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Qononilut - Die Farben Sterben

Nicht jeder Drache ist ein Norbert!
von

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Jahr 4, Kapitel 5: Gerüchte


 

Vorwort

Bisher das Längste, mit elf Seiten, aber es wird nicht zum Standard - das wäre auf Dauer nicht nur für mich ermüdend und irgendwie erdrückend, nicht?

Ich bin nicht so ganz zufrieden mit diesem Kapitel, es erscheint mir in sich ein wenig unlogisch, und ich fürchte, George ist ein wenig OoC - darum, falls es schlimm ist: Rückmeldung, bitte :D

Ansonsten hoffe ich dass es euch gefällt. Erstmal möchte ich an Briefe an Gary weiterschreiben, also ist dies erstmal das letzte Kapitel (dafür kamen drei neue ;3) Weiterschreiben werde ich aber auf jeden Fall (falls das hier jemanden interessiert xD).
 


 

Qononilut – Die Farben Sterben

Jahr vier: Die Kammer des Schreckens

- Kapitel fünf-

Gerüchte
 

Die nächsten Tage war Mrs Norris’ Versteinerung das Hauptthema. Schüler tuschelten in den Toiletten, den Korridoren, den Gemeinschaftsräumen. Lehrer unterhielten sich leise und verstummten, wenn eine neugierige Gruppe Drittklässler die Schritte verlangsamte, um zu lauschen. Die Jüngeren machten sich selbst unnötige Angst, die Älteren eröffneten einen Schwarzmarkt mit angeblich schützenden Artefakten.

George ließ das alles relativ kalt. Nachdem er das Festessen erfolgreich verdaut hatte, hatten auch er und Fred sich rege an den Spekulationen beteiligt, doch mittlerweile machten sie Scherze über das Monster, das angeblich in der Kammer des Schreckens hausen sollte. Sie versteckten sich hinter Statuen und Vasen, um dem nächsten Passanten in den Weg zu springen und ihn so zu Tode zu erschrecken, oder aber sie schlichen sich an Angelina Johnson heran und kassierten jeweils eine Kopfnuss, weil sie versucht hatten, ihr einen mittelschweren Schock zu verpassen. Die Tage verstrichen und die Zwillinge hatten so ihren Spaß.

Doch wie an jeder anderen Schule, lässt auch auf Hogwarts das erste Gerücht nicht lange auf sich warten. Jeder hatte noch lebhaft in Erinnerung, wie Filch Harry Potter beschuldigt hatte, seine Katze ermordet zu haben. Ein Spaßvogel hatte die Idee, und kaum einen Wimpernschlag später war jeder überzeugt, dass Harry Potter der Erbe Slytherins war. Über Nacht wurde Harry zum unbeliebtesten Schüler von Hogwarts. Nun ja, fast.

Es war in Wahrsagen, als George das erste Mal auffiel, dass Ruby allein saß. Es wunderte ihn erst nicht, immerhin war O’Malley eine verklemmte Schnarchnase, aber trotzdem hatte sie bisher wenigstens neben einem der Mädchen aus ihrem Schlafsaal gesessen. Heute saß sie allein an dem runden Tisch und starrte abwesend in die neblige Kristallkugel vor sich. Sie bemerkte nicht einmal, als Montague sie mit einer Papierkugel am Kopf traf, während Professor Trelawney völlig versunken in das tragische Schicksal von Patricia Stimpson war. Die Kugel prallte ab und blieb hinter Ruby liegen. Ehe George sich versah, war Fred auch schon unter der Tischplatte verschwunden und langte nach dem Wurfgeschoss. Im Schutz ihrer aufgestellten Exemplare von Entnebelung der Zukunft entfaltete er das Papier. In krakeliger Druckschrift stand dort geschrieben:

Welches Schlammblut wirfst du deinem Ungeheuer als Erstes vor, O’Malley?

George las die Nachricht drei Mal, bevor er fragend zu seinem Zwilling schaute. Auf ihren Gesichtern war dieselbe Frage zu lesen: Welches Ungeheuer?

„Was meint er damit?“, wisperte Fred und schaute abschätzend zu Montague. George folgte seinem Blick; der Slytherin saß mit drei anderen Jungen aus seinem Haus an einem der quer durch den Raum verteilten Tische und warf ihnen und Ruby hinter Trelawneys Rücken hämische Blicke zu. George verdrehte gelangweilt die Augen, bevor er einen weiteren Blick zu Ruby hinüber warf. Angelina und Alicia saßen zwei Tische von ihr entfernt und unterhielten sich. Tatsächlich waren im Umkreis alle Tische bis auf ihren frei, als müsste man einen Sicherheitsabstand einhalten.

„Glaubst du, die meinen Hector?“, fragte George und riss Fred so aus seinem Blickduell mit Montague. Sein Bruder schüttelte den Kopf.

„Unwahrscheinlich, woher- “ Er verstummte und sah George eindringlich an. Aus dem Augenwinkel sah er die Slytherins feixen.

„Geschichte der Zauberei.“

„Was ist damit?“, fragte George.

„Denk doch nach“, antwortete Fred ungeduldig und wedelte mit dem Zettel. „Als wir über Hector geredet haben, hab ich Montague doch einen Schnurrbart gemalt, oder?“

George nickte und musste gegen seinen Willen grinsen. Fred erwiderte es schwach, bevor er fortfuhr: „Nehmen wir mal an, der Troll hat es mitbekommen.“

„Dann hätte er bestimmt nicht so still dagelegen und dich machen lassen.“

„Möglich“, warf Fred ein und schenkte Professor Trelawneys Vortrag keinerlei Beachtung. „Oder aber er hat absichtlich stillgehalten.“

„Weil er mithören wollte.“

„Ganz genau“, schloss Fred und wirkte einen Moment sehr zufrieden mit seiner Schlussfolgerung, bevor sich seine Miene verdüsterte. „Allerdings wären wir dann Schuld, dass der Holzkopf alles falsch verstanden und es noch verfälschter verbreitet hat.“

„Unschön.“ George spähte über die Schulter seines Zwillings. Inzwischen hatte Ruby den Kopf gehoben und schrieb mit, was Trelawney der Klasse erzählte. George hatte nicht die leiseste Ahnung, worum es ging, aber es interessierte ihn auch nicht; er und Fred beobachteten Ruby, die wie ein Häuflein Elend ganz allein an ihrem Tisch saß und sogar von ihren Hausgenossen gemieden wurde, weil Fred und er einfach zu neugierig waren. In diesem Moment kam sie ihm schrecklich klein und dünn vor. Ihm fiel auf, wie selten er sie beim Essen gesehen hatte, und er hatte Mitleid mit Ruby weil sie fast immer nett zu ihnen gewesen war, obwohl sie sie eigentlich nur der Hausaufgaben wegen angesprochen hatten. Ein flaues Gefühl breitete sich in seinem Bauch aus; er brauchte eine Weile, bis er merkte, dass es sein schlechtes Gewissen war. George blickte Fred an, und auch ihm schien es nicht besser zu gehen. Waren sie wirklich Schuld, dass Ruby nun nicht nur bei den Lehrern als unzuverlässig galt, sondern auch noch von den Gryffindors ausgegrenzt wurde? George fühlte sich elend; Ruby war zwar langweilig, aber sie war zuverlässig und… Ja, und was eigentlich? Wenn er es recht bedachte, kannte er Ruby kaum, er wusste nicht, wo sie wohnte, was ihre Eltern taten, was für Hobbys sie hatte. Er wusste rein gar nichts von ihr und es tat ihm leid, immer nur ihre Aufgaben abgeschrieben zu haben, ohne sich für den Menschen zu interessieren, mit dem er seit drei Jahren in eine Klasse ging.

Die Glocke läutete, und auf dem Weg zum Mittagessen vertraute er sich Fred an. Seinem Zwilling ging es ähnlich, doch bevor sie ein richtiges Gespräch beginnen konnten, stieß Lee Jordan, der Muggelkunde gewählt hatte, zu ihnen und das Thema Ruby lag bis aufs Weitere auf Eis.
 

Hagrids buschige Augenbrauen hoben sich überrascht, als er seine Tür öffnete und in die identischen Gesichter von Fred und George schaute.

„Mmh? Wie komm’ ich denn zu der Ehre?“, grunzte er und trat beiseite, um sie einzulassen. Fang hob den Kopf von den Pfoten, ließ ihn aber wieder enttäuscht sinken, als er erkannte, dass es nicht Ruby war. Hagrid bot ihnen Tee an und hockte sich dann wieder vor den Trog mit Erbsen, die er gerade pulte.

„Also Hagrid, wir wollten dich etwas über Ruby O’Malley fragen“, begann Fred und nippte an seinem eimergroßen Becher. Hagrid sah von den Erbsen auf.

„Ruby? Anständiges Mädchen, sehr tierlieb. Warum?“

Sie erzählten Hagrid von dem Treffen in der Bibliothek, von ihrer Neugierde auf Hector und auch von ihrem verbotenen Abstecher in den Wald, der für Ruby so unglücklich ausgegangen war. Als sie geendet hatten, seufzte Hagrid schwer und schob den Trog mit Erbsenschoten unter den Tisch.

„Hab’ mir schon was in der Art gedacht. Ruby macht sowas nich’, hab ich Professor Dumbledore gesagt, aber er konnt’s nich’ ändern, ’s stand euer Wort gegen Professor Snapes, er wollt’s ja auch nich’ glaub’n. Hat uns lang nich’ mehr besucht, die arme Ruby“, sagte er und nickte in Richtung des Saurüden, „Un’ zu Hector kann sie ’türlich auch nich’ mehr.“ Er stockte, als er sich bewusst wurde, was er gerade ausgeplaudert hatte. Erschrocken sah er die Zwillinge an.

„Wir halten dicht“, sagte George schnell, „Dass es Hector gibt, wussten wir ja beinahe, und dass er im Wald leben muss, haben wir uns auch gedacht. Und wenn du es nicht sagen kannst oder willst, fragen wir auch nicht.“ Er warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu, doch auch Fred nickte, bevor er das Wort übernahm: „Es ist nur so, dass Montague spitzgekriegt hat, dass da was im Wald ist, und dass Ruby damit was zu tun hat. Und jetzt denken die Leute, dort lebt das Monster, das aus der Kammer gekommen ist, und Ruby passt drauf auf oder sowas.“

Hagrid seufzte erneut.

„Hat’s nich’ leicht, das arme Mädchen, was?“ Synchron schüttelten sie den Kopf.

„Um ehrlich zu sein, schließen sie sogar schon die Gryffindors aus.“

„Der Einzige, der noch unbeliebter ist, ist Harry“, fügte George hinzu.

„Hab ich mitgekriegt, das mit Harry“, sagte Hagrid. „Aber was wollt ihr jetzt von mir? Ich kann euch nich’ viel über Ruby sag’n, ich werd euch auch nich’ sag’n, wer oder was Hector is’, aber Ruby hat ihn aufgezog’n und die mögen sich sehr, die beiden, auch wenn sie oft zanken.“

„Wir wollten eigentlich nur wissen, was Ruby vielleicht gern macht“, gab Fred zerknirscht zu. „In gewisser Weise sind wir Schuld, dass ihr verboten wurde, was ihr anscheinend viel Spaß gemacht oder viel bedeutet hat, und jetzt wird sie auch noch unseretwegen ausgegrenzt, und das wollten wir wieder gutmachen.“

„Nett von euch, Jungs“, brummte Hagrid, „aber ich glaub, im Moment könnt’ sie nur Hector glücklich mach’n. Im Wald war sie gern, dass Hector drin is’, is schon blöd, aber er is’ halt zu groß für meine Hütte.“

„Und wenn wir Ruby aufs Gelände locken und du ihn kurz rausholst?“, schlug George hoffnungsvoll vor. Hagrid jedoch blickte ihn tadelnd an.

„Jungs, ich kann doch nich’ mit’m halbwüchsigen Drachen durch die Gegend spazier’n, da-“ Er verstummte und sah sie entsetzt an. „Niemals verlässt das diesen Raum“, brummte er und wirkte plötzlich ziemlich bedrohlich, wie er die Zwillinge streng ansah und die massigen Schultern straffte.

„Wir schweigen wie ein Grab, Ehrenwort“, sagte Fred und hob feierlich, aber nicht ohne ein zufriedenes Grinsen, die Rechte zum Schwur. George grinste ebenfalls. Ein Drache also. Ein waschechter Drache, dem sich zumindest Ruby nähern konnte, ohne dass er sie auffraß oder angriff.

„Is’ schon gut, ich glaub euch.“ Ächzend erhob sich Hagrid von seinem Schemel und ging zur Tür. „Aber macht man lieber, dass ihr ins Schloss kommt. Filch is’ sowieso schon gereizt, müsst’s ja nich’ übertreiben mit ihm. Und seid nett zu Ruby, sie hat’s so schon schwer.“ Er zwang sie noch mit einem gutmütigen Schulterklopfen in die Knie, bevor er die Tür hinter ihnen schloss. Schweigend eilten sie durch das schwindende Tageslicht hinauf zum Schlossportal.

George war immer noch wie vor den Kopf gestoßen. Ein echter Drache! Er hätte vielleicht Angst haben sollen, aber wenn er ehrlich war, fand er die Vorstellung, nur Meter von einem Drachen entfernt in einem Busch gehockt zu haben, eher aufregend als beängstigend.
 

Die nächsten Tage kühlte das Thema Mrs Norris merklich ab, doch dafür konzentrierte man sich jetzt auf die Sündenböcke: Harry und Ruby.

Da außer Fred und George und selbstverständlich Ruby und Hagrid niemand wusste, dass das „Monster aus der Kammer“ in Wahrheit ein pubertierender Jungdrache von den Ausmaßen eines sehr kleinen Autos war, hielt es auch niemand für absurd, dass Ruby sich dem befreiten Monster angenommen und Harry womöglich noch geholfen hatte, Mrs Norris zu versteinern.

Ruby magerte in dieser Zeit entsetzlich ab. Beim Essen fehlte sie mindestens so oft wie in den Stunden, doch keinen scherte es, denn O’Malley war ihnen nun nicht mehr geheuer. Das Schlimmste jedoch waren die Slytherins: Was sie sich beim angeblichen Erben nicht trauten, ließen sie an seiner vermeintlichen Handlangerin aus. Die Jüngeren verhöhnten und die Älteren schikanierten sie hinter den Rücken der Lehrer. Ruby ließ es über sich ergehen, bis zu jenem denkwürdigen Tag, als sie vor Gewächshaus vier standen, auf Professor Sprout warteten und Montague laut heraus posaunte, man solle das Monster aus dem Wald treiben und auf Ruby hetzen, bevor man es in die Ecke trieb und hinrichtete.

Montague wich zurück, doch nicht schnell genug, und drei blutige Kratzer prangten auf seiner Wange, dort, wo Rubys Hand ihn gestreift hatte. Wutentbrannt starrte sie ihn an und holte noch einmal aus, aber der Slytherin war nicht nur zwei Köpfe größer, er war auch noch in der Hausmannschaft und somit bestens im Ausweichen trainiert. Feixend duckte er sich und packte ihren Arm, bevor er sich zu voller Größe aufrichtete. Die Gryffindors wandten sich mehr oder minder geschockt dem Spektakel zu, doch keiner griff ein, als die restlichen Schlangen einen Kreis um Ruby und Montague bildeten. George ahnte Böses, und wie das bei Zwillingen manchmal so ist, hatte auch sein Bruder just in diesem Moment die Idee gehabt, in diesem ungleichen Kampf ein wenig mitzumischen. Sie drängten sich in den Kreis und kamen zwei Schritte an die Streithähne heran, bevor die Treiber der Slytherins sie am Revers packten. Ruby indes starrte unentwegt zu Montague hinauf, der sie süffisant angrinste.

„Soso, O’Malley. Da ist dein Haustierchen nicht da, und du dachtest, du könntest mir allein den Garaus machen, oder was?“ Er schüttelte sie grob und wirkte plötzlich gar nicht mehr so amüsiert. „Dann werd ich dir jetzt zeigen, was- “

Noch bevor Montague den Satz beenden konnte, geschahen mehrere Dinge gleichzeitig: Rubys Augen glühten regelrecht vor unterdrückter Wut und er ließ von ihr ab und zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt; Fred und George rissen sich los und hechteten in die so entstandene Lücke, genau in dem Moment, als Professor Sprout die Tür zum Gewächshaus öffnete. Doch bevor sie etwas sagen, bevor auch nur einer der Anwesenden blinzeln konnte, erklang ein Scheppern und einer der Zwillinge ging zu Boden, der andere drehte sich zu Ruby, die den Zauberstab erhoben hatte und schon mit einem zweiten Blumentopf nach Montague zielte.

„Miss O’Malley, ich bitte Sie!“, rief Professor Sprout, doch Ruby war so beschäftigt damit, Montague gleichermaßen mit Keramik und Schimpfwörtern zu bombardieren, dass erst ein gut platzierter Ganzkörperklammerfluch sie stoppte. Entrüstet baute sich Professor Sprout vor der bebenden, aber sonst reglosen Gestalt auf. Die Slytherins, die sich bei Rubys Attacken panisch zerstreut hatten, kamen nun zusammen mit den Gryffindors näher.

„In all meinen Jahren als Lehrerin ist mir so etwas noch nie, noch nie untergekommen! Was um alles in der Welt haben Sie sich dabei gedacht?!“

„Bitte Professor Sprout, das war nicht Rubys Schuld, Montague hat sie provoziert!“, rief Fred dazwischen. Er hockte neben dem ausgeknockten George am Boden, hinter ihm rappelte sich Montague auf, eine üble Platzwunde an der Stirn.

Professor Sprout schien mit der ganzen Situation ein wenig überfordert. Ein Schüler bewusstlos, einer blutend, vor sich eine ihrer ehemals besten Schülerinnen, gebannt von einem Klammerfluch und vor Wut zitternd. Seufzend schüttelte sie den Kopf.

„Bringen Sie Montague und Weasley in den Krankenflügel. Und Miss O’Malley“, sie löste den Klammerfluch und blickte sie streng an, „Sie gehen am besten gleich mit, Sie bluten auch. Und danach können Sie sich entschuldigen. Nun hopp! Helfen Sie Mr Weasley beim Tragen. Wir sprechen uns nachher.“

Ruby schwankte, als der Fluch gelöst wurde. Schweigend packte sie Georges Beine und half Fred, ihn die marmorne Treppe hinauf in den Krankenflügel zu tragen und auf ein Bett zu legen. Montague hatte die ganze Zeit über einen beachtlichen Abstand zu Ruby einbehalten, und auch jetzt setzte er sich auf das Bett, das möglichst weit von ihr weg war. Ruby indes hievte Georges untere Hälfte auf eines der mittleren Betten und wandte sich dann um, ohne Fred oder seinen bewusstlosen Zwilling noch eines Blickes zu würdigen; sie hätte es auch zur Tür geschafft, wäre Madam Pomfrey nicht eben durch diese gekommen. Mit sanfter Gewalt bugsierte sie Ruby auf das Bett neben George, der nun langsam zu sich kam. Widerwillig setzte sie sich und ließ sich die Schnittwunde heilen, während Fred seinen Bruder über die verpassten zehn Minuten aufklärte. Im Gegensatz zu Madam Pomfrey fand George das Ganze ziemlich komisch.

„Jetzt wissen wir’s, es war kein Monster, Ruby hat einen Blumentopf nach Mrs Norris geschmissen“, lachte er und blickte dabei Montague herausfordernd an. Der Slytherin, die eine Gesichtshälfte unter einer dicken mintgrünen Paste versteckt, glotzte zurück, bevor er sein gesundes Auge Ruby zuwandte.

„Das wirst du mir büßen, O’Malley“, rief er, so laut er es mit Madam Pomfrey im Nebenzimmer wagte. Fred wollte in die Bresche springen, doch Ruby schnaubte verächtlich und starrte Montague derart angriffslustig an, dass selbst Du-weißt-schon-wer vor ihr gekuscht hätte. Zumindest hätte Fred es an seiner Stelle getan.

„Hab ich deinen hässlichen Trollkopf nicht oft genug getroffen oder was? Komm mir nur noch ein einziges Mal ein Stück zu nahe, und ich verspreche dir, das Monster, das du den anderen so schön in den Kopf gesetzt hast, wird dich wirklich fressen!“

Entsetzt starrte er sie an. Dann, mit einer für seine große Gestalt erstaunlichen Geschwindigkeit, flitzte er zur Tür und polterte die Treppen hinunter. Fred und George blickten ihm hinterher, dann feixten sie sich gegenseitig an, bevor sie sich mit strahlenden Gesichtern zu Ruby wandten.

„Was?“, fauchte sie und schien nicht im Mindesten beruhigt. Doch jede Antwort blieb den Zwillingen erspart, denn Madam Pomfrey kehrte zurück und flößte George einen Trank ein, der ihm Dampf aus den Ohren qualmen ließ. Sie untersuchte ihn kurz, prüfte seine Pupillen, befand ihn für weitestgehend gesund und entließ sie alle drei. Ruby seufzte erleichtert und schritt eilig zur Tür, in Richtung Gryffindor-Turm, doch wie so oft hatte sie sich zu früh gefreut.

„Hey, O’Malley.“ Entnervt drehte sie sich um.

„Was willst du, Wiesel?“

„Ach, weiß nicht.“ George grinste. „Vielleicht ein ‚Tut mir leid, dass ich dich mit einem Blumenpott abgeworfen habe’, oder sowas?“

Sie rang mit ihrem inneren Schweinehund und wollte etwas schrecklich Unhöfliches sagen. Aber so nervtötend sie auch waren und so viel Ärger sie ihr auch eingebrockt hatten: Fred und George Weasley hatten sich eben zwischen sie und eine Horde Slytherins gestellt, obwohl jeder sie für Harry Potters Komplizin hielt. Oder gerade deswegen?

„Was wollt ihr wirklich?“ Die Zwillinge schwiegen eine Weile.

„Mit dir reden.“

„Und warum sollte ich euch lassen?“

„Weil“, begann Fred und versuchte seinen aufrichtigsten Blick, „wir uns entschuldigen wollen.“

„Ich muss zugeben, damit hab ich nicht gerechnet.“ Ruby verschränkte die Arme, machte aber keine Anstalten zu gehen. Ermutigt traten die Zwillinge bis auf ein paar Schritte heran. Sie musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Also?“

George holte Luft. „Es tut uns Leid, dass wir dich nicht mit Hector in Ruhe gelassen haben und dir gefolgt sind.“

„Und dass du deshalb nicht mehr in den Wald darfst.“

„Und dass Montague gehört hat, wie wir über Hector und dich geredet haben.“

„Und dass dich deswegen alle meiden.“

Ruby blickte sie finster an. „Also war tatsächlich alles eure Schuld.“

Sie nickten und sahen so geknickt drein, dass ihre Wut ein wenig abflaute.

„Die letzte Woche war schrecklich, und das allein euretwegen“, begann sie, doch ihr wütender Ton spiegelte sich nicht mehr in ihren Augen wider, „aber ich weiß eine Entschuldigung zu-“

Die Tür rechts neben ihnen schwang auf.

„O’Malley, Weasley! Auf ein Wort.“

Professor McGonagall winkte sie in ihr Büro. Fred und George trotteten Ruby hinterher und nahmen links und rechts von ihr auf den gepolsterten Lehnstühlen vor dem großen Pult Platz. Professor McGonagall ließ sich ihnen gegenüber nieder und blickte sie der Reihe nach streng an.

„Professor Sprout hat mir von dem Zwischenfall vor Gewächshaus vier berichtet.“ Sie taxierte Ruby. „Miss O’Malley, ich hätte nicht erwartet, dass Sie sich auf eine Schlägerei einlassen.“

Ruby öffnete den Mund, doch Fred kam ihr zuvor.

„Professor, das war genau genommen unsere Schuld.“

„Erklären Sie das bitte.“

„Also, es fing an in Geschichte der Zauberei. George und ich hatten uns unterhalten – und wir wissen, das war falsch und wird nicht noch mal vorkommen – und Montague hat mitgehört. Jedenfalls hat er die ganze Geschichte dann verdreht und jedem erzählt, dass das Monster aus der Kammer des Schreckens im Wald wohnt und Ruby es sozusagen versorgt oder was auch immer.“

„Und was konnte Mr Montague den Anstoß zu einer solch haarsträubenden Behauptung liefern?“

„Eventuell“, begann George und sah äußerst geknickt drein, „haben wir spekuliert, ob im Wald nicht ein Drache wohnt.“

McGonagall fiel aus allen Wolken. „Weasley, erklären Sie mir das!“

Und Fred und George erzählten. Ruby saß stumm zwischen ihnen und lauschte. Dass die Zwillinge den Nagel auf den Kopf getroffen hatten, behielt sie für sich. Wie zahm Hector auch hin und wieder war, laut dem britischen Zaubereigesetz war es strikt verboten, einen Drachen ohne offizielle Genehmigung aufzuziehen oder gar zu halten. Und dass sich ihr illegaler Drache auf Schulgelände befand, geschützt nur durch den Ruf des Waldes, machte es auch nicht besser. Ruby schreckte aus ihren Gedanken, als Professor McGonagall sie ansprach.

„Miss O’Malley, ist das wahr?“

„Ich- jaah, also wir haben uns zufällig in der Bibliothek getroffen, und ich hatte in diesem Buch über Drachen nachgeschlagen, und vielleicht hat es sich so angehört, als hätte ich einen Namen für einen Drachen gesucht. Aber Professor, wie hätte ich einen Drachen ungesehen in den Wald schmuggeln können? Spätestens bei seinem ersten Rundgang wäre das Hagrid aufgefallen, nicht wahr?“

McGonagall schwieg und fixierte einen Punkt hinter den Dreien. Einerseits wollte und konnte sie nicht glauben, dass Ruby, eine der vorbildlichsten Schülerinnen ihres Hauses, einen Drachen auf das Schlossgelände geschmuggelt hatte, geschweige denn, dass sie überhaupt einen besaß. Andererseits war sie vor allem aufgrund der letzten Ereignisse in höchster Alarmbereitschaft. Die meisten Schüler waren allein schon der Schrift an der Wand wegen in heller Aufregung, und die Gerüchte um O’Malley würden die Panik sicherlich nicht lindern. Sie schenkte solchen Behauptungen keinen Glauben (erst recht nicht, wenn sie von einem so unfairen Sportsmann kommen, fügte sie bitter hinzu), allerdings war es ihre Pflicht, diese Angelegenheit zumindest zu überprüfen.

Fred, George und Ruby saßen wie auf Kohlen vor ihrer Hauslehrerin; dass eine harmlose Spekulation über ein Buch so ausarten konnte, hätten die Zwillinge nicht gedacht. Fred warf Ruby einen schnellen Blick zu, doch sie beachtete ihn gar nicht: Wenn Professor McGonagall der ganzen Sache Glauben schenkte, stand nicht nur ihr Verbleib auf der Schule, sondern auch Hagrids Job und vor allem Hectors Zukunft auf dem Spiel. Nervös spannte sie sich an, als ihre Lehrerin einen Entschluss gefasst zu haben schien.

„Ich werde die Angelegenheit mit Professor Dumbledore besprechen. Sie drei können gehen. Und Miss O’Malley, auch wenn es eine Provokation war, Sie hätten Mr Montague nicht angreifen dürfen. Ich muss Sie eine Woche nachsitzen lassen.“

George atmete erleichtert aus; Professor McGonagall war nicht so unfair wie Snape. Sie würde sicher das Richtige tun – zumindest hoffte er, dass sie es tun würde. Er trat hinaus auf den Korridor und drehte sich zerknirscht grinsend zu seinem Bruder und Ruby um – er musste beinahe in die Knie gehen, um der Faust auszuweichen.

„Sonst bist du noch ganz sauber?“, zischte Fred, der in einen Laufschritt verfallen war, um das brodelnde Mädchen ja weit weg von McGonagalls Büro zu locken, bevor sie den ersten Treffer landete. Ruby hetzte ihm nach und schlug auf seinen Rücken ein, bis George einen Arm zu fassen bekam und ihn ihr auf den Rücken pinnte. Sie strauchelte und hing wie eine verdrehte Puppe im Griff des Rotschopfs, der sie jetzt ähnlich schockiert wie sein Bruder anstarrte.

„Noch ganz sauber?!“, knurrte sie und mühte sich ab, leise zu sein. „Euretwegen werden sie jetzt wahrscheinlich den Wald durchsuchen, habt ihr Genies auch nur mal im Ansatz daran gedacht, was das für Hector bedeuten könnte?!“ Ob die Klone von Hectors Identität bereits wussten, war ihr egal. Sie holte mit der Anderen wahllos aus und verfehlte, weil sie vor lauter Tränen kaum etwas sah. Die ganzen tagelang angestauten und unterdrückten Tränen bahnten sich jetzt ihren Weg über ihre eingefallenen Wangen; sie brachen im Flug das dämmrige Tageslicht, wenn sie sich gegen den Griff wehrte wie ein Tier in der Falle; kühl landeten sie auf Georges Handgelenk und zogen eine kurze, salzige Spur, bevor sie auf den Boden tropften.

George folgte ihnen mit den Augen, doch Fred ging in die Offensive:

„Grad haben wir versucht, dir zu helfen, und als Dank werden wir angemeckert?“

„Zu helfen? Zu helfen? Euretwegen werden sie Hector finden, und dann fliege ich von der Schule, Hagrid verliert seinen Job und Hector werden sie schlimmstenfalls töten! Und du glaubst, du hast mir geholfen?!“ Sie wehrte sich gegen den Griff, doch weil sie ihn nicht brechen konnte und Fred in seiner Aufregung einen Schritt an sie herangetreten war, knurrte sie zornig und biss ihm in die Schulter. Fred schrie, mehr vor Verwunderung als vor Schmerz, und George, schwankend zwischen Schock und Belustigung, ließ ihren Arm los; Ruby stolperte ein paar Schritte nach vorn, bevor sie sich noch einmal zu ihnen umdrehte. Sie öffnete den Mund zu einer finalen Beleidigung, doch ihre Wut war so groß, dass ihr die Worte fehlten; sie schloss den Mund, öffnete ihn erneut, wirbelte schließlich herum und stürmte den Gang entlang davon. Geistesabwesend rieb Fred seine Schulter und starrte ihr nach.

„Würd mich nicht wundern, wenn sie nicht selbst das Monster ist. Die Zähne hat sie jedenfalls.“ Er drehte sich in die entgegengesetzte Richtung und ging einige Meter, bis er merkte, dass sein Bruder ihm nicht folgte.

„Was ist?“, rief er. George wandte sich ihm zu.

„Sie hat Recht.“

„Womit?“

„McGonagall wird sicher veranlassen, dass sie wen in den Wald schicken“, sagte George langsam. „Und weil es Hector gibt und Hagrid das weiß, stecken sie zu dritt drin.“ Zu fünft, wenn es schlecht läuft, fügte er stumm hinzu. Fred verdrehte die Augen.

„Das ist nicht unser Bier.“ Er wies demonstrativ auf seine Schulter. „Sie hat mich grad gebissen und uns beleidigt, obwohl wir ihr helfen wollten. Mir jedenfalls kann sie gestohlen bleiben.“ Und er machte auf dem Absatz kehrt und ging, doch George folgte ihm nicht.
 

Es vergingen vier Tage, bevor George seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Eigentlich wären es zwei gewesen, doch Wood, der wahrscheinlich besessenste Quidditchkapitän aller Zeiten, hatte die Anzahl der wöchentlichen Trainingsstunden erhöht, nachdem das Team Slytherins seine neuen Nimbus Zweitausendeins präsentiert und auch noch das Quidditchfeld unerhört oft reserviert hatte. Es war der Tag vor dem ersten Spiel der Saison. Sie hatten eine Doppelstunde Verwandlung vor sich, und nach der gestrigen Tortur durch ihren allseits ungeliebten Mannschaftsführer fühlten sich nicht nur die Zwillinge wie gerädert.

Gähnend trat George hinter Angelina Johnson in das Klassenzimmer. Er bemerkte Ruby in einer der vorderen Reihen, und er hätte sie gegrüßt, doch sie drehte sich nicht um. Fred hatte ebenfalls bemerkt, dass O’Malley sich nicht mehr in den hinteren Reihen versteckte, doch anders als George war er ein wenig beleidigt, zumal ein Treiber der Extraklasse sich nicht einfach so beißen lässt. Er lächelte schnippisch und flüsterte George zu: „Sieh mal an, O’Malley mischt die Streber wieder ein wenig auf.“

„Lass sie doch“, murmelte George zurück. Fred war nachtragender als er, und George rechnete es ihm hoch an, dass er trotz Rubys Ausraster nicht auf die Seite der Anderen gewechselt hatte und sie nun ebenfalls ausgrenzte. Sie setzten sich auf ihren gewohnten Platz und holten die Bücher hervor. Einige Hufflepuffs blätterten schon zum zuletzt behandelten Kapitel, doch Professor McGonagall unterbrach sie.

„Bevor wir beginnen, möchte ich Sie noch darauf aufmerksam machen, dass dem Kollegium Gerüchte zu Ohren gekommen sind, nach denen das angebliche Monster aus der Kammer des Schreckens nun im Verbotenen Wald haust. Ferner haben wir erfahren, dass einige von Ihnen bestimmte Schüler verdächtigen, mit diesem Monster Bekanntschaft geschlossen zu haben.

Ich habe diese Anschuldigungen an den Schulleiter weitergegeben. Das gesamte Kollegium und Professor Dumbledore persönlich haben daraufhin das Waldgebiet nach einem Monster oder einem Hinweis auf ein Monster abgesucht und ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Vermutung sich als falsch erwiesen hat. Es wurden keine unbekannten Kreaturen gesichtet, die eine Gefahr für Sie darstellen könnten. Mit allen weiteren Geschöpfen ist unser Wildhüter bestens vertraut und ihre Ungefährlichkeit erwiesen – solange Sie nicht wider der Vorschriften handeln und den Wald betreten.“ Ihr blick ruhte eine Weile auf Fred und George, und für einen Moment schien der Anflug eines Lächelns um ihre Mundwinkel zu huschen. „Ich möchte Sie daher bitten, die Verleumdungen zu unterlassen und solchen Gerüchten keinen Glauben zu schenken. Was auch immer Mr Filchs Katze angegriffen hat, es wohnt weder im Wald noch hatte es erwiesenen Kontakt mit einem Schüler.“

Sie ließ ihre Rede eine Weile sacken, dann straffte Professor McGonagall die Schultern und begann den Unterricht wie gehabt. Ausnahmsweise ließ sie es sogar zu, dass die Schüler tuschelten, während sie die Bücher aufschlugen – gegen Gespräche während des praktischen Teils der Stunde war eh kein Kraut gewachsen.

George fixierte seinen Waschbären mit einer Hand auf der Tischplatte, damit dieser nicht mitten im Zauberspruch Reißaus nahm.

„Erklär mir mal eins, George“, murmelte Fred im Schutze der eifrig wiederholten Zauberformeln. „Wenn sie den Wald wirklich durchsucht haben – was ich nicht anzweifle – warum haben sie Hector dann nicht gefunden?“

„Gute Frage“, antwortete George. Er schnippte mit seinem Zauberstab; sein Waschbär gurgelte verärgert und sträubte sich gegen die Hand, die ihn festhielt. Er spähte nach vorn zu Ruby: Ihr Waschbär hockte zufrieden vor ihr, bevor er schrumpfte und zur Hälfte eine gläserne Suppenterrine wurde. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf und verwandelte das erschrockene Tier zurück, ehe sie es erneut versuchte. Sein Tier biss ihm in die Hand, aber er schenkte ihm nur wenig Beachtung. McGonagalls Rede hatte ihn wieder daran erinnert, was er sich vor vier Tagen vorgenommen hatte: Dumbledore aufsuchen.

Nach Kräuterkunde (und nach zehn Punkten für Gryffindor, die Ruby, offensichtlich wieder ein wenig die Alte, eingeheimst hatte), schmiss er seine Schultasche aufs Bett und schlängelte sich unter Lees Armen, die ihn sehnsüchtig in den Schwitzkasten nehmen wollten, hindurch nach draußen. Er stieg die Wendeltreppe wieder hinunter und ließ den Blick über die Gryffindors schweifen. In einer Nische am Porträtloch konnte er Rubys roten Schopf ausmachen (und ihm fiel auf, dass ihr Haar nur eine Spur dunkler war als Bills): Sie hatte ihre Bücher auf einem Tisch vor sich ausgebreitet und unterhielt sich mit einem Jungen. Er erinnerte sich, dass das Neville Longbottom sein musste, der in Rons Jahrgang war. Grinsend nahm er zwei Stufen auf einmal, denn anscheinend hatten nicht nur sie die Moralpredigt ihrer Hauslehrerin zu hören bekommen. Die Lehrer hatten vielleicht nur geblufft, aber der Glaube, dass Dumbledore persönlich den Wald abgesucht hatte, schien zumindest einigen Schülern die Zweifel zu nehmen, immerhin saß O’Malley nicht mehr in einer Sicherheitszone, und sie unterhielt sich auch noch mit jemandem!

Nichtsdestotrotz, erinnerte George sich und stieß das Portrait so beschwingt beiseite, dass die fette Dame verschreckt aufschrie, du hast Mist gebaut und dafür stehst du jetzt gerade.
 

„Herein.“

George öffnete die schwere Holztür. Sie glitt lautlos auf und offenbarte einen kreisrunden Raum. Unzählige Hexen und Zauberer schauten ihn neugierig aus ihren Bilderrahmen heraus an, wie er bedächtig die Tür ins Schloss fallen ließ und sich seinen Weg vorbei an den vielen, wahllos herumstehenden Tischen bahnte.

„Mr Weasley, wie angenehm, dass Sie mich besuchen, wenn es auch ungewöhnlich ist, dass Sie allein erscheinen. Aber setzen Sie sich doch.“ Dumbledore saß an seinem polierten Schreibtisch, die Fingerkuppen aneinander gelegt und lächelte ihn an, als gäbe es nichts Erfreulicheres als einen Besuch von George zu bekommen. Er wies auf einen Stuhl vor sich und George nahm auf der äußeren Kante Platz. Die späte Nachmittagssonne schien durch die breiten Spitzbogenfenster, die einen herrlichen Ausblick auf die umliegenden Berge freigaben. Ihre Kuppen durchstachen den glühenden Horizont, und George wurde bewusst, dass er bedeutend länger gebraucht hatte, das Passwort des Wasserspeiers zu erraten, als angenommen.

„Was führt Sie zu mir?“ Die freundliche Stimme unterbrach seine Gedanken; er richtete sich auf und räusperte sich.

„Professor, ich wollte Sie wegen Ruby O’Malley sprechen.“ Es gefiel George ganz und gar nicht, wie seine Stimme klang. Er war doch hier, um etwas Gutes zu tun, und nicht, weil er bei einem besonders bösen Streich erwischt worden war. Dumbledore neigte den Kopf und blickte ihn unverändert freundlich an.

„Ich habe die Kollegen angewiesen, den Schülern zu berichten, dass wir nichts Beunruhigendes im Verbotenen Wald gefunden haben, und auch, dass die Vorwürfe gegen Miss O’Malley offensichtlich aus der Luft gegriffen sind.“

„Das weiß ich, Sir, und zumindest Einige behandeln Ruby jetzt wieder normal. Aber ich wollte Sie eigentlich wegen etwas Anderem sprechen.“ Er biss sich auf die Lippe und wich Dumbledores Blick aus. Es war, als würde der Schulleiter in röntgen und schon längst wissen, was er sagen wollte, und das war George unheimlich. Er holte Luft und fuhr fort:

„Und zwar wollte ich Sie bitten, Rubys Verbot bald aufzuheben. Professor Snape hat uns zwar zu dritt im Wald erwischt, aber erst nachdem Fred und ich uns reingeschlichen haben. Wir waren dadurch auch indirekt Schuld an den Gerüchten. Ruby hat nämlich in einem Buch über Drachen geblättert, und mein Bruder und ich konnten es nicht lassen, sie auszufragen und alles falsch zu interpretieren, und ich spreche auch für Fred, wenn ich sage, dass uns das und vor allem die Konsequenzen schrecklich leid tun.“ Er blickte Dumbledore wieder in die Augen und legte all seine Überzeugung in seine Stimme. „Ich kenne Ruby schlecht, obwohl ich seit drei Jahren in ihrer Klasse bin, aber ich und mein Bruder haben ihr Unrecht getan, weil wir sehr kindisch und gemein sind, und Sie mussten sie deshalb bestrafen und ihr etwas nehmen, was ihr jetzt so sehr fehlt, dass sie schon fast krank ist.“ Er straffte die Schultern. „Und ich möchte Sie hiermit bitten, auch in Freds Namen, dass Sie Ruby vergeben und uns bestrafen, weil wir alleine Schuld sind.“

Nachdem George geendet hatte, schwieg Dumbledore eine lange Zeit, die Augen hinter der Halbmondbrille unverwandt auf George gerichtet, der, obgleich unendlich erleichtert, wie auf Kohlen saß. Schließlich richtete er sich auf, holte einen Bogen Pergament hervor und tauchte die silbrige Adlerfeder in das große Kristallfass. Atemlos sah George zu, wie die Federspitze über das Pergament kratzte; er wagte weder, das Geschriebene über Kopf zu entziffern, noch Dumbledore zu unterbrechen. Letztendlich versiegelte der Schulleiter die aufgerollte Nachricht und faltete die Hände darüber.

„Wie ich bemerke, Mr Weasley, sind Sie zu recht im Haus Gryffindor; nicht jeder hätte den Mut gehabt, solch einen Fehler, der Anderen schadet, zuzugeben und die Konsequenzen selbst auf sich zu nehmen.“ Er lächelte George breit an. „Ich sehe keinen Grund, warum Miss O’Malleys Verbot weiter bestehen sollte.“ Er reichte George das Pergament. „Bitte geben Sie das Professor McGonagall. Die Lehrkräfte werden umgehend informiert, dass Ruby das Betreten des Waldes wieder gestattet ist.“

Ungläubig starrte George erst das Pergament, dann Dumbledore an. Ein Grinsen schlich sich in seine Züge.

„Ernsthaft? Und- und die Bestrafung?“

„Was das angeht, lasse ich Ihrer Hauslehrerin freie Hand.“ Er zwinkerte schelmisch. „Allerdings glaube ich, dass Professor McGonagall Ihre Ehrlichkeit ebenfalls zu schätzen weiß.“

Georges Grinsen verbreiterte sich. Das Pergament in der Hand, stand er auf und verbeugte sich sogar ungelenk. „Vielen Dank, Sir!“ Dumbledore gluckste.

„Nun gehen Sie schon, Mr Weasley, Miss O’Malley würde es Ihnen sicher übel nehmen, wenn Sie ihr diese erfreuliche Neuigkeit allzu lang vorenthalten.“ George ließ sich das nicht zweimal sagen. Strahlend kurvte er um die Tische mit all ihren paffenden und surrenden Bewohnern, er flog die Wendeltreppe regelrecht hinunter und wäre hinter dem steinernen Wächter beinahe in Professor McGonagall gerannt.

„Weasley, um Himmels Willen, machen Sie die Augen auf!“, sagte sie barsch und richtete ihren Hut. „Und was in Merlins Namen haben Sie ausgeheckt, dass Sie der Schulleiter sprechen wollte?“

„Andersrum, Professor, ich wollte ihn sprechen“, grinste George zurück, bevor er ihr die Pergamentrolle reichte. „Ich hab ihm den Zwischenfall mit O’Malley erklärt. Steht alles da drin.“

Seine Hauslehrerin warf ihm einen undeutbaren Blick zu, bevor sie das Siegel aufbrach und die Zeilen überflog. Immer noch grinsend, beobachtete George sie. Am Ende angelangt, sah sie wieder auf.

„Ich muss zugeben, ich hätte das nicht von Ihnen erwartet. Das ändert aber nichts daran, dass ich froh bin, dass Sie es getan haben, und ich bin stolz, einen derart aufrichtigen Schüler in meinem Haus zu haben.“ Sie lächelte kurz, bevor ihr Blick seine alte Strenge zurück gewann. „Nichtsdestotrotz steht Ihre Bestrafung noch aus. So ungern ich es auch tue, ich werde Ihnen und Ihrem Bruder jeweils fünfundzwanzig Punkte abziehen müssen, weil Sie unerlaubt den Verbotenen Wald betreten haben, und das zum wiederholten Male.“ Georges Grinsen flackerte kaum merklich. Fünfzig Punkte hatten sie zwar schon einige Male verloren, aber nie auf einen Schlag. Allerdings fand er es angemessen, dafür, dass sie jemanden regelrecht in die Verzweiflung getrieben hatten. Er nickte und wandte sich zum Gehen, doch weit kam er nicht.

„Weasley.“ Er drehte sich wieder um.

„Professor?“

„Ihre Bestrafung war zwar notwendig, aber als Ihre Hauslehrerin habe ich auch das Recht, Sie zu belohnen. Da sie den Idealen des Hauses Gryffindor entsprechend gehandelt und einen Klassenkameraden der ungerechten Strafe entledigt haben, schenke ich Ihnen und Ihrem Bruder jeweils fünfzig Punkte.“ Ein kleines Lächeln schlich sich erneut in ihr Gesicht, bevor sie sich umwandte, dem Wasserspeier das Passwort nannte und die Wendeltreppe hinauf verschwand. Ungläubig schaute George ihr nach, bevor er in Richtung Gemeinschaftsraum davon spurtete.



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