Zum Inhalt der Seite

Droßelmeier GmbH

Von Uhrwerken, Gentlemen und der Wissenschaft
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Fehlgeleitete Erfolge

„Wechselbalg“ nannte man den Mann, der Alberics Schulter umfasste. Ihm gefiel der Name, genau wie die Legende, die sich darum rankte: Man behauptete, dass er in Wahrheit ein Koboldkind sei, dass die Naturgeister an die Stelle eines gestohlenen Menschenkindes gelegt hatten. Dem schrieb man auch seine erstaunlichen Fertigkeiten im Diebstahl und Schleichen zu – und seine abgrundtiefe Hässlichkeit. Die meisten Leute fürchteten den zwielichtigen Gesellen und seine womögliche Fähigkeit, Feenpfeile zu verschießen.

Alberic glaubte nicht an Götter, Geister, Dämonen, Feen oder Kobolde.

„Gute Nacht, Herr Wechselbalg“, begrüßte Alberic seinen Geschäftspartner ruhig und befühlte den Beutel mit Münzen, den er in der Tasche trug. Wechselbalg machte stets eine riesige Theateraufführung um alles – daher auch der Treffpunkt um Mitternacht – und trug auch damit, dass er nur Münzgeld, keine Scheine akzeptierte, zu den Legenden um sich bei. Alberic vermutete dahinter aber auch noch einen deutlich trivialeren Gedanken: Niemand wurde misstrauisch, wenn man ihm Münzgeld anbot. Manche prüften es zwar auf Echtheit, aber es war nicht halb so verdächtig wie große, neue Scheine.

„Gute Nacht, Professor“, grüßte Wechselbalg zurück und es gelang ihm sehr mannhaft, sich seine Enttäuschung über den ausbleibenden Schreck Alberics nur ein ganz klein wenig anmerken zu lassen. „Ich habe, was Sie wollten, aber-“

„Aber was?“, hakte der Alchemist nach, als sein Gegenüber verstummte und den Kopf wandte wie eine lauschende Katze. Wechselbalgs Blick wanderte wieder zu ihm.

„Aber da war auch eine Gruppe von Archäologen, Herr Professor. Sie waren sehr aufgebracht über den...“ Er suchte nach einer eleganten Formulierung, fand aber keine. „...Diebstahl, Herr Professor. Die meisten waren keine Herausforderung, typische Wissenschaftler-“ Er stockte, als Alberics Augenbrauen sich runzelten wie Gewitterwolken, hinter denen sich etwas zusammenbraute. „-der Archäologie!“, fügte er schnell an. Der Professor hatte zwar noch niemals jemandem ein Leid getan und wirkte stets sanft, gefasst, ruhig und geistesabwesend, aber genau das waren die gefährlichsten Leute. „Nur einer tauchte immer wieder auf. Ein Teufelskerl! Ich meine – von Indien bis hierher bin ich immer wieder umgesprungen, hab meine geheimsten Routen genutzt und jeden Haken geschlagen, den ich nehmen konnte-“ „Daher also die Verzögerung“, merkte Alberic gefasst, aber mit einem leisen Unterton von gekränktem Vorwurf an. Wechselbalg hatte den Treffpunkt mehrmals verschoben, und den recht platzeinnehmenden Teil von Alberic, der stets pünktlich war und ein gleich nach mehreren verschiedenen Eigenschaften sortiertes Register seiner Chemikalien führte, beleidigte das ein wenig. Der panische Funken, der in Wechselbalgs Augen aufflammte, konnte er allerdings nicht recht deuten.

„J-Ja, die Verzögerung – das tut mir leid, Herr Professor, wirklich!“, beeilte sich der Ganove zu sagen. „Mhm“, erwiderte Alberic nur geistesabwesend und streckte die Hand aus. „Darf ich das Stück nun bitte entgegennehmen?“ Wechselbalg schien verwirrt darüber, dass sein Gegenüber gar nicht interessiert an seinen Ausführungen zu sein schien (so war es auch, denn momentan herrschte in Alberics Kopf als Primärgedanke, endlich wieder ins Warme zurückzukehren, und so hatte er dem Verbrecher kaum zugehört), aber dennoch zog der zwielichtige Mann unter seiner dunklen Pelerine ein Bündel hervor und reichte es Alberic.
 

Von da an ging alles schief.
 

Das Bündel entgegen zu nehmen fühlte sich an, wie ein Baby zu empfangen – für Alberic, der noch nie mit dem Gedanken gespielt hatte, auch nur eine Frau unsittlich zu berühren, ein seltsamer Moment. „Das Misatyek“, flüsterte Wechselbalg seltsam ehrfürchtig, als Alberic das Leinen des Bündels auseinander schlug, um sich zu vergewissern, dass ihm keine Fälschung angedreht wurde.

Im Leinen lag ein Baby aus Messing. Es hatte einen ruhigen Gesichtsausdruck, fast als sei es nachdenklich zur Welt gekommen, und seine Augen waren durch Zufall genau auf Alberics Gesicht gerichtet, als er das Tuch davon entfernte. Die Statue war ungewöhnlich detailliert, bei ganz genauem Hinsehen konnte man sogar meinen, Poren zu erkennen. Und der Blick war so lebendig, dass Alberic kurz fröstelte, als er hineinschaute – ihm war, als lege ihm jemand die Arme um die Schultern und flüstere ihm etwas Grauenhaftes mit verführerischer Stimme ins Ohr. Er beeilte sich, einen Blick auf den herzförmigen, aber lang gezogenen Granat zu werfen, der von Brust bis Bauch der Statue reichte – dann verbarg er das unheimliche Gesicht wieder im Leinen.

„Sehr schön“, sagte er, und das war das genaue Gegenteil von dem, was er empfand.

„Gruselig, nicht?“, meinte Wechselbalg bleich. „Als ich es vom Altar nahm, ich schwöre Ihnen, da hats noch gelächelt!“
 

In diesem Moment, Alberic wollte gerade die Statue unter seinen Mantel schieben, peitschte ein Schuss durch die Nacht. Es war seltsam, aber nur ein Blinzeln zuvor fühlte der Alchemist sich, als kreische ihm jemand eine Warnung ins Ohr, und gerade als die Kugel auf ihn zu – oder knapp an ihm vorbei – schießen wollte, riss er die Statue zwischen sich und sie.

Das Leinen sank just in dem Moment vom Misatyek, als die Kugel darin einschlug – und die kleinen Messinghändchen schienen für einen Moment an seinen fest geschweißt zu sein und seine Arme zugleich zu stärken. Er konnte der Wucht des Schusses überraschend problemlos standhalten, auch wenn sein Körper vor Schreck nach hinten zu kippen drohte.

Im Gegensatz zu der Statue. Wieder war es für Alberic, als schrie irgendjemand – obwohl er nichts hören konnte – und dann hatte die Kugel das Messing durchschlagen und stieß an den Granat. Der spitze Stein löste sich aus der Jahrhunderte alten Fassung und bohrte sich in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Luft zwischen Alberics Kopf und dem Misatyek. Der Alchemist, den Mund voller Schreck geweitet, warf seinen weißen Schopf in den Nacken, um sich darunter zu ducken – aber schon spürte er mit stechendem Schmerz den Granat in seinen Gaumen einschlagen, und schmerzvoll dokumentierten seine Nervenenden dessen Weg hinter seine Stirn.
 

Alberic gurgelte Blut und sackte um in den kalten Schnee.

„Hab ich dich, Wechselbalg!“, hörte er eine Stimme knurren und dann erschrocken nach Luft schnappen. „Verdammt – das war nicht geplant! He! He, Sie!“ Ein blondgebärtetes Gesicht erschien über ihm und wurde von den schwarzen Wellen der Bewusstlosigkeit, die um ihn zusammenschlugen, verschlungen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  -Broeckchen-
2011-03-13T19:52:34+00:00 13.03.2011 20:52
Und dann hinter "Hässlichkeit" wegnehmen? Mhm, stimmt, klingt besser.
Von:  Voidwalker
2011-03-13T10:58:43+00:00 13.03.2011 11:58
Hmmm. Eine sehr interessante Geschichte. Ich sah gerade, das sie noch nicht abgeschlossen ist - was mich gewissermaßen beruhigt. Du hast einen angenehm kunstfertigen Umgang mit deinem Vokabular, du... spielst mit der Sprache und vollbringst damit einen wundervollen kleinen Tanz. Sehr bemerkenswert - und schön zu lesen obendrein. =)

Zu den Korrekturvorschlägen:

> Dem schrieb man auch seine erstaunlichen Fertigkeiten im Diebstahl und Schleichen – und seine abgrundtiefe Hässlichkeit zu.

Ich würde das 'zu' vermutlich noch hinter 'Schleichen' einfügen. Dann erscheint es einheitlicher.


Zurück