Zum Inhalt der Seite

Der Söldner und das Vampirmädchen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Gedenkstein

„Seras, hol mir einen Wagen. Ich suche einen Funkapparat und gebe die Meldung raus, dass wir gewonnen haben. Hol mich hier dann ab!“ Integra wankte nicht. Mit purer Willenskraft hielt sie sich gerade, trotz der Schmerzen in ihrem linken Auge.

Seras stand von den Stufen auf, auf denen sie gewartet hatte und sah sich suchend um.

Die Stadt London war nach Kampfende totenstill. Die Häuser waren größtenteils zerstört, die Straßen voller Schlaglöcher. Dennoch befanden sich keine Leichen oder Blutspuren auf den Straßen.

Sie waren von Alucard verschlungen worden.

Und danach…war er verschwunden. Er hatte seinen Weg verloren, sein Selbst. Es war nichts mehr von ihm übrig als ein blutiges Pentagramm auf dem Boden.

Seras verstand nicht, was dieser Nazijunge Schrödinger mit ihm gemacht hatte, aber Meister Alucard, der stärkste Vampir, der je existiert hatte, war einfach…weg.

„Such einen Wagen, such einen Wagen…wo bitte steht hier den noch ein funktionsfähiges Auto?“ murmelte sie verzweifelt. Auf der Straße war nur Schrott zu finden.

Aber was mit den Autos, die in der Tiefgarage waren?
 

Seras hatte Glück.

In der Tiefgarage befanden sich mehrere Autos und darunter befand sich eines, von dem sie wusste, dass sie es knacken konnte. Walter hatte ihr da diese Technik gezeigt…Ach, Walter…

Während Seras den Wagen, ein silbernen Bentley, kurzschloss, dachte sie an Walter und seinen Verrat. Tiefe Traurigkeit überkam sie bei dem Gedanken, dass dieser gütige, alte Herr sie verraten hatte und nun tot war. Aber für Sir Integra, die mit ihm aufgewachsen war, musste der Verrat am Schlimmsten sein. Dennoch zeigte sich die eisige Herrin von Hellsing nicht schwach oder traurig oder erleichtert, weil der Krieg vorbei war. Nein, selbst nach dem Verlust ihren beiden Untergebenen Alucard und Walter stand sie aufrecht und mit eisernen Gesichtsausdruck an der Front und gab sofort neue Befehle. Seras war in diesem Moment dankbar dafür. Integras Haltung und ihre Befehle gaben ihr etwas zu tun. Zum Trauern war es noch zu früh.

Der Bentley startete schnurrend, als sie die Kabel zusammenschloss und sie fuhr den Wagen vorsichtig aus der Garage raus.

Wie befohlen, wartete sie am Treffpunkt. Sie schaute nach Lebenszeichen auf der Straße, aber alles war still.

London war wortwörtlich ausgestorben. Selbst die Stimme in ihren Kopf war momentan weg. Aber sie wusste, sie hatte es sich nicht eingebildet. Er hatte mit ihr gekämpft. Vielleicht schlief er gerade?

Seras schaute auf ihren neuen Arm, der aus einer schwarzen Flamme (oder Schatten?) bestand. Nach dem Massaker im Hellsing-Anwesen war sie durch das Trinken von Pips Bernadotte Blut vollständig als Vampir erwacht. Ihre Sinne waren schärfer, ihre Körperkraft stärker und ihre Uniform hatte nun eine neue blutrote Farbe, die ihr sogar besser gefiel als das alte Currygelb.

Dafür, dass sie eine lange Nacht mit Blut, Kämpfen und Sterben hinter sich hatte und es mittlerweile früher Morgen war, fühlte sie sich seltsam gut. Und nicht im Geringsten durstig.

Plötzlich hörte sie einen Herzschlag. Sie sah nach draußen und erkannte Sir Integra, die die Treppe runter ging und ins Auto auf die Rückbank einstieg. Sie hatte sich selbst einen Verband ums Auge angelegt.

„Fahr los! Zurück zu Hellsing. Oder was davon noch übrig ist“ Integras Stimme war kalt und entschlossen.

Nach 20 Minuten, nachdem sie die rauchenden Mauern von London hinter sich gelassen hatten, traute sich Seras vorsichtig nachzufragen.

„Was wird jetzt passieren, Sir? Wird Meister Alucard wieder...“

„Ich habe keine Ahnung“ unterbrach Integra sie wütend. Dann atmete die Ältere einmal tief ein und aus. Danach war ihre Stimme und Herzschlag ruhiger.

„Seras, ich weiß nicht, was mit Alucard passiert ist…aber er ist garantiert nicht tot. Er wird wieder kommen. Und wir werden auf ihn warten. Bis dahin müssen wir das Vereinigte Königreich aufbauen und beschützen.“
 

20 Minuten später erreichten sie die Grenze des Hellsing-Anwesens.

//Oh Gott, was ist mit den Landminen? Ist alles beim Angriff explodiert oder gibt es noch welche? Integra ist immer noch ein Mensch. Ich kann da nicht einfach durchfahren…//

„ Ne t’inquiète pas, ma chere. Ich werde dir sagen, wo du lang fahren kannst.“ Hörte sie eine bekannt männliche Stimme in ihren Kopf.

„Du bist wieder da?“ rief Seras erfreut.

„Was, wer? Alucard? Ist er zurück?“ erschrak Integra und riss ihre Augen auf. Sie war so müde, dass sie für einen Moment geschlafen hatte. Sie sah sich suchend um.

„Äh, nein. Sir Integra, es ist nur... Seitdem ich Captains Bernadotte Blut getrunken habe…lebt er in mir weiter. Ich konnte gerade seine Stimme hören“ erklärte Seras.

„Ah… ja“ staunte Integra. „Es sieht aus, als ist er durch das Trinken seines Blutes zu deinem Familiar geworden.“

„Was ist das?“

„Alucard hat mir nie viel davon erzählt. Aber durch das Trinken des Blutes seiner Opfer konnte er ihre besonderen Fähigkeiten übernehmen. Darin liegt seine größte Stärke, die er dir überlassen hat. Das, was wir in London gesehen hatten…waren treue, aber seelenlose Sklaven. Die Opfer seiner Jagd, die keinerlei freien Willen mehr hatten. Alucard hat jede Stimme, jeden freien Willen unterdrückt. Aber du…wenn du wirklich Pip hörst…dann ist es etwas Besonderes. Der Captain lebt in dir weiter.“

Seras verstand nicht, was Integra damit meinte. Inwieweit lebten die Erinnerungen und Erfahrungen von Pip Bernadotte durch sein Blut in ihr weiter?

Schweigend fuhren die beiden Frauen zum zerstörten Anwesen.

Seras hielt am Haupteingang an. Die Frauen stiegen aus.

Seras konnte Integra seufzten hören, als die Chefin die Zerstörungen am Gebäude sah.

„Halt, wer da?“ rief plötzlich ein Mann. Seras hörte das Geräusch von entsicherten Waffen, die auf sie gezielt wurden.

„Moment, es ist Boss Integra und Miss Seras. Seras, geht es dir gut?“

Zwei Männer kamen aus ihren Verstecken auf sie zu. Die letzten Überlebenden von Wild Geese.

Sie salutierten, als sie die zwei Frauen sahen.

„Wir haben hier draußen Posten bezogen. Innen drin…ist alles ruhig“ sagte einer.

Integra nickte. „Gute Arbeit. Ihr habt überlebt. Und ihr seid immer noch loyal genug, um auf Position zu bleiben.“

„Das wir leben, haben wir nur dem Captain und Miss Victoria zu verdanken. Die Körper unserer Kameraden … “ der Soldat stockte „… befinden sich noch im Gebäude.“

„Wir werden sie anständig bestatten. Der Krieg ist vorbei und im Tageslicht ist alles sicher. Geht hinein und holt ihre Überreste“ befahl Integra.

„Sir“ Seras wandte sich an ihren Meister. „ich bitte darum, dass ich ihnen dabei helfen kann.“

Integra seufzte und nickte.
 

Seras fand ihn dort, wo sie ihn verlassen hatte.

„Ein merkwürdiger Anblick. Es sieht aus, als würde ich schlafen“ hörte sie Pips Stimme.

Die Schatten formierten sich aus ihren Arm und Pips Gesicht bildete sich heraus.

„Das geronne Blut verhindert einen friedlichen Anblick“ sagte Seras tonlos. Sie kniete sich hin und strich sanft das Blut von seinen kalten Lippen. Er war so kalt. Sie fing an zu zittern

„Es tut mir leid. Gott, es tut mir so leid“ schluchzte sie. „Ich hatte gehofft…Gott, ich hatte bis zu diesen Augenblick gehofft, dass es eine Chance gäbe. Das ich dich in deinen Körper zurück stecken könnte. Das du wieder auferstehen könntest. Stattdessen habe ich dich getötet.“ Tränen liefen ihren Wangen herunter.

„Non, das ist falsch, ma chéré. Die Sense der Nazi-Bitch und die Kugeln haben mich getötet. Du ´ast mich gerettet. ICH bin noch da und das verdanke ich dir. Du hast keine Schuld daran. Ich habe es so gewollt. Ich habe dir mein Blut aus freien Willen gegeben und mir gewünscht, an deiner Seite zu kämpfen. Dass ich mein Leben sinnvoll einsetzen kann, um mein süßes Mädchen zu retten. Und mein Wunsch hat sich erfüllt.“

Plötzlich spürte Seras, wie sich zwei warme Arme um ihren gebeugten Körper schlossen und sie tröstend im Arm gehalten wurde. Sie hörte auf zu weinen und griff vorsichtig nach einem der Arme.

„Ich kann dich spüren…du bist wirklich da…nicht nur deine Stimme, du bist…da“ hauchte sie.

Sie konnte ihn spüren; mehr als je zuvor.

Sie wusste, ohne es zu sehen, dass er lächelte. Dass er glücklich war.

Und als sie spürte, wie seine Lippen ihr zärtlich einen Kuss auf die Stirn gaben, konnte sie auch lächeln.
 

Die Männer trugen die letzten Überreste zum Friedhof, der direkt neben den Anwesen lag. Von den meisten konnten sie nur noch die Hundemarken ablegen. Die Körper waren zu zerfleischt worden.

Seras trug den Körper des Captain persönlich nach draußen.

„Am liebsten würde ich das ganze Gebäude abfackeln“ hörte Seras ihre Chefin leise fluchen, die missbilligend auf das blutbesudelte Anwesen starrte.

„Meister Integra…ich werde es reinigen. Nicht mit geweihten Wasser, sondern mit meinem Flammen“ erklärte sie und ihr Arm flackerte unheilvoll. „Jede Spur dieser Schweine soll verschwinden. Jeden Tropfen Blut von meinen toten Kameraden werde ich aufnehmen. Wir werden Hellsing wieder aufbauen und auf Meister Alucard warten.“

Integra nickte.

Sie senkte den Kopf und die Männer und Seras ebenso, als sie ein kurzes Gebet sprach und die Leichen entzündete.

Seras meldete sich freiwillig dazu, das Feuer zu bewachen. Der Wind würde anschließend die Asche über das Land wehen. Die Wild Geese waren stolze freie Männer gewesen, die sich ihren Herren selber ausgesucht hatten. Captain Bernadotte wollte, dass seine Überreste mit denen seiner Männer in den Himmel aufflogen.

„Mögen euren Seelen damit den Himmel näher kommen“ betete Seras leise.
 

Sie setzte sich unter einen Baum und starrte auf die Flammen.

„Integra plant, für euch einen Gedenkstein zu erstellen. Irgendwelche Wünsche?“ fragte sie ihn.

„Es ging niemals ums Geld, sondern nur um den Spaß!“

„Das wäre eine Lüge. Etwas anderes bitte.“

„Here lies the fearsome Wild Geese who kicked beaucoup Nazi ass for Queen and crumpets.”

“Ich denke nicht, dass sich auf einen Gedenkstein Schimpfwörter befinden sollten. Ich bin mir sicher, Integra wird etwas Besseres finden, mit dem ihr für die Nachwelt erinnert werdet.“

Er lachte leise.

„Du bereust es also nicht?“ fragte sie plötzlich.

„Pardon“

„Du könntest am Leben sein, wenn du damals geflohen wärst?!“

„ Das war nie eine Option. Wir haben das Geld genommen, wir haben uns verpflichtet …und es gab keinen Fluchtweg. „Es ging nie ums Geld, sondern immer um den Spaß“ hat mein Großvater damals zu mir gesagt. Wir waren Söldner, die für Geld und dem Spaß am Töten in den Kampf gezogen sind. Wir wollten mit Blei in den Mägen und einem „Fuck“ auf den Lippen sterben. Diese letzte Schlacht hatte alles…sie war episch. Wir haben gegen Nazi-Vampire gekämpft und ein tolles, süßes Mädchen gerettet. Das war ein tolles Ende für einen Söldner.“

„Und es gibt nichts mehr, was du vor deinen Tod noch erledigen wolltest?“ fragte Seras zögerlich.

„ Vor meinem Tod ging mir nur eines durch den Kopf: dass ich dich unbedingt küssen musste. War zwar blutiger als ich gedacht habe und ich hätte auf die Schmerzen dabei verzichten können…apropos, wie wäre es mit einer Wiederholung?“

Seras kicherte. Pip war zufrieden. Das erste Lächeln war ein guter Anfang. Schon bald würden die Selbstvorwürfe aufhören und sie würde nach Vorne schauen.

„Aber was ist mit dir? Du hast die ganze Zeit über meinen Tod geredet. Was ist mit deinem Verlust? Du ´ast deinen Meister verloren und jetzt ´ast du einen toten Franzosen als ständigen Begleiter. Ich werde deinen Privatsphäre respektieren, so gut es geht, aber... ich muss mich an diesen Zustand noch gewöhnen. Keine Ahnung, was ich noch alles kann“ überlegte er.

„Tja, was Meister Alucard angeht…ich kann mir nicht vorstellen, dass er tot ist. Ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll: ich spüre es halt nicht. Ich bin mir sicher, er kommt wieder. Solange müssen wir halt ausprobieren, was wir zusammen tun können“ sagte sie nachdenklich. Sie schwiegen.

Das Feuer war fast heruntergebrannt.

„Übrigens…du hast zwar nicht Ja, aber auch nicht Nein gesagt…zu einem Kuss“ fiel es Pip plötzlich auf.

„DU…zuerst rauchst du in mir und denkst nicht daran, aufzuhören und jetzt…hach, du bist unverbesserlich“ Seras seufzte. Dann lachte sie. In der vergangenen Nacht hatte sie ihn für tot gehalten und daran gedacht, dass sie nie wieder seine Scherze und Anmachen hören würde und wie sehr sie es vermissen würde. Und nun…

„Einverstanden“ sagte sie. Sie wollte noch einen Kuss. Ein Kuss, der nicht nach Blut schmecken sollte.

Sie stand auf. Flammende Schatten schossen aus ihrem Arm hervor und vor ihr bildete sich zuerst der Umriss, dann der Körper von Pip Bernadotte, der sie ungewohnt schüchtern anstarrte.

Vorsichtig strich er ihr mit einer Hand die Haare zur Seite. Seine warme Hand wanderte ihrem Kinn entlang. Sie streckte sich langsam seinen Lippen entgegen.

Er berührte sie zärtlich, strich mit seinen Lippen über ihre.

Dann, von ihrer Reaktion ermutigt, presste er sie näher an sich, verstärkte den Druck.

Ihre Hände krallten sich in sein Hemd. Sie konnte den Stoff unter ihren Finger spüren, die Wärme seiner Lippen und seiner Arme, die sie an ihn pressten.

Sie fühlte sich geborgen und sicher.

Sie fühlte Hoffnung und Stärke.

Ihr Leben würde weiter gehen.

Sie war nicht allein.

Sie würde nie wieder allein sein.
 

Wenige Tage später stand auf dem Friedhof eine marmorne Säule.

Die Inschrift lautete:
 

Here lies the Wild Geese

Protector of Hellsing Manor

Warrior against Evil

Rest with Honor



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  RoteRose
2019-11-06T16:00:40+00:00 06.11.2019 17:00
Das war eine sehr schöne Story. Vermutlich werde ich von nun an beim Hellsingschauen immer an sie zurück denken, wenn ich Pips und Seras Klamotten sehe. 😅
LG RoteRose
Antwort von:  Rikarin
06.11.2019 17:20
Jetzt kennst du die Geschichte hinter diesen Kleiderwechsel 😁


Zurück