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Tochter Nicholas

von

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Zuhause angekommen, nachdem mich der Fremde wieder zu der Quelle geflogen hatte und ich meine Sachen eingesammelt hatte, wartete meine Mutter bereits in der Küche auf mich. „Du kommst spät.“ Ich nickte einfach nur und entschuldigte mich. Auf eine Diskussion hatte ich keine Lust, obwohl ich gerade mal zweieinhalb Stunden fort gewesen war. „Wann musst du morgen los?“ „Um Zwei ist meine Prüfung. Ich muss eine Stunde vorher da sein und werde wohl gegen elf losgehen um auf jeden Fall pünktlich zu sein.“ Meine Mutter hatte ich mit dieser Antwort zufrieden gestellt und konnte ohne weiteres in mein Zimmer gehen. Dort angekommen zog ich mir noch meine Schlafsachen an und fiel erschöpft in mein Bett. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich. Bisher hatte ich bei einer Heilung nie so viel Energie verbraucht – konnte es daran liegen, dass der Fremde ein Reinblut war? Doch lange dachte ich nicht darüber nach, da der Schlaf mich überrannte.

Mein Wecker klingelte viel zu früh und riss mich förmlich aus dem Schlaf. Dabei hatte ich so schön geträumt – zumindest bis im Traum der Kuckuck der Kuckucksuhr wie mein Wecker piepte. Seufzend drückte ich auf die Ruhefunktion meines Weckers und drehte mich noch einmal für zehn Minuten um, versank in meinen Traum ein wenig. Bis die Kuckucksuhr wieder piepte. Natürlich war es nicht der Vogel der Uhr sondern mein Wecker, aber ich bekam langsam eine Abneigung gegen diese Tiere. Ich stand auf, zog mich an, aß etwas zum Frühstück, machte mir einen Dutt – nein ich hatte keine Lust mir die Haare zu kämmen –, putzte meine Zähne und ging aus dem Haus. Meine Schwester schlief noch und unsere Mutter war bereits auf dem Weg zur Arbeit.
 

Wie geplant kam ich eineinhalb Stunden vor meiner Prüfung in der Universität an. Die Professoren nahmen mich im Empfang und brachten mich in einen Raum in dem ich mit einen der Prüfer theoretische Aufgaben durch ging. Es waren fast die selben Fragen wie in der Prüfung davor. Mein Gegenüber war begeistert von meinem wissen und nickte nach kurzer Zeit. „Gut. Im theoretischen haben Sie zum letzten Mal besser abgeschnitten. Sollten Sie in der Praxis die Hälfte der Punktzahl zu erreichenden Punkte erhalten, haben Sie bestanden.“ Er lächelte mir aufmunternd zu, doch ich war nicht ganz so zuversichtlich wie der Prüfer. „Kann ich Ihnen eine Frage stellen?“ Zögerlich blickte ich ihn in die Augen. „Ich kann Ihnen keine Prüfungsrelevanten Details nennen.“ Ich schüttelte den Kopf und beteuerte, dass es nicht um die Prüfung gehen würde. Gifte entfernen würde erst im nächsten Halbjahr durch genommen werden. Doch ich hatte auf den gesamten Weg zur Prüfung an den Fremden denken müssen. Ob er das überlebt hatte? Ich war mir nicht sicher, ob ich das gesamte Gift entfernt hatte und er war danach noch geflogen. „Wie giftig sind Wehrschlangen?“ Der Prüfer verzog das Gesicht, doch er fing sich schnell wieder. „Wehrschlangen? Wie sahen sie aus?“ Ich beschrieb ihm die Wesen die ich in Erinnerung hatte so gut wie möglich, schließlich hatte ich sie nicht richtig gesehen. Er schluckte und fragte, ob jemand gebissen wurden war. „Ich weiß es nicht. Ich bin davongelaufen als ich die Dinger gesehen hatte.“ Absichtlich ließ ich den Fremden aus dem Spiel, da ich nicht wollte, dass mein kleiner Heileingriff herauskam. Wir Schüler sollten uns nicht ohne Aufsicht daran versuchen. „Wo war das, Kind?“ „An den heißen Quellen wo ich wohne.“ Ohne ein weiteres Wort stürmte der Mann aus dem Raum und ließ mich sitzen. Eine Antwort hätte er mir ja schon geben können …

Da der Prüfer nicht wiederkommen würde wartete ich schweigend auf meinen Professor. Er würde mich zu der praktischen Prüfung führen. Mit einem auf und ab wippenden Fuß starrte ich aus dem Fenster, hing meinen Gedanken nach und bemerkte gar nicht, wie die Tür aufging.“Inea Weis. Folgen Sie mir bitte.“ Zwar zuckte ich bei der unbekannten Stimme hinter mir zusammen, doch ich schrie nicht auf. Wie befohlen folgte ich dem Mann aus dem Zimmer hinaus ins Freie. Es standen einige Menschen in Grüppchen zusammen und flüsterten aufgeregt miteinander – wann waren die denn alle gekommen? „Wo ist Professor Ji?“, fragte ich verwirrt und betrachtete eine der Gruppen. „Deine praktische Prüfung wurde verschoben.“ Diese Aussage half mir überhaupt nicht weiter, doch ich kam nicht dazu noch einmal nachzufragen. Ich erblickte den Fremden von gestern und musste gestehen, dass er mir in seiner Badehose deutlich besser gefallen hatte als in seinen nun makellosen Gewand. Ja es war ein Gewand, dass ein Adeliger im Mittelalter getragen hätte. Es freute mich ungemein, dass er hier war. Das bedeutete, dass er noch lebte, oder nicht? Mit einem selbstgefälligen Lächeln wandte ich den Blick ab. „Auf welche Urzeit wurde meine Prüfung verschoben?“, wollte ich wissen. „Sobald Sie mit dem Prinzen gespropchen haben.“

Ich stutzte und starrte den Fremden an meiner Seite mit offenem Mund an. „Bitte?“ Ich bekam keine Antwort, doch als ich wieder zu den Menschengruppen sah bemerkte ich, dass der Fremde von gestern auf mich zu kam. „Das ist nicht Ihr Ernst“, flüsterte ich zu dem Mann an meiner Seite, doch er schwieg, verbeugte sich vor dem Prinzen und ließ mich anschließend mit ihm alleine.
 

Der Prinz sah mich auffordernd an bevor er anfing mich zu mustern. Nicht wissend was ich tun sollte oder wie ich mich verhalten sollte hob ich eine Augenbraue. Er kannte mich schließlich. Sollte er sich dazu entscheiden die gestrige Nacht einfach auszulöschen, dann würde ich es eben auch tun. „Sie haben eine interessante Art mich zu begrüßen“, sagte der Prinz herablassend. Das selbe konnte ich von ihm sagen. Doch da er anscheinend gestern vollkommen ignorieren wollte … „Ich wüsste nicht, warum ich zu der Ehre komme Sie persönlich und außerhalb Heidens zu sprechen.“ Das war nicht gelogen ich hatte tatsächlich keine Ahnung warum er hier war. Er hob den Kopf und blickte mir in die Augen. Ich tat es im gleich. „Wie geht es Ihrer Hand?“ Okay ich brach gerade, wieder einmal, meine Regel und fragte ihn nach gestern, aber er lebte noch und ich würde mir es nicht entgehen lassen ihm unter die Nase zu reiben, dass ich dafür verantwortlich war. Der Prinz blinzelte – ich hatte gewonnen, aber meine Mine blieb ruhig. „Ich kann Ihnen nicht folgen.“ Seine Stimme klang beherrscht und berechnend. „Ich hatte noch von keinem Gift gehört, dass das Gedächtnis auslöscht“, entgegnete ich eisig und verschränkte meine Arme vor der Brust. „Zudem wäre es vielleicht besser, wenn Sie sich nicht zu viel bewegen. Immerhin bin ich noch in der Ausbildung und könnte Reste der Gifts übersehen haben.“ „Sie haben nicht einmal die Erlaubnis gehabt meinen Bruder zu heilen“, antwortete der Prinz. Ich starrte ihn fassungslos an. Seinen Bruder? Ich war verwirrt und blinzelte einige Male. „Und“, betonter er, „hast keine Ausbildung in Giften, nur einige Kenntnisse die beängstigend gering sind. Geschweige den haben Sie ihre Prüfung bestanden.“ Ich holte Luft um etwas zu erwidern, wurde jedoch von seiner erhobenen Hand unterbrochen. „Was nicht heißt, dass ich mich nicht bei Ihnen bedanken wollte. Ich bin hier, da Sie meinem Bruder gerettet hatten. Es war ein glücklicher Zufall, dass Sie nach dem Kampf zu Ergon gestoßen sind um ein Bad zu nehmen. Wer weiß was er sonst getan hätte.“ Der Prinz neigte den Kopf und fuhr fort: „Nun denn ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie meinem Bruder gerettet haben. Da ich bezeugen kann, dass Sie Wunden verschließen können, haben Sie damit automatisch dieses Halbjahr abgeschlossen.“

Wie lange ich den Prinzen mit offenen Mund angestarrt hatte wusste ich nicht mehr, aber es war ziemlich lange gewesen. „Was?“, fragte ich und konnte seine Worte nicht begreifen. Der Prinz musterte mich erneut. Diesmal einiges interessierter als zuvor. „Wie meinen Sie das?“ Würde ich heute eigentlich überhaupt Antworten auf meine Fragen bekommen? Mein Gegenüber sah wieder in meine Augen. „Sie haben die Halbjährigen Heil-Prüfung bestanden.“

Das musste ich erst einmal verarbeiten. Ich machte einen Schritt zurück und wich seinen Blick aus. „Ich habe bestanden?“, fragte ich mich selbst, bekam dieses mal aber eine Antwort von dem Prinzen die ich nicht erwartet hatte. „Ja. Und ich würde gerne wissen, warum Sie mich für meinen Bruder gehalten haben. Es ist allgemein bekannt, dass Reinblüter immer Zwillinge sind.“ Ach war es das? Ich zumindest hatte dieses Allgemeinwissen nicht. „Was wissen Sie über Reinblüter und die verschiedenen Arten?“ Kopfschüttelnd versuchte ich meine Gedanken zu ordnen. „Wie kommen Sie auf dieses Thema? Es tut mir wirklich Leid, aber ich kann nicht so einfach von meiner Prüfung zu Reinblütern wechseln.“ Der Prinz nickte. „Ich werde mich erneut danach erkundigen wenn Sie sich und Ihren Geist beruhigt haben. Nicht dass Sie Ihre Energie ungewollt frei lassen.“ Meinen Geist? Was hatte meine Energie damit zu tun? Nun noch verwirrter sah ich dem Prinzen hinterher wie er wieder zu seiner Gruppe ging. Das war so absurd.
 

Jemand berührte mich an der Schulter und ich drehte mich um. Professor Ji stand hinter mir, im Gesicht ein breites Lächeln. „Ich freue mich für Sie, dass Sie dieses Halbjahr weiterhin zu meinen Schützlingen gehören.“ Er beugte sich noch etwas vor und senkte bei seinen nächsten Worten die Stimme: „Und unter uns – mein Kollege der dieses Halbjahr die vierte Klasse leitet ist nicht sehr kompetent.“ „Ich habe bestanden?“, fragte ich zum wiederholten mal und bekam dieses Mal eine klare Antwort. „Sie haben die halbjährliche Heil-Prüfung mit voller Punktzahl bestanden.“ Auch auf meinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. „Auch wenn mir schleierhaft ist wie der Prinz zu dieser Annahme kommt,“ beendete Professor Ji seine Antwort. „Das ist doch auch vollkommen egal“, antwortete ich ihm und er nickte. Mir war bewusst, dass er es trotzdem gerne gewusst hätte.

Als ich mit meinem Mittagessen fertig war kam der Prinz erneut auf mich zu. Ich machte Anstalten aufzustehen, doch mit einer Handbewegung bedeutete er mir sitzen zu bleiben. „Nun erklären Sie mir mal, warum Sie nicht wussten, dass Reinblüter immer Zwillinge sind. Und wenn wir schon dabei sind … auch alles andere was sie über Reinblüter wissen.“ Nach kurzem Überlegen gestand ich, dass ich nicht viel Wissen über Reinblüter hatte. Insgesamt wussten die Leute in meinem Umfeld wenig über sie. Im Unterricht wurde es nicht durch genommen, da es nach Ansicht der Lehrer nicht wichtig für uns sei. Schließlich waren wir alle keine Reinblüter und die meisten von uns sogar nur Halbblüter oder darunter. Unsere Eltern sprachen nur selten über ihre Herkunft.

„Interessant ...“ Der Prinz schien nachzudenken und ließ den Blick erneut über mich gleiten. Könnte er damit mal aufhören? „Eure Unterrichtsstunden müssen umgestaltet werden. Es kann nicht sein, dass nicht ganz Thor weiß wer die Reinblüter sind.“ Der Prinz stand erzürnt auf und wandte sich zum gehen. Kurz hielt er noch einmal inne, um mir mitzuteilen, dass ich in drei Monaten nach Heide aufbrechen werde. „Ich werde das Carsting noch einmal selbst durchführen, da die Richter untauglich sind. Miranda war eine Nichtblüterin und hatte das Reinigungsritual nicht überstanden. Ich weiß, dass deine Mutter ebenfalls eine Nichtblüterin ist, genau wie deine Schwester, aber laut den Stammbäumen müsstest du zumindest ein tropfen reines Blut in dir tragen.“ Sollte mich sein letzter Satz beruhigen? Das tat es ganz und gar nicht. Es war bekannt, dass ein Reinigungsritual durchgeführt wurde um Heiden betreten zu können, aber was geschah mit denjenigen die es nicht überstanden? Waren sie tot? „Ist Miranda zurück zu ihrer Familie gebracht worden?“ „Sie wurde auf kosten der Richter begraben.“ Oh. … OH! Nicht wissend was ich sagen sollte öffnete ich den Mund, doch der Prinz hatte sich bereits umgewandt und schritt davon.
 

Die letzten zwei Wochen bis zu den nächsten Unterrichtsstunden verbrachte ich damit über den Prinzen und seinem Bruder nachzugrübeln. Sein Bruder schien ganz anders zu sein wie der Prinz und doch musste er auf seinen Bruder gehört haben, schließlich war er zu mir gekommen um sich in dem Namen seines Bruders zu bedanken. War der Prinz dann wirklich so schlimm wie es immer den Anschein hatte?

Schulterzuckend betrat ich den Unterrichtsraum, legte meine Sachen ab und setzte mich. Ich entschied mich dazu das ganze zu vergessen – zumindest bis ich mich wieder damit beschäftigen musste.

Der Raum füllte sich rasch und genau zum Unterrichtbeginn trat ein Fremder Mann ein, knallte seine Bücher auf das Pult und hatte somit die gesamte Aufmerksamkeit der Schüler. „Drachen“, sagte er und schrieb das Wort an die Tafel. „Was wisst ihr über diese Wesen?“ Er drehte sich zu uns um, dann verzog er das Gesicht. „Holt eure Schreibutensilien raus und macht euch Notizen.“ Sofort wurde dem Befehl folge geleistet. Auch ich nahm schnell einen Stift zur Hand und übertrug die Überschrift des Fremden in meinen Notizblock. Nachdem es wieder ruhiger wurde ertönte erneut die Stimme des Fremden – keinen Deut freundlicher als zuvor. „Noch einmal. Was wisst ihr über Drachen?“ „Es ist das Symbol Thors“, sagte einer in das Schweigen hinein. „Auch wenn eine Meldung angebracht wäre, ist die Antwort korrekt.“ Wirklich? Wir müssen uns Melden? Was für ein Kinderkram soll das denn nun werden? „Gibt es noch weiteres Wissen darüber?“ Stille folgte, bis ich mich schließlich dazu durch rang mich zu melden. „Inea.“ Ich holte tief Luft und sagte dann: „Drachen sind Reinblüter.“ Der Fremde nickte. „Korrekt.“ Als es wieder still wurde wandte er sich dassum und schrieb die Punkte an die Tafel. Ließ jedoch viel Platz dazwischen. War eigentlich nur mir aufgefallen, dass er meinen Namen wusste ohne mich zu kennen?

„Drachen sind sehr komplizierte Reinblüter, die allesamt von der Bildfläche verschwunden sind. Sie sind unser Wappensymbol gerade weil es schon immer wenige von ihnen gab. Es besteht aber Hoffnung, dass Drachen ihre Gene auch in nicht-Reinblütern haben. Dies wird sich in fünf Monaten herausstellen. Doch dazu kommen wir später.“ Der Fremde blickte sich in der Klasse um. „Drachen sind geborene Heiler oder Heilerinnen, neigen aber zu Übermut und geben sich völlig dieser Aufgabe hin. Zumindest eine der Arten. Die Andere ist etwas zurückhaltender und heilt nur diejenigen die er oder sie für würdig halten. Die erstgenannten sind die weißen Drachen. Die anderen die Schwarzen.“ Er krakelte wieder etwas an die Tafel, kaum zu entziffern war, doch ich reimte mir meinen Teil zusammen von dem was er erzählt hatte. „Drachen sind sehr dominante Wesen, die sich nicht gerne unterwerfen, was bei den Männern kein Problem darstellt. Die Frauen jedoch sind sehr … kompliziert.“ Wieder schrieb er an der Tafel alles auf. „Doch was wohl das wichtigste dabei ist“ der fremde musterte jeden Schüler eingehend bevor er weiter sprach. „... dass Drachen sich nur bewusst fortpflanzen. Und selbst wenn das Elternteil ein weißer Drache ist, kann der Nachkomme ein schwarzer sein. Wir vermuten, dass die Form des Drachen sich mit seinem Lebensstil verändert. Wenn der Drache in guten Händen aufwächst ist er weiß, andernfalls schwarz. Die Weißen werden als Ordnung bezeichnet. Schwarze als Chaos. Was nicht bedeutet, dass sie schwarzen Drachen Chaos anrichten. Sie lernen auf ihre Eigenen Wegen, was nicht immer das Beste für sie oder Andere ist, doch im Grunde sind die schwarzen Drachen wertvoller und haben größere Kräfte.“ Alle im Raum hörten dem Fremden fasziniert zu. Meine Nachbarin hob ihre Hand und wurde mit Namen aufgerufen. „Warum kann man erst in fünf Monaten wissen ob es noch Drachen gibt, wenn es Reinblüter sind?“ Der Mann vorne nickte, schnippte mit dem Finger und schrieb wieder an die Tafel. „Wer von euch kann sich bisher noch nicht verwandeln?“ Die Hälfte der Klasse hob die Hände und er pickte sich zwei scheinbar willkürliche von ihnen heraus. „Kommt hinunter. Du gehst dorthin und du … stell dich hier hin.“ Meine Mitschüler vorne taten wie geheißen und sahen den Fremden anschließend an. „Sehr schön. Ihr beiden könntet Drachen sein. Ihr liebt das heilen?“ Die angesprochenen nickten. „Bei Drachen ist es anders als bei den anderen Reinblütern. Bei ihnen muss sich erst eine Persönlichkeit entwickeln, um ihre Endgültige Form zu erhalten. Jim bitte komme hinunter und wandle dich.“Jim ging hinunter und änderte seine Form – hatte ich schon erwähnt, dass meine Mutter wollte, dass ich ihn heirate? Sein Vater hatte dem zugestimmt und heute würde der erste Tag sein an dem ich mit ihm etwas unternehmen sollte. Der junge Mann hatte pechschwarze Haare, braune Augen und einen wirklich tollen Körper – zumindest das was man davon unter seiner Kleidung sah. Und er war ein Falke. Ein ausgesprochen hübscher Falke, wenn man ihn so betrachtete. Goldbraune Federn schmückte ihn und sein Bauch war makellos weiß.

„Wie ihr sehen könnt, ist er ein farbintensiver Vogel, aber das war bei ihm schon vorbestimmt. Egal welche Entscheidungen er getroffen hätte wäre er in dieser Form geblieben. Drachen hingegen können es erst mit Achtzehnten mit Sicherheit sagen welchen Weg sie gehen.“ Er nickte Jim dankend zu und bedeutete ihm sich wieder zu setzen. „Liam ist dir schon einmal aufgefallen, dass dir etwas gelingt in der Heilung, was du gar nicht können kannst?“ Liam schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin eher im Durchschnitt.“ „Und bei dir Tatjana?“ Das Mädchen zuckte mit den Schultern und antwortete: „Ich bin schon sehr gut im Heilen, aber das ist auch das einzige was ich wirklich kann.“ Der Fremde ging auf Tatjana zu und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Bist du dominant?“ Die Klasse fing an zu kichern. Es war bekannt, dass Tatjana Niemanden auch nur ansatzweise dominieren konnte. Sie war der typische zurückhaltende Typ. Was nicht hieß, dass sie keine Freunde hatte. „Ruhe!“ Sofort war es still im Raum und hätte eine Stecknadel fallen hören können. Tatjana schüttelte den Kopf, biss sich auf die Unterlippe und blickte zu Boden. „Dann kann ich euch beiden sagen, dass ihr keine Drachen seid.“ Ich bin mir nicht sicher, ob sie das hören wollten, aber sie schienen es gelassen zu nehmen.

Die Pause wurde eingeläutet und sofort wurden die Notiztblöcke eingepackt. Der Fremde schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Habe ich etwas von Unterrichtsschluss gesagt?“ Wir hielten kurz inne und sahen zu ihm. „Wie schön, dass ich eure Aufmerksamkeit wieder habe. Ich beende den Unterricht und nicht die Zeit. Ihr werdet heute nach Unterrichtsende erneut in diesen Klassenraum kommen.“ Ein ungläubiges Stöhnen ging durch den Raum, doch der Fremde ging zu dem Pult und sammelte seine Unterrichtsutensilien ein. „Ihr dürft nun gehen.“
 

Die Schlange bei der Essensausgabe war bereits ziemlich lang und ich stellte mich mit meiner Sitznachbarin in die Reihe. Vor uns wartete Jim mit seinen Freunden und unterhielt sich über den heutigen Vormittagsunterricht. „Ich habe Gerüchte gehört“, unterbrach Kim mein lauschen und ich zwang mich freundlich zu ihr zu sehen. „Welche Gerüchte“, fragte ich wirklich verwirrt. „Du und Jim.“ Sie nickte nach vorne wo mein geplanter Ehemann noch immer gestikulierte und Argumente entgegen brachte. Er fand den Fremden gar nicht so schlimm – sofern ich es beurteilen konnte. „Woher hast du das gehört?“ In diesem Moment traf mich eine Hand im Gesicht und ich japste auf. Das hatte wirklich weh getan. „Oh nein. Tut mir leid, Inea.“ Jim sah mich besorgt an, seine Kumpels sahen ihn stirnrunzelnd an. „Ich habe wohl die Kontrolle verloren.“ Ich rieb mir über die schmerzende Wange, verzog das Gesicht und lies es zu, dass er sanft meine Hand nahm und sich seinen Schlag anzusehen. „Manchmal passiert das, wenn ich mich in etwas rein steigere. Eine schlechte Angewohnheit von mir.“ Noch immer betrachteten seine Freunde ihn als sein Jim verrückt geworden. In seinem Blick stand echter Widerwille und ich beschloss seine Entschuldigung anzunehmen. Nickend entzog ich ihm meine Hand und lächelte. „Es geht schon wieder.“ Tatsächlich pochte meine Wange und ich würde mit Sicherheit einen blauen Fleck bekommen. „Wollt ihr euch zu uns setzen heute Mittag?“ fragte Jim lächelnd und seine Freunde starrten ihn fassungslos an, wovon er sich aber nicht aus der Ruhe bringen lies. Schließlich war er noch der mächtigste Gestaltwandler in unserer Klasse. „Eigentlich sollten wir heute nach der Schule was essen, aber da wir jetzt nachsitzen müssen dachte ich mir wir können das in der Mittagspause machen? Ich muss nachher noch trainieren gehen.“ Kim nickte schnell und übernahm das Antworten für mich, da ich ihn nur mit offenen Mund ansehen konnte. „Super.“ Jim wandte sich zu seinen Freunden um, nahm meine Hand wieder und zog mich zu sich. „Mein Vater würde dich morgen gerne zum Abendessen einladen. Hast du schon etwas vor? Ich mein mein Vater ist vielleicht etwas voreilig, aber ich würde mich freuen.“ Blinzelnd nickte ich. „Bisher habe ich noch nichts vor, aber ich muss meine Mutter noch um Erlaubnis bitten.“ Verständnisvoll nickte Jim.
 

Seit diesem Mittagessen saßen wir immer zusammen und er ignorierte die Blicke und Kommentare seiner Freunde. Sie hielten nicht viel von mir, doch solange Jim es nicht so sah waren mir seine Freunde herzlich egal. Schließlich mussten sie mich nicht mögen, auch wenn es schön gewesen wäre, wenn sie mich akzeptieren würden.

Der Unterricht wurde nicht viel besser mit unserem neuen Lehrer, einzig und allein die Heilstunden waren wirklich interessant. Professor Ji war ein toller Lehrer! Wohingegen Professor Went einfach nur anstrengend war. Keine Zwischenrufe waren erlaubt, tadelloses Benehmen wurde von ihm vorausgesetzt und bei nicht Einhaltung seiner Vorstellungen musste die gesamte Klasse nachsitzen. Dies sollte die Gemeinschaft stärken.
 

Die Zeit verging wie im Fluge, bis ich schließlich ein Schreiben des Königs bekam. Meine Mutter war ganz aufgebracht von der Nachricht, dass ich nach Heiden fahren sollte. Ich war da anderer Meinung. Nicht nur, dass ich einen Freund hatte mit dem ich, sobald ich achtzehn werden würde, verheiratet werde, sondern hatte ich schlichtweg einfach kein Interesse an den Prinzen. Naja zumindest nicht an den einen der Beiden. Nachdem wir alles mögliche über Drachen gelernt hatten, wovon ich mir höchstens die Hälfte merken konnte, wurde nun das Thema Könige und Prinzen durch genommen. Eigentlich fand ich es recht interessant, dennoch kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass Reinblüterzwillinge komplett gleich sein sollen. Ich vermute eher, dass sie gleich erzogen werden und sich einander anpassen müssen, damit die Eltern nach dem Tot des einen immer noch den Anderen haben, ohne den Anderen vermissen zu müssen – was natürlich völliger Blödsinn ist, wenn man es genau betrachtet. Nur weil sie gleiche Interessen haben und sich gleich verhalten heißt es nicht, das sie auch gleich sind. Außerdem wird man sich bestimmt an den Verstorbenen erinnern!

„Hier ist auch ein Verhaltensschreiben beigelegt, dass du lernen sollst“, sagte meine Mutter während sie den Brief vom König auseinander faltete und alles genau betrachtete. „Oh und du musst eine Blutuntersuchen durchführen. Dein Blut soll nach Heiden geschickt werden.“ Knapp nickte ich und griff nach dem Einladungsschreiben. „Nun sei doch nicht so schlecht gelaunt. Vielleicht bekommst du ja ein besseren als Jim.“ „Ich will gar keinen besseren als Jim!“, rief ich genervt aus und starrte meine Mutter an. Ich wollte wirklich nicht nach Heiden, da ich Jim wirklich lieben gelernt habe. Zwar hatte er Nachmittags kaum Zeit und musste das bisschen davon lernen, doch die Abendessen mit seiner Familie und ihm waren immer sehr angenehm gewesen und auch in der Schule mit ihm zusammen zu sein war ein wahr gewordener Traum.

„Hier steht, dass zeitnah ein Schneider vorbei kommt, um deine Maße zu nehmen, damit du passend angezogen bist, wenn du dem König gegenüber trittst.“ Sie hatte mir also nicht zugehört. „Oh und du wirst auch sämtliche Pflegemittel für deine Haut gestellt bekommen.“ Genau, weil ich das ja auch so sehr liebe mich mit Cremes einzuschmieren. Ich verdrehte die Augen und legte das Schreiben wieder auf den Küchentisch. „Das ist ja alles so aufregend!“ „Wenn du meinst“, antwortete ich meine Mutter wenig begeistert und wandte mich dann ab. „Ich muss noch für einen Test morgen lernen.“ Es war eine Lüge aber die einzig mögliche Ausrede die mir einfiel um von meiner Mutter weg zu kommen.
 

Als ich Jim von dem Schreiben am nächsten Tag in der Schule erzählte wirkte er nicht gerade begeistert davon – genau so wie ich. Er küsste mich und meinte, dass ich das Schreiben einfach ignorieren sollte. Mit einem traurigen Lächeln sah ich zu Boden. „Das kann ich nicht. Meine Mutter würde durchdrehen.“ „Oh. Stimmt ja. Du liebst sie wirklich sehr, nicht wahr?“ Nickend lehnte ich mich an ihn. Seine starken Arme umfassten mich und drückten mich noch näher an sich. Kurz darauf kamen meine beiden Sitznachbarinnen auf uns zu. Wütend. Was hatte ich denn nun schon wieder getan? Seitdem ich mit Jim offiziell zusammen war, rieten sie mir davon ab, beleidigten ihn und beschuldigten mich. Keine Ahnung was sie hatten, da wir nie wirklich Freundinnen waren und wir sonst auch nicht viel zusammen unternehmen. „Lass sie los!“, keifte Kim lauthals über den Schulhof, zeigte auf Jim und lief beinahe rot an. „Das du es wagst sie überhaupt noch anzusehen.“ Die Beiden blieben vor uns stehen. Jim sah sie ausdruckslos an, fragte was denn los sei und rieb mit seinen Daumen über meinen Arm. „Gestern Abend“, Fjonna spuckte die Worte förmlich aus, holte ihr Handy hervor und tippte darauf herum. „Was war gestern Abend?“, fragte Jim ruhig, ließ mich jedoch los und rückte auf den Wunsch von Kim etwas von mir ab. „Du warst in der CB.“ Er blinzelte einige Male. „Ja und?“ Nun wirkte er etwas verunsichert, doch ich mischte mich in das Gespräch ein: „Nur weil er in der CB war müsst ihr ihn doch nicht gleich anfahren. Jeder geht da mal hin. Ich halte mich davon nur fern, da sie keine Alkoholfreien Getränke anbieten.“ Etwas das ich überhaupt nicht verstand. Die Cocktail Bar in unserer kleinen Stadt wurde von allen Jugendlichen ab sechzehn Jahren gut besucht, da sie die einzige Möglichkeit war abzuschalten und der Alkoholkonsum wird stets überwacht, sodass die Jugendlichen nur so viel zu sich nahmen wie ihre Eltern erlaubten. „Das könnt ihr ihm nun wirklich nicht anhängen.“ Kim nickte zustimmend. „Das stimmt, aber wir können ihm etwas anderes anhängen, was er im CB gemacht hat.“ „Alkohol getrunken?“, fragte ich augenverdrehent. Fjonna wurde auf ihrem Handy fündig, hielt es hoch und drehte es zu uns um. Sie hatte ihre Fotos aufgerufen und das, das gerade aufgerufen war ließ mir meine weitere Antwort im Hals stecken bleiben. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber es kam nichts heraus. Jim, der noch immer neben mir saß, nahm mich in seine Arme und zog mich zu sich. „Ich hatte einfach zu viel getrunken. Mein Vater erlaubt mir so viel ich möchte und ich habe mich einfach übernommen.“ Sehr betrunken sah er auf dem Bild nicht aus. Und auch heute Morgen sah er nicht so aus, dass er gestern viel getrunken hätte. „Lass sie los, du … du ...“ „Arsch, Betrüger, Idiot“, half Fjonna Kim aus und reichte mir die Hand.

Da ich nicht in der Lage war irgendetwas zu tun, nahm ich die gereichte Hand nicht an und auch als die Beiden gegangen waren – und Jim mit gezerrt hatten – saß ich noch lange auf der Bank vor dem Schulgebäude.



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