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The Devil's Accountant

Der Buchhalter des Teufels
von

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I.

Mein Blick wandert über die Tabellen mit den Ein- und Ausgängen des heutigen Tages. Ich muss den Chef unbedingt darauf hinweisen, dass ich einen Helfer benötigte – allein ist es kaum möglich, ein so großes Unternehmen steuerlich unter Dach und Fach zu kriegen. Seit ich hier runter gekommen bin, arbeitete ich Tag und Nacht. Ich hatte nicht gewusst, was die Hölle für mich bereithalten würde. Dass es im Grunde das gleiche ist wie vor meinem Tod... nun... damit hatte ich nicht gerechnet.
 

Ich bin nichts besonderes. War ich schon zu Lebzeiten nicht. Ich bin durchschnittlich groß, durchschnittlich schwer und sehe durchschnittlich aus. Ich bin dunkelhaarig, ich muss eine starke Brille tragen, die meine Augen etwas kleiner aussehen lässt, als sie wirklich sind. Als ich gestorben bin, war ich mitte dreißig. Ich habe keinen Spiegel hier, aber vermutlich bin ich es immernoch. Ich trage ein weißes Hemd mit Brusttasche, in der ein Kugelschreiber steckt und eine dunkle Hose, Lederschuhe und eine seltsam gemusterte Krawatte.

Zu Lebzeiten war ich geschieden und kinderlos, hatte aber eine alte Katze gehabt, die womöglich in meiner winzigen Zweizimmerwohnung verhungert ist, falls mein Vermieter diese nicht rechtzeitig öffnen lassen hat.
 

Zweitausend Seelen Eingang. Das ist verdammt wenig – heute war ein schlechter Tag. Die Ausgänge kann ich erst am Ende des Tages bestimmen. Aber ich bin mir sicher, wir würden wieder rote Zahlen schreiben.

Wer hätte gedacht, dass die Wirtschaftskrise auch die Hölle erreicht? Aber immer weniger Menschen glauben an Dämonen und die Hölle. Dementsprechen beschwören freilich auch immer weniger Menschen unsere Vertreter. Und so schließen immer weniger Menschen einen Pakt, in dem sie ihre Seele dem Teufel verkaufen. Unsere Vertreter, die Dämonen, langweilen sich zunehmend. Und schlimmer noch – die Bevölkerung wächst!
 

Wir haben ständig neue Leute hier unten. Der Unterschied zwischen denen, die in die Hölle kommen und denen, die ihre Seele verkaufen ist, dass die Seelen letzterer hier als Zahlungsmittel verwendet werden. Erstere landen hier unten und müssen Tätigkeiten nachgehen, so wie ich. Die glücklicheren werden zu Dämonen befördert, dürfen auf der Erde wandeln, Unruhe stiften, in Leute fahren und Besitz von ihnen ergreifen... Manche schaffen es da oben richtig weit. Erst kürzlich ist einer im Körper eines verrückten Multi-Millionärs Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Er hätte sich freilich kaum einen unansehnlicheren Körper aussuchen können.

Einige, so wie ich, erfüllen organisatorische Aufgaben. Auch in der Hölle müssen Verwaltungs- und Organisationsfragen geklärt werden. Es gibt ein ausgeklügeltes Logistiksystem, das die Zu- und Abgänge der Seelen bearbeitet, es gibt Wesen, die sich darum kümmern, besorgte Höllenbewohner zu vertrösten, wenn die Zahlungen nicht rechtzeitig kommen... Und dann – natürlich – die Folterknechte und diejenigen, die in ihrem Leben so viel böses getan haben, dass sie sich nicht einmal in der Hölle frei bewegen dürfen. Hitler sitzt immernoch in einer der dunklen Zellen unter Luzifers Palast.
 

Überhaupt – Luzifer. Er ist der Höllenfürst. Leider hat er von der Leitung eines ganzen Königreiches, so wie die Hölle eines ist, nicht allzu viel Ahnung. Ich werde bis in alle Ewigkeit damit zu tun haben, die liegengebliebene Buchhaltung nachzuholen.

Und warum das alles?

Ich war in meiner kleinen Steuerkanzlei eigentlich ziemlich zufrieden. Allerdings gibt es – wie ich jetzt weiß – verdammt viele Dinge, die man nicht tun sollte, wenn man nicht in die Hölle kommen will. Offensichtlich habe ich ein mal zu oft meinen nichtsnutzigen Bruder beleidigt. Ich gehe davon aus, dass wir uns wieder sehen, sobald er stirbt, weil er mich auch beleidigt hat. Ein mal habe ich auch einen Pastor fortgeschickt, weil ich ausgelastet war. Offensichtlich kommt man in die Hölle, wenn man Gottesmänner nicht aufnimmt. Ich wusste nicht, dass das auch für Mandate gilt. Naja. Dass ich nebenbei Wetten angenommen habe, das hat das Fass wahrscheinlich zum Überlaufen gebracht.

Wenn man nach seinem Tod ins Fegefeuer kommt, das im Grunde nur ein riesiger Warteraum ist, in dem man eine Nummer ziehen muss, bis man seinen Sachbearbeiter zugewiesen bekommen hat, bekommt man eine Liste mit all den Dingen ausgehändigt, die dazu geführt haben, dass man hier unten gelandet ist. Und ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass meine so lang ist. Ich habe mich immer für einen recht ordentlichen Menschen gehalten. Gemessen an all dem, das man nicht tun darf, frage ich mich, ob im Himmel Personalmangel herrscht. Bei uns hingegen steigt die Arbeitslosenquote ständig.
 

Was soll ich sagen? Unsere meisten Eingänge haben wir von Jugendlichen, die versehentlich bei einem „lustigen Ritual“ einen Dämon beschwören und sich von ihm einen Vertrag aufschwatzen lassen. Da wir fast alle Anwälte kriegen, die auf der Erde rumlaufen, sind unsere Verträge niet- und nagelfest und es gibt kein Entkommen, wenn man einmal eingewilligt hat. Widerufsrecht und so... naja... Das Verbraucherschutzrecht der Hölle ist praktisch nicht vorhanden.

Also, die Jugendlichen. Möchtegern Satanisten, die ein Grimoire oder ein anderes altes Buch finden und Dämonen beschwören, sind unsere Haupteinnahmequelle. Wenn unsere Vertreter ihnen einmal alle irdischen Wünsche erfüllt haben – sie haben recht freie Hand, was das angeht – bekommen wir mit ihrem Tod oder nach Fristablauf ihre Seele. Die kommt dann bei uns hier unten an, wird mit einem Eingangsstempel versehen und qualitativ eingeordet. Unterschiedlich gut erhaltene Seelen sind unterschiedlich viel wert. Je kaputter sie bereits in ihrer Zeit auf Erden gemacht wurde, desto weniger kann man mit ihr anfangen. Denn das, was wir letztendlich aus ihnen herausholen, ist... Glück. Irgendwie ironisch.

Dann sind da noch die richtigen Satanisten. Die echten. Allerdings haben wir deren Seelen bereits vorgemerkt. Generell bedeutet ein erfolgreicher Vertragsabschluss ja nicht gleich den sofortigen Eingang liquider Mittel. Es bedeutet nur erwartetes Kapital. Momentan ist es jedenfalls ziemlich dünn.
 

Ich schaue mich in meinem Büro um. Es ist nicht wirklich „höllisch“, sondern eher eine schlechte Kopie eines kleinen Büros in einer tristen Behörde. Weiße Wände, Linoleumboden, Buchenholzfarbene Möbel, ein großer Aktenschrank, ein Schreibtisch mit einem unbequemen Stuhl. Es gibt kein Fenster, dafür aber eine Neonröhre, die beim Einschalten – und manchmal auch zwischendurch ohne ersichtlichen Grund – summt. Auf dem Schreibtisch liegt Papier, das gerade eine spur zu dünn ist, um sich gut beschreiben zu lassen, ein paar Kugelschreiber, deren Tinte entweder schmiert oder zwischendurch kleine Lücken in den Linien lässt... Dort steht auch eine Kunstpflanze – eine echte würde hier nicht wachsen – die unfassbar schlecht gemacht ist. Die Blätter fransen an den Rändern aus und der Topf ist mit Steckmasse gefüllt, die lieblos mit Moos beklebt ist. Die Blüte wirkt ausgeblichen – vielleicht war sie aber auch schon immer so seltsam rosa.

An der Wand hängen ein vergilbtes Bild von einem Bagger im Tagebau – ich hab es da nicht hingehängt – und eine Uhr, deren Ziffernblatt einst weiß war, jetzt aber ebenfalls gelblich gealtert aussieht. Sie hat, weil ich hier drinnen weder Tag noch Nacht sehe, 24 Stunden und zeigt mir, wann ein neuer Abrechnungstag beginnt.

Das ist wahrscheinlich die eigentliche Strafe. Denn körperliche Züchtigungen musste ich glücklicherweise noch nicht erfahren. Stattdessen friste ich mein Dasein rund um die Uhr in diesem Büro. Ich muss nichts essen, ich muss nicht zur Toilette, ich könnte, wenn ich wollte, hier drinnen Rauchen – es gibt keinen einzigen Grund für mich, dieses Zimmer zu verlassen. Ein mal am Tag, genau um ein Uhr nachts, kommt ein anderer Höllenbewohner vorbei und holt den Tagesbericht ab, um ihn zu archivieren. Eine Kopie davon hefte ich in einen der unzähligen Aktenordner.
 

Dann habe ich noch einen Computer. Keinen modernen, sondern einen alten Standrechner mit einem Gehäuse aus gräulich-gelblichem Plastik. Dazu einen Röhrenbildschirm, der flimmert. Das Betriebssystem ist Windows ME – Millenium Edition, das wohl schlechteste Betriebssystem, das sie jemals hervorgebracht haben. Auf dem kleinen Bildschirm rauschen die Neuzugänge der Seelen ein. Es ist eine Tabelle bestehend aus einer Ordnungsziffer und der Qualität, A steht für sehr gut, D steht für kaum noch zu gebrauchen. Heute sind es überwiegend C und D Seelen.
 

Ich schaue auf die Uhr. In einer halben Stunde ist es Mitternacht. Auf dem Bildschirm flimmern gerade die letzten heute registrierten Eingänge. Es sind kaum mehr als Zweitausend geworden. In meinem anderen Dokument sehe ich in Echtzeit die Ausgänge – Löhne, Investitionen... In einer halben Stunde wird das Dokument für weitere Eintragungen geschlossen und ich muss abrechnen.

Ich greife nach meiner Kaffeetasse. Es ist Instantkaffee, dazu gibt es Kaffeeweißer in Pulverform. Egal wie frisch ich ihn mir aufbrühe, er ist immer lauwarm. Aber wenn es nichts anderes gibt... Wahlweise habe ich noch schwarzen Tee, der, selbst wenn ich die Ziehzeit genau einhalte, schmeckt, als wäre der Beutel eine halbe Stunde lang in der Tasse vergessen worden. Ich muss nichts trinken, aber es ist die Gewohnheit. Und so nippe ich an meinem lauwarmen Kaffee und verziehe nur ein klein wenig das Gesicht.
 

Der Zeiger wandert auf die zwölf – das Dokument flackert kurz auf, jetzt muss ich die Abgänge bewerten. Zweitausendzweihundertdreiundsechzig Seelen Eingang. In guten Zeiten, etwa im Spätmittelalter oder im Barock waren es mitunter Zehn- bis Zwanzigtausend Seelen am Tag. Auch, als der Satanismus und Okkultismus im frühen 18. Jahrhundert zu florieren begann, gab es Einkommensspitzen, das habe ich aus den alten Datensätzen entnehmen können. Noch zehren wir von den damaligen Überschüssen – aber lange wird das nicht mehr funktionieren.

Unsere Ausgaben belaufen sich heute auf Dreitausendvierhundert Seelen. Das ist ein dickes Minus und wird dem Höllenfürsten nicht gefallen. Glücklicherweise bin ich als kleines Zahnrad im Getriebe der Höllenverwaltung nicht wichtig genug, um mich direkt mit seinem Zorn über die Misswirtschaft auseinandersetzen zu müssen. Eine Beförderung zum Dämon brauche ich mir so allerdings wohl auch nicht einbilden.
 

Ich seufze, schicke meine Aufstellung an den großen Kopierer in der Ecke des Raumes, erhebe mich und tackere die Zettel zusammen. Wie immer brauche ich drei Versuche, weil sich die Nadel im Tacker verhakt. Pünktlich um ein Uhr wird meine Bürotür geöffnet und ein fahler Mann im fleckigen Hemd schlurft hinein, holt meinen Bericht ab und verschwindet wieder, ohne ein Wort zu verlieren. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal jemanden reden gehört habe.
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sundy
2017-02-07T19:47:04+00:00 07.02.2017 20:47
Eine gute Idee Hölle mal aus einem völlig anderen Blick dar zustellen. Ist an manchen stellen sehr lust. Ich hätte auch mal gerne eine liste wo alles drauf steht was ich falsch gemacht habe in meinen fast 2 Jahrzehnten (ich glaub die wird auch lang sein). Aber ganz ehrlich da würde ich ja nochmal sterben und zwar vor Langeweile.


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