Zum Inhalt der Seite

Heaven's Profit

Wenn aus Farbe Tränen werden
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Tränen vom Himmel

„Und wie gefällt dir die neue Schule so? Schon irgendetwas Aufregendes in den ersten Tagen erlebt?“

„Erinnere mich nicht daran, Dy! Glaub mir, nie ging es mir schlechter.“

Ich breitete mich auf dem großen Bett aus und lies ein lautes Seufzen vernehmen. Den Telefonhörer in der Rechten, versuchte ich mit der linken Hand das Gummiband aus meinen Haaren zu ziehen.

Dylan, auf der anderen Seite der Leitung, wirkte nicht überzeugt.

„ Ach, komm schon, Kai. Ich verstehe ja, dass es unangenehm ist, am Anfang immer als Neuer abgestempelt zu werden, aber du gewöhnst dich schon noch daran.“

„Nein! Im Ernst, ich hasse diese Schule.“

„Nun mal halblang.“ Ich hörte wie mein Freund das Ohr wechselte.

„Jede Schule ist besser, als unsere Alte, Kai. Du hättest heute die wichtigste Matheklausur des Jahres geschrieben. Sei froh, dass du umgezogen bist.“

„Wirklich nett.“, murrte Ich gekränkt. Langsam zog Ich mein Kopfkissen hervor und knautschte es zusammen.

Schon allein der Gedanke, dass Ich nach diesem Umzug meinen besten Freund nicht mehr wie gewohnt sehen konnte, bereitete mir Schmerzen genug.

Vor wenigen Wochen noch hatten wir zusammengeklebt wie zwei ineinanderlaufende Kleckse aus blauer und roter Künstlerfarbe.

Heute, da fühlte ich mich fort gerissen von einem Leben, das für mich immer selbstverständlich gewesen war. Ja, so als hätte man die Leinwand, die wir seit unserer ersten Begegnung mit Träumereien und Wünschen voll gekritzelt hatten, zertrennt und beiseite geworfen.

Ich stutzte bei diesen Vergleichen, die Ich nicht selten daherdachte oder gar aussprach.

Noch nie war Ich ein großer Denker gewesen und von solch einem poetischen Kitsch, verstand Ich eigentlich wenig. Aber Ich verband gerne meine Interessen mit dem Leben. Zwar ging Ich Dy öfters damit auf die Nerven, aber schließlich lebt man die Kunst.

Und dennoch…

Er und ich waren von klein auf unzertrennlich gewesen.

Zudem verbrachten wir immer schon unsere Zeit sehr lange und genussvoll am Telefon, auch wenn wir uns am nächsten Tag in der Schule wieder trafen. Wie zwei kleine Mädchen, hatte meine Mutter immer gescherzt und vielleicht hatte sie ja recht.
 

„Tut mir Leid, Kai. War nicht so gemeint!“ Dylan war schon daran, endlose Entschuldigungen aus seinem ohnehin schon riesigen Wortschatz zu häufen, als ich ihn mit wirscher Stimme unterbrach:

„Na ja. Ich denke, dass nicht alles schlecht war. Die Lehrer und Klassenkameraden wirkten auf mich richtig nett. Die Schule ist riesig und wirklich beeindruckend…“

„Dann weiß ich nicht, was dein Problem ist.“

„Es gibt ein Problem!“ Ich hörte wie Dy erschrocken aufatmete, als ich das Haarband an die Wand schleuderte. „Dieser Kerl… Er geht mir nicht aus dem Kopf… Hast du schon einmal einen Menschen so sehr gehasst, dass du ihm am liebsten eine Tonne vergifteter Farbe über den Kopf stülpen wolltest?!“


 

~
 

Regen. Regen. Regen.

Kai hasste solch ein Wetter. Seit sein Vater und er endlich die neue Schule gefunden hatten, prasselte die Tropfen wie große Steine nur so auf die Fensterscheiben.

Der Umzug hatte länger gedauert als geplant, sein Vater war ebenfalls spät dran gewesen, hatte versucht eine Gabel, statt seiner Brille auf die Nase zu setzen und dann auch noch der Trubel in der neuen Schule. Wie sehr Kai auch nur vergessen wollte, dass eine Umstellung nötig war, er konnte es nicht. Schon allein, dass das Schulgebäude um einiges größer war als das Alte missfiel ihm. Er gehörte zu der Sorte von Mensch, die keine Veränderungen bevorzugten.

Sein Vater hatte ihn vor dem Tor abgesetzt und war davon gefahren, ohne auch nur zu regeln, wie sein Sohn denn ins Sekretariat kommen könnte.

Ansonsten war der Morgen des ersten Schultages verlaufen wie es an solchen Montagen eben üblich war.

Außerdem begegnete Kai, nachdem er eindutzend Mal die Schule durchstreift hatte, um seinen Klassenraum zu finden, vier Verehrerinnen, sechs Wegweiser und einem Mitläufer, die sich um ihn stritten wie kleine Kinder.

Er kannte dieses Gefühl, früher war es nicht anders gewesen.

Im Grunde interessierte der Junge sich nicht groß für sein neues Umfeld, aber Gesellschaft war immer gut.

Als Kai sich dann endlich seinen Schulkameraden vorstellen konnte, brach ein Jubel los, so als hätte er Schulausfall für eine Woche verkündet.

So wie immer. Kai war es wirklich leid…
 

„Hallo? Träumst du etwa?“

Erschrocken blickte er um sich. Er befand sich in der Pausenhalle im hinteren Teil der Schule, es hatte bereits zum Schulende beläutet.

Ein Mädchen stand vor ihm. Emily, die es vorzog einfach Emi genannt zu werden, war wirklich hübsch mit ihren tiefen Augen und der blassen Haut.

Andererseits schimmerten ihre Haare mit blauen und rosa überzogenen Strähnen, und ihr Kleiderstil gefiel nicht jedermann.

Aber sie schien für ihre Mitmenschen gut genug zu sein, um schon das dritte Mal in Folge als Schulsprecherin zu kandidieren. Man sagte ihr nach, sie habe schon oft den Jungs den Kopf verdreht, war eine exzellente Schülerin, eine perfekte Freundin.

Kai fuhr sich durchs Haar. Natürlich gefiel ihm, dass die Mädchen sich manchmal um ihn stritten, sogar so eine charmante junge Dame, aber eigentlich hatte er im Moment nicht viel für sie übrig.

Immerhin war ihm nicht entgangen, dass Emi ihm ständig begegnete, als würde sie ihm folgen und dann wieder rasch davon ging. Als er nach dem Weg zum nächsten Unterricht gefragt hatte, bot sie ihm sogar an ihn von nun an öfters zu begleiten, schließlich waren sie jetzt Klassenkameraden. Er hatte dankend abgelehnt.

Emi fuhr gelassen fort: „Du wolltest doch die Formulare für die Kunst-AG haben? Bitte sehr.“, Sie reichte ihm einen Stapel Papiere. „Wenn du willst, kannst du dich sofort anmelden. Aber du solltest deine Bilder dem AG-Leiter vorlegen, bevor du bewirbst.“

„Klar“, strahlte der Junge und nahm die Papiere entgegen. Seine Stimme hörte sich noch rau an, er hatte nach der Vorstellung kein einziges Wort mehr geredet.

Emi lachte. „Flur weiter, dritter Gang rechts.“, sagte sie und winkte ihm, ehe sie wieder verschwand. Natürlich nicht um nochmals hübsch mit ihren langen Wimpern zu klimpern.
 

Kai nahm seine Sachen und ignorierte es einfach. Denn ihn beschäftigten gerade andere Dinge. Er musste zum Kunstsaal, sofort und auf der Stelle!

Darauf hatte er sich gefreut! Das Einzige, was er wollte, war wieder zeichnen zu können, ihm kribbelten schon die Finger vor lauter Eifer. Nichts würde er nun lieber tun. Hier konnte es ihm niemand verbieten!
 

Geschwind durchforschte er die Gänge, suchte besagten Raum für Kunst und fand ihn auch wenige Minuten später.

Er klopfte dreimal, wartete aufgeregt.

Schritte, dann wurde die Tür aufgerissen.

„Ja?“ Eine forsche Stimme erklang.

„I-ich wollte mich gerne für die Kunst-AG mel-.“ Die letzen Wörter gingen in einem erstickten Gemurmel unter, als der Gesprochene in sein Blickfeld trat.

Vor ihm stand ein junger Schüler, vielleicht ein, zwei Jahre älter als Kai. Kohlrabenschwarzes Haar und unverkennbar asiatische Züge. Er trug eine Schürze, die befleckt und schon etwas abgenutzt aussah, auch hielt er einen Pinsel in der Hand.

Aber das war es nicht, was ihn so in Verlegenheit versetzte. Diese Augen.

Seen, in denen man ertrinken konnte. Sümpfe, in denen Man versank. Ewige Tümpel, die keinen Ausgang boten. Kannte er diesen Blick nicht?
 

„Aha.“ Der junge Mann schob den verdatterten Jungen schon ins Zimmer, ehe dieser erneut anfangen konnte.

„Setzen“, murrte er und wies auf mehrere Stühle, die neben einer riesigen Schiebetafel an der Wand aufgestellt waren. Der Saal war vollkommen leer, da hätte Kai sich überall hinsetzen können, aber er war so aufgelöst, dass er orientierungslos stehen blieb. Gedanken vermischten sich mit Erinnerungen und verwirrten ihn immer mehr.

Wie lange hatte er schon nicht mehr den Pinsel in die Hand genommen? Drei Wochen? Vier Wochen? Diese Augen? Hatten die Pinsel eines Künstlers sie für ihn gezeichnet? Woher kannte er sie?
 

„Dann halt nicht.“ Der Ältere der beiden seufzte schwer, dann fuhr er fort: „Nun gut. Ich bin der Leiter dieser Kunst-AG. Nenn mich einfach Kyle. Ich denke du solltest erst einmal ein paar Informationen über uns erfahren…“

Schon leierte er Regeln, Verbote und Anweisungen daher. Es war offensichtlich, dass er das schon viel zu oft erklären musste. Allerdings bekam der verträumte Kai gerade nur die Hälfte seiner Belehrung mit.

„…Wir arbeiten hauptsächlich mit Acryl- und Aquarellfarben, bevorzugen Leinwände, die einen Holzuntersatz aufweisen und benutzen Pinsel der Marke Clearlines. Verstanden?“

Der Junge nickte.

„Außerdem wird hier mit Ton, Styropor, Lehm und ähnlichen Materialien gearbeitet, sodass du hier auf teure Kleidung verzichten musst. Wir arbeiten überwiegend für unsere Theatergruppe, Gestalten der Bühne und der Hintergründe gehört auch zu unseren Aufgaben. Natürlich darfst du aber auch eine einzelne Kategorie wählen, die du intensiv ausüben möchtest. Noch Fragen?“

„Nein…“

„Gut.“, Kyle schien etwas erleichtert zu sein. „Nun denn, dann erzähl mal, Junge, was dich zu uns führt. Oder zeig mir deine Künste. Wie heißt du eigentlich?“

Der Junge wurde aus seinen Gedanken gerissen.

„Mein Name- Kai Asaki. Ich bin neu an diese Schule gekommen und- und ich würde gerne hier zeichnen.“

Er verschwieg, dass er, da er eine große Auswahl gehabt hatte, unbedingt auf diese Schule wechseln wollte, da man von allen dort angebotenen AGs weiterführende Ausbildungsstellen bekam.

Kyle sah ihn nachdenklich an. Ein ernster, tiefer Blick lag nun in seinen schmalen, grün-grauen Augen. War es Wut?

„Na gut. Her mit den Bildern.“

Kai kramte in seiner Tasche und zog ein paar Skizzen hervor. Die Meisten hatte er im Freien gezeichnet, oft einfache Bleistiftzeichnungen, aber ihm persönlich gefielen sie. Die Größeren hatte er Zuhause lassen müssen, immerhin hätten sie nicht in seine Tasche gepasst.
 

Vorsichtig nahm der Mann sie entgegen, so als hätte er Angst auch nur einen Knick hinein zu machen. Künstler waren manchmal wirklich etwas seltsam gestrickt.

Kai stand nur da und wartete. Die Minuten verstrichen, als Kyle sich die Skizzen ansah. Er forschte in jedem Strich nach einer verborgenen Nachricht, beäugte jeden Punkt genauer, studierte Grundierung und Schraffierungen.

Langsam wurde dem Jungen mulmig zu Mute. Was war denn los? Warum sagte er denn nichts?

Plötzlich sah Kyle auf. Seine stechenden Augen durchbohrten ihn wie fein geschliffene Messer. „Diese Bilder“, hauchte er leise „sind der letzte Dreck.“

Stille…

„B- Bitte?“ Kai sah ihn verdattert an.

„Um es klarer zu sagen: So etwas will ich hier in meiner AG nicht haben… Schau mal“, Er wies eines der vorderen Blätter im Stapel.

„Wie soll man dieses Bild zum Beispiel verstehen? Soll das Freude ausdrücken, oder was? Eine Kerze mitten in einer Wiese? Wie originell. Deine Künste, wenn man das überhaupt so nennen kann, sind echt das Letzte.“

Das Letzte? Kai stammelte: „Aber- Aber warum denn? Was hab ich falsch gemacht?“

Noch nie hatte jemand seine Bilder so sehr kritisiert. Warum waren sie denn so schlecht? Er hatte gelebt für seine Malereien, hatte schon einiges an Urteilen einstecken müssen, doch noch nie hatte jemand sie so dermaßen abgewiesen.

„Gefühle, Emotionen, das sagt die wohl nichts, oder?“, zeterte Kyle weiter. „So einen Schund will ich nicht mehr sehen. Raus mit dir!“

„Ich- Moment!“

„Raus, verdammt! Und lass dich nicht mehr hier blicken!“

Kai wurde auf den Flur hinausgescheucht.

„Das kannst du nicht machen! Du hast keinen Grund dafür!“, wehrte er sich, aber Kyle packte ihn am Kragen.

„Ich sag dir was, Kleiner“, flüsterte er ihm ins Ohr. „Ich hasse diese Bilder, genauso wie ich ihren Schöpfer hasse. Geh mir aus den Augen!

Ginge es nach mir, würde ich dem Künstler, der die da versaut hat einen großen Eimer voll giftiger Farbe über den Kopf schütten, elender Stümper!“

Mit diesen Worten ließ der Mann von ihm ab und knallte die Tür hinter sich zu.

Zerknitterte Bilder lagen auf dem Boden, verstreut und nicht mehr anschaubar.


 

~
 

„Er hat sie abgelehnt?!“, schrie Dylan durch den Hörer. „Ist er verrückt?“

„Nein, bestimmt nicht. Aber…“ Ich gab ein Stöhnen von mir.

„Argh, Dy. Was soll ich nur tun? Dieser Kurs ist mein einziger Antrieb. Du weißt, dass ich nicht anders kann! Hasst er mich?“

„Beruhig dich, Kai! Du findest schon eine Lösung! Lass dich nicht von so einem Ignoranten fertig machen! Du zeichnest wunderbar, sogar den ersten Platz für das beste Bild des Montags hast du in einem Preisausschreiben gewonnen und damals warst du zehn!“

„Schon gut, aber schrei mir nicht das Ohr ab!“ Ich schaute nach dem weggeworfenen Gummiband.

„Ach, Dy. Vielleicht frag ich ihn einfach noch mal. Man kann einen Menschen doch nicht von Grund auf hassen. Ich will nicht, dass er etwas gegen mich hat. Wir kennen uns ja gar nicht.“

„Genau!“, bestätigte mein Freund. „Du wirst schon noch in den Club kommen. Noch ist nicht alle Tage Abend. Er hatte bestimmt nur einen schlechten Tag. Morgen wird es sicher anders aussehen.“ Er brach ab. Im Hintergrund hörte Ich wie eine Frauenstimme rief, er solle runterkommen und beim Tisch decken helfen.

„Meine Mutter“, murmelte Dy entnervt. „Nun gut, Kai. Ich muss Schluss machen für heute. Ruf mich wieder an. Und lass den Kopf nicht hängen!“

„Mach ich, mach ich.“

Ich betätigte den roten Knopf am Telefonhörer, um das Gespräch zu beenden, bevor ich mich in meine Decke kuschelte. Was für ein Leben…

Warum musste es auch immer so kompliziert sein?

Müde lugte Ich aus dem Fenster. Dicke Tropfen knallten an die Fensterscheibe und gaben einen erschreckenden Klang von sich.

Natürlich, es war doch immer das Gleiche. Ich seufzte.

Regen. Regen. Regen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ReinaDoreen
2009-01-30T21:06:15+00:00 30.01.2009 22:06
Das Verhalten dieses Kyle ist mehr als seltsam. Als habe er einen Schalter umgelegt. Wieso hasst er Kay, wenn er ihn doch gar nicht kennt.
Oder verbindet er mit dem Namen noch etwas anderes?
Reni


Zurück