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All Your Other Ways

von

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- Liz -

In der Redaktion war die Hölle ausgebrochen und Liz wusste nicht, warum. Sie wusste nur, dass die alte Hexe zwei Journalisten bereits gefeuert hatte - beide Mädels waren mit eingezogenen Schwänzen aus dem Gebäude gedackelt - und die ganzen anderen Mitarbeiter waren in heller Aufregung. Überall war von "Kürzungen" und "Rationalisierungen" die Rede.

Liz versuchte, sich nicht davon anstecken zu lassen. Sie hatte heute morgen keinen Kaffee gehabt, denn ihre Kaffeemaschine hatte anscheinend den Geist aufgegeben und auf dem Weg zur Arbeit hatte sich die U-Bahn so sehr verspätet, dass sie keine Zeit mehr gehabt hatte, um an der riesigen Schlange von Starbucks zu versauern. Zudem nervte Rob sie schon seit dem frühen Morgen. Zweimal hatte er bei ihr auf dem Handy angerufen, um sie über irgendeinen Artikel, an dem er gerade schrieb, auszufragen. Es ging um Desserts - Rob war eigentlich Koch, aber als solcher praktizierte er nicht -, und Liz sollte sich dringend ihre Emails anschauen, um ihm zu sagen, welches von seinen Fotos sie besser fand, denn er hatte Mittags Abgabeschluss und war sich noch zu unsicher. Zumindest behauptete er das. Dabei hatte sie es nicht mehr geschafft, kurz in die Dusche zu hüpfen, weshalb sie sich jetzt unwohl fühlte, obwohl sie wusste, dass das totaler Quatsch war.

In dem ganzen Lärm und Trubel ließ sich kaum anständig arbeiten und so trat Liz schon seit fast einer Stunde auf der Stelle und hatte keine nennenswerten Fortschritte gemacht. Als sie Rob aus den Augenwinkeln auf sie zukommen sah, hoffte sie inständig, dass er an ihr vorbeigehen würde, aber natürlich war dem nicht so. Sie stöhnte innerlich auf, zwang sich jedoch zu einem halbherzigen Lächeln, als sie sich zu ihm umdrehte.

"Liz, unten ist jemand für dich. Eine Melanie." Er hielt ihr den Telefonhörer hin.

Verdutzt nahm Liz ihn entgegen und horchte hinein. "Ja?"

"Miss Winston, eine Melanie Brown für Sie. Soll ich sie hochschicken?"

Die Rezeption da unten machte ihre Arbeit wirklich gut, musste Liz anerkennen. Aber für ihre Verhältnisse war das ein bisschen zu penibel.

"Ja, klar. Schicken Sie sie hoch", gab sie grünes Licht und legte auf. Rob nahm den Hörer wieder an sich und drehte ihn in seinen Händen herum.

"Eine Freundin von dir?"

Liz nickte, aber sie schwieg. Sie hatte nicht vor, Rob ihre Lebensgeschichte zu erzählen und er wurde immer viel zu neugierig, wenn man ihm erst mal die Chance gab, mit einem ins Gespräch zu kommen.

"Hm." Er stand ein wenig unschlüssig herum. "Kennst du sie schon lange?"

Das war wirklich nicht ihr Tag. "Ja." Und weil er ihr doch leid tat, fügte sie hinzu: "Schon seit der Schule."

"Pass auf, dass die alte Hexe dich nicht erwischt, wie du Privatbesuch bekommst", riet er ihr besorgt. "Sonst schmeißt sie dich auch noch raus wie Mary und Nancy. Das wäre echt ein Jammer."

Das glaube ich dir auf's Wort, dachte Liz missmutig. Aber ihr würde es nichts ausmachen. Die alte Hexe würde ihr sogar einen Gefallen damit tun. Solange sie in dieser Einöde hier feststeckte, würde nie etwas Großes aus ihr werden.

In diesem Moment ging die Tür der Redaktion auf und Mel trat ein. Zielstrebig bewegte sie sich in Liz's Richtung, aber es war so viel los, dass niemand auf sie achtete. Doch das war kaum verwunderlich. Es kamen und gingen ständig Fremde hier ein und aus, Lieferanten, Praktikanten, Mechaniker. Niemand konnte sagen, wer hierher gehörte und wer nicht. Das mochte Liz so sehr daran. Die Türen waren für alle offen – vorausgesetzt, man kam bei der Rezeption durch.

"Hey, Liz", begrüßte Mel sie freudestrahlend. "Ich dachte, ich komm’ dich mal besuchen." Sie warf Rob, der noch immer dort stand und nicht daran dachte, sich vom Fleck zu bewegen, einen neugierigen Blick zu. Als Liz nichts sagte, streckte Mel ihm die Hand hin. "Hi, ich bin Melanie."

Er ergriff und schüttelte sie. "Rob", sagte er. "Ich arbeite mit Liz zusammen."

Mel grinste schief. Natürlich hatte Liz ihr schon einiges über Rob erzählt. "Dacht’ ich mir schon. Wofür bist du noch mal zuständig?"

Er wand sich ein bisschen und Liz fühlte sich fast ein wenig schuldig, weil sie so etwas wie Schadenfreude dabei empfand. Rob war es irgendwie peinlich, über Rezepte und Desserts und leckere Speisen zu schreiben. Obwohl er es gerne machte, war er dennoch der Auffassung, es wäre "Frauenarbeit" - was Liz furchtbar daneben fand. Wenn ein Mann gerne kochte, war ihr das ebenso recht, wie wenn eine Frau gerne Autos reparierte. Hauptsache man tat, was man gerne tat.

"Die Kochseiten", antwortete er dann und warf Mel einen skeptischen Blick zu, so als würde er erwarten, dass sie ihn sofort auslachte. Was Mel natürlich nicht tat. Stattdessen lächelte sie höflich.

"Cool", sagte sie dann und wandte sich wieder Liz zu. "Was hast du heut’ Abend vor?"

Liz konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, sah aber ganz kurz zu Rob herüber, der noch immer neben ihr stand, als gehöre er zum Inventar. Das konnte doch nicht wahr sein! Hatte der Typ denn überhaupt kein Feingefühl? Nun, wenn er es nicht anders haben wollte, dann war es nicht ihr Problem, beschloss sie.

"Ich treffe mich mit John."

Sie bemerkte gleichermaßen, wie Rob's, als auch Mel’s Gesichtsausdrücke sich veränderten und sie ahnte nichts Gutes dabei. Rob sah aus, als hätte man ihn in den Magen geboxt - er starrte sie unentwegt ungläubig an, als erwartete er eine Erklärung. Mel hingegen - und das machte ihr mehr Sorgen - sah ein bisschen verdrießlich drein.

"Na klar", murmelte sie dann kühl. "Was sonst."

Liz runzelte die Stirn und wünschte sich nun wirklich, dass Rob die Fliege machen würde. "Wo ist das Problem?", hakte sie nach.

Aber Mel antwortete nicht. Als hätte sie dasselbe gedacht, drehte sie sich zu Rob um und warf ihm einen geduldigen, aber unmissverständlichen Blick zu. Auch Liz sah ihn an, aber freundlicher - wie sie hoffte.

Es machte wohl Klick bei ihm. "Ah, schon klar. Ihr Mädels wollt alleine sprechen." Wie ein getretener Hund zog er ab und ließ sich niedergeschlagen an seinen Schreibtisch ein paar Meter weiter sinken. Die Mädels schaute ihm nach, bis er anfing, auf seiner Tastatur zu tippen, um sicherzugehen, dass er nicht doch noch mit einem Ohr bei ihnen hängen würde. Aber er sah sich nicht einmal um.

"Was ist los?", wollte Liz noch einmal wissen, mit gedämpfter Stimme.

"Gar nichts", murmelte Mel abweisend.

"Lüg mich nicht an, Melanie Brown." Langsam wurde sie ärgerlich. "Du bist extra hier hergekommen, um mir zu sagen, dass es 'gar nichts' ist?"

Mel riss die Hände in die Luft und ergab sich. "Okay, okay. Ich wollte dich abpassen und fragen, ob du mich zu einer Party begleitest - ein Kollege feiert seinen Geburtstag und es werden viele Männer anwesend sein. Aber anscheinend ist John mir schon wieder zuvorgekommen."

Mel's düsterer Blick und ihr Tonfall gefielen Liz überhaupt nicht.

"Was soll das heißen...", hakte sie langsam nach. "Schon wieder."

"Gar nichts." Auf Liz's tadelnden Blick hin sagte sie: "Ich dachte, John wäre nur eine Eintagsfliege. Aber anscheinend scheinst du es ernst mit ihm zu meinen."

Liz starrte sie regungslos an.

"Ich hätte nicht gedacht, dass du dich ausgerechnet in so einen verliebst."

Als Liz den Mund aufmachte, war ihr zunächst, als hätte sie ihre Stimme verloren, aber dann merkte sie, dass es nur ein großer Kloß im Hals war, der sie vom Sprechen abhielt. Sie räusperte sich nervös und versuchte, ruhig zu bleiben. Was immer Melanie sagen wollte, sie meinte es bestimmt nicht so, wie es gerade den Anschein machte.

"Was... gefällt dir an John nicht?"

Es traf sie persönlich - und unvorbereitet -, dass die Kritik an John sich wie Kritik an ihr selbst anfühlte. Gemein, verletzend, und darauf ausgerichtete, sie mitten ins Herz zu treffen. Und sie traf. Und weil sie traf, bekam Liz Angst.

"Gar nichts." Mel stöhnte. Wahrscheinlich war auch ihr aufgefallen, dass sie diese zwei Wörter in der kurzen Zeit ein bisschen überstrapaziert hatte. Und sie wussten doch beide: Gar nichts gab es nicht! Irgendwas war immer. "Tut mir leid... Ich bin nur ein bisschen enttäuscht. Ich hatte einen echt miesen Tag."

Liz schwieg. Sie dachte darüber nach, wie ihr Tag angefangen und wie er sich bis hierher entwickelt hatte. Nicht besonders gut, musste sie feststellen. Was sollte sie dann erst sagen?

"Das", warf sie vorsichtig ein, "hat nichts damit zu tun, was du eben gesagt hast."

Mel zuckte mit den Schultern und ließ sich dann auf der Kante von Liz's Tisch nieder. "Liebst du ihn?"

Liz blinzelte verblüfft. "Was?"

"Na, du verbringst doch viel Zeit mit ihm. Und wenn du von ihm redest, bist du so... ich weiß nicht. Anders." Melanie schwieg eine Weile, und auch Liz sagte dazu nichts. "Ich weiß, du glaubst nicht an so was. Aber da es dich anscheinend doch erwischt hat, warum ausgerechnet John? Er passt doch gar nicht in dein Beuteschema."

Liz musste das Gesagte erst einmal verdauen. Ihr Herz raste auf Hochtouren und sie hatte Schwierigkeiten, ihren Gedankengängen zu folgen. Warum ausgerechnet John? Diese Frage hatte Liz sich immer und immer wieder gestellt. Aber sie hatte nie den Mut gehabt, ihr nachzugehen. John war ein toller Kerl, hatte sie sich gesagt. Warum also nicht? John war lustig. Warum nicht? John konnte ein echt guter Freund sein. Also warum nicht John?

Aber tief in ihrem Inneren fürchtete sie sich. Nicht vor John, nein. Vor sich selbst. Hatten ihre Eltern doch Recht gehabt? Hatten sie sie erzogen zu einem gewöhnlichen Hausmütterchen, das sich einen Ehemann aussucht und dann für den Rest ihres Lebens zu Hause bei den Kindern hockt? War sie in Wahrheit doch so jemand und wusste es bloß nicht? Kam das jetzt alles heraus - kitzelte John diese verborgene, ungeliebte Seite in ihr heraus?

Liz schluckte. Ihr Mund war ganz trocken. Die Gefühle, die sie für ihn hatte, gingen weit über das "mögen" hinaus - das hatte sie schnell festgestellt, aber mit niemandem darüber geredet. Es war - ihrer Meinung nach - wider ihre Natur. Sie würde sich schon beruhigen und wieder zurückfinden. John war nur ein kleiner Ausrutscher, den sie später nicht bereuen würde.

Aber eine zufriedenstellende Antwort hatte sie für ihre Freundin auch nicht parat. Diese setzte allerdings noch einen drauf.

"Wollt ihr eigentlich zusammenziehen oder so?"

Liz riss geschickt die Augen auf. "Was?"

"Na das macht man doch so, wenn man eine Beziehung hat. Meinst du, er fragt dich, ob du ihn heiraten willst?"

"Wir - ich...". stotterte sie, doch dann sah sie den Schalk in den Augen ihrer Freundin und blickte sie empört an.

Mel lachte sich kaputt! "Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen!", grinste sie schadenfroh. "Das Beste, das ich heute gesehen habe, ehrlich. Hast du das echt geglaubt? Wäre ja noch schöner, wenn die vogelfreie Liz Winston an die Kette gelegt werden würde." Mel schüttelte amüsiert den Kopf und schnalzte mit der Zunge. "Das wäre echt eine Schande."

Steif nickte Liz, doch sie sah schon lange nicht mehr Mel an, sondern starrte auf einen Punkt auf dem Boden. Hinter ihren Augen bildeten sich viele, viele Bilder, die sie am liebsten sofort wieder verdrängt hätte. John mit einem Ring in der Hand. John vor ihr auf den Knien. Sie und John vor dem Altar. Sie in einem weißen Kleid.

Liz fröstelte. Sie erinnerte sich, dass sie diese Art von Gedanken schon einmal gehabt hatte. Damals, beim Dachbodenaufräumen mit Judy zusammen. Judy hatte ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt, obwohl sie eigentlich gar nicht wollte, aber Liz hatte es bald schon wieder verdrängt. Jetzt kam der Gedanke erneut hoch.

Ob John wirklich so etwas mit ihr wollte? Sie wusste, dass er verrückt nach ihr war - das war nichts Arrogantes, sie merkte es ihm einfach an. Wie er sie ansah, wie er lächelte, wie er mit ihr umging.

Aber John war nun mal so. Das hatte sie von Anfang an gewusst. Er war einer "dieser" Typen - obwohl es davon nicht mehr so viele gab -, die zuverlässig und treu waren, und die dasselbe von ihrer Partnerin erwarteten. Und noch viel mehr. Nämlich ein "Leben lang" - oder "lebenslang".

"Glaubst du echt, er würde das machen?", murmelte Liz nach einer kleinen Denkpause zögernd. Auf Mel’s fragenden Blick hin erklärte sie: "Einen Antrag... oder so etwas?"

Melanie zuckte nur unbeteiligt mit den Schultern und kramte auf Liz's Schreibtisch herum, bis sie unter ein paar Dokumenten ein Bonbon fand. "Er scheint mir der Typ dafür, oder? Also irgendwann bestimmt. Vorausgesetzt, du hältst es so lange mit ihm aus. Oder er mit dir." Mel grinste, aber Liz war das Lachen vollkommen vergangen. Das war genau das, was sie auch dachte. Und es war genau das, was sie gar nicht gebrauchen konnte.

"Ich mag John ja", redete Mel unbeschwert weiter, ohne ihre feinen Fühler auszustrecken und Liz's Schwermut zu bemerken. "Aber es ist mir ein Rätsel, wie du auf ihn kommst. Er ist so...überhaupt nicht dein Typ, weißt du. Andererseits ist er viel netter als die Kerle, die du sonst so angeschleppt hast. Und hey." Sie grinste Liz an. "Er klaut dir wenigstens nicht dein Make-Up. Ah, jetzt weiß ich auch, was du an ihm findest. Das muss es sein", witzelte sie, packte das Bonbon aus und steckte es sich in den Mund.

Liz lächelte halbherzig und unterdrückte dann einen tiefen Seufzer. Wie gern wäre sie jetzt nach Hause gegangen und hätte sich ins Bett gelegt. Ohne nachzudenken, ohne irgendjemanden zu sehen und ohne mit irgendjemandem zu reden. Sie wusste bereits jetzt schon, dass ihre düsteren Gedanken sie den ganzen Tag über verfolgen würden.

Und zu allem Überfluss wurde soeben die Bürotür der alten Hexe von ihrer Hoheit persönlich aufgerissen und sie bellte: "WINSTON! Ins Büro!"

Liz warf Mel einen genervten Blick zu und erhob sich. Mitleidige Blicke folgten ihr, aber es war ihr egal. Wenn sie rausgeschmissen werden würde, dann war es halt so. Es machte den Tag nicht besser, aber auch nicht gerade schlechter.
 

Liz wurde nicht gefeuert. Aber sie wünschte, sie wäre es. Stattdessen hatte die alte Hexe ihr noch mehr Arbeit aufgebrummt: die Arbeit der beiden Mädels, die sie zuvor hatte gehen lassen nämlich.

Plötzlich sah sie sich überhäuft mit einer Menge Artikeln, die es zu schreiben galt – die alte Hexe war sogar so verrückt und hatte ihr die Horoskope überlassen! Als ob Liz irgendetwas von so einem Hokuspokus halten würde, geschweige denn wusste, wie man so etwas einigermaßen glaubhaft vermittelte. Wobei "glaubhaft" wahrscheinlich eher Auslegungssache wäre.

Das war es. Das war der letzte Schubs gewesen, der benötigt worden war, um ihr diesen Tag endgültig zu verderben. Sie konnte ihn abschreiben. Der einzige Lichtblick wäre das Treffen mit John am Abend gewesen, aber Mel hatte ihr auch das verdorben, indem sie ihr furchteinflößende Gedanken gemacht hatte. Jetzt würde Liz den ganzen Tag nur daran denken, ob John mehr von ihr wollte, als das, was sie bereit war, ihm zu geben, und dass sie in den nächsten Tagen wahrscheinlich gar keine Freizeit oder Zeit zum Schlafen haben würde, denn sie musste ja arbeiten, arbeiten, arbeiten. Eines aber stank ihr ganz gewaltig. Es stank ihr noch mehr, als sich irgendwelche sinnlosen Horoskope aus den Fingern zu saugen. Mary's Aufgabe war es gewesen - und das musste man sich mal auf der Zunge zergehen lassen - Berichte über Hochzeiten zu schreiben. Mit allem drum und dran. Die Braut begleiten, mit ihr in das Brautmodengeschäft, zum Kuchenprobeessen und wahrscheinlich auch noch zum Briefkasten rennen, um die Einladungen abzuschicken. Auf der Hochzeit anwesend sein und jedes kleinste Detail herauskitzeln. Das war doch Ironie des Schicksals, entschied Liz erbost, als sie sich wieder genervt auf ihren Stuhl fallen ließ. Was konnte es anderes sein? Sie, als die ultimative Ehe-Gegnerin, auf solche Fälle anzusetzen. Das war einfach gemein. Sie hatte versucht, es der alten Hexe auszureden, aber die hatte keinen Widerspruch geduldet. Liz war sauer, so richtig auf 180°, aber es gab niemanden weit und breit, an dem sie diese Wut hätte auslassen können.

"Was ist?" Plötzlich scharrte sich der Großteil ihrer Kollegen um sie und alle sahen sie mit großen, sensationslüsternen Augen an. "Hat sie dich rausgeschmissen?

"Hast du ihr die Meinung gesagt?"

"Musst du sofort gehen?"

"Was hat sie gesagt?"

"Wer ist der nächste?"

Alle reden auf sie ein und sie rollte nur mit den Augen. Mel stand stumm neben ihr und sah sie neugierig an.

"Ich bin nicht gefeuert", knurrte Liz zwischen zusammengebissenen Zähnen. "Und der nächste ist der, der nicht an seinem Schreibtisch sitzt, wenn sie gleich aus ihrer Höhle kommt."

Sofort stoben alle wieder auseinander und es kehrte eine nie gekannte Ruhe ein. Liz seufzte und wandte sich Melanie zu.

"Die spinnt doch. Weißt du, was sie mir aufgehalst hat?", brauste sie auf.

Melanie schüttelte schweigend den Kopf.

"Ich soll noch zwei Bereiche übernehmen. Die Horoskope!"

Mel brach in lautes Gelächter aus, obwohl Liz noch gar nicht geendet hat.

"Und die Hochzeitskolumnen! Ich schwöre dir, sie will mich umbringen."

"Das glaube ich auch." Mal lachte, aber in ihren Augen spiegelte sich Mitgefühl. "Du Arme, Liz. Und was hast du ihr gesagt?"

"Gar nichts. Sie lässt gar nicht mit sich reden. Die Hochzeitskolumne, Mel! Das ist mein schlimmster Alptraum."

Mel nickte. "Du könntest ein paar echt miese Artikel schreiben, die Braut ein bisschen denunzieren und so", schlug sie vor. "Dann zieht die dich vielleicht wieder ab."

Liz schüttelte den Kopf. "Dann würden die uns verklagen und so menschenfreundlich, wie die alte Hexe ist, würde die Klage auf mich persönlich fallen. Nein, das tu ich mir nicht an." Sie blickte Mel an. "Ist deine Mittagspause nicht eigentlich schon vorbei?"

Diese warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr und verzog entsetzt das Gesicht. "Du sagst es. Oh-oh. Ich muss los." Sie umarmte Liz hastig. "Ruf mich an, wenn du was Neues weißt, und viel Spaß heut Abend. Lass den Kopf nicht hängen."

Liz sah ihr schweigend nach. Leichter gesagt als getan, dachte sie grimmig.
 

Sie hatte noch immer schlechte Laune, als sie John traf. Die Ereignisse des Tages nagten an ihr und sie schaffte es nicht, sie abzuschütteln. Zu allem Überfluss hatte John sie zum Essen eingeladen, und zwar in ein piekfeines Restaurant, wo man vorher anrufen und reservieren musste und die Kellner die Nase so hoch trugen, dass sie irgendwo in den Wolken zu schweben schien.

Liz fühlte sich sofort unwohl, aber das war kein Wunder. Sie hatte es den ganzen Tag nicht geschafft, sich in eine halbwegs stabile Gemütslage zu versetzen, was sollte sie dann jetzt erst sagen?

Zudem war sie vollkommen underdressed. John hatte ein frisches Hemd an und eine schwarze Hose, und bei manchen Männern reichte das schon, damit sie gut aussahen - John gehörte zu diesen Männern-, aber sie trug eine alte, enge Jeans, Stiefel und einen Cardigan.

"Warum hast du mir nicht gesagt, dass wir in so ein edles Ding gehen?", raunte sie ihm missmutig zu, als sie zu ihren Plätzen geleitet wurden. "Dann hätte ich mir was anderes angezogen."

Er bedachte sie mit einem wohlwollenden Blick. "Liz, du siehst schön aus. Was willst du mehr?"

Sie verdrehte genervt die Augen. Männer! Kapierten die überhaupt gar nichts?

"Das würdest du selbst dann noch sagen, wenn ich hier im Schlafanzug aufkreuzen würde", murmelte sie grimmig und John warf ihr ein liebenswürdiges Lächeln zu.

"Natürlich. Du bist immer schön."

Sie konnte nicht anders, und musste ebenfalls schmunzeln, aber dann fielen ihr wieder Mel's Worte ein und das Grinsen gefror in ihrem Gesicht.

Kavalier, der er war, kam John dem Kellner zuvor, zog Liz's Stuhl mit einem charmanten Lächeln hervor und ließ sie Platz nehmen.

Als er Wein bestellte, kam ihr zum ersten mal der Gedanke, dass irgendetwas nicht stimmte - sie gingen nie so schick aus - und das war auch gar nicht nötig, Liz mochte es kein bisschen -, und John benahm sich... seltsam. Irgendwie so feierlich. Dabei war das nur ein ganz normaler Abend, wie jeder andere auch. Oder?!

Sie beschloss, sich nicht davon irritieren zu lassen. Wahrscheinlich war sie einfach nur viel zu misstrauisch, weil Mel ihr komische Flausen in den Kopf gesetzt hatte.

"Ist heute... irgendetwas Besonderes?", fragte sie vorsichtig und nippte nervös an ihrem Weinglas.

John warf ihr einen kritischen Blick zu. "Na ja", druckste er herum. "Eigentlich nicht, nein."

Sie stellte das Glas ab und sah ihn prüfend an. "Und uneigentlich?"

Er räusperte sich und schaute ein bisschen in der Gegend herum, um ihrem Blick auszuweichen. Dann sah er sie wieder an. "Zur Feier des Tages... dachte ich."

Liz runzelte die Stirn. Hatte sie irgendetwas nicht mitbekommen? "Welche Feier?"

"Heute vor... drei Monaten. Da haben wir uns kennen gelernt, Lizzie", erwiderte er mit einem schiefen Grinsen, klang aber ganz und gar nicht gekränkt, weil sie offensichtlich nicht von selbst drauf gekommen war.

Verdammt, sie hatte es wirklich nicht gewusst. Aber Liz hatte sich noch nie etwas aus Daten gemacht. Außer Weihnachten, ihrem Geburtstag und ihren Abgabefristen blendete sie Zahlen vollkommen aus. Die waren einfach nicht ihre Welt, und wer kümmerte sich schon darum, ob man drei Tage, vier Monate oder sechs Jahre mit jemandem zusammen war?

John kümmerte es anscheinend. Und es bestätigte ihre Theorie. Er war... spießig. Er interessierte sich für so was. Und er erwartete, dass es sie auch interessierte. Würde er jetzt jeden Monat so einen Aufriss deswegen machen?

Wahrscheinlich erwartete er auch noch irgendeine positiv geartete Reaktion von ihr, aber Liz fühlte sich von Sekunde zu Sekunde unwohler. "Ach ja", brachte sie deshalb nur heraus und selbst in ihren Ohren klang das zutiefst abweisend.

John musterte sie nachdenklich. "Alles okay bei dir?"

Sie nickte. "Es war ein harter Tag."

"Hm." Er kratzte sich etwas ratlos am Hinterkopf, so wie er es immer tat, wenn er gerade nicht so richtig weiterwusste. "Wenn du willst... wir müssen nicht hier essen. Ich kann dich auch nach Hause bringen."

Liz schaute auf. Er sah so enttäuscht aus, obwohl er diese Enttäuschung nicht zeigen wollte, und sie schüttelte müde den Kopf und versuchte es mit einem Lächeln. "Nein, nein. Ist schon gut. Ich wünschte nur, ich hätte gewusst, was du vorhast. Mel wollte mich heute zu einer Party mitnehmen."

Ups. Liz biss sich auf die Zunge. Warum hatte sie das gesagt? Das hatte sie gar nicht gewollt, und plötzlich war es da und aus ihrem Mund entschlüpft.

John presste die Kiefer aufeinander und schaute auf seinen Teller. Er sah aus, als wollte er etwas sagen, tat es aber nicht. Liz wusste, das sie gemein gewesen war und es tat ihr furchtbar leid. Sie wusste selbst nicht, warum.

Er schluckte und zwang sich zu einem Lächeln, aber er sagte nichts mehr und zwischen ihnen entstand eine lange, angespannte Stille. Es war das erste Mal, dass sie sich anschwiegen, bemerkte Liz erstaunt. Und das auch nur, weil sie sich gerade nicht grün waren.

"Wie war dein Tag?", ergriff sie nun selbst das Wort, da sie das Gefühl hatte, etwas wieder gutmachen zu müssen. Aber sie dachte nicht daran, sich zu entschuldigen. Denn dann müsste sie ja zugeben, dass sie es genau so gemeint, wie John es aufgefasst hatte.

"Anstrengend", seufzte er und fuhr sich durch die Haare. Liz bemerkte erst jetzt, dass er auch müde und abgeschlagen aussah. "Der... Noch-Ehemann einer Mandantin macht Probleme."

"Warum?"

John zuckte mit den Schultern und spielte mit seiner Serviette herum, indem er sie auseinander- und wieder zusammenfaltete, während er sprach. "Er will die Sorgerechtsklage anfechten und nun selbst das Sorgerecht für seine Kinder haben. Und das will meine Mandantin natürlich nicht. Sie hat... sie musste viel durchmachen in letzter Zeit."

Liz legte den Kopf schief. "Warum teilen sie sich nicht einfach das Sorgerecht?"

"Das..." John hielt kurz inne und suchte nach den richtigen Worten. "Er hat sie betrogen und ihr jahrelang verschwiegen, dass er mit der anderen ein Kind hat. Sie behauptet, er wäre ständig auf "Geschäftsreisen" gewesen, aber in Wahrheit..." John seufzte. "Das nimmt sie ihm ziemlich übel. Sie sagt, er war nie für die Familie da, und er sagt genau das Gegenteil."

"Hm." Liz nahm noch einen Schluck von ihrem Wein. Wein war zwar nicht unbedingt ihr Lieblingsgetränk, aber diesen hier konnte man ganz gut trinken. Zumindest, wenn man es sich nicht zur Gewohnheit machte. "Und was denkst du darüber?"

John blickte auf und sie sah, wie es in seinen Augen aufblitzte. "Ich denke, jemand, der seine Familie so belügt und betrügt, hat seine Kinder nicht verdient." Seine Worte, sein Tonfall, klangen hart. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, hörte sie ihn so etwas sagen. Klar hatte er sich hin und wieder über den ein oder anderen beschwert, aber jetzt schwang ein unbekannter Ernst in seinem Tonfall, ein Groll, der anscheinend noch immer tief in ihm saß. So interpretierte sie es zumindest.

"Erinnert dich das... an deinen eigenen Vater?", fragte sie sanft und merkte sofort, dass sie anscheinend einen wunden Punkt getroffen hatte. Überrascht sah John sie an, dann zeigte er eine Spur von Empörung, aber noch bevor er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, verschwand das alles und es trat ein resignierter Ausdruck auf sein Gesicht.

"Wenn du damit sagen willst, dass ich mich zu sehr persönlich mit reinziehen lasse", wich er ihr aus, ohne ihre Frage direkt zu beantworten, "hast du vermutlich recht, Liz. Trotzdem kann man es manchmal nicht vermeiden, dass bestimmte Fälle einen beeinflussen. Es geht um Menschen, und das sind wir eben alle. Nur Menschen."
 

Als sie daraufhin nichts sagte, richtete John das Wort an sie. "Und warum war dein Tag so furchtbar?"

Sie zuckte nur mit den Schultern. "Die alte Hexe."

"Oh-oh", erwiderte John lächelnd. "Hat sie wieder ihre schwarze Magie an dir ausgelassen?"

"Und wie. Ich soll zwei weitere Rubriken übernehmen, weil sie Einsparungen vornehmen will und die beiden, die dafür verantwortlich waren, gefeuert hat. Natürlich findet sich da kein anderer außer mir", beschwerte Liz sich erbost und die ganze Ungerechtigkeit über die Situation, die sie vorhin noch so stark empfunden hatte, kam wieder zurück und machte sie nun wieder richtig wütend.

Als der Kellner kam, um die Bestellungen aufzunehmen, unterbrachen beide ihr Gespräch, nahmen es aber sofort wieder auf, als der Gute wieder außer Hörweite war.

"Was hat Mrs. Witch dir aufgedrückt?"

Liz grummelte. "Du wirst lachen", warf sie ihm misstrauisch vor.

John verzog überrascht das Gesicht. "Nein. Versprochen."

"Horoskope."

Seine Mundwinkel zuckten verräterisch, aber es waren seine Augen, die amüsiert leuchteten. "Aha", sagte er vorsichtig. "Was noch?"

"Hochzeitsberichte."

Jetzt sah er nicht mehr belustigt aus, sondern lächelte sie ehrlich an. "Hochzeiten? Das ist doch schön."

Liz glaubte ihren Ohren kaum, aber dann wiederum überraschte es sie nicht besonders, dass John SO reagierte. Nach allem, was ihr heute alles durch den Kopf gegangen war, war das kein großes Wunder. "Was ist daran schön?", fragte sie verständnislos.

"Na, zum Beispiel... dass du beim wichtigsten und schönsten Tag von zwei Menschen dabei sein kannst?", schlug er vor, doch als sie ihn nur düster anstarrte, fügte er noch schnell hinzu: "Außerdem das Gratis-Essen und die Gratis-Getränke."

Liz schüttelte erschöpft den Kopf. "Das wiegt es nicht auf, ehrlich."

Sie schwiegen sich wieder eine Weile an, dann holte John laut Luft und fing an, in seiner Jackentasche zu kramen. "Ich seh schon", murmelte er eher zu sich selbst, während er etwas suchte. "Du hast heute schlechte Laune. Vielleicht wird dich das hier etwas aufheitern..."

Er zog aus seiner Tasche eine kleine, mit Samt überzogene Schatulle hervor, legte sie auf den Tisch und schob sie Liz zu. Dabei sah er sie auffordernd und erwartungsvoll an.

Liz gingen tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf, aber das, was sie von innen heraus hörte, war nur ein langer, schriller Schrei... nur in ihrem Hirn produziert, aber so laut und panisch, dass sie komplett alles um sich herum ausblendete.

Sie schüttelte tonlos den Kopf. "Nein, nein", murmelte sie starr. "Tu das nicht."



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Monsterseifenblase
2012-02-25T17:50:56+00:00 25.02.2012 18:50
Uha....das hat gedauert würde ich sagen :D
Aber es hat sich auch gelohnt, das Kapitel war nett zu lesen und ich bin gespannt wie es weitergeht, auch wenn ich mir eigentlich fast sicher bin, dass er nicht vorhat ihr einen Antrag zu machen....also...hau rein.
Ich freu mich auf Fortsetzung! :)
LG
Monsterseifenblase
Von:  -Nami
2012-02-20T21:10:57+00:00 20.02.2012 22:10
der letzte teil war richtig gut!!!
bin schon gespannt wie es weiter geht :D

-Nami


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