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Höllenfeuer

von

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Kapitel 21

Kapitel 21
 

Lydia fielen vor Müdigkeit fast die Augen zu.

Mittlerweile war es September, doch in Indien waren die Temperaturen noch immer ziemlich hoch. Die Nonne bewunderte Artemis dafür, dass er, trotz seiner relativ geschlossenen Kleidung, die aus einer dünnen Jacke, einem T-Shirt und einer Hose bestand, nicht allzu sehr zu schwitzen schien.

Sie und Artemis hatten ihren Flug ohne weitere Zwischenfälle antreten können und befanden sich nun seit über einer Stunde in Indien, hatten jedoch noch fast keinen einzigen Schritt nach draußen gemacht. Am Flughafen von Kalkutta angekommen, hatten sie sofort ein Taxi nehmen müssen und waren an den äußersten Rand der Stadt gefahren. Von dort aus hatten die beiden eine kleine Kutsche anmieten müssen, vor der ein Gespann Esel lief, um tiefer in den indischen Dschungel vorzudringen.

Nur kurz war Lydia der Blick auf die Spitzen einiger Tempel gewährt worden und vereinzelt hatte sie einige bunt gekleidete Frauen sehen können, die auf dem Fußboden der dreckigen Straßen einige Lebensmittel verkauft hatten. Nachdem sie eine halbe Ewigkeit in einer Seitengasse hatten warten müssen, weil es sich eine Kuh mitten auf Straße hatte gemütlich machen müssen, war Lydia etwas näher an Artemis heran gerückt, als sie beobachtete, wie einige zwielichtige Gestalten auf das Taxi zugesteuert waren. Genauso schnell, wie diese sich aus den Schatten der umstehenden Gebäude geschält hatten, waren sie auch wieder verschwunden, als das Taxi die Fahrt wieder aufnehmen konnte.

Seitdem Artemis und Lydia ihren Weg in der Kutsche fortsetzten, war nichts Aufregendes mehr passiert. Überall sah es gleich aus, die Bäume reihten sich ähnlich aneinander wie die hochragenden Gebäude Kalkuttas und stahlen so jegliches Sonnenlicht, der lose Sandweg war ebenso holprig und sonderlich gesprächig zeigte sich ihr Chauffeur auch nicht. Wahrscheinlich hätte sie ihn ohnehin nicht verstehen können, denn es war schon schwierig genug gewesen, ihm auf Englisch zu erklären, wo die beiden hin wollten. In der Ferne war das leise Schnaufen eines Tieres zu hören, doch da weder die Esel, noch der Kutscher nervös wirkten, handelte es sich wahrscheinlich um ein weniger gefährliches Exemplar. Ein bunter Vogel zwitscherte auf einem der Äste über Lydias Kopf. Doch als sie das Haupt hob, um einen Blick auf das singende Tier zu erhaschen, sah sie nur die dichten Baumkronen über sich.

Seufzend legte sie das Kinn auf den Rand des Gefährts, welches bei jeder kleinen Kuhle ein wenig vertrauen erweckendes Knirschen von sich gab. Langsam tat ihr das Gesäß weh von der harten Bank, die vorwiegend aus einem zusammenhängenden Brett bestand, das notdürftig an den Rest der Konstruktion genagelt worden war.

Als Artemis seine Begleitung seufzen hörte, drehte er sich um.

„Ich hoffe, dass es diesmal klappt.“

„Was?“, fragte Lydia benommen, nachdem Artemis sie angesprochen hatte.

„Ich hoffe, dass wir diesmal nicht wieder zu spät sein werden. Noch ein toter Priester wäre nicht nur an sich eine Tragödie, sondern würde uns im Allgemeinen stark zurück werfen.“

„Wir werden kaum dafür verantwortlich gemacht werden können, wenn wieder etwas schief gegangen sein sollte, bevor wir ankommen“, sprach Lydia im leisen Tonfall, als könne der Kutscher möglicherweise verstehen, was sie sagte. „Genauso wenig, wie wir Alexandros helfen konnten. Das stand einfach nicht in unserer Macht.“

„Das meinte ich nicht.“ Artemis bemühte sich um eine ausgeglichene und freundliche Stimmlage, denn er wollte die Zeit, in der Lydia ihn ausnahmsweise nicht mit ihrem Hass auf ihn bombardierte, nicht vorzeitig beenden. „Dass wir beide da nichts für können, das ist eigentlich klar. Aber für den Vatikan… Es gab schon vorher wenige Geweihte und jetzt werden die letzten von ihnen auch noch von den Dämonen gejagt. Außerdem spüre ich… Wie soll ich es ausdrücken… Eine Art Verbundenheit mit ihnen.“

„Dafür hast du deinem Kollegen in Griechenland aber sehr wenig Mitleid entgegen gebracht“, schnauzte Lydia plötzlich und wand sich von Artemis ab.

Genervt rollte der Priester mit den Augen. Ein Pulverfass war Lydia schon früher gewesen, doch das war selbst für ihre Verhältnisse mehr als kindisch. Diesmal hatte Artemis dafür allerdings weniger Verständnis.

„Wie habe ich mich jemals in eine Giftspritze wie dich verlieben können“, murmelte Artemis und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wie bitte?!“ Sofort drehte sich Lydia wieder Artemis entgegen. „Die Frage ist eher, wie sich jemand wie ich so lange mit jemanden wie dir abgeben konnte!“

Hätten Blicke töten können, hätte Lydia Artemis innerhalb weniger Sekunden nahezu hingerichtet. Als Lydia wenige Augenblicke später in Artemis‘ grinsendes Gesicht sah, beruhigte sie sich allerdings schnell wieder. Immer, wenn er sie so ansah, musste Lydia daran denken, wie sie sich das erste Mal begegnet waren. Vor einer Kneipe hatte sie gestanden, hauptsächlich mit einem langen schwarzen Mantel bekleidet. Trotz der südlichen Lage Roms war es sehr kalt gewesen und auch die Steinwand, an die sie sich gelehnt hatte, hatte nicht dazu beitragen können, den Abend angenehmer für sie zu gestalten. Wie so oft hatte sich dann die Tür der Kneipe neben ihr geöffnet, wodurch etwas von der warmen Luft nach draußen zu strömen begann, mitsamt einigen Männern. Einer von ihnen war Artemis gewesen.

Als er Lydia gesehen hatte, war er sofort auf sie zu gekommen.

Der Mann, welcher ihn begleitet hatte, hatte ihn noch davon abhalten wollen, mit ihr zu reden. Vor allem, da es sich bei Lydia um eine Prostituierte handelte. Das herablassende Gesicht, welches der andere ihr geschenkt hatte, würde Lydia ebenfalls niemals vergessen. Später wurde er ihr als Ethos Turino vorgestellt. Ein Mann, der Artemis immer wieder in Gefahr bringen und sie ohnehin niemals respektieren würde.

Anfangs war Lydia leicht zurück gewichen, als sie gesehen hatte, dass der damals Fremde eine Augenklappe trug. Oft genug hatte sie mitbekommen, wie andere Mädchen von Männern solchen Schlages verprügelt, vergewaltigt oder überfallen worden waren. Doch anstatt sie anzusprechen, zog der Mann lediglich seine Jacke aus und warf sie über Lydias Schultern.

Dabei hatte er sie, ähnlich wie jetzt, wie eine alte Bekannte angegrinst und war wieder verschwunden.

Als Lydia zum Ende ihrer Schicht in eine der Seitentaschen gegriffen hatte, hatte sie ein Stück Papier gefunden mit dem Hinweis, dass sie die Jacke gerne an der niedergeschriebenen Adresse wieder ihrem Besitzer zurückgeben dürfe. Nicht ohne den Hinweis, was für eine umwerfende Schönheit sie doch wäre.

Weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, sich aber auch durchaus geschmeichelt fühlte, hatte Lydia die Jacke an die genannte Adresse gebracht. Es handelte sich dabei um ein gemietetes Zimmer, welches Artemis des Öfteren nutzte, um seine Bekanntschaften außerhalb des Vatikans zu treffen. Damals hatte es Lydia nicht gestört und sie wusste, dass sie eine von vielen Frauen gewesen war, die Artemis auf diese Art und Weise ins Bett bekommen hatte. Meist gegen Bezahlung. Doch auch das hatte sie nicht gestört.

Ein Schlagloch riss die Nonne aus ihren Gedanken heraus. Beinahe wäre sie so nah an Artemis heran gerutscht, dass sie sich berührt hätten, was sie im letzten Moment hatte verhindern können, indem sie sich panisch in die kleine Lehne aus Holz auf ihrer Seite gekrallt hatte. Als er sah, wie Lydia mit ihrem Gleichgewicht zu kämpfen hatte, musste Artemis lachen. Es dauerte nicht lange und auch Lydia stimmte, wenn auch wesentlich leiser, in das Gelächter mit ein. Sie hatte ganz vergessen, wie ansteckend Artemis‘ Lachen sein konnte. Und wie schön sie es damals empfunden hatte.

Gerade, als Lydia etwas sagen wollte, hielt der Kutscher an.

Er wand sich an seine beiden Gäste und nickte mit dem Kopf in die Richtung eines kleinen Pfades, welcher leicht bergauf führte. Am Ende des Pfades war ein riesiges Gebäude zu sehen, dessen Umrisse jedoch nur erahnt werden konnten, da es sich hinter einem mannshohen Zaun aus schwarzen Gitterstäben befand.

Artemis half Lydia aus der Kutsche und steckte dem Fahrer einige Scheine zu. Dann nahm er seinen und Lydias Koffer von der kleinen Ladefläche des Gefährts. Mit einem letzten Kopfnicken verabschiedete der Inder sich und trieb seine Esel zurück in die Richtung, aus welcher sie gekommen waren.

„Das ist dann wohl das Anwesen der Familie McDouglas“, flüsterte Lydia ehrfürchtig. Sie hatte davon gehört, dass sich einige Kolonnisten riesige Anwesen gebaut hatten, meist in der Nähe ihrer Plantagen. Doch nie hätte sie damit gerechnet, welche Ausmaße dies nehmen konnte.

Kaum waren die beiden nach einem kleinen Fußmarsch näher an das Tor getreten, konnte Lydia durch die Gitterstäbe hindurch das Hinterland sehen. Riesige Büsche reihten sich aneinander, vereinzelt standen einige Bäume und auch der eine oder andere Brunnen dazwischen.

Mittendrin thronte ein pompöses Herrenhaus mit mehreren Stockwerken. Vor dem Eingang waren einige Säulen zu erkennen, die kunstvolle Muster aufwiesen und zusammen mit den weißen Mauern und den ausladenden Balkonen an den Seiten majestätisch wirkten. Das schwarze Dach hingegen wirkte relativ schlicht, die Fenster waren dunkel.

Im Gegensatz zu seiner Kollegin bewunderte Artemis weniger das kleine Wunder britischer Architektur, sondern widmete sich der Frage, wie er das Grundstück des Anwesend betreten könnte. Allem Anschein nach gab es keine Klingel und nach jemanden zu rufen kam ebenfalls nicht in Frage. Das gesamte Grundstück wirkte nahezu ausgestorben. Noch immer hatte er beide Koffer in den Händen, nun stellte er diese beiseite.

„Was hast du vor?“, fragte Lydia, als Artemis mit beiden Händen die Gitterstäbe umfasste.

Die Enden wiesen bedrohlich scharf wirkende Sperrspitzen auf. Durch ihre goldene Farbe waren sie sofort zu identifizieren. Eine gelungene Abschreckung. Zusätzlich war das Tor mit einem riesigen Vorhängeschloss gesichert.

„Ich werde uns einen Weg hier rein verschaffen.“

Es dauerte lediglich einige wenige Sekunden, bis Artemis eines seiner Messer in der Hand hielt. Leise vor sich her pfeifend begab er sich zu dem Schloss und steckte die feine Spitze der zweckentfremdeten Waffe in das Schloss. Einige Male drehte und wendete er es, dann klickte es leise und das Schloss fiel in den Sand. Sichtlich überrascht schaute Artemis vor seine Füße.

„Auch wenn ich von meinem Können sehr überzeugt bin, ging mir das etwas zu schnell.“ Nebenbei steckte das Messer zurück unter seine Jacke.

Lydia rollte genervt mit den Augen, war aber der gleichen Meinung wie Artemis. Dafür, dass es sich hierbei um den Wohnsitz eines Geweihten handeln sollte, war das eindeutig zu einfach gewesen.

Vorsichtig stieß Artemis das Tor auf, das sich mit einem lauten Quietschen nach innen bewegte. Langsam trat er zusammen mit Lydia auf den Hof und schaute sich um. Es war niemand zu sehen.

„Ich hätte zumindest mit ein paar Wachhunden gerechnet“, meinte Artemis und streckte den Kopf, um besser sehen zu können. „Oder den einen oder anderen Angestellten, aber hier regiert wirklich der Tod.“

„Vielleicht finden wir etwas in dem Haus“, sagte Lydia und machte sich auf in Richtung Eingang.

Artemis folgte der Nonne, immer auf der Hut, dass jederzeit etwas passieren könnte. Einen der beiden Koffer trug er in der rechten Hand, die linke hielt er unter seine Jacke. Wenn doch noch etwas geschehen sollte, wollte Artemis so schnell wie möglich seine Waffen ziehen können.

Allerdings erreichten die beiden ihr Ziel ohne einen Zwischenfall.

„Sieh nur, die Tür. Sie ist offen“, raunte Lydia Artemis zu.

Mit den Fingerspitzen stieß sie das dünne Holz auf.

Hinter der Tür kam ein breiter Flur zum Vorschein, an dem jedoch nichts ungewöhnlich schien. Kommoden und Regale, in denen verschiedene Utensilien aufbewahrt wurden, reihten sich sauber aneinander. Ein wertvoll aussehender Teppich bedeckte den Boden, trotzdem zogen sich weder Lydia, noch Artemis die Schuhe aus. Ihre Koffer ließen sie im Eingangsbereich stehen. Lediglich ihren Degen holte Lydia aus ihrem Koffer hervor.

„Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.“

„Das denke ich ebenfalls. Aber ein Dämon wird es vermutlich nicht sein, zumindest hat sich mein Auge bisher nicht bemerkbar gemacht.“

Da sämtliche Türen, die vom Flur ausgingen, verschlossen waren, schritt Artemis mit wachsamen Auge voran. Dicht hinter ihm ging Lydia, die ihrem Kollegen somit den Rücken deckte.

„Ich werde jetzt die erste Tür öffnen. Mach dich am besten auf alles gefasst.“

Die einzige Antwort, die Lydia Artemis gab, war ein kurzes Nicken. Ein wenig ärgerte es sie, dass er mit ihr sprach, als handle es sich bei Lydia um einen Neuling, doch es war nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu lamentieren.

Mit einem kräftigen Tritt stieß Artemis die Tür auf. Genauso schnell, wie dies geschehen war, hechtete er in den Raum hinein, sowohl in der linken, als auch in der rechten Hand eines seiner Messer haltend. Lydia sprintete sofort hinterher, ihren Degen zum Schutz auf Augenhöhe gerichtet. Als sie neben Artemis zum Stehen kam, stockte ihr der Atem.

Der Wohnraum war über und über mit Blut versehen. Blutige Spritzer krochen die einstmals roséfarbenen Vorhänge hinauf, die helle Couchgarnitur einer großen Sitzecke ließ nur erahnen, welchen Farbton sie einst besessen haben mochte. Über dem schwarzen Beistelltisch lag eine junge Frau, ihr Rücken war von oben bis unten aufgerissen worden. Unweit entfernt lag ein Mann mit dem Gesicht nach oben. Seine Kehle war geöffnet, das Blut daraus schon lange in dem Teppich darunter gesickert. Beide Menschen trugen schwarz-weiße Kleidung im Stil von Dienstmädchen und Kellnern.

Artemis ließ seine Waffen sinken.

„Untersuche du die Leichen hier. Ich werde mich in den angrenzenden Räumen umsehen, ob nicht noch weitere Tote zu finden sind.“

Noch immer vorsichtig bewegte Artemis sich vorwärts. Wie in Zeitlupe öffnete er die nächste Tür und war verschwunden. Die zurück gebliebene Lydia ging zu der Frau, die über den Tisch gebeugt lag. Ihre weiße Haube hing noch halb von ihrem Kopf herunter. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, rollte Lydia die Leiche von dem Tisch herunter. Nun starrte sie ein Paar ausdruckslose Augen an, was sie bestmöglich zu ignorieren versuchte. Seufzend machte sie sich daran, die Taschen zu durchsuchen, jedoch ohne Erfolg. Als nächstes widmete sie sich dem Mann, auch hier ohne ein Ergebnis. Die beiden Angestellten besaßen nichts, das sie weiterbringen würde.

Je länger Lydia mit den beiden Toten alleine war, desto übler wurde ihr. Nebenan hörte sie, wie Artemis einige Gläser umzustoßen schien.

Langsam erhob Lydia sich und setzte sich auf die Couch, ungeachtet dem schlechten Zustand, in der sie sich befand. Ihr Magen krampfte sich zusammen, hätte sie in den letzten Stunden etwas gegessen, hätte sie sich mit Sicherheit übergeben müssen. Seufzend legte sie ihr Gesicht in ihre Hände.

Seit wann fiel es ihr so schwer, tote Menschen zu sehen. Sie hatte sich inzwischen so häufig auf Missionen befunden, dass ihr das Schicksal Fremder nicht mehr allzu nahe gehen sollte. Besonders, da sie in ihrem Leben bereits über ein dutzend Mal mit Verstorbenen konfrontiert worden war. Einige von ihnen hatten noch schlimmer ausgesehen als die Frau und der Mann, welche zu ihren Füßen lagen. Selbst Kinder waren dabei gewesen.

Lydia wurde aus ihren Gedanken heraus gerissen, als Artemis mit einer der Türen knallte. Sie schreckte auf und schaute nach oben, wodurch ihr Blick auf einen kleinen Zettel gezogen wurde, mit dem der Priester herum wedelte. Als er sah, wie Lydia traurig zu ihm aufblickte, hielt er kurz inne.

„Was ist los mit dir?“

„Nichts“, log Lydia und erhob sich. „Was hast du da? Hier habe ich nichts finden können, das uns auf irgendeine Art weiterhelfen könnte.“

„Das ist auch nicht nötig“, erwiderte Artemis stolz und hielt den Zettel weiterhin in die Luft. „Ich habe hier eine Notiz gefunden. Sie stammt vermutlich von McDouglas selbst.“

„Was steht drin?“

„Er ist anscheinend in Richtung Westen gegangen. Angeblich hätten einige seiner Mitarbeiter etwas Merkwürdiges in den Plantagen gesehen. Er hat diese Notiz hinterlassen, damit seine Angestellten Bescheid wissen, wo er sich aufhält, wenn irgendetwas sein sollte.“

„Die jetzt beide tot sind.“

„Richtig.“

Artemis brauchte einige Minuten, um die Gedanken, die ihm kamen, zusammenzufügen. Doch kaum hatten sich die Teile in seinem Kopf zusammengesetzt, schaute er panisch zu Lydia hinüber.

„Wir müssen uns beeilen!“

Lydia verstand sofort.

So schnell sie konnte, rannte sie zu ihrem Koffer und öffnete diesen. Da sie immer noch ein Kleid trug, fischte sie Klamotten heraus, in denen sie besser würde kämpfen können. Um keine Zeit zu verschwenden, riss sie sich ihr Kleid vom Körper, wenig später trug sie eine Jeans und ein grünes Shirt, dazu flache Turnschuhe. Ihre Haare hatte sie zusammengebunden, an ihrem Gürtel befand sich eine Halterung für ihren Degen.

Als Lydia Artemis ansah, schaute dieser sie mit einem breiten Grinsen an.

„Schön, dich mal wieder in deiner Unterwäsche gesehen zu haben.“

„Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns über solche Lappalien zu unterhalten!“, schrie Lydia Artemis an, doch dieser ließ sich dadurch nicht aus dem Konzept bringen.

Seelenruhig ging er an Lydia vorbei, schaute dieser in ihre grünen Augen, die ihn voller Zorn anfunkelten. Kurz bevor er Lydia passierte, beugte sich Artemis noch einmal nach vorne, um ihr ins Ohr flüstern zu können.

„Du bist immer noch die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe.“

Kopfschüttelnd folgte Lydia dem Priester nach draußen.

Artemis war bereits in ein schnelleres Tempo gefallen und lief einen der Wege entlang, die tiefer in den westlichen Teil der Plantagen führte. Lydia brauche einige Zeit, bis sie aufgeholt hatte, der lockere Sand auf dem Boden erschwerte ihr das Laufen.

„Schau dir das an“, sagte Artemis, als Lydia wieder bei ihm angekommen war. In seiner Handfläche befand sich das Blatt eines Gewürzbaumes, welchen Lydia nicht auf Anhieb bestimmen konnte. Blut klebte darauf. „Es befinden sich noch weitere Blätter mit Blut an den Rändern dieses Weges. Ich vermute, dass sie uns direkt zu McDouglas führen werden.“

Artemis ließ das Blatt fallen und lief weiter. Unterwegs entfernte er seine Augenklappe. Nach einigen Metern verließen die beiden den Pfad und kämpften sich durch das hohe Blattwerk, das ihre Sicht extrem einschränkte. Lydia hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie in verschiedene Richtungen abgebogen waren und welche Querpfade sie dabei passiert hatten. Immer wieder peitschten ihr die Äste in das Gesicht, woran Artemis nicht ganz unbeteiligt war. Kurz bevor sie Artemis zu verlieren drohte, griff dieser nach ihrem Handgelenk und zog sie so mit sich. Vor den beiden erschien plötzlich eine Reihe aus Steinen, vermutlich eine Art Begrenzung. Im letzten Moment setzte Lydia zu einem Sprung an. Zusammen mit Artemis kam sie auf einem Boden auf, der wesentlich weicher war als die Erde, in der die Gewürze der Plantage angebaut worden waren.

Während Artemis mit den Füßen aufkam, war Lydia leicht ins Stolpern geraten.

„Achtung!“, schrie eine kräftige Männerstimme von der Seite.

Noch immer Lydias Hand haltend, die auf dem Boden kniete, um sich aufrichten zu können, schaute Artemis zur Seite. Ein schwarzer Schatten kam auf ihn zu und entblößte ein Gebiss voller scharfer Reißzähne. Sofort hob der Priester seine verbleibende Hand. Er fixierte den Dämon, der auf ihn zukam.

Wie durch ein Wunder blieb der Angreifer in der Luft stehen, wodurch Lydia etwas an Zeit gewann und aufstehen konnte. Sie rannte zu dem Mann, von dem der Schrei gekommen war.

„Wer sind Sie?“, fragte der Mann in schwerem britischen Akzent, der ihn als Archibald McDouglas identifizierte.

„Das tut erstmal nichts zur Sache. Sind Sie verletzt?“ Lydias Blick fiel auf eine Wunde an McDouglas‘ Arm. Der Ärmel seines khakifarbenen Hemdes war hochgeschoben, so dass ein blutiger Streifen zu sehen war. „Ihr Arm…“

„Es ist nicht weiter schlimm“, brummte McDouglas und zog seinen Arm weg. „Wir müssen uns auf den Dämonen konzentrieren, alles andere hat Zeit.“

Lydia drehte sich wieder um und zog ihren Degen.

In der Zwischenzeit hatte Artemis seine Hand wieder gesenkt und stand nun dem Dämon alleine gegenüber. Vor ihm stand ein riesiger Wolf. Seine Krallen hatte er in den Sand geschlagen, die gelben Augen fixierten Artemis, als wäre dieser ein wehrloses Beutetier. Plötzlich sprang das Raubtier auf Artemis zu. Dieser wich geschickt zur Seite aus und schmiss eines seiner Messer nach dem Wolf. Einige Sprünge reichten aus, um der Klinge zu entkommen. Knurrend stürmte er wieder auf Artemis zu. Der Priester hatte sich schon bereit gemacht, das Biest abzufangen, als plötzlich dünne Fäden aus dem massigen Körper zu strömen schienen. Nach und nach löste sich der Wolf auf, schwarzer Rauch zog an Artemis vorbei.

Auf der Rückseite des Geistlichen sammelte sich der Rauch, was Artemis allerdings rechtzeitig bemerkt hatte. Er wich einige Schritte zurück, wenig später stand ein Mann vor ihm. Ein Mann mit asiatischen Zügen.

„Kiseragi…“, knurrte er voller Hass und zog ein weiteres Messer hervor.

Der Angesprochene antwortete nicht. Stattdessen fing er an, seine Finger zu bewegen und einige Muster mit ihnen zu weben. Gerade, als Artemis zum Angriff übergehen wollte, löste sich der Körper des Dämons erneut auf.

„Wo ist er hin?“, rief Lydia und schaute sich um.

Auch McDouglas wirkte nervös. Er hielt sich den Arm, an dem Lydia vor wenigen Minuten die Wunde entdeckt hatte und trat neben den Priester und die Nonne.

„Passen Sie auf. Dieser Dämon ist unberechenbar. Er ist ein…“ McDouglas verstummte, als er hinter sich das laute Atmen eines Tieres vernahm. Langsam wand er sich in die Richtung, aus welcher er das Geräusch vernommen hatte. Vor ihm stand ein riesiger weißer Löwe mit türkisenen Augen. Der Löwe brüllte, dann fuhr er seine Krallen aus und griff McDouglas an. Da er seine Flinte auf dem Rücken trug, konnte McDouglas keinen Gegenangriff starten. Er wich zur Seite aus und als der Löwe auf dem Boden aufkam, holte Lydia bereits mit ihren Degen aus. Sie traf das Tier an der Schulter, wodurch es laut zu knurren begann. Dann löste es sich erneut auf.

McDouglas nutzte die kurze Pause und zog seine Flinte nach vorne. Sie war kunstvoll verziert, der Griff bestand aus Elfenbein. Der lange Lauf war am oberen Teil, der nicht mit der Hitze der Gewehrkugeln in Berührung kam, zur Hälfte mit Blattgold veredelt worden. Artemis stieß ein anerkennendes Pfeifen aus, als er die Waffe sah.

„Sind Sie ein Sammler?“

„Du meine Güte“, stöhnte McDouglas. „Können wir uns nicht endlich um den Dämon kümmern? Danach beantworte ich gerne alle Ihre Fragen.“

„Immer mit der Ruhe. So stark scheint er ja nicht zu sein.“

Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, erschien erneut eine Gestalt vor ihnen. Diesmal war Artemis sichtlich überrascht. Er wusste, dass es sich um den fremden Dämonen handelte, gegen den er gerade kämpfte, doch vor ihm stand Chino.

Die Stelle, an der Lydia ihn getroffen hatte, blutete der Dämon.

„Glaube ja nicht, dass mich das irgendwie davon abhält, dich zu töten“, rief Artemis den Dämon zu, der lediglich mit den Schultern zuckte.

„Ist mir egal.“

Sogar seine Stimme wirkte wie die von Chino. Das einzige, das anders war, war der Ausdruck in seinem Gesicht und in seinen Augen. Während in Chinos Augen ein gewisses Feuer brannte, starrten die Augen des Dämons leidenschaftslos vor sich hin. Auch die Körperhaltung war eine andere.

Der Dämon griff erneut an, diesmal hatte er erneut Artemis in sein Visier genommen. Ohne Probleme parierte der Priester die einzelnen Attacken, dann griff Lydia in den Kampf ein.

Ihre Schnelligkeit und Präzision mit dem Degen waren beeindruckend. Dem ersten Schlag, den sie ausführte, konnte der Dämon nur mit Mühe entkommen. Nun hatte er Artemis zu seiner linken, Lydia zu seiner rechten Seite.

„Friss das, elender Dämon!“

Fragend drehte der Dämon sich zu der dritten Person, welche er offenbar völlig vergessen hatte. Nur wenige Meter entfernt stand McDouglas, den Lauf seines Gewehres direkt auf ihn gerichtet. Der Priester drückte ab und ein ohrenbetäubender Knall ertönte. Einige Vögel schreckten auf und flatterten in den Himmel empor.

Als er den Blick von dem Korn hob, war der Dämon jedoch verschwunden.

Einige Minuten lang verharrten die Anwesenden in ihren wachsamen Positionen. Der erste, der sich wieder entspannte und seine Waffe wieder verstaute, war Artemis.

„Ihr könnt euch beruhigen, er ist weg.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Deshalb“, entgegnete Artemis grinsend und wand sich McDouglas zu, dabei zeigte er auf sein Auge.

Genau wie er es vermutet hatte, sprang dieser auf und wich einige Schritte zurück. Seine dunklen braunen Augen weiteten sich vor Anspannung. Wieder hob der Geweihte seine Flinte empor und richtete sie auf Artemis.

„Hey, ist ja schon gut.“ Lächelnd hob Artemis seine Hände zum Zeichen, dass er unbewaffnet war. „Ich werde Ihnen bestimmt nichts tun.“

Seelenruhig griff Artemis unter seine Jacke und förderte eine schwarze Augenklappe zutage. Er setzte sie sich auf und band sie zusammen, danach nahm er erneut die Hände über seinen Kopf, da McDouglas ihn nach wie vor im Visier behielt.

„Wir sind gekommen, um Ihnen zu helfen“, mischte sich nun auch Lydia ein und kam näher. „Wir wurden vom Vatikan geschickt, um Sie mit nach Rom zu nehmen. Insofern Sie Archibald Roman McDouglas sind. Jemand muss uns angekündigt haben.“

Zunächst zögerte McDouglas, dann schulterte er seine Flinte und stieß erleichtert die Luft aus seiner Lunge heraus.

„Ja, der bin ich. Und ja, Sie wurden mir angekündigt. Sind Sie Artemis und Lydia Dal Monte?“

„Das sind wir“, bestätigte Lydia mit einem heftigen Nicken.

„Dann würde ich Sie bitten, mir zu folgen. Wir können uns in meinem Anwesen weiter unterhalten.“

„Ihre Angestellten sind tot. Sie liegen dort“, stellte Artemis die Situation emotionslos dar.

Lydia schüttelte nur mit den Kopf.

„Das weiß ich. Nicht nur meine Hausdiener, auch einige Angestellte meiner Plantage sind von dem Dämon, gegen den wir gerade gekämpft haben, getötet worden. Zum Glück war meine Notiz trotzdem nicht nutzlos, wie mir scheint.“

„Das würde das ganze Blut an den Blättern erklären.“

„Einerseits schon, aber der Dämon hat auch mich erwischen können“, sagte McDouglas und ging auf den nächsten Pfad zu. Lydia und Artemis folgten ihm. „Es ist nicht sonderlich schlimm, sobald ich die Wunde verarztet habe, sollte es in ein paar Tagen abgeheilt sein.“

„Was war das für ein Dämon? Hat er sich schon öfters hier blicken lassen?“, fragte Artemis, während er einige Blätter zur Seite schob, die bis auf den Weg reichten.

„Ich habe ihn heute zum ersten Mal gesehen. In Form eines Wolfes ist er auf meine Plantage gekommen und hat meine Angestellten wie Schafe gerissen. Allerdings kann er seine Gestalt verändern, was Sie mit Sicherheit schon bemerkt haben dürften.“

Lydia konnte sich nicht helfen, sie fand den Mann einfach unsympathisch. Nicht nur, dass er in einem mehr oder weniger herablassenden Tonfall mit ihnen sprach, er redete auch, als habe er es mit Idioten zu tun.

„Angestellte ist eine nette Umschreibung für Diener und Sklaven“, bemerkte Artemis und setzte sein altbekanntes Lächeln auf.

„Wir sind hier in Indien. Es gab zwar schon erste Versuche, das Land unabhängig zu machen, aber es ist kein Verbrechen, sich Leute zu halten“, antwortete McDouglas mit einem Schulterzucken. „Außerdem habe ich mein Bestes getan, um sie vor dem Dämon zu beschützen. Leider ist es mir nicht gelungen.“

Am Ende des Satzes schien der Geweihte echtes Bedauern zu bezeugen. Es reichte jedoch noch nicht aus, um Lydias Bild von McDouglas zu bessern.

Den Rest des Weges legten die drei schweigend zurück. Hin und wieder war einer der toten Angestellten zu sehen, von denen McDouglas gesprochen hatte. Bei jedem einzelnen hielt er inne und überprüfte noch einmal die Vitalfunktionen. Um die Beseitigung der Leichen würde er sich später kümmern, momentan konnte er eh nichts tun. Seinen Gästen diese Aufgabe zukommen zu lassen, wäre ihm niemals in den Sinn gekommen. Auch, wenn sie allem Anschein nach im gleichen Metier beschäftigt waren, wie er selbst.

An dem Herrenhaus angekommen, zählte Lydia zehn Leichen. Plus die beiden in dem Haus machte zwölf Opfer, denen McDouglas jedoch keine große Bedeutung beizumessen schien. In aller Seelenruhe stieß er die Tür auf, trat hinein und bat Lydia und Artemis, ihm zu folgen. Das Wohnzimmer ignorierte der Geistliche und steuerte direkt auf die Küche zu.

„Wie ich sehe, haben Sie sich bereits umgeschaut“, stellte McDouglas fest, als er das Chaos betrachtete, welches Artemis hinterlassen hatte.

Überall lagen Küchenutensilien herum, Schränke waren geöffnet und Schubladen nahezu ausgeräumt worden. Einige Gläser waren auf dem Boden zerschlagen.

„Immerhin haben wir Sie dadurch finden können.“

McDouglas war an eine der vielen Schubladen gegangen und suchte sich Verbandszeug heraus. Umständlich wickelte er dieses um seinen Arm, dann schnitt er es zurecht und befestigte alles mit einem Pflasterstreifen. Nebenbei lehnte er sich mit der Rückseite gegen eine der Ablagen. In der Mitte der Küche befand sich eine große Arbeitsfläche, auf welcher er den Verbandskasten ablegte. Dazu musste er erst einige Bestecke zur Seite räumen, die mit einem lauten Knall auf den Fliesen landeten. Kaum war er fertig, lehnte sich McDouglas nach vorne, so dass er sich an der Kante der Arbeitsfläche abstützen konnte.

„Hätte ich etwas ausrichten können, hätte ich es getan.“ Besonders Lydia schien von dieser plötzlichen Beichte überrascht. „Verdammt, dieser Dämon ist einfach auf meinem Gelände erschienen und hat die Leute niedergemetzelt. Hätte ich mich zu der Zeit nicht im Haus befunden…“

„Wir sind nicht gekommen, um über Sie zu richten“, unterbrach Artemis den trauernden McDouglas. „Sie sind in großer Gefahr. Dieser Dämon war vermutlich nur der Anfang, es werden weitere folgen.“

„Was macht Sie da so sicher?“

„Es scheint, als haben es die Dämonen speziell auf die Geweihten abgesehen. Einige sind bereits tot. Alexandros Sokrates aus Athen, sowie Daniel Siemons aus London.“

„Wie war der letzte Name?“ McDouglas schien mit einem Mal wie aus seiner Trance erwacht.

„Siemons? Uns wurde er unter dem Namen Simmons vorgestellt.“

„Daniel Simmons ist tot? Er war vor einigen Wochen bei mir.“

Artemis zog fragend eine Augenbraue nach oben. Lydia hingegen schluckte schwer, als sie dies hörte.

„Was wollte er?“

„Ich weiß nicht, er wollte mich zu irgendetwas überreden. Er weiß, dass ich Probleme mit Schulden habe und wollte mir helfen. Als ich ihn fragte, woher er das wisse, meinte er nur, dass er einem Landsmann jederzeit helfen würde. Ich war davon ausgegangen, dass die Heilige Kirche irgendetwas hat durchsickern lassen. Da ich relativ schnell abgelehnt habe, war er auch schnell wieder ruhig und hat nichts weiter gesagt. Er blieb einige Tage, dabei kam es nie wieder zu einem Gespräch bezüglich der Schulden zwischen uns. Als er ging, sagte er, dass ich nur eine Münze vorzeigen müsse, wenn ich Hilfe benötigen würde.“

„Wie sah diese Münze aus?“

McDouglas kramte in seiner Hosentasche und zog die Münze heraus, dann hielt er sie Artemis entgegen.

„Wir müssen Sie so schnell wie möglich von hier fort bringen.“

„Wie bitte?“, fragte McDouglas entsetzt, dazu packte er die Münze wieder weg. „Ich kann nicht einfach mein Anwesen hier zurücklassen und gehen. Alleine schon wegen der Leichen, die beseitigt werden müssen.“

„Keine Sorge, darum wird sich schon jemand kümmern. Als Geweihter kennen Sie die Vorzüge unserer Abteilung. Ich wiederhole mich nur ungerne, aber Sie sind in großer Gefahr. Wir haben ein Flugticket nach Rom für Sie, dort sind Sie sicher. Außerdem habe ich das hier dabei.“

Artemis nahm einen weißen Umschlag aus seiner Jacke und hielt ihn McDouglas entgegen. Zögernd nahm er den Umschlag entgegen, öffnete ihn und las das darin enthaltende Schreiben durch. Es handelte sich um einen Brief des Prälaten Nikolas, den dieser vorsorglich verfasst hatte, sollte sich einer der Geweihten sträuben, mit Artemis und Lydia zu kommen.

„Dem Prälat werde ich mich kaum widersetzen können“, seufzte McDouglas und faltete den Brief wieder zusammen. „Wenn zudem schon zwei Geweihte tot aufgefunden wurden, habe ich wohl keine Wahl.“

„So sollten Sie es nicht sehen“, meldete sich Lydia zu Wort. Sie war es gewohnt, als Frau bei solchen Unterhaltungen ignoriert zu werden, weshalb sie sich so lange herausgehalten hatte. „Es ist wirklich nur zu Ihrem eigenen Besten. Auch wenn ich weiß, wie schwer es Ihnen fallen muss, Ihr Zuhause zurückzulassen.“

McDouglas richtete sich auf und musterte Lydia von oben bis unten. Sämtliches Wohlwollen, das Lydia vorher noch für den Priester empfunden hatte, wich mit einem Schlag aus ihr hinaus, als sie seinen arroganten Blick kreuzte.

„Sie wissen gar nichts.“ Mit erhobenen Haupt wand dich McDouglas von Lydia ab und widmete sich wieder ihrem Kollegen. „Ich werde jetzt einige Sachen zusammen packen, dann werde ich Ihren Rat befolgen und nach Rom reisen. Werden Sie mich begleiten?“

„Nein, unser Ziel ist eine andere Stadt.“

Diese Antwort reichte McDouglas offensichtlich, denn er entfernte sich aus der Küche, um wie angekündigt seinen Koffer zu packen.

„Ein schwieriger Zeitgenosse“, lachte Artemis und klopfte Lydia auf die Schulter.

„Was du nicht sagst…“

„Wenigstens hat er dich nicht öffentlich beleidigt oder so.“

„Für mich ist das kein besonders guter Trost.“

„Das hätte ich auch niemals zugelassen.“ Lydia schaute Artemis fragend an. „Wenn dich jemals jemand beleidigen sollte, werde ich denjenigen erwürgen.“

Lächelnd wand sich Artemis von der Nonne ab, damit er nach draußen gehen konnte. Als er gerade an der Tür angekommen war, rief Lydia noch einmal seinen Namen. Daraufhin blieb der Priester stehen, drehte sich jedoch nicht um.

„Du hast vorhin etwas zu dem Dämon gesagt, als ihr euch gegenüber standet.“ Lydia wartete einen Augenblick, doch als Artemis nichts sagte, fuhr sie fort. „Hast du ihn beim Namen genannt? Es hat sich so angehört, als wüsstest du, wie er heißt. Bist du ihm schon mal begegnet?“

„Warum interessiert dich das?“, wollte Artemis wissen, wand sich jedoch noch immer nicht seiner Gesprächspartnerin zu.

„Es… interessiert mich einfach. Ich weiß nur sehr wenig über diese Mission, die du zusammen mit Ethos führst.“

„Es ist auch besser für dich, wenn das so bleibt.“

Obwohl ihre Frage damit noch lange nicht beantwortet war, ließ Lydia Artemis ziehen. Vermutlich würde sie während der Ausführung des Auftrages noch die eine oder andere Chance bekommen, den Priester noch einmal darauf anzusprechen.

Bei einer Sache war sie sich allerdings ziemlich sicher.

Artemis hatte etwas vor ihr zu verbergen. Zwar hatte er hauptsächlich mit Ausflüchten reagiert, doch gerade das war etwas, das bei Artemis unheimlich selten vorkam. Selbst wenn bei den Missionen strengste Geheimhaltung erforderlich war, wiegelte er sie niemals in solch einem Ton ab. Oder er hatte tatsächlich seine Gründe. Dass der Priester plötzlich erwachsen geworden war und sich endlich verantwortungsbewusst zu verhalten versuchte, bezweifelte Lydia trotzdem.



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