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Wir

von

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Ich

Die Nacht war grau und trostlos. Wieder einmal hatte sich ein Teil meines Lebens verabschiedet. Wieder einmal war ich allein. Ich fragte mich, wie es weitergehen sollte. Seit Tagen hatte ich das Licht des Tages nicht mehr gesehen. Ich wollte es nicht mehr sehen, da es nur Schmerz brachte.

Die Villa, die du mir hinterließest, sieht noch genauso aus, wie an jenem Tage, an dem ich dich verlor. Seit diesem Tage habe ich nichts mehr verändert. Es liegt noch dieselbe CD im Player wie an jenem Tage. Sie läuft pausenlos, wenn ich wache, genauso wie wenn ich schlafe. Sie ist eine der vielen Erinnerungen an dich, ohne die ich nicht mehr leben könnte. Dein Bruder kommt regelmäßig vorbei, damit ich auch körperlich am Leben bleibe, denn das rückte schon vor langer Zeit an zweite Stelle. Er versorgt mich mit Essen und versucht mich wieder mit anderen Menschen in Kontakt zu bringen.

Bei meinen Eltern habe ich mich seit langem nicht mehr gemeldet. Für sie könnte ich genauso gut auch tot sein. Dem Telefon habe ich schon lange den Stecker herausgezogen. Mein Handy habe ich vor einiger Zeit auch aufgegeben. Mit wem sollte ich denn reden? Du bist ja nicht mehr da, dein Bruder ist zu beschäftigt.

Die Vorhänge sind zugezogen. Kein Licht dringt mehr in deine schöne Villa. Der Strom ist auf meinen Wunsch hin abgeschaltet worden. Die einzige Gelegenheit aus deiner Villa herauszukommen sind die Besuche an deinem Grab. Jeden Tag findest du dort frische Blumen vor. Ich hoffe, dass du sie siehst und sie dir gefallen.

Von meinem Arbeitgeber bin ich vor kurzem gefeuert worden. Der Grund war die andauernde Abwesenheit ohne Entschuldigung. Immer wieder frage ich mich, was mich davon abhält, mein Leben weiterzuleben, ich antworte mir ganz ehrlich, dass es deine Abwesenheit ist. Doch schon dein Bruder erklärte mir, dass dies nicht richtig sei. Du hättest es auch nicht so gewollt oder getan, nicht wahr? Aber ich kann einfach nicht anders. Ich will die Erinnerung an dich nicht verlieren. So viel habe ich schon verloren, weil ich weiterlebte. Doch nun existiere ich nur noch, denn was ich hier tue, kann man nicht mehr leben nennen. Schon vor langer Zeit habe ich beschlossen, dass wenn ich sterbe, auf meinem Grabstein das Datum stehen soll, an dem ich dich kennen lernte, denn da begann ich erst zu leben. Und das Datum meines Todes soll gleich dem deinen sein, denn da hörte ich auf zu leben.

Auch bei diesem Punkt hatte mir dein Bruder erklärt, dass diese Gedanken lächerlich seien. Doch ich beharrte auf ihnen, weil ich sie als richtig empfand.

Dann wurde es auch ihm zu viel, du kanntest ja dein Bruder, er war immer ein überaus verständlicher Mensch. In der gesamten Zeit, in der ich ihn kannte, hatte ich nicht einmal erlebt, dass er die Beherrschung verlor. Doch ich hatte ihn an diesen Punkt gebracht. Wir leisteten uns eine erbitterte Diskussion, die letztendlich dazu führte, dass er mir drohte, mich zu einem Psychologen zu bringen. Doch damit hatte er den einen wunden Punkt bei mir getroffen. Denn wenn er mich in diesem Zustand zu irgendeiner Psycho-Tante schleppte, dann war es sicher, dass ich vollkommen durchdrehen würde. Weil sie mich dann in irgendeiner Irrenanstalt gefangen halten würden, weitab von allen Erinnerungen an dich.

So versprach ich deinem Bruder, etwas zu ändern. Ich begann mit den Fenstern. Das erste Mal seit deinem Begräbnis zog ich die Vorhänge beiseite, die mich von der Außenwelt abgeschnitten hatten. Ich öffnete jedes Fenster bis zum Anschlag und ließ frische Frühlingsluft in deine Villa. Da fiel es mir leichter, weiteres zu ändern, denn ich hatte den ersten Schritt getan.

Zunächst schloss ich mein Handy an und nahm den Kontakt zu meinen Eltern wieder auf. Sie waren erleichtert, mich relativ gesund zu wissen. Als nächstes ließ ich den Strom wieder anstellen, sodass ich wieder Möglichkeiten zur Kommunikation anschließen konnte. Darüber war dein Bruder schon sehr erleichtert. Er half mir mit allen Mitteln, mich wieder mit der Gesellschaft vertraut zu machen. Als ich alles für die Villa geregelt hatte, machte ich mich auf die Suche nach einem neuen Job. Ich begann auf einen Rat deines Bruders klein, ich spürte schon jetzt, wie ich mich wieder an das Leben gewöhnen musste. Diese Zeit war schwer und ohne die Unterstützung deines Bruders wäre mir dieser Schritt nicht gelungen. Seitdem ich auch wieder Strom habe, läuft unsere gemeinsame Lieblings-CD wieder. Ich habe begriffen, dass die Erinnerung an dich niemals verblassen wird, wenn ich es so will. Deshalb rufe ich mir oft alle Erinnerungen an dich ins Gedächtnis.

Nun bin ich oft an den Lieblingsplätzen von dir und mir. Ich lebe wieder und danke dir für die schöne Zeit, die wir gemeinsam hatten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-10-29T12:23:43+00:00 29.10.2011 14:23
Wieder ein Kapitel voller Gefühl. Es ist dir gelungen den Schmerz, als auch die Freude an der Erinnerung rüber zu bringen.
Doch eine Sache verwirrte mich.
Die einzige Gelegenheit aus deiner Villa herauszukommen sind die Besuche an deinem Grab. Jeden Tag findest du dort frische Blumen vor. Ich hoffe, dass du sie siehst und sie dir gefallen.
Das bedeutete also das sie täglich Blumen auf sein Grab legte.
>Die Nacht war grau und trostlos. Wieder einmal hatte sich ein Teil meines Lebens verabschiedet. Wieder einmal war ich allein. Ich fragte mich, wie es weitergehen sollte. Seit Tagen hatte ich das Licht des Tages nicht mehr gesehen. Ich wollte es nicht mehr sehen, da es nur Schmerz brachte.
Das wiederrum widerspricht dem Abschnitt von oben, oder?
Aber vielleicht war es auch der Bruder der täglich Blumen ans Grab brachte trotz seiner knappen Zeit.


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