aber ihre Zukunft blieb noch bestehen.

Jodie saß in einem Wagen. Sie hielt ihre Hand auf den Bauch gedrückt. Dennoch sickerte Blut aus der Wunde. Ihr tat alles weh. Hilfesuchend sah sie nach hinten, versuchte einen Blick durch die Scheibe zu erhaschen und merkte dann aber den Blick auf ihren Körper. Der Mann musterte sie. Er hatte langes, schwarzes Haar und blickte böse drein.

Jodie hörte einen Schuss. Der Mann krallte seine Hände ans Lenkrad und versuchte den Wagen unter Kontrolle zu behalten. Kurz darauf wurde der zweite Schuss abgefeuert und das Auto überschlug sich.

„Wer bist du…wer bist du?“, fragte Jodie. „Hast du mir das angetan? Bist du an meinen Schmerzen Schuld?“

Wie in einem schlimmen Traum drehte sich der Wagen auf dem Asphalt und landete letzten Endes auf dem Dach. Der Airbag hatte Jodie auf ihren Sitz gepresst und fiel Sekunden später in sich zusammen. Allein durch den Sicherheitsgurt hing sie kopfüber auf dem Platz.

„Mhm…“, gab Jodie leise von sich. Sie stöhnte schmerzerfüllt auf. Langsam öffnete sie ihre Augen und brauchte einen Moment um die Situation zu erfassen. Nicht nur ihr Kopf, auch ihr gesamter Körper schmerzte. „Was…was ist…passiert?“, wollte sie leise wissen.

„Der Wagen hat sich überschlagen“, erklärte der Fremde. Es war der gleiche Mann, mit dem sie vorher im Wagen fuhr. Der Japaner mit den kalten Augen.

„Wer bist du…wer bist du nur?“ Jodie stöhnte schmerzerfüllt auf. „Warum hab ich das Gefühl, dass ich dich kenne?“

Jodie befand sich außerhalb des Unfallwagens, aber die Schmerzen ließen einfach nicht nach. Sie sah sich hilfesuchend um und hatte nur noch einen Gedanken: Flucht. „…schnell…wie möglich…weg“, hörte sie sich leise sagen. Der Mann hingegen war bereits weg.

Jodie konnte die Tränen nicht mehr zurück halten.

Sie humpelte vom Unfallort weg. Die Anstrengung war ihr ins Gesicht geschrieben und wenige Sekunden später wurde der Unfallort durch das Scheinwerferlicht eines anderen Fahrzeuges erhellt. Vermouth – Chris Vineyard – stieg aus.

Endlich nahm sie ein vertrautes Gesicht wahr. Dennoch ahnte Jodie, dass Gefahr in der Luft lag. Wo war der fremde Mann? Hatte er sich nur versteckt und wartete auf seine Chance? Jodie machte einen Schritt nach hinten. Ein Schuss fiel. Sie taumelte und als der zweite Schuss fiel, ging Jodie zu Boden. Jodie sah nach oben in den Himmel. War das ihr Ende? Sie atmete schwer und hatte keine Kraft mehr um aufzustehen oder um zu kämpfen.

Jodie hustete Blut.

„Der Unfall ist nicht spurlos an dir vorbei gegangen. Wahrscheinlich hast du innere Blutungen…“

Jodie beobachtete Vermouth.

„Er ist weg.“

Vermouth sah nach hinten zu Calvados. „Hast du auch alles gründlich durchsucht?“

„Selbstverständlich. In Anbetracht an den Unfall und die Zeit, die er weg ist, habe ich den Suchradius berechnet. Die quietschten Reifen die ich gehört habe, passen zu einer Flucht.“

„Ich verstehe. Er hat Jodie ihrem Schicksal überlassen.“

Unweigerlich lief ihr eine Träne über die Wange.

„Jetzt wein doch nicht“, sagte Vermouth. Sie kniete sich zu ihr runter. „Deine Wunden werden versorgt werden.“

Jodie schluchzte. Chris hatte sie gerettet und trotzdem hatte sie das Gefühl, dass etwas mit ihren Erinnerungen nicht stimmte. Dennoch wollte sie in diesem Moment nichts weiter, als ihre Kopfschmerzen los zu werden.

„Jodie, um Gottes Willen…“ Vermouth kam zu ihr gelaufen. „Hast du deine Medikamente nicht genommen?“, wollte die Schauspielerin wissen und nahm die Pillendose. Sie holte eine Pille heraus und hielt sie Jodie an. „Jodie, du musst sie nehmen.“

Jodie keuchte schwer, nahm die Pille und schluckte sie runter. Mit dem Restwasser aus ihrer Wasserflasche spülte sie nach. Langsam legte sie sich auf die Seite und bettete ihren Kopf auf Vermouths Schoss.

„Geht’s wieder?“, wollte diese wissen.

Jodie nickte. „Tut…tut mir leid. Ich wollte dir keine Sorgen bereiten“, murmelte sie. „Ich wollte sehen…wie lange ich es aushalte, ehe ich eine Pille nehmen muss. Irgendwann will ich…nicht mehr davon abhängig sein. Irgendwann sollen die Schmerzen verschwinden.“

„Ach Jodie.“ Vermouth strich ihr über den Kopf. „Das hatten wir doch schon. Durch den Unfall musst du mit den Schmerzen leben und nur das Medikament kann dir helfen. Du hast leider keine andere Möglichkeit. Wir haben doch schon so viel versucht.“

„Ich weiß“, antwortete Jodie leise.

„Sind wieder schmerzhafte Erinnerungen hochgekommen?“

Jodie nickte abermals.

„Möchtest du mir davon erzählen?“, fragte Vermouth beinahe liebevoll.

„Ich war in einem Wagen“, fing Jodie an. „Zuerst habe ich mich nicht getraut, aber als ich dann aus dem Fenster sah, sah ich, dass das Haus meiner Eltern in Flammen stand. Ich war so schockiert, dass ich mich nicht bewegen konnte. Und dann kam diese Person auf mich zu. Ich spürte…diesen Schmerz an meinem Bauch. Ich glaube, ich bin angeschossen worden“, erzählte sie. „Der Mann neben mir…ein Japaner mit langen, schwarzen Haaren, fuhr den Wagen, aber ehe ich etwas Sagen konnte, hörte ich Schüsse. Der Wagen überschlug sich und mir tat alles so verdammt weh. Ich kann dir nicht genau sagen, wie ich raus gekommen bin, aber er war die ganze Zeit da. Ich habe seinen Blick auf meinem Körper gespürt.“

„Ganz ruhig, Jodie“, entgegnete die Schauspielerin. „Du bist jetzt in Sicherheit. Hab keine Angst, ich pass auf dich auf. Das hab ich dir doch damals versprochen.“

„Ja…ich weiß“, murmelte Jodie. „Du warst auch da…zum Glück. Ich weiß nicht warum der Mann gegangen ist. Vielleicht wollte er auch, dass mir jemand zu Hilfe kommt um denjenigen dann…“, sprach die Amerikanerin leise. „Kaum, dass du bei mir warst, fielen zwei Schüsse und ich lag auf dem Boden. Er hat tatsächlich in der Dunkelheit gelauert. Danach habe ich nur noch gehört, wie du über meine Wunden gesprochen hast und das der Mann wohl gegangen sei. Ich war endlich…in Sicherheit.“

Vermouth nickte verstehend. „Es ist alles wieder gut“, sagte sie. „Er kann dir nichts mehr tun.“

„Hat er...“, fragte sie leise. „Du hast…mir erzählt, dass ein Japaner meine Eltern umgebracht hat und mich auch umbringen wollte. War er…das?“, wollte sie wissen. „Ich hab das Gefühl, je mehr Zeit vergeht, desto mehr verblasst meine Erinnerung.“

„Das ist ganz normal. Du hast einen Schock erlitten, ein Träume…“, antwortete Vermouth. „Hast du sein Gesicht gesehen?“

„Hab ich.“

„Es tut mir leid, ich wünschte, du würdest dich nicht so daran erinnern. Es war damals so knapp. Als ich herausgefunden habe, was er vor hatte…“, entgegnete Vermouth und biss sich auf die Unterlippe. „Wenn wir ihn damals nur geschnappt hätten, ehe er auf dich Schießen konnte. Aber wenigstens haben wir dich jetzt wieder.“

„Das war nicht deine Schuld“, murmelte Jodie. „Hätte ich mich damals doch nur nicht von ihm fangen lassen. Ich war so starr vor Angst, nachdem er meine Eltern…wenn ich damals doch nur etwas hätte tun können.“

Die Schauspielerin schüttelte den Kopf. „Du hast überlebt, das ist alles was zählt. Ich weiß, du hast deswegen ein schlechtes Gewissen, aber mach dich nicht fertig. Damit hilfst du deinen Eltern nicht.“

„Ich fühl mich aber wegen meiner Eltern so schuldig. Manchmal…vergesse ich sogar, wie sie aussehen. Ich wünschte, ich hätte diesen Unfall nie gehabt.“

„Ich weiß, wie du dich fühlst, meine arme Kleine“, gab Vermouth von sich. „Ich…nein, vergiss es.“

„Was wolltest du sagen?“, fragte Jodie.

„Wie du weißt, sind in den letzten Monaten immer wieder ein paar unserer Leute verschwunden“, begann sie. „Wir haben endlich herausgefunden, woran das liegt oder besser gesagt, wer dafür verantwortlich ist.“

Jodie schluckte. „Sag mir nicht, dass…“

„Doch“, sagte Vermouth. „Es war der gleiche Mann, der deine Eltern umbrachte. Ich wünschte, es wäre anders.“

„Oh nein“, wisperte sie. „Aber warum…warum tut er das?“

„Er hasst uns“, antwortete die Schauspielerin. „Er hasst uns, weil wir seine Machenschaften aufgedeckt haben. Deswegen bringt er unsere Leute nach und nach um und denkt nicht einmal an die Konsequenzen. Er weiß nicht, was er den vielen Familien damit antut.“

„Und was…was wollt ihr jetzt machen?“, wollte sie wissen.

Vermouth seufzte gespielt. „Das ist das, was mir nicht gefällt“, fing sie an. „Egal wen er von unseren Leuten vor sich hat, er lässt keine Gnade walten. Deswegen hat sich unser Boss überlegt, dass wir versuchen ihn aus der Reserve zu locken und das geht nur…“ Sie brach ab.

„Indem man mich hinschickt. Er glaubt, ich habe seinen Anschlag nicht überlebt. Also wird er überrascht sein, wenn ich auf einmal vor ihm stehe. Und wenn das passiert, soll ich mich um ihn kümmern, nicht wahr…?“

Die Schauspielerin nickte. „Ja, wenn du die Möglichkeit hast, sollst du seinem Leben ein Ende machen. Ich weiß, es ist viel verlangt, weil du einen Menschen töten sollst, aber nur so haben wir eine Chance gegen ihn. Denk an die vielen Leben, die du damit rettest.“

„Ich verstehe“, murmelte Jodie. „Ist er…in der Nähe?“

Vermouth schüttelte abermals den Kopf. „Leider nicht. Er befindet sich derzeit in New York.“

„New York“, wiederholte Jodie. „Wir fliegen also nach New York…“

„Ich kann dich leider nicht dorthin begleiten“, gab sie von sich. „Ich werde hier gebraucht und er weiß, dass wir früher zusammengearbeitet haben. Wenn er mitbekommen sollte, dass ich in New York eingereist bin…“ Vermouth schüttelte den Kopf. „Aber hab keine Angst, du wirst nicht alleine sein.“

Wie aufs Stichwort klopfte es an der Tür.

„Da ist er schon“, entgegnete die Schauspielerin. „Komm rein“, rief sie.

Bourbon öffnete die Tür und kam rein.

„Jodie, das ist Toru Amuro.“

„Nenn mich einfach Amuro“, sprach dieser. „Wie viel hast du ihr schon erzählt?“

„Sie kennt den Auftrag“, fing Vermouth an. „Ich bin schon gespannt, wie ihr euch zusammen machen werdet.“

Jodie setzte sich auf. „Ich werde mein Bestes geben.“

Bourbon nickte. „Pack deine Sachen, wir werden so schnell wie möglich aufbrechen. Ich agiere ungern spontan, daher werden wir ihn erst ein bis zwei Tage beobachten und seinen Tagesablauf studieren. Erst danach werden wir uns ihm zeigen und sein Ende einläuten. Hast du verstanden?“

Die Amerikanerin nickte.

„Ich weiß, das muss schwer für dich sein, nach allem was er getan hat.“

„Das krieg ich schon hin. Mach dir keine Sorgen, Chris.“

Vermouth lächelte und wandte sich Bourbon zu. „Du musst darauf achten, dass Jodie ihre Medikamente regelmäßig nimmt. Seit dem Unfall vor einem Jahr wird sie von fürchterlichen Kopfschmerzen heimgesucht, die sie handlungsunfähig machen. Wenn das passiert, wenn sie in seiner Nähe ist, hat er leichtes Spiel.“

Amuro sah zu der Pillendose. „Welche Medikation?“, wollte er wissen.

„Einmal pro Tag, am besten zur gleichen Uhrzeit. Sie versucht die Rationen so gering wie möglich zu halten, aber meistens wird es 24 Stunden unerträglich.“

„Gut, ich kümmer mich darum“, antwortete das Organisationsmitglied und sah wieder zu Jodie. „Wir sollten keine Zeit verlieren.“



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