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Von unserer Scherbenwelt

Fortsetzung zu 'Von Dir und Mir'
von

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Von einem nervtötenden Chef und einem Abend im Nieselregen

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1. Kapitel

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Karyus Nachricht kam spätnachts. Ich sah sie erst am Morgen. Sie las sich wie schon bereits die 20 davor, die er mir immer dann geschickt hatte, wenn er länger im Krankenhaus blieb. Ich antwortete gar nicht erst darauf.

Nachdem ich auf der Arbeit mit Tsukasa die bisherige Liste abgesprochen hatte, was die Bücherauswahl anging, erhielt ich eine weitere Nachricht. Er wollte sich heute Abend mit mir treffen, bei mir vorbei kommen. Ich glaubte ja nicht wirklich daran, dass es klappte, aber ich sagte ihm dennoch zu.
 

"Hey, was macht Ihr Freund, der Arzt?" Ich seufzte innerlich. Da wollte man sich nur einen Kaffee auf dem Gang holen gehen und schon lauerte einem Tsukasa auf.

"Was soll er schon machen? Operieren.", antwortete ich trocken und drückte die Taste der Kaffeemaschine.

"Sind Sie nicht stolz auf ihn?"

Ich zog die Augenbrauen leicht zusammen und schaute auf. "Wie bitte?" Worauf wollte er hinaus?

"Na ja", fing er an und lehnte sich gegen die Wand, "er rettet Menschenleben. Das ist beeindruckend. Was er leistet, könnte ich nicht. Man muss mit der Freude, aber auch mit der tiefsten Trauer der Menschen klar kommen und das jeden Tag. Er ist bestimmt ein Held. So jemanden an seiner Seite zu haben, macht einen doch sicher stolz, oder nicht?" Er sah mich an. "Aber Sie sehen nicht so aus, als wären Sie stolz."

Ich öffnete den Mund und setzte doch tatsächlich dazu an, ihm das zu erklären, wie das war, wenn man einen Arzt als Freund hatte, wenn man ihn kaum noch sah und jede zweite Verabredung ins Wasser fiel. Was war das für eine Beziehung? Aber im letzten Moment entschied ich mich dagegen und schloss den Mund, schnaubte nur und drehte mich mit dem Kaffeebecher in der Hand um. "Das ist privat", sagte ich nur und ging zurück ins Büro. Was nahm der sich raus?
 

Gereizt bearbeitete ich eine Übersetzung. Tsukasa war typisch Chef und ich musste mir das gefallen lassen. Es war doch nicht zu fassen.

Pünktlich um 18 Uhr machte ich Schluss. Ich würde keine weitere Minute hier verbringen. Wirklich beruhigt hatte ich mich noch nicht. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, lief er mir unten auch noch über den Weg, als ich den Fahrstuhl verließ. Er hielt mich auf. "Hey, warum wollten Sie mir vorhin nicht antworten?"

Ich atmete tief durch und wandte mich zu ihm um. Ich durfte nicht unfreundlich werden. "Mein Liebesleben ist meine Sache. Darüber muss ich mit Ihnen nicht reden."

"Nein, müssen Sie nicht, das stimmt. Aber ich dachte, Sie könnten jemanden zum Reden gebrauchen", sagte er leise.

Ich schluckte leicht und runzelte die Stirn. "Nein...nein, brauche ich nicht", erwiderte ich ebenso leise und drehte mich um. Es war wirklich Zeit zum Gehen. Jetzt war ich richtig sauer auf Tsukasa. Wenn er mich noch mal so komisch anquatschte, konnte er was erleben. Chef hin oder her.
 

Brummend starrte ich auf die Uhr. Es war 10 nach 20 Uhr. Karyu hätte schon vor über einer halben Stunde hier sein müssen! Ich griff zum Handy. Zeit, ihn anzurufen. Er hatte mir bisher nicht Bescheid gegeben, was los war. Er ging nicht ran. Schön. Ich hatte ja die Nummer des Krankenhauses. "Hallo, ich muss mit Dr. Matsumura sprechen. Ist er noch im Haus?"

"Das wissen wir nicht, wir suchen ihn."

"Was, wie bitte? Sie suchen ihn? Wie darf ich das verstehen?", erkundigte ich mich verwirrt.

"Wir wissen nicht, wo Dr. Matsumura ist. Das letzte Mal wurde er vor einer halben Stunde gesehen. Das Krankenhaus dürfte er nicht verlassen haben, da er sich noch nicht vom Dienst abgemeldet hat.", wurde mir geantwortet.

Verblüfft schwieg ich für einen Moment, dann seufzte ich. "Ok, ich komme vorbei." Ich konnte ja beim Suchen helfen und dann würde ich ihm den Kopf waschen.
 

35 Minuten später betrat ich das Krankenhaus. Es war nicht das unsympathischste Gebäude. Es wirkte sogar hell und freundlich. Besonders die Pflanzen in den Ecken gefielen mir. Ich machte mich auf zum Empfang und erkundigte mich nach Karyu, aber den schien immer noch keiner gefunden zu haben.

Natürlich konnte ich mich nicht im ganzen Krankenhaus umsehen. Viele Bereiche waren für Besucher gesperrt. Da hatte ich nichts zu suchen, auch wenn ich Karyus Freund war. Aber ein paar Orte konnte ich mir ansehen.

Natürlich fand ich ihn nicht im Gebäude. Also musste ich das Gelände absuchen. Wahrscheinlich lag er in irgendeinem Bereitschaftsraum und schlief...

Oder er stand in einem OP. Aber dann sollte das Personal wohl wissen, wo er war.
 

Ich seufzte, als ich draußen stand. Es nieselte. Es brachte bestimmt nichts, ihn hier draußen im Nassen zu suchen. Ich drehte mich resigniert um und verfluchte mich für die sinnlose Idee, hierher gekommen zu sein, als ich eine Gruppe von 3 Ärzten sah. Einer saß auf dem Boden an die Mauer gelehnt und die anderen zwei standen um ihn herum. Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. Direkt neben ihnen stand doch eine Bank, auf die sie sich hätten setzen können. Ob da vielleicht Karyu dabei war?

Langsam ging ich auf das Grüppchen zu. Hätte Karyu noch blonde Haare wie vor 5 Jahren gehabt, hätte ich ihn ja sofort erkannt, aber so musste ich wie ein Idiot auf die Drei zuschleichen um erkennen zu können, wer das war.

Als man meine Schritte hörte, richteten sich die Blicke auf mich. Karyu war derjenige, der auf dem Boden saß. Die beiden anderen Ärzte hatte ich schon einmal gesehen, aber ihre Namen kannte ich nicht. Sie wussten jedenfalls, dass ich zu ihm gehörte, denn sie nickten ihm noch mal zu, bevor sie an mir vorbei gingen und mich leise grüßten.
 

Ich sah nur verwirrt zu Karyu und blieb direkt vor ihm stehen. Es war kalt, nicht zuletzt aufgrund des Nieselregens. "Was ist denn los? Warum sitzt du hier draußen?", fragte ich ihn. "Du siehst nicht gut aus."

Karyu schien deprimiert zu sein. Er sah traurig aus. Er senkte den Blick und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, schwieg eine Weile, bevor er zu einer Antwort ansetzte. "Heute war kein guter Tag." Er seufzte leise. "Ich weiß, dass wir verabredet waren. Es tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid gesagt habe."

'Nein, dir sollte leid tun, dass du nicht bereit bist, mich überhaupt zu treffen. Das sollte dir leid tun, denn wir haben uns schon eine Weile nicht mehr gesehen.' So eine Erwiderung spukte mir im Kopf herum, aber ich sprach es nicht aus. Jetzt, in diesem Moment, durfte ich nicht egoistisch sein.

h hob nur die Schultern und setzte mich zu ihm auf den kalten Boden. "Wie lange sitzt du hier schon?"

"Ich weiß nicht..eine Weile."

Ich sah hinauf in den dunklen Himmel. Jeden Moment könnte es wirklich richtig anfangen zu regnen... "Möchtest du mir sagen, was passiert ist? Warum du dich hier draußen versteckst und mich nicht einmal anrufst?", sagte ich schließlich leise und ohne vorwurfsvoll zu klingen.

Karyu seufzte tief und senkte den Blick. Sein Kittel war schon ganz durchnässt. "Ich hatte heute die Oberaufsicht und es waren wenige Oberärzte da, die ich um Rat hätte fragen können. Ich hab versucht, den Überblick zu behalten und ich bin die ganze Zeit von A nach B gerannt. Da war ein kleines Mädchen, 5 Jahre alt. Sie hatte sich das Bein gebrochen, und weil sie so klein ist, mussten wir für den Gips auf einen OP warten. es wurde einfach keiner frei. Als ich endlich einen hatte, trat ein Notfall ein. Einer meiner Patienten hatte eine Arteriendissektion. Es ging ihm gut, es kam so plötzlich. Er wollte nach Hause, er hat nicht aufgehört, von seinem Sohn zu sprechen. Sie wollten sich ein Baseballspiel anschauen. Er wollte bei seinem Sohn sein. Und dann...hat sein Herz aufgegeben. Ich habe mit dem Kardiologen eine Not-OP durchgeführt, aber wir kamen zu spät..." Er machte eine lange Pause. "Ich musste mit der Familie sprechen, ich musste sie anrufen. Ich hatte zuerst das Kind dran..." er schüttelte den Kopf. "Es war furchtbar. Ich musste der Mutter sagen, dass ihr Ehemann mir unter den Händen wegstarb."

Ich ergriff Karyus Hand. "Das tut mir leid. Was..was ist aus dem Mädchen mit dem gebrochenen Bein geworden?", erkundigte ich mich leise. Vielleicht war wenigstens das gut gelaufen.

"Ein Kinderchirurg hatte sich während meiner Not-OP darum gekümmert. Ihr geht es gut, auch wenn sie für lange Zeit nicht wird laufen können, aber der Bruch..um den wurde sich gekümmert... Die Eltern waren besänftigt und nicht mehr so aufgebracht und besorgt..."

"Das ist doch was."

"Ja... Ja, das ist was.", murmelte er und schloss die Augen. "Es gibt hier Momente, wo ich aufhören will. Wo ich denke, ich kann das nicht weiter ertragen."

"Aber das hier...das Krankenhaus, das ist das, was du immer wolltest."

Er nickte leicht. "Du hast Recht. Ich wollte es. Und ich wusste, dass nicht immer alles so läuft, wie man es möchte. es läuft sogar selten so, wie man es möchte", sagte er leise und blickte mich an. "Lass uns bitte einfach gehen, ok?"

Ich nickte und stand auf, bevor ich ihm auch auf die Beine half. Er nahm mich mit in den Umkleideraum der Assistenzärzte. Dort war es sogar irgendwie schön. Keine grauen Spinde mehr wie bei den Anfängern, kein vollgestellter kleiner Raum, der nur nach Schweiß und Angst roch. Karyu zog sich um und nahm sich seine Tasche, dann verließen wir gemeinsam das Krankenhaus. Ich hoffte, er konnte seine Patienten, seine Verluste, aber auch Gewinne, hier ebenfalls zurück lassen und würde sie nicht mit nach Hause nehmen. Aber das war vermutlich zu viel verlangt...
 

Ich begleitete ihn zu sich nach Hause und schlief bei ihm. Viel redete er an diesem Abend nicht mehr. Er schlief in meinen Armen ein, doch ich blieb wach. Was uns verbunden hatte, waren unsere Einsamkeit und unser Verständnis füreinander gewesen. Er hatte mir gesagt, dass er mich verstehen würde, aber ich auch ihn. Deswegen würde ich auch irgendwie mit seinem Beruf klar kommen. Und er hatte jemanden gewollt, der nichts mit Medizin zu tun hatte.

Aber jetzt...ich kam nicht mit seinem Beruf klar. Nicht mehr. Es hatte geheißen, dass er feste Schichten, feste Dienstzeiten haben würde. Dass wir abends unsere Dates haben würden.

Doch so lief es nicht. Der Job war wichtiger, nahm ihn vollkommen in Beschlag. Karyu vernachlässigte mich. hatte ich das zu akzeptieren? Denn so war es nicht abgesprochen gewesen. Nahm er überhaupt war, was er mir antat? Ob er wusste, wie ich mich fühlte?

Wenn ich ihm all das sagte: was ich dachte und wie ich mich fühlte, wäre ich dann das Arschloch? Bestimmt wäre ich das. In dieser Geschichte konnte ich nur verlieren: entweder ich biss die Zähne zusammen und wurde immer unglücklicher, behielt aber Karyu irgendwie an meiner Seite, oder ich sagte ihm die Wahrheit und dann...dann wäre unsere Beziehung womöglich im Eimer. Vielleicht würde er mir raten, dann besser jemand Anderes zu suchen, den ich lieben konnte. Wer wusste das schon. Arzt zu sein hatte ihn verändert. Und nicht zum Guten, so glaubte ich.
 

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"Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich bin Ihnen gestern zu nahe getreten, oder?" Tsukasa stellte einen Becher Kaffee auf meinen Schreibtisch. "Ich habe etwas Milch reingetan. Ich weiß nicht, wie Sie Ihren Kaffee eigentlich mögen...Mit etwas Milch macht man aber selten etwas falsch", fügte er leise hinzu.

Ich musterte ihn einen Moment, dann betrachtete ich den Becher. "Danke." Ich senkte den Blick wieder auf die Liste, die ich überarbeitete.

"Sind Sie mir noch böse?"

Ich seufzte lautlos und schaute erneut auf. "Ich bin nicht böse. Es gibt nur Dinge, über die ich nicht rede. Über Persönliches rede ich nicht mit meinem Vorgesetzten. Bitte verstehen Sie das nicht falsch, aber..."

Tsukasa winkte schon ab und setzte sich mir gegenüber. "Schon gut, Sie müssen das nicht erklären. Ich weiß wie das ist. Ich hatte auch mal einen Chef." Er lächelte mich verständnisvoll an. "Ich entschuldige mich für mein unangemessenes Verhalten. Ich wollte Sie nicht bedrängen." Er hob eine Schulter. "Ich möchte gern...Ihr Freund sein. Nicht nur Ihr Vorgesetzter. Chef sein macht einsam. Und das mag ich gar nicht", eröffnete er mir mit einem milden Lächeln auf den Lippen.

Ich legte meinen Stift beiseite. Oh je. Meinte er das jetzt ernst? Wollte er Mitleid?

"Haben Sie die Anderen auch gefragt? Nach Freundschaften?"

Er schüttelte den Kopf. "Nein. Ich frage Sie. Nur Sie. Sie sind mir sympathisch."

"Warum? Ich...ich lächel ja nicht besonders viel. Ich rede auch nicht viel. Ich bin doch überhaupt nicht interessant.", meinte ich etwas misstrauisch.

Mein Chef lächelte weiterhin. Ein unerschüttliches Lächeln. "Vielleicht ist ja gerade das interessant. Dass Sie nicht viel reden und lächeln." Er machte eine Pause, seufzte und sah mich dann ernster an. "Nein, hören Sie, es geht nicht darum, interessant zu sein. Ich denke, sie könnten einen Freund gebrauchen, der Ihnen zuhört. Sie scheinen etwas auf dem Herzen zu haben. Und wie der Zufall es will, bin ich ein guter Zuhörer. Ich hätte sogar ein paar gute Ratschläge. Denn ich habe immer einen Rat." Er zuckte mit den Schultern und stand auf. "Na ja, überlegen Sie es sich. Und trinken Sie den Kaffee. Der tut Ihnen gut. Der besteht aus lauter positiver Energie."

"Aha...."

"Und denken Sie an die Liste. Ich brauche sie in spätestens zwei Stunden auf dem Tisch!" Da war er wieder, der Chef-Ton.

"Ist gut", nickte ich ergeben und senkte den Blick wieder auf das Blatt Papier.

Anstatt aber über die finalen Buchtitel nachzudenken, die wir ins Repertoire aufnehmen sollten, konnte ich mir nun überlegen, wie ich Tsukasas Angebot möglichst freundlich abschmettern konnte. So ein Mist! Wahrscheinlich war es das beste, das Ganze erstmal zu ignorieren. Vielleicht vergaß mein Chef die Nummer ja wieder und ich hatte endlich meine Ruhe. Als ich ihn kennen gelernt hatte, war er reserviert, kühl und sparsam mit seinen Worten gewesen. Er hatte streng gewirkt. Ich hatte gleich Respekt vor ihm gehabt, aber war der Meinung gewesen, mit ihm arbeiten zu können. Oft musste ich ihn ja im Grunde auch nicht sprechen. Die ersten Monate waren unsere Unterhaltungen auch kurz gewesen, außerhalb des Büros waren wir nie aufeinander getroffen. Doch seit wenigen Monaten änderte sich etwas. Tsukasa änderte sich. Er war offener und gesprächiger. Er wirkte freundlicher und ich hatte weniger Angst, ihn mal wegen eines Problems zu befragen. Doch es brachte auch mit sich, dass er mich bedrängte, auch wenn er das vielleicht nicht bemerkte.

Nachdenklich blickte ich zu meinem Handy. Ich wollte mit Karyu reden. Über irgendwas. Solange er nicht das Krankenhaus thematisierte... Aber das würde warten müssen. Bis ich mit der Arbeit fertig war. Seufzend blätterte ich wieder in den Unterlagen und versuchte, mich auf die Buchtitel zu konzentrieren.
 

Wie gewünscht legte ich Tsukasa zwei Stunden später die Mappe mit der endgültigen Liste der Bücher sowie Kommentaren zu den Entscheidungen auf den Schreibtisch. Lächelnd sah er zu mir auf. "Vielen Dank. Ich schau mir das gleich an." Er lehnte sich zurück. "Und, haben Sie darüber nachgedacht? Über mein Angebot?"

Unwohl strich ich mir über den Arm. "Ja, das habe ich. Also, danke... Aber ich habe schon jemanden zum Reden - nämlich meinen Freund. Ärzte können wirklich gut zuhören", versicherte ich ihm schief lächelnd.

"Hmm", machte er nur und betrachtete mich für einen Moment. "Wahrscheinlich schläft er dann, wenn Sie mit ihm sprechen. Sie wirken nicht sonderlich entspannt, oder so, als hätten Sie sich Ihre Sorgen von der Seele geredet." Ich runzelte leicht die Stirn. Er ging wieder zu weit.

Ich drehte mich um. "Ich erzähle ihm durchaus alles, was mir auf dem Herzen liegt. Ich bin glücklich so, wie alles ist", machte ich ihm deutlich, bevor ich das Büro verließ. Warum ging er mir so auf die Nerven? Sah er nicht, dass mich seine Vermutungen störten?

Schnaubend ging ich zurück an meinen Arbeitsplatz, wo mir wieder das Handy in die Augen stach. Ich seufzte und griff schließlich danach. Wahrscheinlich würde Karyu eh nicht rangehen, aber einen Versuch war es wert. Es gab ja noch eine Mailbox, vielleicht würde ich ihm einfach sagen, dass ich reden wollte.

Ich wählte die Nummer und lauschte dem nervtötenden Ton, wartete nur auf das noch nervigere Piepen, dass ertönen würde wenn seine Mailbox ranging.

"Hallo? Was gibt's?"

Verwirrt hielt ich inne. Karyu ging ja ran! "Ehm...hi.", brachte ich nur heraus.

"Es ist schön, deine Stimme zu hören", sagte er leise, woraufhin ich nickte.

"Ja..."

"Ich hab eben...8 Stunden lang einen Patienten am Gehirn operiert. 8 Stunden und er stirbt. Er stirbt in dem Moment, als wir ihn gerade wieder zumachten. Wir konnten nichts mehr tun. Das ist frustrierend.", sagte er leise und seufzte. Genau wie ich. Nur innerlich. "Warum hast du denn angerufen? Ist alles in Ordnung?"

Eigentlich wollte ich nun sagen, dass ich mich ihm reden musste, dringend. Aber ich konnte nicht. Ich wollte ihm nicht auf die Nerven gehen. Seine Gedanken kreisten um diesen Patienten, nicht um mich.

"Alles gut. Ich wollte nur...ich wollte nur deine Stimme hören", erwiderte ich. Irgendwie war das ja auch so. Gestern hatten wir nicht besonders viel gesprochen.

"Ja...geht mir auch so. Ich hoffe, wir sehen uns nachher. Ich werde zusehen, dass ich um 18 Uhr Schluss habe. Dann komme ich bei dir vorbei."

"Denk an deine Katzen. Geh lieber zuerst zu ihnen."

Er schwieg kurz. "Ja, du hast Recht. Aber dann komm ich gleich zu dir", versprach er mir und seufzte tief. "Die Katzen bekommen mich ebenso selten zu sehen wie du. Ihnen geht es nicht gut...." Bevor ich etwas erwidern konnte, hörte ich Stimmen bei ihm. "Ich muss aufhören. Bis später."

Und schon hatte er aufgelegt. Kein 'Ich liebe dich'. das bekam ich nämlich kaum noch zu hören. Ich selbst konnte es ihm auch selten sagen. Würde ich ihn mal öfter zu Gesicht bekommen, dann...
 

Ich schüttelte den Kopf und sah auf das Handy. Es brachte ja nun auch nichts. Eine Weile starrte ich ins Leere, dann feuerte ich das Gerät gegen die Bürotür. Mit einem ungesunden Knall prallte es dagegen und fiel zu Boden. Erst da bemerkte ich, dass Tsukasa im Gang stand und mir durch die Fenster einen langen Blick zuwarf. Ich senkte den Blick und schloss für einen Moment die Augen, um mich zu sammeln. Ich hatte nicht so ausrasten wollen. Offenbar war ich frustrierter, als ich gedacht hatte. Tsukasa war endlich mal so taktvoll und hielt sich zurück, mir zu nahe zu kommen. Er betrat nicht mein Büro. Ich stand langsam auf und trabte zu dem Handy. Es war nicht in alle Einzelteile zerlegt. Ich hob es vorsichtig auf. Einzig der Display war ein wenig zersplittert, doch ich konnte darauf noch etwas erkennen. Das Handy funktionierte. Erleichtert atmete ich durch. Ein neues wäre zu teuer, das konnte ich mir momentan nicht leisten. Ich musste sparen. Ich sparte an allem, was ging. In meiner Mittagspause ging ich nicht einmal runter in die Cafeteria. Stattdessen arbeitete ich weiter, um auf Überstunden zu kommen. Essen tat ich zwischendrin mal etwas Obst oder Gemüse. Wobei das Obst teurer war und deswegen leistete ich mir das seltener. Als luxuriöse Abwechslung.

Ich setzte mich wieder auf meinen Bürostuhl und verdrängte Karyu und meinen Frust fürs Erste. Ich würde nachher mit ihm reden. Vielleicht hatte er sich bis dahin wieder gefangen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  --Tsuki--
2014-10-26T14:05:48+00:00 26.10.2014 15:05
Was was was!?!??
Sechs Kapitel, die einfach so an mir vorbeigeschlichen sind!?!? Wollte dich letztens schon fragen, warum du nichts mehr postest! O_O'''' Oh je, wie man sich auf die Update-ENS verlässt und dann merkt, dass man die Story zu favorisieren vergessen hat >_< Soooorry!! Q___Q (Du sagst aber auch nichts!! xD)

Aaaalso zum Kapitel. Du weißt, dass ich deinen Schreibstil und deine Figuren liebe <3
Und vor allem mag ich den Realismus dieser Geschichte. Weil du es so darstellst, wie ich mir eine Beziehung zu einem Arzt auch vorstellen kann... In den beiden Vorgängern hatte ich immer das Gefühl, dass Zero Karyu ziemlich Unrecht tut, eine Spur egoistisch ist und auf den Gefühlen von Karyu rumtrampelt. Dieses Mal ist es anders. Dieses Mal kann ich Zero durchaus verstehen, bin mittendrin, wenn er sich einsam und frustriert fühlt...
Und Karyu ist auf der anderen Seite auch kein rücksichtsloses Arschloch. Stattdessen wird sehr deutlich, wie sehr er selbst unter der Situation, oder viel mehr seinem Beruf, zu leiden hat. Er ist ja mit den Gedanken nur noch dort - verständlicherweise. Auch in weniger verantwortungsvollen Berufen kommt es durchaus vor, dass die Leute nicht in der Lage sind, die Arbeit bei der Arbeit zu lassen. Und für den Tod eines Patienten mehr oder weniger verantwortlich zu sein, muss sehr an die Substanz gehen. Kein Wunder, dass er dann keinen Kopf für ein Date hat.
Insofern bemitleide ich beide gleichermaßen... und irgendwie auch ein bisschen Tsukasa. Er meint es ja nur gut, allerdings hat Zero vollkommen Recht, dass man Arbeit und Privates trennen muss - man weiß ja nie, wann einem zu viel Selbstoffenbarung Steine in den Weg legt, wenn man sich z.B. mal mit dem Chef verstreitet oder so :/
Überhaupt unterstelle ich Tsukasa auch ein bisschen mehr Interesse als er zugibt ;D
aber ich bin trotzdem eher für eine Affäre mit dem cooeln Barkeeper, wenn Zero sich denn überhaupt zu so etwas hinreißen lässt ;D

So... ich bin dann mal im nächsten Kapitel, hab ja einiges aufzuholen ^^;;;


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