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Mit Zähnen und Klauen

Die Geschichte eines asmodischen Daevas
von

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Stilles Dorf und schwerer Neuanfang

Sorry, dass es so lang gedauert hat. *rot wird* Ich hatte eigentlich geplant, das Ganze schneller über die Bühne zu bringen, aber dann ist mir irgendwie die Realität in den Weg geraten und ich habs schlicht vergessen. -_-'

Na ja, jedenfalls viel Spaß mit dem Kapitel!
 

Es regnete noch immer in Strömen, als Danvans Krallen das erste Mal seit zwei Jahren die Blütenblätter auf der Straße nach Baltasar berührten. Nie hätte er gedacht, aus einem so traurigen Anlass hierher zurückzukehren. Das schwere, tote Gewicht von Albins Körper drückte ihn nieder. Er war erschöpft, zu Tode erschöpft. Dennoch konnte er sich keine Ruhe gestatten. Als sein Bruder seinen Anfall bekommen hatte, hatte er beschlossen, ihn jetzt gleich in aller Eile nach Baltasar zu tragen. Auf schwarzen Schwingen waren sie auf die Ebene geglitten, den Rest des Weges war Danvan gelaufen, so lange er konnte, bis ihm das Blut aus dem Mund rann und seine Muskeln sich in brennende Knoten des Schmerzes verwandelt hatten. Er hatte nicht angehalten, war lediglich langsamer gegangen, bis er sich wieder so weit regeneriert hatte, um wieder laufen zu können.

Sein Bruder hatte irgendwann das Bewusstsein verloren, was in seinem Zustand aber vielleicht besser gewesen war. Seither hoffte Danvan, dass es noch nicht zu spät war. Albins Körper war kalt, der Regen und der Wind hatten jegliche Wärme aus seinem verletzten Leib gesogen, und Danvan selbst fühlte sich – von den schmerzenden Gliedern einmal abgesehen – wie ein Eisblock. Er hätte Albin nicht einmal mehr wärmen können. Nein, er hatte weiterlaufen müssen. Jetzt jedoch, wo er die weißen Blüten der riesigen Bäume Baltasars sah, fragte er sich, ob er nicht doch zu spät gekommen war. Er spürte keine Bewegung mehr im Körper seines Bruders.

Mit bangem Herzen eilte Danvan die Stufen hinauf zum Haus des Heilers. Das goldene Schild mit dem Zeichen der Heiler blinkte selbst in dem schwachen Licht des vollkommen verregneten Tages. In der ohnehin vorhandenen Düsternis Asmodaes, fügte Danvan hinzu, als er an die Tür klopfte.

Wie damals, als er zum ersten Mal gekommen war, öffnete ihm ein verhutzeltes altes Mütterchen, die Gehilfin des Heilers, die Tür. Sofort, als sie Albin auf Danvans Rücken sah, winkte sie ihn herein. „Bethbargan, komm schnell! Es geht um Leben und Tod!“, rief sie mit altersschwacher Stimme und Danvan hörte, wie sich im hinteren Raum des kleinen Hauses etwas regte. Dann kam der großgewachsene, dunkelhäutige Heiler in Sicht. Bethbargan war der Ehemann der alten Frau, doch im Gegensatz zu ihr war er ein Daeva. An ihm waren die Jahre, die seiner Frau so zugesetzt hatten, beinahe spurlos vorübergegangen.

Er musste nur einen einzigen Blick auf Albin werfen, dann winkte er Danvan, seinen Bruder auf der hohen Liege in seinem Behandlungszimmer abzulegen. „Was ist geschehen?“, fragte der Heiler, als er Albin das triefend nasse Haar aus dem Gesicht strich und seiner Frau auftrug, Handtücher zu holen. „Er wurde von einem wahrscheinlich vergifteten Schwert eines Untoten in die rechte Seite getroffen. Recht viel mehr als das weiß ich auch nicht, denn ich habe sie erst vor zwei Tagen wiedergetroffen. Ich weiß nur, dass es ihm schlechter geht, als es eigentlich der Fall sein sollte.“

Bethbargan nickte und strich sanft über Albins bleiche Wange. „Lass mich ihn untersuchen. Vielleicht finde ich die Ursache.“ Als Danvan nickte, öffnete der Heiler Albins Hemd und legte dessen Brust frei.

Die Hände des Heilers glitten sanft über die bleiche Haut seines Bruders, bis Danvan mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf abwandte und das Zimmer verließ. Draußen begegnete er der Frau Bethbargans. Sie sah zu ihm auf und fragte: „Was habt Ihr? Geht es Euch nicht gut?“ Er seufzte. „Das ist es nicht. Ich mache mir nur Sorgen. Und... ich musste seine Familie draußen im Regen auf der Ebene zurücklassen. Sie sind keine Kämpfer...“ Sie nickte. „Ich verstehe. Nun, mein Mann wird alles dafür tun, Euren Bruder am Leben zu erhalten. Aber wollt Ihr wirklich schon wieder nach draußen? Es regnet so stark... Auch Daeva können krank werden, wenn sie es nur intensiv genug versuchen.“

Danvan starrte in die Leere. „Ich weiß. Aber wie kann ich sie dort draußen allein lassen, jetzt, da ich meinen Bruder hierher gebracht habe?“ „Wenn Ihr nicht geht, wird es schwer, sie wieder aufzuspüren. Erst recht, wenn sie den Monstern begegnen, die die Ebenen bevölkern. Aber ich denke dennoch, dass ich Euch erst ein wenig aufpäppeln sollte, ehe ich Euch guten Gewissens gehen lassen kann. Kommt mit.“ Sie fasste seine Hand und zog ihn hinter sich her zu einer Kommode mit vielen kleinen Schubladen. Geschickt und mit sicherer Hand öffnete sie mehrere davon, entnahm jeder eine Winzigkeit – kleine Ampullen, Pillen, mehrere Döschen – während Danvan ihr fasziniert zusah. Sie wirkte, als wüsste sie genau, was wo versteckt war.

Dann mischte sie die verschiedenen Pulver und Flüssigkeiten und reichte Danvan schließlich ein Glas Wasser, in dem sie das Gemisch auflöste. „Trinkt das. Und danach nehmt diese zwei Pillen. Ihr werdet Eure Müdigkeit nicht mehr so stark spüren, außerdem wird das Mittel Eure Resistenz gegenüber der Kälte und dem Regen erhöhen, damit Ihr nicht krank werdet. Bei Daeva kann man so etwas glücklicherweise machen.“ Der Assassine gehorchte wortlos und tat, was sie verlangte, schluckte die klare, geruchlose Flüssigkeit hinunter. Beinahe sofort spürte er, wie neue Kraft seine Glieder durchströmte. Er streckte sich. Zwar reizte es ihn nicht wirklich, wieder in den Regen hinauszutreten, aber er wusste, wenn er es nicht tat, verdammte er Mestella und ihre Kinder damit zu einem einsamen Tod draußen auf den Ebenen.

Dennoch, bevor er ging, sah er noch einmal bei dem Heiler vorbei. Bethbargan sah kurz von seiner Arbeit auf. „Ah. Du bist es. Ich kann sagen, es war knapp. Einen Tag länger und er würde sicher nicht mehr unter uns weilen. So kann ich ihn wahrscheinlich retten. Wohin gehst du?“ Danvan seufzte. „Ich gehe seine Familie holen. Auch, wenn es mir nicht gefällt, ihn allein lassen zu müssen.“ Der Heiler nickte. „Ich verstehe. Ich werde gut auf ihn achtgeben während du fort bist.“ Sein Blick trübte sich etwas. „Wir Daeva müssen die Menschen – und ganz besonders unsere Familie – beschützen, nicht wahr? Mach dir keine Sorgen, dein Bruder ist hier sicher.“

Danvan senkte dankbar den Kopf, dann wandte er sich um und verließ das Haus raschen Schrittes. Er durfte keine Zeit verlieren, mit jeder Minute, die verstrich, wuchs die Gefahr für die kleine Familie, die da draußen in der Ödnis wartete.

Der Regen war noch kälter geworden. Danvan schüttelte sich und eilte zum Ausgang des Dorfes. Baltasar war in einem kegelförmigen Hügel errichtet worden, konnte nur durch zwei Wege erreicht werden. Es war gut zu verteidigen, was wohl der Hauptgrund dafür war, dass sich hier das Paradies, das Brusthonin einst gewesen war, noch immer halten konnte. Im Inneren des Hügels wuchsen gesunde, kräftige Pflanzen, Bäume breiteten schützend ihr Blätterdach über die Häuser und Menschen, die unter ihnen lebten. Blumen wuchsen hier, wie es früher auch in Danvans Heimatdorf gewesen war.

Doch er hatte keine Zeit, zu verweilen. Er breitete die Schwingen aus und glitt auf die Ebene hinab, versuchte, den Wind bestmöglich auszunutzen. Er würde nicht fliegen, das würde ihn unnötig auslaugen. Er wäre zwar sehr viel schneller, aber auch leichter auszumachen vom Boden aus. Wer wusste schon, was sich in der Fäulnis entwickelt haben mochte? Danvan verspürte kein Bedürfnis, im Magen irgendeiner Kreatur zu enden, nur weil er unnötige Hast walten ließ. Also machte er sich zu Fuß auf den Weg, benutzte seine Schwingen nur, um Abhänge hinunterzugleiten. Seine langen Beine griffen weit aus und seine Schritte fraßen die Entfernung, während er durch den Regen rannte. Er gönnte sich keine Pause.
 

Trotzdem wäre er beinahe zu spät gekommen. Er hörte den Schrei, bevor er Mestella überhaupt sah. Entsetzen spülte eisig kalt durch seine Adern, ließ ihn beide Schwerter ziehen. Er spürte, wie seine Augen zu glühen begannen. Dann sah er sie. Mestella, die sich schützend vor Serava und Felin gestellt hatte, die Krallen gekrümmt und die Klauen tief in die Erde gegraben. Es war das erste Mal, dass er die so sanfte Frau mit den auffälligsten Attributen einer Asmodierin sah: Ihre Augen verströmten dasselbe rote Glühen wie seine eigenen, ihr Rückenfell war gesträubt und ihre Krallen blitzten im Regen. Sie hielt ein bösartig aussehendes, gekrümmtes Messer in der Rechten. Mestella fauchte und die zerlumpte Kreatur mit den langen, verfilzten weißen Haaren zuckte zurück, gab ein markerschütterndes Heulen von sich, das ihrerseits Mestella erschauern ließ. Doch sie wich nicht zurück, sondern blieb tapfer vor ihren Kindern stehen. Danvan verschwendete keine Zeit, sondern krachte mit der Gewalt eines Schmiedehammers in die Banshee, rammte sie mit der Schulter aus dem Weg. Die Kreatur kreischte erneut, so laut diesmal, dass dem Daeva die Ohren klingelten, doch er wusste, wenn er den Kampf auf die leichte Schulter nahm, konnte es durchaus sein, dass sie ihn überwältigte. Seine Schwerter bohrten sich durch den Stoff der Kleidung – und fanden keinen Widerstand! Danvan riss die Augen auf und taumelte, von seinem eigenen Schwung mitgerissen, zwei Schritte weiter, ehe er sich wieder fangen konnte. Die Banshee schrie und streckte lange, gebogene Krallen nach ihm aus. Der Daeva war nicht mehr schnell genug, um der wütenden Attacke auszuweichen und fing sich vier lange Kratzer am Oberarm ein. Er biss die Zähne zusammen und stürzte sich erneut auf die Kreatur, und diesmal fanden seine Schwerter ihr Ziel. Eines hackte den linken Arm des Monsters ab, das andere fuhr tief in seine Brust. Diesmal, bemerkte Danvan mit leichter Genugtuung, klang das Kreischen schmerzerfüllt. Offenbar war noch nicht alles untot an diesem Schreckgespenst. Er schlug noch einmal zu, trennte der Banshee den Kopf von den Schultern. Binnen eines Augenblickes war das Geschöpf Geschichte, als sein Körper zu trockenem Staub zerfiel. Danvan richtete sich auf. Er schüttelte sich, als Mestella zu ihm herüberkam. „Sie... sie ist fort! Oh, bei Aions Zauber, sie ist fort! Danvan, es hat sie fortgejagt!“, schluchzte sie. Erst jetzt fiel ihm auf, was anders war. Erneut rann ihm ein Schauer über den Rücken. „Lelia?“ Mestella nickte unter Tränen. „Es war ein... ein Monster! Lelia wollte uns verteidigen und... es... oh, es hat sie fortgetrieben! Dann kam diese Banshee und... oh Danvan!“ Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Der Assassine schüttelte den Kopf. „Ich muss wissen, wohin! Wohin ist sie gelaufen?“ Sie deutete auf einen schmalen Durchgang zwischen zwei von schleimigen Gewächsen behangenen Bäumen. „Bleibt hier – und seid um Aions Willen leise!“ Serava und Felin nickten an Stelle ihrer schluchzenden Mutter. Die Kinder umarmten die völlig aufgelöste Asmodierin und Danvan machte sich mit einem letzten sichernden Blick in die Runde auf den Weg.

Er fand die Spuren sofort, Lelias kleine Klauen hatten sich in den weichen Boden gegraben. Immer wieder fand er Fetzen von alter Kleidung. Er betete nur, dass sie nicht von Lelias Gewand stammen mochten, während er durch den Regen hetzte, den Blick aufmerksam auf die Spuren gerichtet. Das Mädchen war davongerannt vor einer Kreatur, die höchstwahrscheinlich sehr viel schwerer war als sie, wohl menschlich, da die Abdrücke denen eines menschlichen Fußes ähnelten. Fünf Krallenabdrücke machten Danvan jedoch klar, dass es kein normales asmodisches Wesen war, das Lelia verfolgte. Er beschleunigte sein Tempo erneut. Je länger er seine Zeit verschwendete, desto geringer wurden die Chancen des Mädchens, lebend aus dieser Sache herauszukommen.

Dann erreichte er eine kleine Senke, hörte das Klirren von Stahl auf Holz, gefolgt von einem lauten Aufkeuchen und einem Schrei. Er sah einen ehemals roten, nun zerfledderten rötlichbraunen Mantel, einen kahlen, von fahler, verwesender Haut bedeckten Schädel, sah einen Stab, der ausholte, um dem kleinen Mädchen den Rest zu geben, das sich ohnehin die Seite hielt und kaum mehr gerade stehen konnte. Danvan holte scharf Luft, ließ seine Flügel erscheinen und stieß sich ab. Wie eine Kanonenkugel schoss er in die Senke hinab – und war dennoch nicht schnell genug! Die spitzen Verzierungen des Stabes bohrten sich in Lelias Körper, als die Kreatur das Messer der jungen Asmodierin einfach zur Seite fegte und noch in der Bewegung zuschlug. Mit einem erstickten Schrei flog Lelia zurück, wurde gegen einen halb vermoderten Baum geschleudert und sackte bewusstlos – oder gar tot – zusammen. Die Kreatur setzte ihr nach, doch nun endlich war Danvan nah genug. Mit einem donnernden Kampfschrei stürzte er sich dazwischen, spannte die riesigen schwarzen Flügel weit auf und reckte die Schwerter vor.

Es war ein Untoter. Ein Zauberer, um genau zu sein. Oder besser das, was von ihm übrig war. Halb skelettiert sah ihn das Biest an. Danvan schluckte, als er ins Gesicht des Untoten sah. Unter der schwammigen, an vielen Stellen aufgerissenen Haut konnte er das rohe, teils schon gut verweste Fleisch sehen. Um Nase und Mund war die Haut komplett fortgerissen, er sah die Muskeln arbeiten, als der Untote ihn angrinste und den Kiefer öffnete, eine verweste Zunge freilegte. Danvan keuchte. Eitrig gelbe Augen fixierten ihn, bannten ihn.

Erst im letzten Moment sah er das Licht, das sich um die Hand des Untoten gebildet hatte. Ein Zauber! Selbst im Tod konnte die Kreatur noch Magie wirken! Er wollte springen, begriff dann aber, dass er dann Lelias Körper einem Angriff preisgab, also blieb er stehen. Das Monster attackierte. Knisternde Elektrizität traf seine Schwerter, schickte flackernde Schmerzen seine Arme hinauf. Mit Mühe konnte er die Waffen festhalten, grub die Klauen tiefer in die weiche, schlammige Erde, um stehen zu bleiben. Ein weiterer Zauber traf ihn, verwirrte seine Wahrnehmung. Er zuckte zurück, als sich seine Umgebung vor seinen Augen zu drehen begann. Er schüttelte den Kopf, sah einen bleichen Schemen auf ihn zufliegen und ließ sich fallen. Anstatt seinen Bauch zu treffen, schlug das scharfkantige Holz auf seine Schulter, riss eine lange, blutige Schramme hinein, wobei es Leder und Haut gleichermaßen mühelos durchschnitt und ließ Danvan zischend die Luft ausstoßen. Er schlug mit dem Flügel nach der Kreatur, spürte, dass er etwas traf und stützte sich ab, um nicht vollkommen in den Schlamm zu sinken.

Das Monster taumelte zurück, fing sich und schoss erneut auf Danvan zu, der das linke Schwert hochriss, um sich zu verteidigen. Er fand nicht wirklich Halt, also wurde aus dem geplanten Ansturm eher ein Stolpern, doch zumindest stand er wieder. „Verdammter... Anubnit!“, keuchte der Assassine und schlug zu, wobei er aber nur den zerfledderten Ärmel der Kreatur erwischte. Diese lachte nur und holte erneut mit dem Stab aus. In Erwartung eines Schwingers hob Danvan das rechte Schwert, nur um von dem geraden Faustschlag frontal ins Gesicht getroffen zu werden, den der Zauberer unerwarteterweise ausführte. Mit einem unartikulierten Schmerzenslaut ging der Daeva zu Boden, badete Flügel und Rücken im Schlamm. Irgendwie gelang es ihm, beide Schwerter festzuhalten, was ihm vermutlich das Leben rettete, als der Untote sich auf ihn stürzte und versuchte, ihn mit dem spitzen Ende des Stabes zu erstechen. Er kreuzte die Klingen und schaffte es, die hölzerne Mordwaffe von sich wegzudrücken.

Die wandelnde Leiche über ihm fauchte ihn an und verfaulter Speichel spritzte Danvan auf Gesicht und Hals. Der Daeva biss die Zähne zusammen und drückte seinen Gegner weiter von sich weg, schaffte es, sich auf die Knie hochzuarbeiten. Seine Schwingen trieften vor Schlamm. Sie fühlten sich an, als würden sie mindestens eine Tonne wiegen, doch Danvan wusste, er hatte keine Zeit für lange Überlegungen. Kurz entschlossen klatschte er dem Untoten den schmierigen Flügel ins Gesicht, während er mit den Schwertern den Stab band. Der Anubnit taumelte und Danvan befreite mit einem Ruck eine seiner Waffen, trieb sie der Kreatur tief in die Brust.

Hatte er jedoch erwartet, jetzt Ruhe zu haben, so irrte er sich. Der Untote nämlich schüttelte sich nur, dann griff er mit der freien linken Hand ans Schwert und drehte sich weg. Danvan war so überrascht, dass ihm die Waffe tatsächlich entglitt. Und damit noch nicht genug, der tote Zauberer lachte nur und zog sie sich aus dem Fleisch, als wäre es nichts! Erst als sie gegen ihn geschwungen wurde, gelang es Danvan, wieder die Kontrolle über sich selbst zu übernehmen. Er wehrte mit dem Schwert in der Rechten seine eigene Klinge ab und zog den vergifteten Dolch aus dem Stiefelschaft. Dennoch musste er zurückweichen, als die lebende Leiche ihn mit Schwert und Stab bedrängte. Der Asmodier knurrte und richtete die Dolchspitze auf sein Gegenüber, während er die Schwertklinge vor seinem Körper hielt.

Der Untote schien seine Bemühungen nicht einmal zu bemerken, als sich Danvan leise spannte, zum Sprung ansetzte. Seine Klauen gruben sich viel zu tief in den Schlamm. Abstoßen würde er sich kaum können, aber er musste es trotzdem versuchen. Er holte tief Luft, dann sprang er. Zumindest überraschte er den Anubniten, der mit einer so plötzlichen, allumfassenden Attacke nicht gerechnet zu haben schien. Doch das war auch das einzige, was gut ging. Anstatt den Untoten aufzuspießen, ihm den Dolch in den Hals und das Schwert in die Schulter zu rammen, rutschte Danvan die kurze vergiftete Klinge ab und brachte dem Untoten lediglich eine Schramme an der Halsbeuge bei, während sein Schwert durch den losen Umhang schnitt und gar nichts traf. Sein Sprung war wesentlich weniger kraftvoll als erhofft und anstatt seinen Gegner glatt umzurennen, ging er mit ihm zu Boden.

Knurrend schlug er auf die wandelnde, sich wehrende Leiche ein, kassierte einen Stich des Stabes, der ihm eine tiefe, blutende Furche in die Wange riss. Das Schwert blockte er mit der bloßen Hand ab, wobei es ihm in die Handfläche schnitt, durch den Handschuh hindurch. Er schlug erneut zu und der Untote rammte ihm den Stab von unten gegen das Kinn. Danvan sah Sterne und fühlte, wie er vom Bauch des Anubniten gestoßen wurde und erneut in den Schlamm sank. Er wurde am Hinterkopf gepackt und untote Hände krallten sich in sein Haar, drückten sein Gesicht in den Dreck. Kälte umspülte ihn, und er spürte das Brennen, als der Schlamm in die frische Wunde an seiner Wange geriet. Beides weckte seine Lebensgeister und er schlug um sich, traf jedoch nichts. Ihm ging die Luft aus, ehe er endlich die Flügel einsetzte und den Untoten von seinem Körper wegfegte.

Mit einem keuchenden Atemzug sog er den Odem Brusthonins ein, dankbar, dass sich nun wieder Sauerstoff in dem befand, was er einzuatmen versuchte. Da wurde er erneut umgerissen, spürte die toten Hände erneut an sich, die ihn wieder in den Schlamm zu drücken versuchten. In dem folgenden Handgemenge musste Danvan mehrfach Schläge einstecken, einen Mundvoll Dreck schlucken, der ihm ins Gesicht geschleudert wurde, zu Klauen gekrümmte Hände von sich wegdrücken und schließlich selbst zuschlagen. Als er wieder auf dem Rücken lag und der Untote seine Rechte über seinem Kopf festgenagelt hatte, sah er sich schon tot liegen bleiben. Seine Linke lag unter seinem eigenen Körper begraben, während der lebende Leichnam ohne Mühe seine Rechte festhielt. Schon krümmten sich die toten Finger wieder zu Krallen, um ihm die Kehle aufzureißen, da spürte Danvan, dass er auf etwas lag. Seine Hand schloss sich um einen länglichen Gegenstand, riss ihn grob unter seinem Körper heraus und schmetterte ihn dem Untoten ins Gesicht. Und diesmal erstarrte die Kreatur, ehe sie mit einem fast erleichtert klingenden Seufzen zu Staub zerfiel. Danvan hielt seinen eigenen Dolch in der Hand, den er dem Monster ins Auge gerammt hatte.

Ächzend wälzte er sich schließlich herum, stemmte sich auf Unterarme und Knie hoch. Sein Herz raste, während er noch immer versuchte, seinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Er war zerschunden und erschöpft. Aber er durfte sich auch nicht ausruhen, weil...

„Lelia!“ Entsetzt und schneller als zuvor kam er auf die Füße und taumelte zu ihr hinüber. Das Mädchen lag noch immer zusammengesunken zwischen den Wurzeln des Baumes. Danvan beugte sich über sie und erkannte erschrocken, dass Blut durch ihr Hemd sickerte. Ihr Atem ging schwach und unregelmäßig. „Nein... nicht auch noch du...“ Mit zitternden Händen schob er ihr Hemd nach oben und legte die Wunde frei. Es war ein tiefer Stich, zu tief, als dass er ihn gleich hier und jetzt versorgen konnte. Nach kurzem Zögern schob er schließlich ein sauberes Stück Stoff hinein und legte einen dünnen Verband darüber. Mehr konnte er im Moment nicht tun. Schaudernd sammelte er seine Waffen ein und kehrte zu Lelia zurück. Das Mädchen war bleich und regte sich kaum. Er hob sie hoch, wobei sich kurzzeitig alles um ihn drehte, als er sich aufrichtete. Dann trug er sie zurück.

Mestella hätte sich fast auf ihn gestürzt, weil sie ihn für ein Monster aus dem Morast hielt, doch als sie das Mädchen auf Danvans Armen erkannte, wandelte sich ihr anfänglicher Kampfgeist in das herzzerreißende Entsetzen einer Mutter, die um ihr Kind fürchtet. Sie rannte auf ihn zu und Danvan trat zu einer trockenen Fläche hin und legte Lelia vorsichtig ab. „Ich konnte sie nicht beschützen. Es tut mir leid.“, meinte er leise und konnte gerade noch verhindern, dass seine Stimme brach. „Ich sah noch, wie sie davongeschleudert wurde. Es war ein Untoter, der sie verletzt hat... die Kreatur ist vernichtet, aber...“ Mestella schluchzte, dann schob auch sie das blutige Hemd nach oben, sah die Wunde.

Sie wurde blass. „D-das kann ich nicht behandeln!“ Danvan nickte. „Ich weiß. Das muss sich ein Heiler ansehen. Aber... ich möchte euch nicht allein hierlassen. Nicht noch einmal.“ „Aber Lelia braucht Hilfe! Wir kommen schon zurecht... bestimmt!“ Der Daeva schüttelte den Kopf. „Nein. Als ich euch das letzte Mal allein gelassen habe, ist beinahe eine Katastrophe passiert. Ihr kommt mit mir.

Mestella, wie lange kannst du laufen, wenn du Felin auf dem Rücken trägst?“ Sie starrte ihn an. „D-das kommt darauf an... nicht besonders lange, glaube ich. Warum?“ Er seufzte. „Vielleicht können wir gemeinsam laufen.“ Er wies auf Lelias reglosen Leib. „Sicher, sie braucht Hilfe, aber ihr seid ohne mich völlig wehrlos. Sei mir nicht böse, Mestella, aber was einen hier in der Giftöde erwartet ist mehr, als du jemals auf den heimatlichen Berghängen erlebt hast. Dinge, denen du nicht gewachsen bist. Du bist kein Daeva wie ich.“

Erstaunlicherweise nickte sie, ohne verletzt zu wirken. „Du hast Recht. Ich... ich werde es versuchen. Wir müssen meine Tochter zu einem Heiler bringen. Außerdem... möchte ich Albin wiedersehen.“ Danvan nickte.
 

Sie rannten durch die Ebene. Mestella hielt sich kontinuierlich hinter ihm, aber Danvan schlug kein zu hartes Tempo an, um sie nicht vollständig zu erschöpfen. Als er über seine Schulter nach hinten sah, sah er, dass Felin sich an den Rücken seiner Mutter kuschelte, den Kopf an ihrer Halsbeuge abgelegt hatte. Seine kleinen Krallen lagen sanft auf ihren Schultern, er drückte gerade so fest zu, dass er sich festhalten konnte. Mestella hingegen lief leicht vornübergebeugt, um ihren Sohn nicht zu sehr durchzuschütteln und nicht zu viel Kraft zu verschwenden.

Danvan seufzte und fasste Lelia fester. Serava auf seinem eigenen Rücken krallte sich fester an ihn, aber sie wurde auch nicht von ihm gestützt wie Felin von seiner Mutter. Sie wirkte nicht entspannt, sah sich immer wieder aufmerksam und ängstlich um für den Fall, dass er etwas übersah, das ihnen gefährlich werden konnte. Zwar war das nicht unbedingt nötig, sie bewegten sich zu schnell fort, als dass die untoten Kreaturen wirklich Interesse an ihnen haben konnten, aber es war besser, Vorsicht walten zu lassen. Er konnte die Angst des kleinen Mädchens verstehen. Schließlich war ihre Schwester bereits verletzt worden.

Dann wurde Mestella plötzlich langsamer. „Danvan... warte!“, bat sie. „Ich kann... nicht mehr.“ Er blieb stehen. Die Asmodierin keuchte und hatte Mühe, ihre Schritte sicher zu setzen. Als sie sah, dass er vor ihr stand, wollte sie sich zu Boden sinken lassen, doch Danvan schüttelte den Kopf. „Tu das nicht. Vor uns liegt noch ein langer Weg. Wenn du dich jetzt hinsetzt, wirst du Schwierigkeiten bekommen, wenn wir weiterlaufen. Wenn du dich ausruhen möchtest, setze Felin ab und geh ein wenig im Kreis, um deinen Herzschlag sanft zu beruhigen.“

Sie sah ihn ungläubig an, tat aber, was er ihr vorschlug. Als ihr Sohn wieder auf seinen eigenen Füßen stand und er Serava abgesetzt hatte, kümmerten sie sich um Lelia. Das Mädchen war noch immer bewusstlos, doch es schien ihr nicht so viel schlechter zu gehen als zuvor. Es bestand berechtigte Hoffnung, dass sie Baltasar in besserem Zustand erreichen würde als ihr Vater.
 

Viel zu bald und doch auch viel zu spät brachen sie wieder auf. Dicke Tropfen fielen wie Tränen auf sie herab, durchnässten sie alle bis auf die Haut. Danvan biss die Zähne zusammen und führte Mestella weiter in Richtung des rettenden Dorfes. Sie hatten bei Weitem noch nicht den Weg hinter sich, den er sich erhofft hatte. Seine Füße waren eiskalt und er bezweifelte, dass es Mestella oder den Kindern anders ging. Zumindest waren sie nicht weiter attackiert worden. Langsam schwand auch noch das letzte Licht. Danvan wusste, sie würden sich ein Lager für die Nacht suchen müssen, in dem sie zumindest einigermaßen trocken schlafen konnten. Wenn sie krank wurden, würden sie es vielleicht nicht mehr rechtzeitig nach Baltasar schaffen. Er begann, sich umzusehen nach einem Unterstand. Es gab hier viele verlassene Farmhütten, eine mochte bewohnbar sein für eine Nacht. Doch er fand nichts, was seinen Ansprüchen Genüge getan hätte.

Schließlich war es Serava, die ihn auf ein gedrungenes Gebäude aufmerksam machte, das sich an einen flachen Hügel schmiegte und das er vollständig übersehen hatte. Danvan lenkte seine Schritte zu der kleinen Hütte. Er sah sich aufmerksam um, ehe er die Kinder absetzte und vorsichtig ins Innere des Hauses spähte. Staub, ein Rest Stroh auf dem Boden, zerbrochene Möbel. Aber sonst nichts. Kein Leben, kein untotes Leben. Vielleicht hatten sie endlich einmal Glück im Unglück und fanden eine Unterkunft.

Er betrat den Raum. Die Luft roch alt, aber nicht verfault, und es war windgeschützt. Danvan lief das Zimmer ab, spähte in alle Ecken und nahm alles in Augenschein, was ihm auffiel. Schlussendlich befand er, dass sie hier sicher waren und ging nach draußen, um Lelia hereinzutragen und die Anderen zu holen. Mestella und Serava atmeten beide erleichtert auf, dass die Tortur zumindest für heute ein Ende hatte, während Felin sich einfach nur müde auf den Boden fallen ließ und sich zu einem Ball zusammenrollte. Der Junge schlief schon, als Mestella eine Decke über ihn breitete, ehe sie zu ihrer Tochter zurückkehrte und mit ihr das Abendessen vorbereitete.

Es war ein karges Mahl, bestehend aus ein wenig Getreidebrei mit knorrigem Wurzelgemüse und ein paar Kräutern, die Danvan im verlotterten Garten des Häuschens gefunden hatte, doch hier im Trockenen schmeckte es ihm gleich noch einmal so gut, wie als wenn sie es draußen eingenommen hätten. Er hatte sein Hemd abgelegt, auf dass es am kleinen Kochfeuer trocknen würde, und Mestella hatte sich ein Beispiel an ihm genommen und sich und die Kinder in ihre zweite Garderobe eingekleidet, die nur mehr ein klein wenig feucht und nicht so triefend nass war wie die anderen Kleider. Dann legten sie sich schlafen. Danvan beschloss, wach zu bleiben. Ihm machte es nicht so viel aus, eine Nacht nicht zu schlafen, schließlich war er ein Daeva.

Doch im Laufe der Nacht, als seine Glieder immer schwerer und schwerer wurden, bereute er seinen Entschluss. Er schritt umher, sah in die schlafenden Gesichter. Plötzlich hörte er ein leises Stöhnen. Danvan erschrak so sehr, dass er spürte, wie seine Augen zu glühen begannen, doch er hatte sich rasch wieder in der Gewalt, als er feststellte, dass der Laut von Lelia gekommen war. Er schritt zu ihr hinüber und ließ sich bei ihr nieder. Das Mädchen blinzelte in der Düsternis. Sie hatte ängstlich die Decke bis ans Kinn hochgezogen und sich zusammengekauert. Danvan legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. „Nicht, Lelia. Du bist in Sicherheit. Ich habe dich gerettet. Wir sind schon auf dem Weg nach Baltasar. Hab keine Angst, ich lasse nicht zu, dass die Untoten dir noch einmal wehtun.“ Lelia zuckte zusammen, doch dann entspannte sie sich etwas. Sie schniefte. „Onkel Danvan! Ich habe versucht...“ Er schüttelte den Kopf und sie schwieg. „Ich weiß, es tut weh, aber je weniger du sprichst oder weinst, desto weniger schlimm ist es.“ Er grub in seinen Taschen nach einem Stück manipulierten Zeller-Harzes. Das Bonbon würde ihren Schmerz vielleicht etwas betäuben, glaubte er und reichte es ihr. Lelia zögerte, dann nahm sie es in den Mund. „Was ist das?“, fragte sie lutschend. „Es ist das chemisch veränderte Harz der Zeller-Pflanze. Wir Daeva benützen es, um unsere Schmerzresistenz zu erhöhen. Eigentlich sollten Menschen wie du es nicht nehmen, aber in diesem Fall glaube ich, wird es mehr helfen als schaden.“ Lelia sah etwas verwirrt drein. „Warum nicht?“ „Nun...“, Danvan zögerte. „Es fällt unter das Gesetz zum Schutz der Menschen. Wenn man es zu oft nimmt, kann man davon süchtig werden. Deshalb bin ich mit dem Einsatz vorsichtig. Einem Daeva macht das nichts aus, unsere Körper können den Stoff vollständig abbauen, deshalb werden wir auch nicht süchtig davon. Aber bei Menschen lagert sich etwas davon in ihrer Leber ab, was bei zu häufigem Genuss zu Schädigungen führen kann.“ Das Mädchen runzelte die Stirn. „Warum trägst du so etwas mit dir herum?“ „Wie ich schon sagte, Daeva benützen es, um die Schmerzen der Verletzungen, die wir im Kampf erleiden, nicht mehr so stark zu spüren. Ich nehme es nur selten, denn wenn man sich zu stark betäubt, mag es durchaus sein, dass man sich selbst außer Gefecht setzt und zur leichten Beute macht.“ Diesmal nickte Lelia. „Das kann ich verstehen. Danke... Aber ich habe deinen Dolch verloren.“ Danvan lächelte. „Nein. Ich habe ihn aufgesammelt, hab keine Angst. Ich gebe ihn dir zurück, wenn wir in Baltasar sind. Jetzt schlaf, Kleines. Ich passe auf, dass dir nichts geschieht.“

Lelia nickte und rollte sich wieder ein. Danvan seufzte leise und ließ sich gegen die Wand sinken. Sie würden es ganz sicher schaffen. Bestimmt. Als der Schlaf diesmal nach ihm griff, hatte er ihm nichts mehr entgegenzusetzen.
 

Am nächsten Morgen erwachte er mit steifen Gliedern und knirschenden Gelenken. Er erhob sich aus seiner ungünstigen Position und lockerte seinen Körper, indem er verschiedene Übungen absolvierte, schließlich die Schwingen öffnete und sie weit ausbreitete. Er hörte erst damit auf, als ihm jemand an den rechten Flügel fasste. Danvan fuhr zusammen, doch es war nur Felin, der mit großen Augen zu ihm aufsah. „Die sind ja riesig!“, flüsterte der Junge und Danvan lächelte. „Das kommt dir nur so vor, weil es hier drinnen so eng ist. In Wahrheit sind sie gar nicht so groß.“ Doch die Ehrfurcht im Blick des Kindes wich nur geringfügig, also ließ er ihm seine Bewunderung und begab sich zu Mestella, die gerade die letzten Trockenkuchen verteilte.

Er biss von dem harten Gebäck ab, das zwar nach nichts schmeckte, ihn aber zumindest bei Kräften halten würde. Auch das hatte er vermisst. Daeva bekamen zwar Rationen an Trockenobst und -fleisch, wenn sie auszogen, aber es war einfach etwas anderes, dieses karge Reisebrot der Bauern von Brusthonin. Noch immer kauend, machte er sich daran, sich wieder reisetauglich zu machen. Heute würden sie die letzte Etappe überwinden, wenn sie sich beeilten. Eigentlich hatte er gedacht, die Reise würde länger dauern, doch er hatte Mestellas Ausdauer unterschätzt. Die junge Frau stand ihm nicht viel nach, auch wenn sie nach einem solchen Lauf wohl nicht mehr kämpfen konnte, wie er es hatte tun müssen. Dennoch war es beachtlich, wie gut sie sich schlug, mit ihrem Sohn auf dem Rücken durch die schlammigen Felder des verfaulenden Landes hindurch. Er lächelte, dann hob er Lelia, die inzwischen ebenfalls wieder wach war, auf die Arme und Serava auf seinen Rücken. „Können wir los?“ Mestella mit Felin auf dem Rücken nickte. „Lass uns gehen.“

Sie brachen im strömenden Regen auf. Lelia kuschelte sich in seine Armbeugen und schloss die Hände um sein Hemd, während Serava sich fest an ihn schmiegte, einerseits um sich festzuhalten, andererseits um in den Genuss seines Körperwärme zu kommen. „Onkel Danvan? Wo werden wir hingehen, wenn wir in Baltasar angekommen sind?“, fragte sie dann. Er grinste. „Wir werden schon ein Plätzchen für euch finden. Altgard soll schön sein, habe ich gehört, es ist ein wesentlich fruchtbareres Land als die Berge von Brusthonin – oder dieser Landstrich hier. Ansonsten... ich glaube, in Morheim könnten wir ebenfalls fündig werden. Auch dort gibt es ländliche Gegenden, wo Bauern schnell Arbeit finden können.“ „Bleibst du dann bei uns?“ Danvan seufzte. „Die erste Zeit, bis euer Vater sich erholt hat, ja. Aber natürlich kann ich nicht für immer bleiben. Ich bin nach wie vor ein Daeva im Dienste des ganzen Volkes von Asmodae, also kann ich nicht einfach tun, was mir gefällt. Auch ich habe Pflichten.“ Sie dachte kurz nach. „Wirst du uns dann zumindest besuchen kommen?“ Danvan zögerte, dann nickte er. „Wenn ich die Zeit dazu finde, ja.“

Schweigend rannten sie weiter, machten schließlich eine Pause, als Mestella Danvan darum bat. Die junge Frau wurde immer langsamer, bis sie schließlich stehen blieb. Ihre Knie zitterten, als sie Felin von ihrem Rücken gleiten ließ. Auch Danvan setzte die Kinder ab. „Mestella. Ruh dich aus. Wir haben es nicht mehr weit. Wenn wir weiterhin so gut vorankommen, werden wir Baltasar vor der Abenddämmerung erreichen. Wir müssen nur...“ Danvan riss die Schwerter aus den Scheiden und stieß Mestella grob zur Seite. Gerade noch rechtzeitig, denn wo die junge Frau einen Augenblick zuvor noch gestanden hatte, stießen nun lange Klauen in den Boden. Die Kreatur kreischte und Danvan fauchte: „Mestella! Beschütz die Kinder!“ Er selbst brachte das Schwert zwischen die Klauen der Banshee und seine Kehle, trieb das Ungeheuer mit einem Knurren von sich weg.

Felin schrie, wurde hastig von seiner Mutter zurückgerissen. Serava stand zitternd bei Lelia, die ihr das kleine Messer in die Hand drückte. „Nimm, Serava! Schnell!“ Das Mädchen zögerte, doch als ein Kichern hinter ihr erscholl packte sie die Waffe und stellte sich vor Lelia, die sich zusammenkauerte. Danvan gelang es, einen raschen Blick über seine Schulter zu riskieren. Er keuchte auf. Serava sah einem Gespenst ins knöcherne Gesicht! „Danvan!“ Mestellas Schrei kam fast zu spät, Danvan schaffte es zwar noch, sich seitlich wegkippen zu lassen, doch die Banshee war zu nah bei ihm, als dass sie ihn noch hätte verfehlen können. Ihre Klauen schrammten über seine Brust, zogen Furchen durch das Leder, die Zeigefingerklaue durchschnitt das Hemd und die Haut darunter. Noch im Fallen riss Danvan das rechte Schwert hoch und trennte der Kreatur einen Arm ab. Schrill kreischend wich sie zurück, während Danvan mit einer halben Rolle wieder auf die Füße kam, das Gespenst rammte und es von Serava wegschob. Sein linkes Schwert deutete auf die Kehle der kleinen, nur etwa kindgroßen Kreatur, während das rechte unverwandt auf die Banshee gerichtet blieb, die wieder näherkam, ihre verbleibende Hand vorgereckt und bereit, erneut zuzuschlagen. Doch zumindest hatte er nun die Aufmerksamkeit beider Kreaturen. Serava zerrte ihre Schwester aus der Bahn, während Mestella bereits ihr Messer zückte. Danvan jedoch schüttelte den Kopf und bedeutete ihr, ihre Kinder zu beschützen, was die junge Frau dann auch tat.

Die Banshee attackierte zuerst, mit einem vertikalen Klauenhieb direkt auf Danvans Kopf gezielt. Der Assassine tauchte seitlich weg, das Schwert vor sich und damit das Spottgespenst auf Distanz haltend. Mit der anderen Hand schlug er zu und traf die kindliche Kreatur auch, trennte den linken Teil ihres Mantels ab, wich dann zurück und schlug nach der sich wieder nähernden Banshee. Zwar traf er nichts, doch die Kreatur zuckte erneut zurück. Allerdings beschloss sie dann wohl, dass sie ihre furchterregendste Waffe einsetzen sollte. Sie warf den von grauer Haut bedeckten Kopf zurück und kreischte. Lelia und Serava kauerten sich zusammen, Felin klammerte sich an seine Mutter, während Mestella aussah, als würde sie jeden Moment die Waffe fallen lassen. Doch Danvan wusste, er durfte nicht nachlassen, sonst würden ihn die beiden Gegner überwältigen. Dem Gespenst schien der grauenvolle Schrei nichts auszumachen, denn es kam näher, holte kichernd mit beiden Händen aus.

Danvan wirbelte herum, die Schwerter ein Tornado aus Stahl, die beide Arme knapp unter dem Ellbogengelenk abtrennten, um dann wieder zur Banshee zurückzurasen, doch er traf nichts. Dem diesmal horizontalen Klauenhieb konnte Danvan nur entkommen, indem er in letzter Sekunde die Schwingen ausbreitete und mit einem eleganten Rückwärtssalto über das Gespenst hinwegsetzte, es nach vorne stieß und zusah, wie die Banshee die andere Kreatur aufschlitzte. Nun war es das Spottgespenst, das kreischte, und zwar vor Schmerz. Danvan biss die Zähne zusammen und holte aus, warf die Schwerter nach vorne und durchbohrte die kleine Kreatur mit beiden Klingen, ehe er sie wieder auseinanderriss und das Gespenst zerfetzte.

Keuchend verharrte er einen Moment, den Kopf gesenkt, die Knie zum Sprung angewinkelt und die Flügel auf dem Rücken zusammengelegt. Wieder schrie die Banshee, doch Danvan spürte, dass ihr Schrei an Kraft verloren hatte. Er sah auf, nutzte die ausgestreckten Arme als Schwung und ließ beide Schwerter wieder nach vorne zischen, diesmal jedoch bildeten sie einen tödlichen, flirrenden silbernen Halbmond, ehe sie sich in der Mitte trafen. Danvan schlug mit dem rechten Schwert zu und stach mit dem Linken nach. Die zweite Attacke traf die Kreatur vor ihm, durchbohrte ihre Brust. Aus dem schrillen Kreischen wurde ein ersticktes Röcheln. Noch einmal versuchte sie, Danvan zu kratzen, doch außer seinem linken Unterarm traf sie nichts. Die Banshee sackte in sich zusammen, ihr nun endgültig sterbender Leib rutschte vom Schwert des Daeva und landete im Schlamm. Danvan verharrte noch einen Moment länger, dann richtete er sich schwer atmend auf.

Mestella hielt Felin hinter sich, zitternd, während Serava und Lelia nebeneinander auf dem Boden kauerten. Ihr langes Haar war regennass und ihre Kleidung schlammbespritzt. In ihren Augen stand Angst. Langsam trat der Daeva zu ihnen hin, faltete die Schwingen auf dem Rücken und sah in die Runde. „Alles in Ordnung?“

Erstaunlicherweise war es Felin, der die Starre brach. „Das war Wahnsinn! Onkel Danvan!“ Der Junge tauchte unter dem schützenden Arm seiner Mutter hervor und rannte zu ihm hin. Der Assassine schüttelte den Kopf. „Es war gefährlich und riskant. Wir können von Glück sagen, dass wir alle noch leben und nicht schwer verletzt worden sind.“

Nun schien auch Mestella ihre Fassung zurückzuerlangen. Sie trat zu Danvan hin und fasste seinen Arm, der nach wie vor das mit verfaulendem Blut bedeckte Schwert hielt. Rasch wischte er es sauber und steckte es weg. „Du bist verletzt worden. So kannst du nicht kämpfen.“ Der Ältere schüttelte den Kopf. „Ich werde kämpfen, wenn wir noch einmal angegriffen werden. Ich lasse euch nicht allein.“ Mestella seufzte, dann legte sie die Hand auf den tiefen, blutigen Kratzer an seinem Arm. Danvan zuckte zusammen, als ihre Kralle über die Wunde strich. „Lass es mich verbinden!“ Sie riss einen Streifen aus ihren noch sauberen Kleidern und schlang ihn geschickt um Danvans Arm. Nicht sehr professionell, aber es würde Danvans Handgelenk stützen, wenn er noch einmal das Schwert benutzen musste. Er nickte ihr dankbar zu. Dann trat er zu den Mädchen, die nach wie vor aneinandergekauert dasaßen. „Geht es euch gut?“ Erst nickte Lelia, dann, nach kurzem Zögern, auch Serava. Danvan brachte ein Lächeln zustande. „Lasst uns gehen. Es wird wirklich Zeit, dass wir nach Baltasar kommen.“ Erst danach sah er zu Mestella, die bestätigend nickte und bereits wieder Felin auf den Rücken nahm. Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie jetzt keine Pause mehr machen wollte, sondern lieber so schnell wie möglich in Sicherheit gelangte. Sie rannten wieder los, durch den Regen und den Schlamm.
 

Als sie endlich in Baltasar ankamen, wurden sie bereits von einer Gruppe Wächter empfangen. Die Daeva hielten alle schwere Schwerter und riesige Schilde, waren bereit, es mit allem aufzunehmen, was ungerechtfertigt das Dorf betreten wollte. Danvan und seine Begleiter wurden durchgewinkt, sodass sie schnell das Innere des seltsamen Felsenkessels betreten konnten, der Baltasar beherbergte.

Die Kinder sahen sich alle staunend um und konnten kaum glauben, wie ein solch paradiesisch friedlicher Ort in der Giftöde existieren konnte. Mestella jedoch wurde zusehends unruhiger. Schließlich beschloss Danvan, gleich zu Bethbargan zu gehen. Der Heiler erwartete sie bereits. „Ah, ihr seid es! Ich fürchtete schon das Schlimmste, aber wie ich sehe, habt ihr es relativ gut überstanden. Kommt herein.“, begrüßte der Heiler sie und Danvan folgte ihm ins Innere des Hauses. Felin hielt sich still dicht bei seiner Mutter, während Serava sogar ihre Hand fasste. Lediglich Lelia lag still in Danvans Armen, während sie sich jedoch aufmerksam jedes Detail einprägte, das sie zu sehen bekam.

Bethbargan bedeutete dem Daeva, das Mädchen auf einer Liege in seinem Behandlungszimmer abzulegen. Danvan gehorchte und der Heiler beugte sich über sie. „Nun, was haben wir denn da? Eine kleine Kämpferin, wie ich sehe? Na, dann wollen wir doch mal schauen, wie wir deine Wunden kurieren können, oder?“, lächelte er und Lelia wurde rot. „So klein bin ich nun auch wieder nicht...“

Danvan spürte eine sanfte Berührung an seinem Arm. Die Frau des Heilers! „Auch Ihr seid verletzt, Daeva. Kommt mit mir. Ich werde euch versorgen.“ Sie legte fast vertraulich einen Arm um ihn und führte ihn aus dem Raum. Im Nebenzimmer hieß sie ihn auf einem Stuhl Platz zu nehmen und öffnete dann Mestellas Verband an seinem Arm. Sie spitzte die Lippen. „Nun, bei einem Menschen hätte ich das sicher genäht, aber bei einem Daeva? Was haltet Ihr davon, wenn ich Odella-Puder benutze?“, fragte sie dann leise. Danvan verzog das Gesicht. Odella brannte höllisch, auch wenn es bewirkte, dass sich die Wunden mehr als schnell schlossen. Er nickte. „Gut. Dann bleibt mir wenigstens keine Narbe.“ „Ihr solltet dankbar sein, dass keine Sehne verletzt wurde, sonst könnte auch Euer Arm steif bleiben. So gesehen, habt Ihr wirklich Glück gehabt!“

Danvans Blick glitt hinüber zu dem Vorhang, der einen Teil des Raumes abtrennte. Er schluckte. „Ist das...“ Die alte Dame nickte. „Ja. Euer Bruder liegt dahinter. Sprecht leise, er schläft.“ „Darf... darf ich ihn sehen?“ „Wenn wir hier fertig sind.“ Kurz fragte sich der Assassine, weshalb sie ihn überhaupt in dieses Zimmer gebracht hatte, wenn doch Albin hier schlief. Doch als sie das helle Puder in seine Wunde streute, hatte er vorerst genug damit zu tun, nicht vor Schmerz aufzuschreien. Keuchend ballte er die Hand zur Faust, so fest, dass seine eigenen Krallen tief in sein Fleisch schnitten. Danvan spürte, wie sich sein Rückenfell sträubte. „Na, na, verletzt Euch nicht selbst dabei, tapfer zu sein!“ „Ich will... ihn nicht... aufwecken!“, knirschte Danvan hervor und wischte sich mit der unverletzten Hand eine Träne aus dem Augenwinkel. Die Heilerin nickte und legte mit flinken Fingern einen sauberen, straffen Verband um seinen Arm. „Lasst ihn zwei Tage dran, wenn Ihr könnt. Danach sollte eigentlich alles in Ordnung sein.“

Der Assassine nickte und schloss die Hand langsam, ehe er sie wieder öffnete. Der Verband machte die Bewegung ohne Weiteres mit – gut. So würde er notfalls auch kämpfen können, wenn es sein musste. Er sah zum Vorhang hinüber. Sein Inneres schmerzte, so dringend wollte er Albin sehen.

„Schon gut. Ich muss Euch nur bitten, ihn nicht zu stören. Er wird überleben, aber nur, wenn er seine Ruhe bekommt.“, meinte die alte Frau, erhob sich und trat zu der Wand aus Stoff. Langsam zog sie das Gewebe zurück und Danvan schluckte.

Albin lag auf dem Rücken, blass wie zuvor. Er wirkte selbst im Schlaf erschöpft, fand der Ältere. Nun fielen ihm erst die tiefdunklen Ringe unter den Augen seines Bruders auf. Man hatte Albin nie als zerbrechlich bezeichnen können, doch nun kam es Danvan so vor, als könne der Jüngere schon bei einer flüchtigen Berührung wie Glas zerspringen, so bleich und abgespannt sah er aus. Ja, verletzlich, zerbrechlich. „Albin...“

„Er wird überleben. Bethbargan kümmert sich um ihn. Aber Euch muss klar sein, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, bis er wieder in der Lage sein wird, so voller Kraft herumspringen zu können, wie Ihr es tut. Trotz allem, er ist ein Mensch, kein Daeva.“, flüsterte die Heilerin und Danvan nickte. „Ich weiß. Ich bin bereit, ihm und seiner Familie beizustehen, bis er sich erholt hat. Schließlich sind wir Brüder. Er ist das Einzige, was ich noch habe.“ Er sah traurig in Albins bleiches Gesicht. Nur am Rande nahm er wahr, wie ihn die alte Dame allein ließ.

Sie würden die Zeit, die sie in Baltasar bleiben mussten, nutzen, um Kraft zu regenerieren. Er würde die Familie nach Basfelt bringen, ein kleines Dorf in Altgard. Dort würden sie zurechtkommen. Ihr Leben würde einfacher sein als in Brusthonin, wo man der Erde alles, aber auch wirklich alles abringen musste und einem nichts geschenkt wurde. Mehr konnte Danvan nicht tun. Albin und Mestella hatten es in der Hand, sich eine neue Zukunft aufzubauen. Er selbst würde nicht mehr als ein flüchtiger Begleiter sein, vielleicht eine helfende Hand, wenn dies nötig war, doch sonst nichts. Er war ein Daeva im Dienste des asmodischen Volkes. Die Pflicht würde immer über allem anderen in seinem – zumindest auf natürlichem Wege – niemals mehr endenden Leben stehen. Danvan seufzte leise und zog sich einen Stuhl heran. Während er an Albins Bett wachte, wurde ihm klar, der Neuanfang würde nicht einfach werden. Doch sie würden ihr Bestes geben. Das zumindest war er seinem jüngeren Bruder schuldig. Alles weitere würde sich ergeben, wenn es soweit war.



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