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The Devil's Accountant

Der Buchhalter des Teufels
von

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II.

Es ist alles wie immer. Pünktlich um Mitternacht beginnen die Ein- und Ausgänge der Seelen von neuem, der Zähler ist auf Null gesetzt und ich arbeite weiter. Ich weiß, dass die Dämonen eigene Häuser haben (weil ich die Kosten sehe, die darauf entfallen). Ich habe nicht einmal ein möbliertes Zimmer, weil ich mein Büro nie verlasse. Ich weiß noch, wie ich hierher gekommen bin, damals, nachdem ich das Fegefeuer verlassen habe. Ich bin durch eine Tür in der Halle gegangen und war hier. Wahrscheinlich irgendeine Art von Zauber, rein aus organisatorischen Gründen muss es Gänge geben, von denen die Büros abzweigen. Aber ich weiß nicht, wie es außerhalb meiner Tür aussieht.
 

Ich weiß auch nicht, wie die Hölle aussieht. Ich habe sie mir immer dramatisch vorgestellt: Nachtschwarzer Himmel, alles grau, rot und schwarz, heiß, Schwefelgeruch in der Luft, gellende Schreie von gepeinigten Seelen, nun. Vielleicht ist es tatsächlich so außerhalb dieser Mauern. Aber das werde ich wohl nie erfahren.
 

Vor meiner Bürotür kehrt Ruhe ein. Die Zeit nach Mitternacht ist immer die stillste. Da ist jeder mit den Aufgaben des neuen Tages beschäftigt und keiner läuft umher. Ich frage mich, ob diejenigen, die die Botengänge machen, einzig dafür abgestellt sind. Dann sind sie wohl diejenigen, die am meisten sehen. Sie können alle Büros betreten. Was würde ich schon für dieses bisschen Abwechslung geben.

Aber es nutzt nichts, mich selbst zu bemitleiden. Ich hätte ja auch ein frommer Christ sein können. Vielleicht hat mein Unglaube ja letztendlich auch dazu geführt, dass ich hier gelandet bin. Auf der Liste waren die Sünden nicht gewichtet. Ich denke, jede Sünde stellt ein gleichwertiges Ticket in die Hölle dar. Bei einem oder zweien drückt man oben vielleicht noch ein Auge zu, aber bei so vielen... Meine Liste war eine Rolle, als ich sie aufrollte, war sie länger als ich groß bin.
 

Ich weiß noch, wie mitleidig mich die Dame am Empfang ansah.

„Ein ganz böser Bube, was?“, hat sie gesagt. Ich wollte widersprechen, aber sie schenkte mir nur ein mattes Lächeln, das ihre schwarzen Augen nicht erreichte und kümmerte sich dann um den nächsten in der Reihe. Ich zog also meine Nummer und setzte mich auf einen der Sitze mit herunterklappbaren Sitzflächen, die aus einem feinmaschigen Gitter bestanden. Dort wartete ich eine halbe Ewigkeit, bis meine Nummer auf einer Anzeigetafel über dem Empfangstresen erschien. In einem kleinen Nebenraum lernte ich meinen Sachbearbeiter kennen. Er hatte eine dunkle Hautfarbe und wirkte routiniert, aber gelangweilt. Er teilte mir meine Aufgabe zu und verwies mich auf eine Tür gegenüber der Sitzplätze, auf denen ich gewartet hatte. Während ich das Fegefeuer durchquerte, sah ich Höllenwesen mit riesigen ledernen Schwingen durch die große Pforte eintreten, durch die Halle eilen und in andere Türen wieder verschwinden. Heute weiß ich, dass das die Dämonen waren. Damals wunderte ich mich nur ein wenig, ging zu der mir beschriebenen Tür... und landete hier. Und hier blieb ich.
 

Den Aktenordnern nach zu urteilen bin ich seit etwa zwanzig Jahren hier. Gealtert bin ich, soweit ich das einschätzen kann, nicht. Das ist zumindest eine gute Sache.
 

Ich bin bei einem Autounfall auf dem Heimweg von der Arbeit gestorben. Es ging ganz schnell, die Fahrbahn war vereist und ein LKW konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen. Er prallte in meine Fahrerseite, ich war sofort tot.

Der Weg nach unten ist weniger beschwerlich als man annehmen möchte. Man findet sich in einem schwarzen Tunnel wieder, an dessen Ende ein Licht ist. Das ist jedoch, wie ich feststellen musste, nicht der Himmel, sondern das Neonlicht des Fegefeuers. Selbst diejenigen von uns, die mit einer gesünderen Hautfarbe gesegnet sind als ich, wirkten in diesem blass und krank.
 

Als meine Tür geöffnet wird, sehe ich irritiert auf. Mein Blick zuckt kurz zur Uhr – es ist gerade drei Uhr nachts. Normalerweise kommt nur ein mal am Tag jemand, um den Abschlussbericht zu holen. Diesmal steht ein älterer Mann mit grauem Gesicht in der Tür, er hält einen Brief in der Hand.

Ich erwarte, dass er etwas sagt – vergebens. Er durchquert mein Büro, reicht mir den Brief, dreht sich um und geht wieder. Die Tür fällt hinter ihm mit einem Klicken ins Schloss.

Ich spüre, wie mir das Herz bis zum Hals schlägt. Ein Brief? Ist der auch wirklich an mich? Hat man sich auch nicht vertan? Ist es ein Test? Werde ich mir am Ende den Zorn des Höllenfürsten aufhalsen, wenn ich der Versuchung nicht widerstehe und ihn aufreiße? Dann widerum... wir sprechen hier vom Teufel. Dem Inbegriff der Versuchung, sozusagen. Wieso sollte er meine Standhaftigkeit testen?

Also öffne ich ihn.
 

Ich ziehe das Briefpapier aus dem Umschlag. Es ist festes Papier, das sich sehr wertig anfühlt. Kein Vergleich zu dem Kopierpapier, das ich normalerweise in der Hand habe. Ich falte ihn auf. Ich kenne die Handschrift nicht, sie ist ausgeschrieben und außerordentlich schmuckvoll. Ganz anders als die eckige Computerschrift, die ich normalerweise sehe. Ganz anders auch als meine eigene Handschrift, die unordentlich und zackig ist. Sie erinnert mich an die Handschrift eines Adligen. Mein Blick wandert zum Ende des Briefes, noch bevor ich ihn gelesen habe, doch er ist nicht unterschrieben.
 

Meine Augen folgen den Zeilen. Es ist eine Einladung zu einer Krisensitzung. Scheinbar ist die Misswirtschaft doch bis ganz nach oben durchgedrungen, jedenfalls mutmaße ich, dass der Brief von Luzifer oder einem der höherrangigen Dämonen ist. Ich werfe einen Blick auf die Tür und Aufregung erfüllt mich. Ich werde mein Büro verlassen und womöglich den Teufel persönlich kennenlernen! Aber.... will ich das wirklich?

Noch einmal ein verhaltener Blick auf meinen Brief, ich überlege, ob ich das Bild mit dem Bagger gegen ihn austauschen soll. Andererseits wirkt es wahrscheinlich komisch, sollte sich doch mal jemand hierher verirren. Aber woran denkt man nicht alles, wenn man seit Ewigkeiten nicht mehr etwas so schönes gesehen und bekommen hat...

Ich muss um siebzehn Uhr dort sein. Das beruhigt mich, denn es verschafft mir auch im Nachgang noch genug Zeit, um meine täglichen Aufgaben zu erfüllen. Ich kann eben nicht aus meiner Haut und habe die Aufgabe, die man mir zugeteilt hat, angenommen.
 

Die nächsten Stunden lang kann ich mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren. Mir scheint, als würde ich die Zahlen nur oberflächlich überwachen. Immer wieder greife ich zum Brief auf meinem Schreibtisch und lese ihn wiederholt. Eine Krisensitzung. Umstrukturierungsmaßnahmen im Finanzsektor der Hölle. Und ich soll dabei sein. Ich!

Was man wohl von mir erwartet? Detaillierte Berichte? Vielleicht sollte ich meine Ordner mitnehmen. Wenigstens die von diesem Jahr. Aber eigentlich habe ich die meisten Dinge im Kopf. Nicht in Details, aber ob das notwendig sein wird? Es wäre hilfreich gewesen, hätte der Brief ein paar genauere Angaben dazu enthalten, was man eigentlich von mir will. Was meine Anwesenheit bezwecken soll. Ich atme tief durch, zwinge mich, den Brief zusammenzufalten und beiseite zu legen und gehe meiner Arbeit nach. Eine Weile muss ich noch aushalten. Es kommt mir vor, als würde die Zeit heute besonders langsam vergehen. Ist das möglich? Wahrscheinlich. Wir sind hier in der Hölle. Und nichts quält mich gerade mehr als die Vorfreude auf die Besprechung.
 

Der wohl tausendste Blick auf die Uhr verrät mir schließlich, dass ich mich besser auf den Weg mache, denn ich kenne mich nicht aus und habe keine Ahnung, wo ich hin muss. Vermutlich ist es irgendwie ausgeschildert. Vielleicht findet man den Weg aber auch auf magische Weise, so wie ich den Weg in mein Büro gefunden habe. Vielleicht trete ich durch diese Tür und lande direkt im Besprechungszimmer. Dann wäre ich eine ganze Stunde zu früh dort. Aber besser zu früh als zu spät – den Höllenfürsten lässt man nicht warten.
 

Ich erhebe mich, richte mein Hemd. Meine Hände zittern ein wenig, als ich den Brief, dem man inzwischen deutlich ansieht, wie oft ich ihn in den letzten Stunden in der Hand hatte, zusammenfalte, in meine Brusttasche stecke (Er dient mir als Beweis, dass ich wirklich eingeladen wurde und meinen Posten nicht einfach so verlassen habe), dann gehe ich um den Schreibtisch herum, ergreife die Klinke der Tür, drücke sie herunter, ziehe sie auf und...
 

Was mir zuerst auffällt: Ich bin nicht im Besprechungszimmer. Ich stehe in einem langen, neonhellen Gang. Er ist so weiß wie mein Büro, der Fußboden ist auch der gleiche. Rechts und links gehen jeweils gleich aussehende Türen ab. Ich schaue in beide Richtungen – niemand ist unterwegs. Ob ich jemals mein Büro wieder finde? Ich beschließe, die Tür nicht einzuklinken, sondern nur anzulehnen, auf diese Weise kann ich vielleicht sehen, wohin ich nachher muss.

Aufmerksam folge ich dem Weg, mein Herz hämmert mir bis zum Hals, weil ich nicht weiß, was mich erwartet und was geschieht, wenn mich jemand hier draußen sieht.

„Sei tapfer!“, ermahne ich mich stumm, „Immerhin bist du eingeladen!“ Oder war es am Ende nur ein gemeiner Streich von demjenigen, der mir den Brief herein gereicht hatte?
 

Der Gang macht eine Biegung und gabelt sich. Es sind nirgendwo Schilder angebracht, nur Türen reihen sich auf. Ich folge ihm und komme an eine Gabelung. Da ich nicht weiß, welcher Weg der richtige ist, verlasse ich mich auf meine Intuition und gehe nach links. Womöglich lenken mich meine Schritte ja genau zum richtigen Raum und das ist deren Art, einen durch dieses Labyrinth an Gängen zu lotsen. Noch einige male gabelt sich der Weg, ich folge meiner Eingebung. Nachdem ich ein Stück gegangen bin, macht der Gang, in dem ich mich jetzt befinde, eine Kurve und mit einem mal stehe ich in einem runden Saal, in dem sich dicht an dicht Türen aneinander drängen.

Über ihnen sind Lampen angebracht. Einige sind aus, einige blinken, andere brennen durchgängig. Ich laufe in den Saal hinein, auf die Türen zu, bleibe vor ihnen stehen, als direkt neben mir eines der Lichter zu blinken beginnt. Meine Intuition sagt mir, dass dies die richtige sein muss. Ich kämpfe die Aufregung nieder, die die Abwechslung mit sich bringt, reiße sie auf und trete ohne viel Federlesen hindurch. Als ich die Schwelle übertrete, wechselt das Licht zu durchgängigem Leuchten.
 

Ich hatte erwartet, in ein ebenso weißes wie ungastliches Besprechungszimmer zu treten. Stattdessen finde ich mich plötzlich in einem dunklen Raum wieder, der nur durch Kerzenschein erhellt ist, die um mich herum aufgestellt sind. Und mit einem mal beschleicht mich das ungute Gefühl, dass ich nicht die Tür zum Besprechungszimmer erwischt habe.
 

Ich glaube, ich habe einen riesigen Fehler gemacht.
 

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