Zum Inhalt der Seite

Indian Summer Days

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

-1 -

"Nehmen Sie Platz, Mr. Kyle wird Sie gleich empfangen", sagte eine freundliche, runde Dame, die im Vorzimmer des Direktors den Telefondienst spielte und laut Namensschild auf den Namen Erna Slowinski hörte. Erna schien, als hätte Sie alle Zeit der Welt, was vielleicht auch ihrem fortgeschrittenem Alter zuzuschreiben war. Sie war bestimmt schon über Sechzig, und wenn man erst mal dieses stolze Alter erreicht hatte, welche Hast gab es da noch im Leben? Erna arbeitete wahrscheinlich schon seit Jahren, wenn nicht sogar seit Jahrzehnten hier, da sie schien, als kannte sie den Ablauf aller Dinge in- und auswendig. Sie ruhte in sich, lächelte versonnen vor sich hin, während sie im Schneckentempo etwas auf den Computer tippte, und summte mal lauter, mal leiser die Melodie von "Oh my darling, Clementine".

Ich beobachtete sie anfangs verstohlen, dann wandte ich mich ab und betrachtete das Zimmer. Hinter Erna Slowinski befand sich eine große Fensterfront. Die Rollläden waren bis zur Mitte runtergelassen, aber es fiel immer noch genügend Licht durch das Fenster. Dahinter standen etliche, grünende Bäume, durch deren Laub das Sonnenlicht fiel. Der Anblick von sich im wogenden Wind abwechselnden Licht und Schatten, die durch die Lücken im Grün entstanden, war so beruhigend und harmonisch, dass ich seufzen musste. Von dem, was ich bisher von diesem Ort gesehen hatte, musste es so ziemlich der Himmel auf Erden sein. Selbst hartgesottene Stadtkinder würden nicht leugnen können, dass man an so einem Ort den besten Urlaub seines Lebens verbringen könnte. Aber ich war ja gar nicht im Urlaub, rief ich mir ins Gedächtnis. Konzentration, Alexis! Dies ist das wahre Leben. Ab nun heißt es: arbeiten!

Ich rutschte auf dem Stuhl hin und her. Ich war mir sicher, hier saßen normalerweise nur Schüler, die irgendetwas ausgefressen hatten. Der Teenie zwei Stühle weiter, der gerade gelangweilt in der Nase bohrte und sich nicht daran störte, dass ich und Erna ihn sehen konnten, unterstützte meine These. Ich fragte mich, ob er oder ich zuerst drankommen würden, da er schon hier gesessen hatte, als ich ankam.

Genau in diesen Gedankengang hinein öffnete sich die schwere, dunkle Eichentür, die perfekt zu dem Rest der Möbel hier passten, und ein älterer Herr mit Glatze und einem Paar grauweißer Haarbüschel über den Ohren kam heraus. Er trug einen gebügelten, dunkelgrauen Anzug mit dunkelblau gestreifter Krawatte und lächelte mich an.

"Miss Webb. Es freut mich." Er kam zwei große Schritte auf mich und reichte mir die Hand. "Willkommen in der Greenfield Academy." Leidenschaftlich und begeistert schüttelte er meine Hand und strahlte. "Wir freuen uns, dass Sie da sind. Wie geht es Ihnen? Bereit für Ihren ersten Tag in der Schule?"

Er kicherte wie ein kleiner Schuljunge, der einen - seiner Meinung nach - tollen Witz gemacht hat.

Ich musste unwillkürlich lächeln. Seine Begeisterung steckte auch mich an. War jeder Mensch freundlich an diesem Ort? Ich wollte hier gar nicht mehr weg. Kurzerhand entschloss ich mich, den popelnden Teenager aus meinem Gedächtnis zu verbannen.

"Mir geht es gut, danke", antwortete ich brav, während er mir die Tür offen hielt und mir mit einer Geste bedeutete, sein Büro zu betreten.

Ich setze mich auf einem gepolsterten schwarzen Sessel vor seinem Schreibtisch und er nahm dahinter Platz. Er warf mir einen freundlichen Blick zu, während er ein paar Unterlagen auf seinem Tisch durchging.

"Ich möchte Sie gar nicht weiter aufhalten und mit langen Reden nerven", bemerkte er und fischte ein paar Dokumente aus dem Papierstapel hervor. Dank meiner außergewöhnlichen Fähigkeiten, auch auf dem Kopf lesen zu können, entdeckte ich meinen Namen auf den Papieren. "Sie sind bestimmt schon gespannt auf Ihr neues Büro und die restlichen Räumlichkeiten. Hier, das ist Ihr Stundenplan." Er händigte mir die Blätter aus, und ich widerstand dem starken Drang, einen langen und ausgiebigen Blick auf meine Stunden zu werfen.

"Sollten Sie Fragen haben oder etwas Anderes auf ihrem Herzen, können Sie selbstverständlich jederzeit zu mir kommen. Erna hilft Ihnen auch gerne weiter, sie arbeitet schon seit über dreißig Jahren hier ist und kennt alles und jeden. Sie ist sozusagen der gute Geist der Greenfield Academy. Scheuen Sie sich also nicht." Er nickte bekräftigend. Ich hatte also recht gehabt, was Erna anging.

"Okay", sagte ich etwas verdutzt, aber erleichtert. "Danke, das werde ich tun." Ich hatte eigentlich etwas Anderes erwartet. Lange Reden, quälende Fragen, misstrauische, beurteilende Blicke... aber hey! Umso besser für mich.

"Connor", erzählte Mr. Kyle weiter und nickte in Richtung der geschlossenen Tür, "wird Ihnen Ihr Büro zeigen. Es befindet sich nicht weit vom Kreativflügel entfernt, im zweiten Stock." Er stand auf, und ich tat es ihm gleich,

Mr. Kyle kam um den Tisch zu mir herum und reichte mir wieder die Hand, schüttelte sie noch mal kräftig. "Ich hoffe, Sie fühlen sich hier wohl."

Bestimmt würde ich das! "Danke", stammelte ich nur gerührt. So viel Freundlichkeit war ich gar nicht gewohnt. Dort, wo ich herkam, wurden Lehrer mit Füßen getreten, vor allem von den höheren Vorgesetzten! "Vielen, vielen Dank", entschlüpfte er mir dann doch noch, viel emotionaler, als mir eigentlich lieb war,.

"Nichts zu danken, Miss Webb."

Ich trat aus der Tür hinaus und mein Blick fiel wieder auf den popelnden Teenie. Noch bevor mir der Gedanke in den Kopf kommen konnte, hob er seinen und unsere Blicke kreuzten sich. Meiner etwas geschockt, als ich die Tatsache realisierte, dass das hier Connor sein musste - und seiner - gelangweilt wie in den zehn Minuten zuvor auch schon.

Er stand auf und ich schätze ihn auf circa Fünfzehn oder Sechzehn. Sein Haar war dunkelblond, und er war nicht gerade der sportliche Typ, was auch die Tatsache, dass er einen von diesen beliebten Baseballjacken trug, nicht vertuschen konnte.

"Hey", sagte er mit einer viel zu tiefen Stimme, die seinem Aussehen nicht gerecht wurde.

"Hi, ähm... Connor?" Ich lächelte nervös. Deine erste Begegnung mit dieser höchst scheuen Spezies!, sagte ich mir aufgeregt. Wie näherte man sich der Art "Teenager" am besten? Es war jedes Mal auf’s Neue eine Gratwanderung und eine Herausforderung.

"Coole Jacke", brachte ich hervor und wollte mich schon gedanklich für diese inkompetente, dusselige Bemerkung ohrfeigen, als sich sein Gesicht ein bisschen - ein bisschen! - erhellte.

"Sind Sie auch Fan der Boston Red Sox?“, fragte er und ich konnte sogar eine Spur Begeisterung in seiner Stimme ausmachen. Die Boston Red Sox waren ein Baseballteam, das sehr beliebt war in dieser Gegend, und tatsächlich trug seine Jacke das Logo der Sox – einen Baseball mit zwei Socken und dem Schriftzug der Mannschaft innen drin.

Ich war zwar kein Baseballfan, aber durch meinen Bruder Luke, der verrückt nach diesem Sport war, kannte ich mich ein wenig aus. Und die Boston Red Sox spielten tatsächlich sehr gut.

"Ein wenig", antwortete ich daher, was nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber auch nicht gelogen war.

Connor grinste. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Büro. Sie sind doch die neue Kunstlehrerin, oder?", fragte er im Gehen, ohne Luft zu holen.

Yes!, jubelte ich mir Gedanken mir selber zu. Eins zu Null für Alexis Webb! Die Spezies „Teenie“ wurde erfolgreich geknackt!

"Ja", bestätigte ich. "Kunst und Fotografie."

"Cool", sagte Connor lediglich und eilte durch die Gänge. Jeder wusste, dass "cool" in der Sprache der Jugendlichen so etwas wie die heilige Absolution war. Ich war offiziell cool. Zumindest dachte das der mollige Teenie mit den Hamsterbacken. Näher konnte ich dem Status der beliebtesten Lehrerin jawohl gar nicht mehr kommen!

Connor hatte, trotz seines Gewichts, ein Tempo drauf, das beachtlich war. Ich kam ein wenig aus der Puste, als ich hinter ihm herstiefelte und im Laufschritt versuchte, einen kurzen Blick auf meinen Stundenplan zu werfen. Dabei hatte ich gar keine Zeit, das Innere des Gebäudes näher zu betrachten und musste auf den Treppen aufpassen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

"Sorry, ich muss zum Sportunterricht, sonst bringt Mister Bennett mich um! Hier Ihr Büro. Bis später!", rief Connor mir zu, zeigte mit dem Finger auf eine dunkle Holztür – die wie alle hier aussahen -, und huschte dann auch schon um die nächste Kurve.

Puh, dachte ich und schaute ihm nachdenklich hinterher. Dieser Mr. Bennett muss ja ein echter Drachen sein. Sofort verspürte ich Mitleid mit Connor. So einer wie er hatte es bestimmt schwer im Sportunterricht. Ich dachte an meinen eigene Jugend zurück und es schauderte mich. Dann wandte ich mich meinem neuen Büro und meinem neuen Leben zu.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Foresight
2014-03-11T15:04:42+00:00 11.03.2014 16:04
Es geht weiter! :) Nach über einem Jahr. ;) Aber ich muss da selbst mal ganz still sein, immerhin herrscht bei meinen OFs auch seit einer halben Ewigkeit Stillstand.Aber jetzt zum Kapitel:Der Stil ist wie immer toll (ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass ich ihn immer noch liebe, oder?)! Als ich den Namen der Sekretärin gelesen habe, musste ich schmunzeln und dachte mir noch 'na da ist der Name bestimmt Programm' und tatsächlich scheint sie sehr gemütlich zu sein. Sie und der Rektor machen gleich einen sympathischen Eindruck (da ist wohl jemand jung geblieben ^^). Auch Connor hast du gut getroffen.
Bin schon gespannt, wann sie auf ihr Gegenstück stößt und wie es weiter geht. :)

Mir ist noch ein kleiner Tippfehler aufgefallen. In dem Satz 'jubelte ich mir in Gedanken selber zu' hast du noch ein zweites 'mir' stehen. :)
Antwort von:  -Moonshine-
11.03.2014 19:01
Das werd eich gleich korrigieren, danke. :) Kam mir beim Schreiben ein bisschen holprig vor, nach all der Zeit wieder, aber es hat gut getan.


Zurück