Zum Inhalt der Seite

Das Vermächtnis des Kain

Vergessene Magie
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Magische Rassen mucken auf

19. Magische Rassen mucken auf

1.November 1993, 02:34 Uhr

Nordsee
 

Lameck fühlte sich schwer und zufrieden. Das alte Muttermal an seinem Knie pochte sanft, als würde einer dieser inkompetenten Heiler mit seinem Hämmerchen draufschlagen. Eine wohltuende, gemächliche Trägheit überkam ihn, die seine Angst betäubte und nur noch klare Gedanken zuließ. Gedanken, die sich widerwillig auf das flammende Inferno vor ihm richteten.

„Wir müssen etwas tun“, raunte der Kobold seinen Artgenossen zu. Genau wie er klammerten sich auch die beiden anderen kleinen Männer an den halbtoten Pferdeleib, um nicht im eisigen Wasser unterzugehen und sahen ihn aus rotglühenden Augen an. Ihre Namen – das hatte er nach acht Wochen gemeinsamer Gefangenschaft herausbekommen – waren Roderick und Gatwick. Oder Bestechung und Bestechlichkeit, wie er sie in Gedanken nannte. Deswegen waren sie nämlich in Askaban gelandet. Natürlich zu Unrecht.

Lamecks Worte wurden nur allzu deutlich unterstrichen, als ein Feuerball dicht an seinem Kopf vorbeiflog und den schreienden kleinen Gnom von ihrem improvisierten Floß wischte.

„Was denn?“ fragte Gatwick ratlos. Er war nur ein einfacher Angestellter und hatte sein bisheriges Leben wahrscheinlich lediglich mit dem Aufstapeln von Waren zugebracht. Trotzdem klang aus seiner Stimme eine eifrige Entschlossenheit hervor. Er war bereit zu helfen.

„Wir müssen diesen Wahnsinnigen ausschalten“, flüsterte Roderick und deutete mit einem Nicken seines runzeligen Kinns auf den tobenden Veela. „Wir sind zu nah an ihm und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er uns erwischt. Ich habe in Gringotts in der Drachenzentrale gearbeitet. Mit Feuerabwehr kenne ich mich aus.“

„Und ich war in der Abteilung Ketten und Kataloge“, fügte Lameck an. „Ich kenne einige mächtige Bannsprüche. Aber dafür brauche ich Unterstützung von euch.“

„Ketten und Kataloge?“, wiederholte Gatwick ungläubig. „Wie passt denn das zusammen?“

„Die Kataloge waren für die Passwörter“, gab Lameck patzig zurück, „und jetzt rede nicht, sondern gib mir lieber deine Hand!“

„Das wird wenig bringen“, prophezeite Roderick. Trotzdem reichte er beiden Kobolden seine Hände, sodass sie einen Kreis bildeten. „Ihr spürt es doch auch, oder etwa nicht? Diese neue Kraft. Die Vampire sind noch schneller als gewöhnlich, die Feuerwände noch höher... und diese Wölfe zeigen endlich etwas Verstand und schwimmen ans Ufer, anstatt sich gegenseitig an die Kehle zu gehen. Wenn dieser Typ aus derselben Kraft schöpft, haben wir keine Chance.“

„Seine Flammen sind nicht höher geworden“, meinte Gatwick mit einem abschätzenden Blick. „Nur aggressiver. Vielleicht hat er nichts gemerkt. Los, lasst uns anfangen!“

Roderick und Lameck begannen, ihre Abwehr- und Bannsprüche zu murmeln. Beide zogen sie Kraft aus dem dritten Kobold, doch dem schien das nicht das geringste auszumachen.

Von ihren faltigen Händen begann langsam ein leichtes Glühen auszugehen. In ihrer Mitte bildete sich eine schimmernde, hohle Kugel aus feinem Licht, durchzogen von roten Äderchen.

Hochkonzentriert zitierte Lameck seine Formeln und lenkte dabei ganz langsam den Weg der Kugel, die nun langsam höher schwebte. Schweiß trat ihm auf die Stirn und er war sich sicher, ohne die klärende Kraft dieses seltsamen Augenblicks hätte er sich längst versprochen. Gatwick übernahm die Führung und bewegte seine Arme so, dass ihr Kreis sich neigte. Die Kugel schwebte immer mehr auf den Veela zu, ohne dass dieser es zwischen all dem Licht seines Feuers bemerkte.

„Jetzt“, brachte Roderick zwischen vor Anstrengung zusammengebissenen Zähnen hervor.

Auf dieses Kommando hin lösten die drei Kobolde ihren Griff alle gleichzeitig, bevor sie sofort wieder zupackten und die Finger des jeweils anderen ergriffen. Doch in diesem einen Sekundenbruchteil war die Kugel explodiert. Nein, sie hatte sich ausgebreitet, schwoll rasend schnell zu neuer Größe an und schloss Solom in sich ein. Doch sobald der Kreis wieder vollständig war, erstarrte auch die Kugel wieder. Das Feuer des Veela prallte wirkungslos an seiner dünnen Trennwand zur Welt ab. Die Lichtkugel umschloss ihn eng, hielt ihn gefangen und ließ seine Attacken verpuffen.

Die Kobolde ächzten vor Anstrengung. Selbst mit der gespendeten Kraft wären sie in die Knie gesunken, würden sie nicht schon halb im Wasser hängen. Der Schweiß lief ihnen nun in Strömen über die Stirn. Solom schrie und kämpfte. Kein Geräusch drang aus der Kugel heraus, womit es mit einem mal unheimlich still auf dem Schlachtfeld geworden war. Sein Feuer wirbelte wirkungslos umher.

Doch die Kobolde ließen sich nicht beirren. Sie sprachen weiter ihre Schlussformeln und verankerten die Kugel im Gefüge der Welt.

Als das Werk endlich vollbracht war, ließen die Kobolde erschöpft lächelnd die Hände sinken.

In diesem Moment spritzte das Wasser vor ihnen auf und die Drei zuckten heftig zusammen. Ein Vampir tauchte vor ihnen aus den Fluten auf: über und über mit Blut besudelt, die dunklen Augen kalt vor Hass glimmend und in jeder Hand einen scharfen Dolch.

Alle drei fragten sich in diesem Moment dasselbe: Freund oder Feind?

Der Vampir warf einen flüchtigen Blick auf den gefangenen Solom, der in seiner Kugel etwa einen Meter über dem kochenden Wasser schwebte.

„Gerade rechtzeitig“, verkündete er, als wäre er selbst es gewesen, der den Kobolden den Auftrag gegeben hatte, Solom zu bannen. „Die Auroren kommen. Canis Majoris führt seine Wölfe bereits ans Ufer und die Vampire nehmen die Veela mit. Ihr seid die letzten. Also beeilt euch.“

Lameck konnte über so viel Arroganz nur den Kopf schütteln. Aber immerhin hatten diese Leute geholfen, sie zu befreien, also konnte er sich nicht beschweren. Andererseits hatte er auch nicht das Gefühl, ihnen etwas zu schulden. Schließlich hatte er sie nicht darum gebeten.

„Was ist mit den Todessern?“ wollte Roderick wissen.

„Geflohen“ war sein einziges Kommentar.

Die kleinen Männer machten große Augen. „Etwa auch Sie-wissen-schon-wer?“

„Der als erstes. Übernehmt den Veela“, befahl der Schwarzhaarige. Dann griff er wortlos das noch schwach zitternde Bein des Zentauren.

Rasch sprach Lameck ein paar Worte und hielt einen Augenblick später eine Kette aus goldenem Licht in den Händen. Diese warf er wie ein Lasso, bis sie an der Lichtkugel kleben blieb. Trotz des Gefangenen war sie federleicht und ließ sich einfach hinter ihnen herziehen, als der Vampir zu schwimmen begann. Er warf nur noch einen unwilligen Blick zurück und schwenkte kurz seinen Zauberstab, wodurch die Lichtkugel durchsichtig wurde und mit der schwarzen Nacht verschmolz. Die Auroren würden sie nicht entdecken.
 

*
 

1. November 1993, 12:27 Uhr

Zaubereiministerium
 

Fudge betupfte sich seine schweißnasse Stirn mit einem weißen Taschentuch und zog eine Grimasse.

„Minister! Ein Kommentar bitte! Was ist dran an den Gerüchten? Stimmt es, dass-“

„Bisher“, würgte Fudge die aufgeregte und seines Erachtens gottverdammte Reporterin Rita Kimmkorn ab, die an der Spitze einer kleinen Armee Journalisten stand, ab, „kann ich leider noch kein offizielles Kommentar abgeben. Die Untersuchungen laufen noch, bitte verstehen Sie, dass-“

„Es heißt, es gab einen weiteren Ausbruch aus Askaban. Glauben Sie, dass Black etwas damit zu tun hat?“

„Wie ich bereits auf der gestrigen Pressekonferenz erklärt habe, ist Black unschuldig... Es ist möglich, dass einige Insassen seine Flucht beobachtet und nachgeahmt haben, aber-“

„Also stimmt es, dass es einen Ausbruch gab? Sogar mehrere?“

Fudge hätte sich am liebsten die eigene Zunge abbeißen mögen.

„Das ist noch nicht bestätigt“, knurrte er und wandte sich ärgerlich ab. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden?!“

Der Minister knallte die Tür zu Bones' Büro zu und versuchte, das Geräusch der Kameras zu ignorieren. Gestresst und völlig erledigt lehnte er sich an die Tür. Amelia Bones, die Leiterin für Magische Strafverfolgung, sah ihn von ihrem Schreibtisch aus ernst an.

Was für ein Tag! Gestern erst hatte Fudge die schlimmste Blamage seines Lebens erleiden müssen, indem er Sirius Black freisprach – und heute das. Schlimm genug, dass er von den Gerüchten erst erfahren hatte, als er heute Morgen – wie er beschämt zugeben musste, etwas zu spät – ins Ministerium gekommen war. Aber dass auch noch diese verdammten Reporter vor ihm Bescheid wussten!

„Also,“, begann er müde, „wie schlimm ist es wirklich?“

Amelia Bones stand auf und reichte ihm ein Blatt Papier. Es war eine recht kurze Liste mit Namen, die Fudge nichts sagten. Nicht einmal zehn waren es.

„Wer sind die?“, fragte Fudge. „Sind die alle geflohen?“ Das wäre eine Katastrophe. Zehn Flüchtlinge! Erst gar keiner und dann alle auf einmal. Eine Massenpanik würde ausbrechen.

„Nein, Sir“, antwortete Bones und Fudge atmete erleichtert auf.

„Das sind die, die noch drin sind.“

„W... Wie bitte?“

„Das erste Stockwerk ist... nun ja, nicht mehr vorhanden. Alle fünf Wachen sind tot. Das zweite Geschoss wurde aufgebrochen. Wir haben eine grausam verstümmelte Leiche gefunden, die wir bisher nicht identifizieren konnten – sie lag aber in Pettigrews Zelle. Alle anderen in dieser Etage sind leer.“

„Und das heißt...“

„Es waren die Hochsicherheitsverliese, Sir. Die Todesser sind weg. Alle.“

„Bei Merlins Bart...!“

„Das ist noch nicht alles. Wir wissen nicht genau, wie es passiert ist, aber die Mysteriumsabteilung hat einen enorm starken Ausstoß an uralter Magie festgestellt. Diese Magie hat die Banne Askabans bis in die Grundmauern erschüttert. Alles ist weg. Die Schutzschilde, die Bemerk-mich-nicht-Sprüche, sämtliche Muggelabwehr, alle Sicherungen und Banne. Sogar die Restaurationszauber. Einige der älteren Mauern wurden von der Zeit so stark eingeholt, dass sie einfach in sich zusammengebrochen sind.“

„Das... Das kann doch nicht...“

„Doch, Minister. Askaban ist eingestürzt. Die Bergungsarbeiten laufen immer noch... Diese paar Personen waren in den Trümmern eingesperrt. Der Rest hat sich befreit und ist entweder ertrunken oder ans Ufer geschwommen. Wir können es noch nicht mit Bestimmtheit sagen, aber es wird vermutet, dass die Keller leer stehen. Die Gefangenen von der Razzia sind verschwunden. Das Gefängnis ist als solches nicht mehr zu gebrauchen.“

Kraftlos sank Fudge an der Tür herunter und schlug verzweifelt die Arme über dem Kopf zusammen.

„Das ist... das ist das Ende!“, brachte er schließlich hervor. „Das war‘s. Aus. Vorbei. Ich kann meine Karriere an den Nagel hängen. Ein Skandal! Spätestens morgen wird die Presse meine Abdankung fordern...“ Hoffnungslos schnäuzte Fudge in sein Taschentuch. „Haben wir wenigstens einen Schuldigen?“

„Nun, wir haben vereinzelt ein paar Leichen gefunden. Zwei Vampire, eine Veela und ein Flüchtling, der wohl ertrunken ist. Es müssen noch mehr da unten sein, aber unsere Teams konzentrieren sich derzeit auf die Verfolgung.“

„Also waren es diese gottverdammten Halbblüter!?“, rief Fudge wütend aus.

„Das ist anzunehmen“, bestätigte Bones. „Anscheinend haben sie ihre Leute von der Razzia befreit und die Todesser gleich mit.“

„Sie bauen eine Armee auf... Eine Dunkle Armee. Hah! Aber sie haben keinen Anführer. Sie denken wohl, sie könnten es machen wie Sie-wissen-schon-wer, aber sie sind schwach! Wir haben in den letzten Jahren ja wohl einiges dazugelernt. So schnell lassen wir uns nicht unterkriegen. Vampire... ich habe schon immer gewusst, dass es mit denen mal schlimm enden wird!“

„Was sollen wir tun, Minister?“

„Geben Sie eine Pressemeldung raus. 'Dunkle Kreaturen verbünden sich mit Schwarzmagiern'. Schüren Sie ein wenig Panik. Und dann finden Sie so viele Leichen von diesen abscheulichen Gestalten wie möglich und verkünden, dass unsere Auroren sich eine tapfere Schlacht mit ihnen geliefert haben, wobei die Dunkle Seite enorme Verluste erlitten hat... Der Vormarsch des Bösen kommt zum Stoppen, sie wollten uns überrennen, aber wir haben sie aufgehalten! Etwas in der Art...“

„Was ist, wenn wir keine weiteren Toten mehr finden?“, fragte Bones, so neutral es ihr anhand dieser Schwindelei eben möglich war.

„Dann schaffen Sie sich welche! Herr Gott, wozu bin ich Minister?! Setzen Sie die Notverordnung in Kraft... Erlassen Sie ein Gesetz, dass das Töten von Vampiren, Veela, Werwölfen und diesem ganzen anderen Abschaum legal macht. Das Volk soll schließlich die Chance haben, sich zu wehren.“

„J-Ja, Sir...“, brachte Amelia mühsam hervor. Nur unvollständig konnte sie das Entsetzen auf ihrem Gesicht verbergen. Sie musste gehorchen... Aber sobald sie die Möglichkeit hatte, würde sie Dumbledore um Rat fragen. Wenn Fudge auf diese Maßnahmen bestand, würde es tatsächlich Krieg geben!
 

*
 

M A G I S C H E R A S S E N M U C K E N A U F

Gestern Nacht startete eine Gruppe magischer Kreaturen unbekannter Größe einen Überfall auf das Zaubereigefängnis Askaban. Sie griffen mit ungewöhnlich starker, dunkler Magie an und zerstörten Teile des Mauerwerks. Es wird vermutet, dass sie ihre von der letzten Razzia noch gefangen gehaltenen Artgenossen befreien wollten. Jedoch bemerkten die Auroren des Ministeriums den Einbruch rechtzeitig. Es kam zu blutigen Kämpfen, bei denen einige der Angreifer getötet wurden, die meisten jedoch konnten entkommen. Die Abteilung für magische Strafverfolgung betont, die Verfolgung der Verbrecher sei ihr oberstes Ziel. Es müsse unbedingt verhindert werden, dass sich die der bedrohlichen Koalition aus Vampiren, Werwölfen und Veela auch Schwarzmagier anschließen, sagte Minister Fudge. Die Bevölkerung sei zur Vorsicht angehalten, solle aber nicht in unnötige Panik verfallen. Das Ministerium wird die Jagd nach den dunklen Kreaturen verstärken und hat dafür ein Gesetz erlassen, dass das Töten von Nichtmenschlichen zur Verteidigung legal macht und entsprechende Unfälle mildernd mit einer Geldstrafe belegt. Auroren sind befugt, jederzeit Säuberungen durchzuführen, um die magische Bevölkerung zu beschützen. Fudge wiederholte mehrmals, er habe alles unter Kontrolle.

1. November 1993, Kurzer Artikel im Tagespropheten, Abendausgabe, Randspalte
 

*
 

1.November 1993, 20:56 Uhr

Gringotts
 

„Wie unfähig seid ihr eigentlich?!“, knurrte Thorok verächtlich.

Luca schenkte ihm nicht die geringste Beachtung. Das trieb den Geschäftsführer der Gringotts Zaubererbank beinahe zur Weißglut. Da half es auch nicht gerade weiter, dass er vier Schritte machen musste, wo der hochgewachsene Vampir einen brauchte.

„Als mein Volk gegen die Zauberer kämpfte, hat jeder von uns mindestens vier Zauberer besiegt.“

„Nur, dass ihr gegen untrainierte Zivilisten gekämpft habt und nicht gegen Todesser. Ihr Anführer war ein unfähiger Mann und kein Dunkler Lord. Sie hatten keinen von euresgleichen auf ihrer Seite und auch keine Dementoren. Außerdem kam damals, wie du schon richtig sagtest, ein toter Kobold auf vier besiegte Zauberer. Wir haben keine Verwundeten zurückgelassen – wenn man mal vom Dunklen Lord selbst absieht.“

Als die beiden Anführer das Ende des finsteren Ganges und die Tür zu ihrem üblichen Versammlungsraum erreicht hatten, war der kleine Kobold bereits puterrot angelaufen – und stellte fest, dass Sirius und Jenande bereits da waren.

„Was zum Teufel?!“, entfuhr es Thorok entsetzt, als er die beiden sah.

Sirius, der sich anscheinend nur mühsam von Jenandes Lippen lösen konnte, warf ihm einen unwilligen Blick zu. „Was denn? Ihr habt euch verspätet.“

Luca hob kühl eine Augenbraue. „Ich denke, Gringotts wäre euch sehr dankbar, wenn ihr es nicht auf seinen Verhandlungstischen treiben würdet.“

Tatsächlich war die Position der beiden Parteiführer recht zweideutig. Jenande saß mit gespreizten Beinen rittlings auf Sirius' Schoß, der es sich auf dem Tisch bequem gemacht hatte. Der Hals des Werwolfs war mit verdächtigen Flecken übersät und Jenandes Haar war ganz zerzaust. Trotz der peinlichen Situation trennten sich die beiden nur widerwillig und nicht ohne einen weiteren leidenschaftlichen Kuss voneinander. Thorok gab eine Mischung von geschlagenem Seufzen und entnervtem Stöhnen von sich. Schließlich aber folgte er Luca, der sich unbeeindruckt auf seinen Platz setzte.

„Also“, begann der Kobold, „wie schlimm ist es?“

Schlagartig wurden alle Mienen wieder ernst.

„Dreizehn Vampire haben an der Aktion teilgenommen, fünf haben es raus geschafft. Von ihnen sind insgesamt sieben in der Schlacht gefallen.“

„Ich bin mit fünf Werwölfen reingegangen,“, machte Sirius weiter, „konnte nur einen befreien und habe auf dem Rückweg Sylvia und Bandit verloren.“

„Aus dem Gefängnis wurden fünf Veela herausgeholt. Ich war mit zehn meiner Mädchen dort. Drei sind gestorben, aber neun liegen immer noch im Koma oder sind bewusstlos. Sie haben sich von dem Einfluss der Dementoren noch nicht erholt. Einige werden das vielleicht nie tun.“

„Was ist mit Sodom?“, fragte Sirius, der sich daran erinnert hatte, dass der Veela einer der Lehrer seines Paten gewesen war.

„Wer ist Sodom?“, wollte Thorok wissen.

„Ein Veela-Junge, den wir befreit haben und der während der Schlacht wohl die meisten Opfer gefordert hat. Auf beiden Seiten“, klärte ihn Luca auf.

Jenandes Miene verdüsterte sich bei der Erwähnung dieses Namens. „Sodom hatte schon immer eine sehr enge Bindung zu seiner Schwester Gomorrha, die in der Schlacht kämpfte, um ihn zu befreien. Sie wurde von einem Todesser getötet, was bei ihm einen seiner bekannten Wutanfälle ausgelöst hat. Diesmal jedoch hatte er gar keine Kontrolle mehr über sich und hat so ziemlich alles angegriffen, was sich bewegt hat. Zum Glück hat Canis Majoris auch ein paar Kobolde aus Askaban befreit, die Erfahrungen mit Bannsprüchen hatten. Wir haben ihn stilllegen, bisher aber nicht zu ihm durchdringen können. Sodom ist auch der erste Verhandlungspunkt, den ich anführen möchte.“

„Was hast du mit ihm vor?“, fragte Sirius vorsichtig.

„Ich würde gerne hier in Gringotts... ein Verließ für ihn mieten.“

„Ein Verließ?“, rief Thorok empört aus. „Meine Bank ist kein Gefängnis!“

„Sodom benimmt sich, als hätte er den Kuss des Dementoren erhalten und wer weiß, vielleicht stimmt das ja auch. Nachdem die erste Raserei vorüber war, ist er in völliger Lethargie versunken. Vermutlich trauert er einfach, aber bei seinem Temperament kann in ihm jederzeit der Wunsch nach Rache erwachen und es ist nicht klar, gegen wen sich diese richten wird. Ich will so ein Desaster nicht noch einmal erleben. Solange nicht einwandfrei bewiesen ist, dass er keine Gefahr für sich oder andere darstellt, will ich ihn in Ketten wissen. Ich werde jeden Tag jemanden zu ihm schicken, der ihm anbietet, ihn unverzüglich freizulassen, damit er zu uns zurückkommen kann und ich hoffe wirklich, dass er seine Sprache bald wiederfindet, aber bis dahin...“

Alle Anwesenden – außer Luca, dessen Gesichtsausdruck sich seit Betreten des Raumes nicht geändert hatte – sahen betroffen aus.

„Ich denke, ich könnte eines der unteren Verliese für ihn einrichten“, meinte Thorok schließlich.

„Danke sehr... Was die Mietkosten betrifft-“

Doch der Leiter der Bank winkte ab. „Schon gut. Ihr habt mir zwei meiner besten Mitarbeiter wieder beschafft. Lameck und Roderick sind nicht nur überaus zauberkundig, sondern auch gute Geschäftsmänner, die auch Details im Vertrag sehr vorteilhaft auslegen können. Das Ministerium hat sie nur unter Vortäuschung falscher Tatsachen einsperren können. Jetzt kann ich sie zumindest im Ausland wieder gewinnbringend einsetzen.“

„Immer auf Profit aus, nicht wahr?“, kommentierte Sirius grinsend.

„Ist das jetzt geklärt?“, fragte der Meistervampir genervt. „Dann lasst uns zum nächsten Punkt übergehen. Der Dunkle Lord ist geschwächt und vorerst auf Eis gelegt. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um ihm den Rest zu geben.“

„Unter gar keinen Umständen!“, protestierte Jenande. „Wir müssen uns erst von unseren eigenen Wunden erholen. In nächster Zeit sollten wir es langsam angehen lassen und Verbündete sammeln, solange wir noch können. Noch können wir uns eine Pause leisten.“

„Das denke ich nicht“, widersprach Sirius und legte der Veela beruhigend seine Hand in die ihre, als sie erneut protestieren wollte. „Nein, lass mich ausreden. Die Sache in Askaban war nicht gerade unauffällig.“ Er zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Tasche hervor.

„Was ist das?“

„Habt ihr die Zeitung noch nicht gelesen?“

„Nein“, antwortete Luca dem Werwolf. „Falls es dir entfallen ist: Ich bin ein Vampir. Ich bin erst vor einer Stunde aufgestanden.“

„Nun, das Ministerium hat bereits reagiert. Sie wollen uns abschlachten. Wir müssen Du-weißt-schon-wers Rückkehr endlich öffentlich machen und klären, dass er Schuld an Askabans Zerstörung ist.“

„Was nicht sicher ist. Aber unabhängig davon wird es die Zauberer nicht davon abbringen, zu glauben, dass wir uns mit Schwarzmagiern verbündet haben, wenn der Dunkle Lord sie anführt. Eher im Gegenteil“, analysierte Luca, scharf wie immer. „Wenn wir uns nicht an zwei Fronten gleichzeitig aufreiben wollen, müssen wir eine Seite so schnell wie möglich vernichten.“

„Oder ihr verbündet euch mit einer Seite gegen die andere“, schlug Thorok vor.

„Aber auf keinen Fall mit dem Ministerium!“, warf Jenande resolut ein. „Was die meinen Mädchen in Askaban angetan haben, ist einfach nur noch böse.“

„Und mit dem Dunklen Lord auch nicht“, erwiderte Luca. „Das würde unseren Ruf auf Jahrhunderte schädigen. Zu recht.“

„Das führt uns doch nur in eine Sackgasse nach der anderen!“, rief Sirius aus und warf die Arme in die Luft.

„Nun, ich hätte da eventuell ein Angebot, das euch interessieren dürfte“, bemerkte Thorok und verschränkte nachdenklich die Arme.

„Das da wäre?“, fragte Luca misstrauisch.

„Wenn man das Gesetz wörtlich nimmt, das nach dem Ende der Koboldkriege ausgearbeitet wurde, dann ist Gringotts von jeder menschlichen Regierungsmacht souverän. Das bedeutet, dass die Bank wie ein eigenständiger Staat zum Beispiel Asyl gewähren kann. Rein theoretisch jedenfalls, das kam noch nie zuvor vor. Offiziell betrachtet.“

„Das wissen wir. Deswegen sind wir ja hier“, bestätigte Luca kalt.

„Richtig“, erwiderte Thorok und warf dem Vampir einen Blick zu, der ihn wohl zum Schweigen bringen sollte. Selbstverständlich, ohne eine Reaktion zu erhalten.

„Fakt ist,“, fuhr der Kobold fort, „dass Gringotts nicht nur mit Geld und Edelsteinen handelt, sondern auch, je nachdem wie der Markt steht, mit magischen Artefakten oder Immobilien.“

Luca, der langsam begriff, worauf der Geschäftsführer hinaus wollte, zeigte sich tatsächlich für einen kurzen Moment beeindruckt. Sirius jedoch fragte: „Kannst du mal aufhören, um den heißen Brei herumzureden? Sag uns doch einfach, wie dein Angebot lautet.“

„Wir werden es nicht bezahlen können“, fuhr Luca dazwischen. „Das ist nicht möglich. Nicht in der kurzen Zeit und nicht für alle von uns.“

Thorok zuckte mit den Schultern. „Wir vergeben auch Kredite.“

„Würde uns bitte jemand aufklären?“, forderte jetzt auch Jenande.

„Gringotts kann, wie jede andere Privatperson auch, Grundstücke in Großbritannien erwerben. Mit dem Unterschied, dass diese Grundstücke als zur Bank zugehörig souverän sind.“

„Wenn unsere Leute Häuser auf Grundstücken bauen, die unter Gringotts' Asylrecht fallen, wären sie von dem neuen Gesetz nicht betroffen. Das einzige Gesetz, das dort gelten würde, wäre die Hausordnung der Bank, die für diesen Fall ohne Probleme speziell abgeändert werden kann“, überlegte Luca laut. „Das würde uns Zeit verschaffen.“

„Aber damit schlagt ihr euch doch öffentlich auf unsere Seite“, gab Sirius zu bedenken. „Das kann gefährlich werden. Und wenn die Auroren doch jemanden dort umbringen, wäre das immerhin ein Kriegsgrund.“

„Den wir nicht wahrnehmen müssen. Zumindest nicht militärisch, dazu haben wir gar nicht die Möglichkeiten. Wirtschaftlich sieht es da natürlich schon anders aus.“

Kurze Stille.

„Sagt mal,“, meinte Jenande da nachdenklich, „lagert nicht auch das Staatsvermögen von Großbritanniens Zaubereiministerium in Gringotts?“

Thorok grinste und entblößte dabei zwei Reihen gelber Zähne. „Genau daran hatte ich gedacht.“

„Das ist genial“, flüsterte Sirius. „Es wird das Ministerium in den Wahnsinn treiben.“

„Wo ist der Haken?“, wollte Luca da wissen.

„Nun...“ Gemächlich faltete der Kobold seine Hände über der Brust. „Diese Kredite haben natürlich entsprechend hohe Zinsen. Wenn ihr nicht in Schulden versinken wollt, müsst ihr gewinnen. Nur wenn ihr aktiv an der Regierung teilhabt, könnt ihr genug Geld aufbringen, um der Bank die Grundstücke wieder abzukaufen.“

„Wie ist der Zinssatz?“, fragte Sirius gepresst.

„10%.“

Der Werwolf sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Bist du verrückt geworden!?“

„Wenn wir erst einmal mit Großbritannien fertig sind, wird es sein Geld für den Wiederaufbau brauchen“, stimmte Luca dem aufgebrachten Wolf zu.

„Wir geben euch ein paar Jahre Zeit. So eine Chance bekommt ihr nie wieder.“

Zitternd vor Wut ließ sich Sirius wieder auf seinen Stuhl fallen. „Ich hasse Kobolde...“

„Ich schätze mal, wir haben keine andere Wahl“, meinte Jenande vorsichtig. „Für unsereins wird es hier einfach zu gefährlich. Wir müssen eben versuchen, so viele Grundstücke selbst und nur mit Gringotts als Vermittler zu kaufen. Wir Veela sind nicht ganz arm, schließlich betreiben wir seit Jahrhunderten Handel. Außerdem kann ich bei ausländischen Veelagemeinschaften nach billigeren Krediten fragen.“

„Ich könnte das verfluchte Black-Anwesen verkaufen. Da müsste noch ein Haufen wertvoller magischer Krempel drin sein. Das ist nicht viel, reicht aber für ein paar Quadratmeter. Dann bilden wir eben Zeltstädte.“

„Einige von mir verwandelte Vampire leben in Transsilvanien, dem Land mit den lockersten Vampirgesetzen. Sie hatten Jahrhunderte Zeit, ihr Vermögen anzuhäufen und wären vielleicht bereit, etwas davon an ihre englischen Verwandten zu verleihen.“

Thorok sah nicht gerade glücklich aus, nickte aber.

„Wir werden dir so schnell wie möglich Bescheid geben, wie viel Land wir brauchen. Die Kobolde sollten die Verhandlungen dann möglichst schnell führen und sämtliche Vertragsabschlüsse an einem Tag tätigen. Das Ministerium darf nichts mitkriegen, bevor es nicht schon zu spät für sie ist“, warnte der Vampir weiter.

„Kannst du eigentlich auch das Vermögen der Todesser einfrieren?“, fragte Sirius hoffnungsvoll.

„Damit würde ich meine Bank zur Zielscheibe für beide Seiten machen“, erwiderte Thorok empört. „Nein, der Ärger mit dem Ministerium reicht mir. Ich kann die Geldausgabe für die Todesser verzögern, das ist aber auch schon alles.“

„Na schön, dann bereitest du die Verträge vor,“, schlug Luca vor, „und wir machen jetzt mit dem nächsten Punkt weiter.“

„Genau“, meinte Jenande nickend. „Darüber sollten wir unbedingt reden.“

Thorok sah verwirrt aus. „Worüber?“

„Mitten in der Schlacht“, begann der Meistervampir zu erzählen, „geschah etwas Seltsames. Es stand gerade nicht besonders gut um uns. Die Dementoren machten uns sehr zu schaffen und die frisch freigelassenen Todesser hatten zehn Jahre Wut raus zulassen. Außerdem war da Sodom, der in unseren eigenen Reihen wütete und Sariels Vampire, die noch nicht begriffen hatten, dass ihre Anführerin tot war und der Dunkle Lord sie jetzt ebenfalls jagte...“

„Einen Moment bitte“, unterbrach ihn Sirius. „Sariel ist tot? Diese hundsgemeine, grausame Vampirbraut, die Harry töten wollte?“

Für einen Augenblick – so kurz, dass der Werwolf sich nicht sicher sein konnte, ob er es sich nicht doch nur eingebildet hatte, huschte ein Schatten über Luca's Augen. „Genau die.“

„Wow“, meinte Sirius. „Die erste gute Nachricht des Tages.“

„Jedenfalls“, fuhr Luca unberührt fort, „hatten wir einen gewissen Bedarf an Unterstützung. Die Sache musste schließlich schnell beendet werden, sonst hätten uns die Auroren auf frischer Tat ertappt."

„Na sag schon, was ist passiert?", wollte der Kobold ungeduldig wissen.

„Um ehrlich zu sein - wir haben keine Ahnung", antwortete Sirius an Luca's Stelle.

„Vielleicht war es so etwas wie eine göttliche Fügung", schlug Jenande vor. „Oder die Kraft des Mondes. Jedenfalls war es keiner von uns."

„Die Bisswunden der Werwölfe und, laut Harry, auch der Vampire haben auf einmal geschmerzt", fuhr Sirius fort. „Und zwar immer genau die, die ursprünglich zur Verwandlung geführt haben."

„Bei meinen Mädchen und mir standen mit einem mal die Haare in Flammen und vorhin, als ich einen der befreiten Kobolde gesehen und gefragt habe, sagte er mir, bei ihnen wäre es von einem Muttermal oder Leberfleck ausgegangen. Jeder von uns spürte, wie auf einmal von einer bestimmten Stelle an seinem Körper eine unglaubliche Kraft ausging, die uns erfüllte. Wunden heilten, Feuer loderten höher, Patroni wuchsen zu unwahrscheinlicher Größe heran und die Wölfe wurden von dem Einfluss der Droge befreit... Auf einmal war es eine Leichtigkeit, die Dementoren abzuwehren und die Todesser zu verjagen.“

„Und nicht zuletzt…", fügte Sirius an und holte eine zweite Zeitung aus der Tasche. Es war eine kleinere Klatschpresse, der „Hexenspiegel", auf dessen Titelblatt groß ein Foto von Askabans Ruinen prangte. „DAS waren wir nicht. Diese Kraft spürten auch nur wir, nicht die Todesser und kein Zwielichtiger auf dem Festland. Es war ein lokales Phänomen, das so noch nie vorkam. Damit kann es keine natürliche Ursache haben. Irgendjemand... hat uns geholfen."

„Und ihr habt keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?“, vergewisserte sich Thorok.

„Ich kenne keinen Zauberspruch, der solch eine Wirkung und Macht hätte. Und die einzigen Personen, die eventuell einen kennen, wären Dumbledore und Du-weißt-schon-wer. Letzteren können wir ohnehin ausschließen. Es sei denn, er hätte falsch gezielt und wollte eigentlich seinen eigenen Leuten helfen. Und Remus wird seit gestern von Eulen überhäuft, die ihn fragen, was passiert ist. Auch von Dumbledore, also kann er es nicht gewesen sein", führte Sirius aus.

„Ich kenne dieses Phänomen", flüsterte der Leiter der Bank da plötzlich und alle Blicke wandten sich ihm zu.

„Du kennst es?"

Thorok nickte. „Jedenfalls aus Legenden. Es tauchte zweimal währen der Koboldkriege auf, immer ziemlich am Ende. Die Kämpfer hatten auf einmal zehnmal mehr Kraft als sonst und haben die Zauberer vernichtend geschlagen. Es waren die glorreichsten Tage meines Volkes. Aber eine Ursache hat man bis heute nie herausgefunden. Für uns war es immer der Geist unserer Ahnen, der uns erfüllte.“

„Verzeih, aber ich glaube kaum, dass es der Geist deiner Ahnen war, der es uns ermöglicht hat, den Todessern in den Arsch zu treten", meinte Sirius spöttisch.

Thorok knirschte wütend mit den Zähnen.

„Also, ich höre von solchen Kräften zum ersten Mal", überlegte Jenande laut.

Der Werwolf strich abwesend über ihre Hand, während auch er einmal ernsthaft darüber nachdachte. Dann aber schüttelte er den Kopf. „Das ist zwecklos. Werwölfe erzählen sich keine Legenden über ihre Rasse. Wir haben keine Geschichte. Wir haben nie Krieg geführt. Bis vor kurzem sahen sich die meisten ja noch als 'infiziert' an, nicht als eigene magische Rasse."

„Was ist mit dir, Blutsauger?", fragte Thorok gehässig, offenbar immer noch beleidigt.

„Ich habe einmal einen vergleichbaren Fall erlebt", gab Luca zu.

„Na dann, worauf wartest du? Erzähl!"

Doch der Meistervampir zögerte noch etwas länger, bevor er mit der Sprache herausrückte.

„Es war 1459... Damals gab es in England und Europa große Völkerwanderungen unter den Vampiren. Das letzte Jahrhundert war von den Nachwirkungen der Pest und vielen Kriegen gekennzeichnet. Diese harten Zeiten ließen Alte und Neugeschaffene gleichermaßen am Sinn ihres Daseins zweifeln. Auch ich beschäftigte mich mit diesen Fragen... Damals war ich noch ein sehr junger Vampir. In dieser Zeit gab es einen Vampir, der so mächtig und so aufsehenerregend war, dass sogar die Muggel sich an ihn erinnern. Er hatte den Platz eines jungen Menschenherrschers eingenommen und präsentierte seine Natur mehr oder weniger offensichtlich. Man nannte ihn Vlad Tepes, den Pfähler. Er wollte die Vampirwelt revolutionieren und die Menschheit zu unseren Sklaven machen. Alle Menschen, die er tötete, spießte er auf schräg aus den Mauern seiner Festung ragende Pfähle auf und stellte Wannen darunter auf, um das Blut aufzufangen. Die Vampire aber, die ihm ungehorsam waren, spießte er auf die Zinnen oder Zäune, um weitere Feinde abzuschrecken. Mit Erfolg. Niemand wagte, sich ihm in den Weg zu stellen. Ein paar meiner Freunde gerieten in sein Visier und ich war dumm genug, sie befreien zu wollen.“

Luca stockte kurz, seine Miene verdüsterte sich bei der Erinnerung daran, was geschehen war, als er die Burg betreten hatte. „Er hat sie alle getötet. Nichts auf der Welt hätte ihn davon abhalten können, weiter zu morden. Ich wollte nicht der Nächste sein... also floh ich.“ Er schien die Worte nur mühsam herauszubringen, aber es war nicht klar ob vor Trauer, oder weil er zugab, geflohen zu sein.

„Ich rannte, so schnell ich konnte. Aber diese Kreatur... Sie blieb einfach auf den Türmen stehen und breitete die Arme aus. Und aus den Toren stürmte seine Privatarmee. Dutzende von Vampiren, die mich jagten. Sie waren mit nichts zu vergleichen, was ich je zuvor gesehen hatte. Monster. Sie waren schneller, stärker und präziser als ich. Sie waren übernatürlich, selbst für Vampire.

Als ich vor Askaban kämpfte und diese Energie spürte, da graute mir für einen Moment bei dem Gedanken, er könnte wieder zurück sein.“

Tatsächlich war er so geschockt gewesen, dass er sogar von Voldemort abgelassen hatte. Dabei hatte er nicht gewusst, was ihn mehr erschrocken hatte: seine Vampire als solch übernatürliche Kreaturen wie Tepes' Wachen zu sehen, oder die Furcht vor dem Verursacher des Ganzen.

„Ist es denn möglich, dass dieser Vampir gestern dort war? Was ist aus ihm geworden? Wie seid ihr entkommen?“ wollte Jenande neugierig wissen.

Doch Luca schüttelte abermals den Kopf. „Ich kämpfte drei Tage lang mit diesen Bestien, bis ich sie endlich abschütteln konnte. Tepes regierte danach nur noch einige Jahre und ich hielt mich so bedeckt wie möglich. Dann verschwand er von einem Tag zum anderen unter ungeklärten Umständen. Manche sagen, er wäre besiegt worden. Ich habe seine angebliche Leiche später selbst untersucht, um mich von seinem Tod zu überzeugen. Es war ein Fake, was nicht anders zu erwarten war, weil sich in der Vampirwelt auch niemand rühmte, ihn getötet zu haben. Manche sagen, jemand hätte ihm sein baldiges Ende prophezeit, wenn er so weiter macht. Vlad Tepes soll sehr abergläubisch gewesen sein. Andere wiederum behaupten, er wäre in die Sonne gegangen. Manche alten, vom Leben enttäuschten müden Vampire wählen diesen Weg der Selbstaufgabe, um ihrem Dasein zu entkommen.“

„Nach so einem Typ hört sich das aber nicht gerade an“, meinte Sirius skeptisch.

„Genau das dachte ich mir auch. Außerdem steht für mich fest, dass hinter Tepes ein sehr viel älterer Vampir steckte, der nur hin und wieder eine andere Identität stahl, um sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.“

„Warum glaubst du das?“, fragte Thorok.

„Weil“, flüsterte Luca, „ich ihn ursprünglich als Salazar Slytherin kennenlernte.“

Kurze Stille.

„Du meinst doch nicht wirklich den Slytherin, oder?“, vergewisserte sich Sirius, der seinen Mund kaum zu bekam.

„So stellte er sich mir vor“, behauptete der Vampir. „Neben einem halben Dutzend anderer Namen.“

„Aber dann müsste er ja über tausend Jahre alt sein!“, protestierte Jenande.

„Was erklären würde, warum er so mächtig ist“, entgegnete Luca. „Die Macht eines Vampirs wächst mit dem Alter.“

„Hältst du es denn für möglich, dass dieser Vampir in jedem seiner Art beliebig solche Kräfte hervorrufen konnte? Dann könnte es ja noch mehr von der Sorte geben. Vielleicht kommt so jemand nur alle paar Jahrhunderte einmal vor, wie bei den Kobolden“, schlug Sirius vor.

„Unwahrscheinlich“, blockte Jenande ab. „Dann müssten ja gestern von jedem Clan einer da gewesen sein, der solche Energien freisetzen kann. Und zumindest bei den Veela kam so etwas noch nie vor. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist also verschwindend gering.“

„Außerdem glaube ich kaum, dass Dracula sich mit uns gegen Ihr-wisst-schon-wen verbündet hat“, meinte Thorok verächtlich.

„Moment – Dracula?“ Sirius sah verwirrt aus.

„Tss“, machte Luca genervt. „So nennen ihn nur die Muggel.“

Sirius grinste breit. „Nun, dann hat sich ja doch jemand gerühmt, ihn getötet zu haben. Und zwar Van Helsing.“

Daraufhin sahen ihn alle irritiert an. Sie mochten zwar den Spitznamen Dracula kennen, aber sie lasen keine Muggelbücher wie ihr pelziger Freund, der auf diese Weise in seiner Jugend gegen seine Eltern rebelliert hatte.

„Ähm, ist ja auch egal“, machte er verlegen, als sich das peinliche Schweigen in die Länge zog.

„Wenigstens ist mir von keinem solchen Fall bekannt, der jemals beim Menschen auftrat. Wir dürfen nicht damit rechnen, dass sich so etwas wiederholt. Aber nachdem die dunklen Vampire führerlos sind und Sirius immer mehr Zuwachs bekommt, können wir wohl davon ausgehen, dass sich diese fremde Macht nicht gegen uns richten kann“, schloss Luca.

„Och, schade“, murmelte der Werwolfanführer halblaut. „Ich hatte mich schon auf einen mächtigen Schutzherrn oder so etwas gefreut.“

„Vergiss es, Black“, fuhr ihn Thorok an. „Diesen Krieg werdet ihr alleine führen müssen.“

„Und wir werden ihn gewinnen“, betonte Jenande und drücke Sirius' Hand. „Da bin ich mir sicher.“
 

*
 

2. November 1993, 03:13 Uhr

Askaban
 

Plitsch. Platsch. Plitsch. Platsch.

Es war dunkel. Eine schwere, feuchte Finsternis hing über der Welt. Kein Sonnenstrahl drang durch die dichte Wolkendecke. Obwohl er wusste, dass es Tag war, sah er keinen großen Unterschied zur Nacht.

“Sssssie haben sssich gut geschlagen. Wir können sssstolz auf ssssie sein.“

„Wir?“, wiederholte er und tippte sich spielerisch an die Augenbraue, wo sich das auftätowierte Kinn der Schlange befand.

Ich, meinst du wohl.“

„Pöh. Arrogant wie immer. Das war sssarkastisch gemeint! Sie haben essss schließlich nicht ausss eigenem Antrieb geschafft.“

„Du hättest sie also sterben lassen?“

„Ihr gebt zu, dass sssie ohne Euch gestorben wären!“

„Tue ich nicht. Das bildest du dir ein.“

Der Dunkelhaarige ließ seinen Blick an den wuchtigen Mauern des Gefängnisses hinauf wandern, die nunmehr in Trümmern lagen. Askaban war eine der grausamsten Erfindungen der Menschheit gewesen. Auf so etwas wäre nicht einmal er gekommen. Wie ein drohend erhobener Zeigefinger, wie ein blutiges Mahnmal, wie ein fauliger Zahn ragte das verletzte Ungetüm aus den Fluten des sturmgepeitschten Meeres auf. Hier herrschte fast immer Finsternis. Die eisige Kälte der Dementoren beeinflusste das Klima aufs übelste, erschuf dunkle Regenwolken und verbarg die Sonne.

Nicht, dass er etwas gegen das Wetter einzuwenden hätte. Solche Gegenden war er gewohnt.

Der Schwarzhaarige wandte den Blick von den Ruinen des Gefängnisses ab. Kein Dementor wagte sich auch nur in seine Nähe. Das Meer war interessanter. Die Auroren hatten durchaus die ein oder andere frische Leiche aus dem Wasser gefischt. Die meisten aber waren versunken und erst jetzt, viele Stunden später, hatten sie sich mit Wasser vollgesogen und trieben, blau und aufgedunsen, wieder an die Oberfläche. Noch hatten die Menschen keinen ausreichenden Beweis, dass es das Zwielicht gewesen war, das Askaban angegriffen hatte. Diese paar Toten könnten auch von den aus den Kerkern Geflohenen stammen. Sie durften die restlichen Leichen nicht finden, deren Zahl sich nicht mehr so leicht erklären ließ. Nun, das würden sie auch nicht. Er würde jeden Körper verbrennen, der es an die Oberfläche schaffte.

Da vorne! Da liegt noch eines!“, rief die Schlange aufgeregt.

Ihr Träger wandte sich in die genannte Richtung. Wütend vor sich hin schäumend krachte das Meer hier immer wieder an die scharfkantigen Felsen. Und dort, zwischen zwei steinernen Dolchen, hatte sich der Körper eines Mädchens verkeilt. Sein einer Oberschenkel war von einem spitzen Felsen durchbohrt worden. So wurde es an Ort und Stelle gehalten, längst ausgeblutet und so blau wie all die anderen Wasserleichen.

Er ging zu dem Objekt hinüber. Ein wenig musste er sich strecken, um sich nicht an den Felsen zu verletzen und dennoch seine langen, silbernen Haare zu fassen zu kriegen. Er zog es aus der Verankerung – der Schenkel wurde aufgebrochen und Knochen knackten - und warf das Ding achtlos auf dem Boden. Schon rieb er sich die Finger, um sein Feuer zu rufen.

Doch dann fiel sein Blick auf das Gesicht des Körpers. Die Augen waren wie erwartet leer und glanzlos. Die Haut war blass und etwas unförmig und schwammig. Trotzdem konnte man noch erahnen, dass dieser Körper einmal schön gewesen war. Eine besondere Schönheit, selbst unter den Veela.

Sie lächelte.

Alle Leichen, die er heute geborgen und verbrannt hatte, trugen den Ausdruck größten Leids auf dem Gesicht. Vor Schmerz, Horror oder Trauer waren ihre Mienen verzerrt. Nur diesem Mädchen war, trotz alle der Dementoren, ein letztes Lächeln eingebrannt.

Was ist losss? Warum zögersssst du?“

Der Schwarzhaarige ließ seine Hände wieder sinken.

Ich denke, ich habe es mir... anders überlegt.“

Ohne ein weiteres Wort der Erklärung für seine Begleiterin, die Schlange, ging er zu der Leiche hinüber und warf sich das tote Mädchen über die Schulter, als wäre sie ein leerer Sack. Genau so fühlte sie sich auch an. So leicht.

Was ssssoll dass? Wasss hasst du vor?“

Gute Frage. Er würde später darüber nachdenken.
 

XxX
 

Das war einer der letzten Auftritte des geheimnisvollen Fremden für lange Zeit. Eventuell werde ich noch eine Side-ff aufmachen, entweder nachdem diese hier abgeschlosssen ist oder noch währenddessen, in der erzählt wird, wer er eigentlich ist, woher er kommt und was er mit Gomora vorhat. Wenn es soweit ist und Interesse besteht, sage ich euch Bescheid.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kagomee16
2012-03-21T11:49:51+00:00 21.03.2012 12:49
das sind wirklich viele fragen die nach diesem kapi aufgeworfen werden^^
ich hoffe das es genauso spannnd weiter geht^^
mach weiter so^^

lg kagomee16
Von:  pingu
2012-03-18T08:30:29+00:00 18.03.2012 09:30
Interessante Enwicklung, Sirius und Jenande, was der Typ mit dem Schlangentatoo wohl vor hat? Wird er sich im Hintergrund halten oder irgendwann Kontakt mit den Zwielichtigen aufnehmen?
Das Mädchen war Gomora, oder? Aber was will er mit ihrer Leiche? Wiederbeleben? Wäre sehr beunruhigend, wenn er das könnte! Einen Klon erschaffen?
So ich höre jetzt auf zu spekulieren und erwarte deine nächste Meisterleistung.
lg pingu


Zurück