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Die 67. Hungerspiele

Die Sicht von Ametyhst, einem Mädchen aus Distrikt 1
von

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Prolog

Prolog

„Nein, Amethyst, du musst deinen Arm mehr beugen, sonst triffst du nie jemanden!“, genervt sah mich mein Wurflehrer an. Ich begann zu grinsen, natürlich nahm ich ihn nur auf den Arm. Ich beugte meinen Arm richtig und das Messer, das aus meiner Hand flog, traf mitten ins Schwarze. Entzückt sah er mich an: „Sehr schön, sehr schön! Ich denke, du bist soweit!“, mit diesen Worten reichte er mir einen kleinen pinken Zettel, auf den ich meinen Namen schrieb. Stolz überreichte ich ihm das Blatt. „Deine Chancen stehen gut, dieses Jahr haben wir nur fünf achtzehnjährige, die sich bewerben wollen. Viel Glück dabei.“ Er redete natürlich von den Vorqualifikationen, denn in unserem Distrikt, Distrikt 1, ist es so üblich, dass vor der Ernte unter allen achtzehnjährigen Mädchen und Jungen ausgelost wird, wer sich freiwillig melden darf. Ich hoffte inständig, dass ich es werden würde, denn schon immer war es mein Traum die Hungerspiele zu gewinnen. Ich hatte mich darauf vorbereitet, mehr als jeder Karriero, also jeder aus Distrikt 1, 2 und 4, denn ich hatte mir auch Überlebenstechniken angeeignet. Während 69% aller Karrieros an Hunger, Kälte oder Durst sterben, würde mir so etwas nicht passieren. Ich konnte Jagen, Feuer machen und Trinkwasser konnte ich zumindest von giftigem Wasser unterscheiden. „Ich geh mal heim.“, rief ich meinen Mitschülern zu, als ich den Raum verließ. Natürlich war es kein normaler Unterricht, aus dem konnte keiner entfliehen. Es war AG-Zeit. Hier unterrichteten die bisherigen Gewinner der Hungerspiele die Schüler, die sich vorgenommen haben, die Hungerspiele zu gewinnen. Auch ich werde mal hier unterrichten, jüngeren Menschen zeigen, wie man effektiv, leise und schnell tötet. Lächelnd machte ich mich auf den Heimweg. Meine Chancen standen wirklich gut, meistens melden sich acht oder neun, um ausgelost zu werden. In einem Jahr hatten sich sogar mal fünfzehn gemeldet! Aber nur bei den Jungs, Mädchen waren immer weniger, das hatte sich auch dieses Jahr nicht geändert, tatsächlich hatten sich elf freiwillige gemeldet, sogar einige siebzehnjährige, die sich, wenn sie nicht gezogen wurden, nächstes Jahr erneut bewerben würden. „Hey, Amethyst! Warte doch mal kurz!“, überrascht drehte ich mich um. Ich war so in Gedanken, dass ich Opal, der mir hinterherlief nicht bemerkt hatte. „Oh, hey Opal. Wie geht’s?“ „Mir geht’s super! Ich hab gehört, du hast deinen Namen auch eingeworfen. Denkst du wirklich, du packst das? Ich meine, du bist nicht gerade kräftig.“, besorgt sah er mich an. Ich mochte Opal, er war immer recht nett, es sei denn man störte ihn beim Trainieren. Und er war ehrlich, das gefiel mir immer sehr. Ich mochte Heuchler oder Lügner noch nie, solche Leute die einem sagen, man sähe wundervoll aus, obwohl man in Wahrheit aussah, als wäre man aus einem äußeren Distrikt. Widerlich. „Ja klar schaffe ich das! Und was ist mit dir? Ich meine, falls du ausgelost werden solltest?“ „Ha! Das ist überhaupt kein Problem für mich! Ich bin der stärkste Schwertkämpfer im ganzen Distrikt! Niemand könnte mich aufhalten, das Ding zu gewinnen!“ „Vielleicht kommen wir ja zusammen hin?“, sagte ich träumerisch. „Das wäre toll. Wir schließen uns zusammen, töten die anderen und am Ende, zum Finale, werden wir uns in einem Schwertkampf auf Leben und Tod bekämpfen, das würde den Zuschauern gefallen, oder?“ „Guter Plan, das machen wir!“, sagte ich, meinte es aber keineswegs so. Ich werde mich garantiert niemandem anschließen, das endete immer mit einem Schwert in der Brust, während man schläft. Das ist nichts für mich, aber Opal muss das ja nicht wissen. „Freut mich, dann hätten wir schon mal einen Plan. Unsere Mentoren werden sich freuen! Aber ich muss heim, meinem Vater noch ein wenig in der Schmiede helfen. Bis zur Ernte dann.“, verabschiedete er sich mit einem Augenzwinkern. Ich winkte noch und ging dann weiter. Opal war nett und er sah gut aus. Er sah richtig gut aus, für einen Kerl. Er hatte seine schulterlangen, leicht lockigen Haare oft zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, wodurch seine markanten Gesichtszüge so richtig zur Geltung kamen. Außerdem hatte er durchdringende, himmelblaue Augen, in denen man hin und wieder einen Regenbogen erkennen konnte. Daher kam auch sein Name, nach dem Edelstein. Opal. Leicht errötet spielte ich an meinem Pferdeschwanz herum, aber es war nicht Opal, der mich erröten ließ, sondern ich. Ich musste das dringend üben, da das meine Taktik werden sollte. Bei dem Interview zum Beispiel, denn Opal hatte recht, mein Körperbau war tatsächlich eher klein, auch mein Gesicht hatte eher einen niedlichen Eindruck, der durch die fast weißen Haare und meine Lila Augen noch unterstrichen wurde. Ich war fast ein Albino, deshalb die lila Augen. Durch das Albino-Dasein bekommt man rote Augen, aber meine wirkliche Augenfarbe ist blau. Das überlagert sich und wird zu lila. Sehr selten, aber auch sehr schön. Ja, ich war hübsch. Und zwar sehr hübsch, klar das klingt eingebildet, aber es ist nun mal eine Tatsache. Ich war mittlerweile an der Touristen-Straße angekommen. Warum Touristen-Straße? Weil es hier von Leuten aus dem Kapitol nur so wimmelte. Sie alle kamen her, um den Schmuck, den sie alle trugen und liebten, in seiner Entstehung zu sehen. Ich wäre auch gern im Kapitol geboren, auch wenn es uns in Distrikt 1 sehr gut ging und sich sogar das Leben der Sieger aus den Hungerspielen nicht wirklich von dem von uns ‚Normalos‘ unterschied, war das Kapitol immer noch viel höher, viel größer und viel schöner. Mir gefiel auch die Mode der Kapitoler, sie war immer bunt, fröhlich und einfach besonders. Nicht einmal hier gab es diese unglaublichen Kleider, die in bis zu 25 Schichten genäht waren, damit die Rüschen richtig fielen. Beziehungsweise es gab sie, aber sie waren so teuer, dass ich noch nie jemanden gesehen habe, der sie sich leisten konnte, außer den Touristen eben. Wie gern ich doch mal ins Kapitol gereist wäre, um mir die ganzen Läden anzusehen, wie gern ich doch genug Geld hätte um mir ihre Sachen zu leisten. Aber naja, ich würde ja bald da sein, bei den Hungerspielen. ‚Bitte, bitte, lass es mich sein, die ausgewählt wird‘, flehte ich in Gedanken, als ich an einem Schmuckwarenladen vorbei kam. Ich begutachtete die Stücke im Schaufenster, die eigens für Touristen angefertigt waren und somit auch mindestens dreimal so teuer, wie sonst. In der nächsten Straße, die zwischen einem Feinschmeckerimbiss und einem weiteren Schmuckwarenladen lag, wohnte ich, zusammen mit meinen Eltern. Geschwister hatte ich keine, aber das war normal, fast niemand hatte Geschwister. Wozu auch? Ein Kind reicht allemal. „Ich bin wieder da.“, rief ich, als ich den Vorraum betrat. Die Wände waren mit feinstem Mahagoni-Holz bedeckt und der Kronenleuchter aus Bergkristallen wackelte gefährlich, als ich die Tür zustieß. „Ach Schatz, knall doch nicht immer die Türen so! Du machst noch alles…“, meine Mutter stoppte, als sie mein Grinsen sah. „Hast du...?“, stammelte sie, während sich auch auf ihrem Mund ein Lächeln breit machte. „Ja! Mein Zettel ist drin! Und nur vier andere haben sich ebenfalls beworben! Ich könnte der nächste Tribut werden!“, voller Freude fiel ich meiner Mutter um den Hals. „Das… das ist so toll! Ich freu mich so für dich. Wann wird denn verkündet, wer ausgelost wurde?“, fragte sie, während sie meine Umarmung erwiderte. „So wie immer, heute Nachmittag. Jeff kommt und sagt mir, ob ich gezogen wurde oder nicht. Oh, hoffentlich kann ich dabei sein!“ „Das hoffe ich auch, Schatz, das wäre großartig! Du wirst toll sein. Komm, ich bereite dir dein Lieblingsessen zu! Lachsfilet mit selbstgemachten Kartoffelchips!“ „Mjammi!“, sagte ich, während meine Mutter sich von mir löste. Bald, schon bald werde ich wissen, wer der nächste Tribut wird. Schnell laufe ich die Treppe, die sich neben dem Herd in der Küche befindet hinauf. Ich werfe meine Schultasche in mein Zimmer und sehe mich um. An der Wand hängt meine Sammlung von Wurfmessern, klein, handlich und lang. Ich liebte Wurfmesser, es gab keine lustigere Art zu töten, denn Wurfmesser konnte man immer verwenden. Sowohl von einem Baum aus, im Wasser, auf Gestein oder wo auch immer. Voller Vorfreude auf das Essen begutachtete ich meine Hausaufgaben. Ich würde später entscheiden, ob ich sie mache, als Tribut werde ich das nicht mehr müssen, zumindest die nächsten zweieinhalb Wochen nicht. Und wenn ich es nicht wurde, konnte ich sie immer noch morgen nach der Ernte machen, bevor ich zum Prunkplatz gehen und mir die Wiederholung der Ernten ansehen würde. Und das Training natürlich. Oder ich könnte sie einfach morgen Abend vor dem Fernseher in meinem Zimmer machen, die Tribute aus 9, 10, 11 und 12 sind eh immer langweilig. Verängstigt und traurig. Schon viele haben angefangen zu weinen, zu weinen! Pah, dabei ist es so eine Ehre und besonders für die hinteren Distrikte sollte es die beste Möglichkeit sein, um etwas Geld zu bekommen und die Familie besser zu versorgen. Ich verstehe diese Distrikte einfach nicht. Die meisten kommen vollkommen unvorbereitet beim Training an und müssen alles lernen, vom Bogenschießen bis hin zum Nahkampf. Nichts können die, dabei wissen sie, dass irgendjemand ausgelost wird. Das ist einfach dumm. Die sind einfach dumm. Aber das ist ja glücklicherweise nicht mein Problem. Selbst schuld wenn sie schon beim Füllhorn draufgehen. „Schatz, ich bin fertig! Komm runter.“, hörte ich meine Mutter von unten rufen. Schnell hing ich das Messer, welches ich versonnen in der Hand hielt, wieder zurück an seinen Platz und lief nach unten. Der köstliche Duft von Lachs stieg mir in die Nase. „Mom, das riecht so gut. Kommt Dad auch noch?“ „Nein, dein Vater wollte unbedingt noch etwas fertig machen, falls du tatsächlich in die Arena darfst.“ „Ohh, ein Geschenk für mich? Toll!“, glücklich nahm ich Messer und Gabel zur Hand, um den Fisch zu verspeisen. „Was denkst du, kommt diesmal für ein Areal?“, fragte ich meine Mutter. „Ich denke mal Wald oder Berglandschaft. Letztes Jahr hatten wir schon Inseln und davor waren es Höhlen. Ich glaube, dass jetzt wieder was Grüneres kommt.“, antwortete sie nachdenklich. „Ja, wahrscheinlich. Ich hoffe mal auf Wald, da kann man sich verstecken und in einem Wald leben immer Tiere, von denen man sich ernähren kann.“ „Willst du dich etwa nicht den anderen anschließen und mit ihnen vom Füllhorn leben?“ Verdutzt sah sie mich an. Ich hatte ihr noch nicht von meinem Vorhaben erzählt. „Nein, dann werde ich noch irgendwann im Schlaf getötet. Das brauche ich nicht. Ich habe Kurse in allem Möglichen abgelegt, ich komme auch ohne die anderen klar. Aber sag das bitte keinem, ich möchte am Anfang so tun, als würde ich zu ihnen gehören, dann kann ich beim Blutbad am Anfang locker mein ganzes Zeug zurechtlegen und wenn sie mich als Wache da lassen, verschwinde ich schnell.“, eröffnete ich ihr meinen Plan. Voller Spannung sah ich sie an und ich atmete erleichtert aus, als sie beeindruckt ihren Mund öffnete. „Das ist sehr schlau von dir. Ich bin stolz auf dich! Und natürlich sag ich es keinem. Ich freue mich schon auf das Gesicht von deinem Vater, wenn er sieht das du wegläufst.“, sie begann zu kichern. Auch ich konnte es mir lebhaft vorstellen, er würde wahrscheinlich erst mal ziemlich verdattert gucken, dann wütend werden und wenn meine Mutter ihm erklärt hatte, warum ich das tat, würde er erleichtert lachen. Auch ich begann zu kichern. „Gute Idee, Mom, aber das musst du aufnehmen! Ich will das sehen, wenn ich nachhause komme!“ „Abgemacht, aber jetzt iss, ich glaube dein Vater kommt.“, warnte sie mich mit verschwörerischer Miene. Ich tat also wie mir geheißen und aß den Fisch und die Kartoffelchips weiter, bis mein Dad wirklich den Raum betrat, mit den Händen hinter dem Rücken. Neugierig sah ich ihn an. „Dad? Was hast du hinter deinem Rücken?“, fragte ich mit Unschuldsmine. „Nichts für Mädchen, die noch nicht fertig gegessen haben.“ Grinsend sah ich auf meinen Teller. Da lagen noch 3 Kartoffelchips und ein kleines Stückchen Fisch. Entschlossen nahm ich alles in meine Hände und stopfte es in den Mund. Mein Vater begann lauthals zu lachen und verwuschelte mir mit seiner, anscheinend freien, Hand die Haare. Meine Mutter hingegen sah mich Stirnrunzelnd an und wollte schon anfangen so etwas wie ‚Manieren! Schatz, Manieren!‘ zu sagen, doch sie begann ebenfalls zu prusten und zu lachen. Der Tag war heute zu gut verlaufen, um sauer zu sein oder mich wegen meiner Manieren auszuschimpfen. „Okey Amethyst. Da es ja erlaubt ist eine Sache mit in die Arena zu nehmen, die dich an zuhause erinnert, habe ich dir das hier gemacht.“ Er zog seine andere Hand hervor und reichte mir eine kleine Rote Schachtel. Neugierig öffnete ich sie. „Oha.“, entfleuchte es mir, als eine Kette zum Vorschein kam. Sie war wunderschön verarbeitet, natürlich mit Gold und hatte einen Großen Anhänger, in dessen Mitte ein runder, strahlend lila Amethyst glänzte. Darum rankten sich Blumen, deren Blüten ebenfalls aus Amethysten waren, aber diese waren etwas heller und nicht so glänzend geschliffen, wodurch sie fast schon natürlich aussahen, nicht so als wären sie in den Vordergrund gedrängt. Inmitten jeder einzelnen Blume glänzte ein Diamant. Die Blätter und die Stängel der Blumen waren waldgrün, aus einem Material, dass aussah, wie eine Mischung aus Gold und grünem Glas. „Das ist wunderschön.“, fasziniert starrte ich dieses Meisterwerk an. „Du musst es umdrehen.“ Aufgeregt tat ich, was er sagte und zum Vorschein kam das Zeichen dieses Distriktes, was in meisterhafter Kleinstarbeit mit silbernen Fäden auf den goldenen Untergrund geschweißt war. Darunter stand, ebenfalls aus Silber, ‚Wir lieben dich‘. Überwältigt umarmte ich meine Eltern. „Das ist so toll! Wie lange hast du daran gesessen? Das muss doch unglaublich anstrengend gewesen sein!“, mein Vater war zwar einer der besten Schmieder, aber ich wusste, wie anstrengend es war, Silber und Gold so zu vereinen. „Das brauchst du nicht zu wissen, aber“, damit nahm er mir die Kette und die Schatulle wieder weg. „ du bekommst sie natürlich nur, wenn du auch in die Arena kannst. Sonst hat das ja keinen Sinn.“ „Und was machst du mit ihr, wenn ich nicht darf?“, fragte ich enttäuscht. „Dann mache ich hinten den Schriftzug weg und du bekommst sie so.“, sagte er vollkommen ernst. Doch als er dann mein verdutztes Gesicht sah, begann er zu lachen und drückte mir beides zurück in die Hände. „Das war ein Witz, Amethyst! Ich werde meine Arbeit doch nicht wieder kaputt machen!“ Erleichtert sah ich ihn an. „Ich dachte schon.“ „Naja, aber du musst doch noch deine Hausaufgaben machen, oder? Und schau dir die Spiele vom letzten Jahr an, die fehlen dir doch noch.“, schaltete sich meine, viel zu pflichtbewusste, Mutter ein. „Ja Mom. Mache ich nachher.“ „Nein, jetzt.“ Genervt sah ich Dad an, weil ich hoffte, dass er etwas dagegen sagen würde, aber er nickte nur. „Na gut. Ich geh ja schon.“ Also erhob ich mich und verließ die Küche über die Treppe nach oben und ging in mein Zimmer. Zu aller erst ging ich auf den Spiegel zu, der sich hinten rechts in der Ecke meines Zimmers befand. Glücklich legte ich mir die Kette um, das Gold fühlte sich kühl an auf meiner Haut. Eine Weile blieb ich so stehen und betrachtete mich einfach nur, denn diese Kette war so wunderschön und brachte meine Augen so gut zur Geltung, dass ich meinen Blick einfach nicht davon abwenden konnte. Irgendwann später dann sah ich auf die große Uhr, die über meinem Bett hing: 14.50. ‚In 2 Stunden weiß ich, ob ich Tribut bin‘, dachte ich, während ich mich auf mein kleines Sofa setzte und den Fernseher aus der Decke fahren ließ. Natürlich schaute ich mir lieber ein Hungerspiel an, als meine blöden Hausaufgaben zu machen. Dann fiel mir auf, dass ich noch die Akai-3D-Disk holen musste, die sich in meinem Regal am anderen Ende des Zimmers befand. Daher stand ich auf und begann zu suchen. Meine Ordnungsliebe ging eindeutig nicht weit genug, um meine ganzen Filme, Serien oder die Hungerspiele, von denen ich alle besaß, zu ordnen, weshalb ich erst einmal stundenlang brauchte um die 66. Hungerspiele zu finden. Sich die Spiele auf Akai zu kaufen hatte mehrere Vorteile. Zum einen hat man es hier nachbearbeitet und somit in 3D. Dann gibt es eine ‚Zusammenfassung‘, in welcher kurz die Tribute vorgestellt werden und dann werden der Reihenfolge nach alle wichtigen Stellen und natürlich die Tode gezeigt. Des Weiteren gibt es eine Art ‚Kurs-Funktion‘, mit der man sich alle Kampftechniken und Fallen analysieren und beibringen lassen kann. Und auf der Disk sind natürlich auch die Originalen Hungerspiele, aber besser geschnitten, als in der Live-Version, die es ebenfalls auf der Akai zu Finden gibt. Nachdem ich die 66. Hungerspiele dann endlich in der Hand hielt, ging ich zurück zum Fernseher, um sie einzulegen. Gerade als ich wieder auf dem Sofa Platz genommen hatte, ertönte auch schon die Hymne des Kapitols und ihr Zeichen flimmerte in meinem Zimmer auf. Natürlich war es nicht wirklich da, aber durch die 3D-Funktion wurde es in den Raum projiziert. Schnell wählte ich die Kurs-Funktion, um mir nun auch noch die letzten Tricks aller bisherigen Hungerspiele anzueignen. Als erstes waren die Fallen an der Reihe, es war gut, dass ich sie hier lernen konnte, denn hier im Unterricht gab es so etwas nicht. Die Karrieros fanden es unnötig. Auch im Training würde ich es nicht lernen können, denn ich musste schließlich ebenfalls den Erwartungen der Sponsoren und Spielemachern gerecht werden. Ich griff zu dem Seil rechts neben mir, um eine Falle, mit der man kleinere Tiere, wie Kaninchen oder Eichhörnchen fangen kann, nachzumachen. Ich hatte diese Falle bereits des Öfteren gemacht, weshalb ich sie auch ohne hinzugucken nachbauen konnte, aber das war ja der Sinn daran, dass ich mir seit knapp 2 Monaten und 2 Wochen, also jeden Tag eins, alle hungerspiele angeguckt hatte. So konnte ich es mir einfach am besten merken. Danach kamen noch einige für mich uninteressante Fallen, da ich schließlich niemanden auf so stupide und langweilige Art töten würde, nicht wie dieser Abschaum aus den äußeren Distrikten. Aber eine war noch dabei, die ich mir unbedingt merken musste: Ein Seil, das in die Form eines Netzes gebunden war und locker gespannt am Boden lag. Dann musste man die Enden in einem Baum befestigen und die Äste so mit den Seilen verbinden, dass das Netz bei der kleinsten Bewegung nach oben gerissen wurde. Das funktionierte sowohl bei Menschen, als auch bei mittelgroßen Tieren, wie zum Beispiel Rehen. Ich sah mir die Stelle mehrere Male an, um den Mechanismus zu verstehen und ihn nachbauen zu können, in Distrikt 1 gab es nur einen Wald, der aber von Friedenswächtern bewacht wurde und da es verboten war, vor den Hungerspielen zu trainieren, würde ich es erst in der Arena ausprobieren. Klar, in der Schule trainierten auch alle, aber da waren die Sieger dabei und einem Sieger etwas zu verbieten war fast so undenkbar, wie Präsident Snow ohne Rosen. Dann waren selbstgeschnitzte Waffen an der Reihe. Mir wurde von Caesar Flickermann, der die Hungerspiele seit ewigen Zeiten moderierte, erklärt, dass die meisten selbstgemachten Waffen nicht scharf genug oder aus zu weichem Holz gefertigt waren, um jemanden ernsthaft zu verletzen. Anhand von Bildern und Videoausschnitten wurde gezeigt, wie einzelne Tribute versuchten Speere zu schnitzen, die dann aber nur blaue Flecken hinterließen, weil das Holz federte. Dann zeigten sie einige Tribute, die zwar das richtige Holz erwischt hatten, aber entweder nicht stark genug warfen, oder deren ‚Spitze‘ nicht einmal ein Blatt durchdrungen hätten, weil es einfach keine Spitze, sondern eine runde Fläche war. Wahrscheinlich würde ich das aber nicht brauchen, jedenfalls dann nicht, wenn ich meinen Plan richtig in die Tat umsetzen konnte oder meine Waffen nicht irgendwo verlor. Dann kam die Akai endlich an den Punkt, der mir am liebsten war: Taktischer Waffeneinsatz. Wie ich mit Waffen umzugehen hatte, wusste ich bereits von meinem Training und in dieser Rubrik wurde erklärt, wozu man Waffen noch einsetzen konnte oder zu was man unbekannte Gegenstände in der Arena gebrauchen kann. So gab es zum Beispiel einmal einen Kompass, der immer in die Richtung der nächsten sauberen Wasserquelle zeigte oder einen kleinen Ball, der von sich aus über den Boden rollte und für einen Wild erlegte. Die Tribute wussten nur nicht, was sie mit dem Kompass anfangen sollten, weshalb sie ihn wegwarfen. Und der Ball wurde von dem Tribut, der ihn gefunden hatte mit einem dicken Ast ‚erschlagen‘, weil er dachte, dass der Ball ihn töten wollte. Das war ziemlich dämlich, denn bei den Hungerspielen wurden grundsätzlich keine gefährlichen, geschweige denn tödlichen Gegenstände hingelegt, wenn überhaupt nur bei den Jubiläen. Also würde ich garantiert nichts wegwerfen, egal, wie sinnlos es mir erscheinen würde. Und selbst wenn ich es müsste, wusste ich, dass ich den Gegenstand langsam irgendwo ablegen sollte, denn einmal, bei den 45. oder 46. Hungerspielen, hatte ein Mädchen aus Distrikt 8 einen solchen Gegenstand gegen den nächsten Baum gepfeffert, wodurch sie sich und 3 weitere Tribute in der Nähe in die Luft sprengte. Caesar erklärte gerade, wie man aus Bäumen Wasser zapfte (mit einem recht langen Messer ein Loch Bohren und eine dünne Röhre, wofür einige Pflanzenarten geeignet waren, hineinstecken. Schon lief das Wasser), das war einer der Tricks, die ich mir zu merken hatte. Ich drückte auf die ‚Stopp‘-Taste und zoomte ein wenig an die Pflanze heran. Dann ging zu meinem Fenster, neben welchem mein Schreibtisch stand, und suchte nach meinem Notizblock, auf dem ich alles was ich mir besonders gut merken wollte notiert hatte, um es noch im Zug und in dem großen Trainingsgebäude lernen zu können. Auch das war natürlich verboten, aber das machte jeder so. Falls Jeff mir heute sagen würde, dass ich das Glück hatte in die Arena zu dürfen, würde ich ihm den Block einfach geben und er würde ihn an meinen diesjährigen Mentor weiterleiten. Alles kein Problem. Nachdem ich den Block endlich unter einem Haufen von alten Tellern und Schüsseln entdeckte, schwor ich mir aufzuräumen, sobald ich nach den Hungerspielen wieder daheim war. Dann begann ich eine Dreidimensionale Skizze dieser Pflanze anzufertigen und ihre Eigenschaften (also: Giftig, säubert sowohl Baum- als auch Salzwasser) zu notieren. Das dauerte eine ganze Weile und als ich auf die Uhr sah, war es schon fast 16:30. Somit hatte ich noch eine halbe Stunde, bis Jeff herkam. Ich legte meinen Block zurück auf den Schreibtisch, zoomte das Bild wieder weg und drückte auf die ‚Play‘-Taste. Weiter ging es mit diversen Möglichkeiten, um Speere als Krücke, Schiene oder auch als Wünschelrute einzusetzen, wobei letzteres wohl eher ein Witz war. Alles in allem passierte nichts Interessantes mehr, bis es an der Tür klingelte. Aufgeregt sprang ich auf, wobei ich fast die aus Kupfer, das mit Goldlack überzogen war, bestehende Lampe umriss. Ich konnte sie aber noch auffangen und stürmte nach unten. Meine Mom stand bereits in der Tür und unterhielt sich mit Jeff. Ich konnte ihre Gesichter nicht erkennen, weshalb ich keine Ahnung hatte, ob ich nun gewählt worden war oder nicht. Als sich Jeffs und meine Augen dann trafen, schüttelte er leicht den Kopf, ich blieb auf der Stelle stehen und konnte es gar nicht begreifen, doch langsam wurden aus meiner Aufregung und Freude, Trauer und Verzweiflung. Mitfühlend nahm meine Mutter mich in den Arm und ich begann zu schluchzen. Meine Welt verschwamm. Alles. Alles was ich je wollte war nun unerreichbar. Niemals mehr hätte ich die Chance, die Chance teilzunehmen. Die Chance ins Kapitol zu kommen. Die Chance ewig ruhmreich zu sein und in das Dorf der Sieger zu ziehen. Es ist vorbei, warum hatte ich meinen Zettel nicht schon letztes Jahr eingeworfen? Wieso bin es nicht ich? „Amethyst. Hey. Es ist okay, du hast noch eine Chance.“, hörte ich Jeff sagen. Erstaunt blickte ich ihn an, doch ich verstand. Ich hatte noch eine Chance, diese eine minimale Chance morgen bei der Ernte. „Wer?“ „Opal und Schimmer.“ Ich nickte und ging nach oben meinen Block holen, den ich dann Jeff überreichte. „Danke Jeff.“, sagte ich und drehte mich um, sofort stieg ich wieder die Treppen empor, die ich eben noch euphorisch hinunter gesprungen war. Von unten hörte ich noch meine Mutter und Jeff reden, ich glaubte auch, dass meine Mutter weinte. Sie wusste, ich hätte gewonnen. Auch ihre Träume hingen an mir. Und ich bin es nicht, ich werde es auch nicht sein, die Wahrscheinlichkeit ist zu gering. Schimmer und ich waren gleichalt. Unser beider Zettel waren 7-mal drin. Keiner aus Distrikt 1 hatte je Tessarsteine eingetauscht. Es war nahezu unmöglich. Und doch, ich konnte meine Hoffnung nicht unterdrücken, es ging nicht. Ich blieb eine Weile reglos liegen, bis meine Mutter das Zimmer betrat. Es fühlte sich an, als wären nur einige Sekunden vergangen, doch es hätten auch Stunden sein können. Es war mir schlichtweg egal. „Schatz. Es ist möglich. Ich glaube fest daran.“, ihre Stimme war brüchig, sie hatte tatsächlich geweint. Wortlos stand ich auf und nahm sie in den Arm, wir beschützten uns gegenseitig vor… Ja vor was? Vor der Welt, vor der schlichten Ungerechtigkeit dieser verdammten Welt. „Ich hätte es sein müssen. Ich hatte es verdient.“, sagte ich in die Stille hinein. Meine Mutter nickte nur und löste sich von mir. Das letzte Mal umarmt hatten wir uns am Mittag. Wie lange es doch her zu sein schien. Wir waren so glücklich, getäuscht von der Hoffnung auf Ruhm und Ehre und ein riesiges Haus, endloses Geld. „Willst du etwas essen?“, fragte sie, ganz die fürsorgliche Mutter. „Nein. Ich geh schlafen. Weckst du mich morgen früh genug? Ich muss mich fertig machen, das könnte eine Weile dauern. Wenn… naja… Ich hoffe wir haben Glück.“, ich versuchte sie anzulächeln, doch wahrscheinlich sah es mehr nach einer verzogenen Fratze aus. Doch sie lächelte zurück. „Ich liebe dich, kleine, egal wie reich wir sind.“, sagte sie und machte sich auf zur Tür. „Mom? Ich liebe dich auch. Es ist nur so… unfair.“, sie nickte und verließ den Raum. Ich zog meine Klamotten aus und ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Ohne mir einen Schlafanzug anzuziehen ließ ich mich ins Bett gleiten. Ich hatte mich so sehr darauf vorbereitet. Ich hatte immer trainiert, hatte die Schule vernachlässigt. Aus Distrikt 1 kamen Luxusgüter, besonders Schmuck. Ich hatte noch nie etwas damit zu tun gehabt. Ich hatte mich immer nur damit beschäftigt, gut auf die Hungerspiele vorbereitet zu sein. Ich konnte nicht schmieden, so wie es jeder andere in meinem Alter konnte. Ich war verloren. Mir war nie, nicht eine Sekunde lang, in den Sinn gekommen, dass ich nicht ausgelost werden würde. Nicht einmal kurz. Ich vergrub mein Gesicht in den flauschigen Daunen-Kissen und begann hemmungslos zu weinen. Ich dachte immer von mir, dass ich stark wäre und ich war es auch, aber jetzt kam ich mir vor wie ein 2-jähriges Baby. Ich wollte, dass meine Eltern herkamen, um mich zu trösten. Wollte, dass sie da waren, mich mit Lachs-Püree fütterten und mich auf ihrem Schoß hielten, um mir zu zeigen, dass alles in Ordnung war. Aber ich war nicht klein, ich war 18 Jahre alt und heulte mir die Augen aus dem Kopf. Dabei gab es noch diese Chance. Ich begann es auszurechnen. Es gab knapp 250 Kinder im Alter von 12-18. Davon waren die Hälfte Jungen. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass ich zu den Hungerspielen kommen würde lag bei 1/125. Keine guten Aussichten. Während ich noch nachdachte und mir alle Möglichkeiten, die Wahrscheinlichkeitsrechnung und Prozentrechnung, wieder in den Kopf rief, um alles auszurechnen schlief ich ein.

Ich war in der Röhre. Mein Herz pochte bis zum Hals. Ich war so aufgeregt. So unsagbar glücklich, dass alles geklappt hatte. Ich war hier, war unter der Arena, nicht weit vom Füllhorn entfernt. Bald würde ich da sein, ich würde mir einige Waffen schnappen und so viele töten wie möglich. Ich würde gewinnen. Die Röhre begann langsam sich aufwärts zu bewegen. Ich verrenkte mir fast den Hals, als ich nach oben sah, da war lila Nebel. So lila wie… Amethysten. Ich fuhr weiter nach oben. Da stand ich nun, auf der Plattform. Das Füllhorn vor mir. Ich sah mich um. Die anderen 23 Tribute standen um mich herum in einem großen Kreis. Ich konnte Opal erkennen, wie er mir aufmunternd zulächelte und zwinkerte, die anderen Karrieros, die alle das Füllhorn musterten und bereit waren es mit allem was sie hatten zu verteidigen. Natürlich standen da auch die anderen. Manche sahen schlau aus, vielleicht überleben ein oder zwei von ihnen eine Woche. Die anderen waren verängstigt. Eine hatte sich sogar umgedreht und war bereit sofort wegzulaufen. Feigling. Ich sah die Uhr, die anzeigte, dass es nur noch 30 Sekunden waren. 30 Sekunden, bis es losging. 25. Ich sah mich erneut um, diesmal achtete ich auf die Arena. Überall war Sand. Wohin das Auge auch blickte, man sah nur eine große Wüste. 20. Erst jetzt fiel mir auf, wie warm es war. Ich schwitzte, nur vom Stehen. 15. Ich sah erneut zum Füllhorn. Ich stand mittig, konnte also genau ins Tor schauen und da waren so viele Waffen und Wasserkanister. 10. Überall verstreut lagen Rucksäcke, Flaschen oder kleine Messer. Ich sah schon von hier aus, dass sie stumpf waren und nichts bringen würden. 5. Ich war bereit. Bereit zu laufen, bereit zu töten und bereit zu gewinnen. 0. Ich hörte einen unglaublich lauten Ton und wusste es war so weit. Ich lief. Ich lief so schnell wie ich nur konnte und war als eine der ersten am Füllhorn. Ich besorgte mir einen Gurt mit Wurfmessern und eine Axt. Dann lief ich wieder hinaus, um mit dem Blutbad zu beginnen, doch ein Schatten warf sich über mich. Ein Hovercraft, das über das Gelände flog. Ungewöhnlich, normalerweise holten sie die Leichen erst, wenn die anderen Tribute weit genug weg waren. „Achtung Tribute. Einer von euch ist zu Unrecht hier. Bitte bewegt euch nicht, während wir uns darum kümmern.“ Verdattert sah ich mich um. Niemand bewegte sich, nur das Hovercraft zeigte, dass dies kein Standbild war. Es flog direkt über mich, eine Leiter fuhr herunter, an der ein Friedenswächter hing. „Nein.. Nein, ich bin zu Recht hier! Ich habe es verdient hier zu sein!“, versuchte ich mich zu rechtfertigen, doch der Friedenswächter hatte bereits seine Waffe gezogen und auf mich gerichtet. Ich hörte nur noch das Knallen.

Schreiend richtete ich mich auf. Ich war schweißnass, obwohl ich nur in Unterwäsche und ohne Decke geschlafen hatte. Im ersten Moment dachte ich, ich wäre im Kapitol, bis mir bewusst wurde, dass das nur ein Traum war. Ein furchtbarer Alptraum. Ich schaute auf die Uhr und sah, dass es bereits 7:00 war. Um 10:00 begann die Ernte. Ich sprang aus meinem Bett, denn ich bezweifelte, dass die Zeit reichen würde. Zuerst sprintete ich in mein kleines Bad, um mir die Zähne zu putzen und zu duschen. Ich konnte mich nicht recht zwischen kalt und erfrischend oder warm und angenehm entscheiden, also tat ich beides, was mich natürlich Zeit kostete. Dann ging ich zurück, um meinen Kleiderschrank zu durchforsten. Ich wollte auffallen und wollte meinen größten Vorzug hervorstellen: Mein niedliches Aussehen. Also kramte ich mich durch Berge von Klamotten, bis ich nur noch 4 Kleider zur Auswahl hatte. Als erstes wäre da ein Babyblaues, Knielanges Kleid, das sehr weit geschnitten war. Dann hätte ich noch ein süßes Sommerkleid, welches über und über war mit Tulpen, Rosen und anderen Blumen. Des Weiteren hatte ich ein Kleid ausgesucht, welches knallpink war und weiße Pünktchen hatte. Und als letztes war da noch ein, mit Rüschen bedecktes, lila-rot-rosa farbiges Kleid, das oberhalb der Knie endete. Das Kleid begann ab Hüfthöhe abzustehen, was meine Beine länger aussehen ließ. Ich überlegte eine Weile und endschied mich für das letzte, da es meine Augen betonte und meine Kette dazu wunderbar aussehen würde. Schnell zog ich es an und betrachtete mich im Spiegel. Mittlerweile war die Hälfte meiner Zeit vergangen. Es war 8:30. Ich ging, diesmal langsamer, da ich üben musste, dass das Kleid über meinem Hintern blieb und diesen nicht freigab. Irgendwie funktionierte das auch. Im Bad angekommen überlegte ich, was ich mit meinen Haaren machen sollte. Nachdem ich alle möglichen Zopfarten ausprobiert hatte, entschied ich mir für zwei Zöpfe, rechts und links hinter meinen Ohren. Das sah niedlich aus. Dann schmierte ich mir etwas Hautcreme ins Gesicht und bedeckte es mit einer Wolke aus Puder. Für meine Lippen wählte ich ein leichtes Rosa, ebenso bei den Augen und auch die Wangen bekamen ein wenig Rosa. Meine Wimpern verlängerte ich mit künstlichen, die an den äußeren Enden kleine Herzchen hatten. Als ich fertig war betrachtete ich mich zufrieden im Spiegel. Nicht so gut wie die Kapitoler, aber doch ganz ansehnlich. Ich lief nach unten und rief nach meiner Mutter, die schon um die Ecke geeilt kam. „Du hast mich nicht geweckt, Mom!“, sagte ich vorwurfsvoll. „Ach ja, stimmt. Hab ich vergessen. Du siehst toll aus kleines, richtig niedlich.“, noch während sie das sagte, begann sie Eier, Speck und Würstchen zu braten. „Ohhh, Lecker! Ich freu mich schon aufs essen!“, rief ich und setzte mich ungeduldig hin. „Wieso bist du so gut drauf? Gestern Abend warst du noch so deprimiert, dass du freiwillig ins Bett gegangen bist, das hatten wir noch nicht oft.“, sagte sie, während sie mich besorgt über ihre Schulter hinweg beobachtete. „Ich hab keine Ahnung. Irgendwie habe ich ein gutes Gefühl im Magen, als hätte ich keine Sorgen oder je welche gehabt. Das ist komisch oder? Aber ich habe doch noch eine Chance, das wird schon.“ Ich lächelte ihr zuversichtlich entgegen, aber das verunsicherte sie noch mehr. Vielleicht dachte sie, ich hätte meinen Verstand verloren. „Wo ist Dad?“, fragte ich sie, während ich mir ein wenig Cola eingoss. „Er hilft dabei, den Prunkplatz zu säubern und zu dekorieren. Trink nicht so viel von dem alten Zeugs, dann wirst du immer so hibbelig. Kein Wunder, dass sie die Produktion eingestellt haben!“ Und damit begann eine weitere Rede meiner Mutter, wie unvorsichtig die Menschen doch früher mit sich umgegangen sind. Natürlich hatte sie Recht, die damalige Lebenserwartung lag gerade mal bei 79 Jahren. Mittlerweile waren es fast 15 Jahre mehr. Man fand heraus, dass Cola und andere Softdrinks das Leben um einiges kürzten, dennoch war es schade. Ich hatte schon immer eine Schwäche für Cola und Limo und als die Produktion eingestellt wurde, das war als ich 5 oder 6 war, habe ich fast den ganzen Tag geweint, bis mein Vater mir zeigte, dass er mehrere 1000 Flaschen für mich gebunkert hatte. Meine Mutter erlaubte mir zwar nur ein Glas pro Tag, aber es war besser als nichts. Genüsslich ließ ich mir den Rest des Getränks in den Mund fließen, als Mom auch schon das Frühstück auf den Tisch stellte. „Guten Appetit, Amy.“ „Amy??“, fragte ich verdutzt. Ich hatte noch nie einen Spitznamen, weder bei meinen Eltern noch bei meinen Freunden. „Ja, ich dachte, das wäre ganz praktisch, wenn deine Taktik auf Niedlichkeit basieren soll. Wenn Caesar dich in den Interviews fragt, kannst du ganz glücklich an deinen Kosenamen denken. Und wenn dann später die Interviewer hierhin kommen, kann ich ihnen ebenfalls von meiner unendlichen Liebe zu dir, Amy, sprechen.“, erklärte sie ganz langsam und sprach dabei mit einer Baby-Stimme, als wäre es das logischste der Welt. „Guter Einfall, aber Amy? Passt doch gar nicht zu meinem Namen.“ „Ja, aber fällt dir etwa was Besseres ein? Amethyst ist nicht gerade der beste Name dafür.“ „Nicht meine Schuld, ihr habt mich so genannt!“ Wir beide begannen zu kichern und aßen unser Frühstück. Auch meine Mutter sah heute irgendwie sehr gut aus. Sie war glücklich und ausgelassen, wo sie doch gestern noch wegen meinem Pech weinte. Die Ernte hatte etwas nahezu magisches. Sie war wie eine alte Tradition, die mich mit meiner Familie verband. Nachdem wir gesättigt waren, räumte meine Mutter das Geschirr weg und sagte: „Lass uns lieber gehen, nicht, dass wir zu spät kommen.“ Ich sah auf die Uhr und nickte. 9:50. In 10 Minuten würden die Namen gezogen werden. Die alljährliche Vorfreude flammte in mir auf, die nicht einmal von der Enttäuschung gelöscht werden konnte. Nachdem meine Mutter ihre Jacke angezogen hatte gingen wir los. Es war nicht lang bis zum Prunkplatz, wir wohnten eigentlich direkt daneben, weshalb wir, im Gegensatz zu denen, die am weitesten weg wohnten, nur einen 3 minütigen Fußmarsch vor uns hatten. Deshalb hatten wir auch nie ein Auto benötigt, weshalb wir auch keins besaßen. Am Anfang hatten mich die Kinder in meiner Klasse deswegen ausgelacht: Kein Auto zu besitzen war einfach lächerlich und armselig. Irgendwann jedoch bemerkten sie, dass wir auch keine Steuern dafür bezahlen mussten, weshalb ich mir viel teurere Kleider, Cremes oder Schulsachen leisten konnte.



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