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Ray of Hope

von

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Is it destiny?

Als ich am Nachmittag von der Schule nach Hause ging, spürte ich plötzlich, dass mich jemand beobachten musste. Als ich mich umsah, war jedoch niemand zu sehen.

Dabei hätte ich schwören können etwas gemerkt zu haben. Ohne mir darüber noch Gedanken zu machen, ging ich weiter. Wenig später traf ich im Tempel meiner Familie ein. Als ich die Tür aufschloss sah ich mich noch einmal um. Auch diesmal war nichts zu sehen. „Was hast du Kindchen? Wirst du verfolgt?“ Erschrocken fuhr ich herum, atmete aber gleich erleichtert auf, als ich merkte, dass es nur meine Großmutter war. „Mensch Oma, hast du mich erschreckt! Nein, ich glaube nicht. Aber ich hatte so ein komisches Gefühl.“ „Du kannst mir gleich mehr darüber erzählen, aber komm erst mal rein!“ Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen hatte, folgte ich Großmutter in die Küche, wo bereits das Essen auf dem Tisch stand. Bei diesem Anblick, lief mir das Wasser im Munde zusammen. „Hm, wie das duftet!“, sagte ich begeistert, „Omi, du bist echt die beste Köchin die ich kenne!“ „Danke, mein Kind. Das ist lieb von dir.“ Ich war froh meine Oma zu haben. Nach dem Tod meiner Eltern war sie meine einzige Verwandte gewesen.. Jetzt war ich sechzehn, das hieß ich lebte nun schon seit zehn Jahren mit ihr allein hier im Tempel. Seitdem lehrte sie mich Rituale abzuhalten, den Tempel zu führen und andere wichtige Tätigkeiten. Ich glaube deswegen spüre und sehe ich manchmal Dinge, die normale Menschen nicht wahrnehmen können. So sehe ich zum Beispiel an der Farbe der Aura einer Person, ob sie gut oder böse ist.

Ich wurde sanft aus meinen Gedanken gerissen, als meine Großmutter noch einmal auf vorhin zurück kam. „Du hattest also das Gefühl verfolgt zu werden? Nun, vielleicht war es ja auch so. Diese Gabe liegt dir immerhin im Blut.“ „Ja, kann schon sein.“, antwortete ich, bevor ich das Thema wechselte. „Ach, da fällt mir ein, wir haben heute einen Neuen in unsere Klasse bekommen. Ganz süß eigentlich, aber er hatte so einen kalten Blick. Was mich irritiert hat, war allerdings, dass seine Aura eine ganz komische Farbe hatte. Es war so eine Mischung aus weiß und schwarz. Sie schienen in einander zu verlaufen. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Was kann das bedeuten?“ Meine Oma, die mir die ganze Zeit über angespannt zugehört hatte, antwortete jetzt mit einem Stirnrunzeln: „Das ist allerdings eigenartig. Wenn die Aura eines Menschen weiß ist, heißt das eigentlich, dass er eine reine Seele hat. Ist die Färbung allerdings schwarz, ist diese Person von grund auf böse. Was jedoch eine Vermischung beider Farben zu bedeuten hat, kann ich dir leider auch nicht sagen. Aber der Sache solltest du nachgehen. Vielleicht braucht er auf irgendeine Weise deine Hilfe. Am besten du versuchst dich ein bisschen mit ihm anzufreunden.“ Ich nickte nur stumm.
 

Eigentlich hatte ich mir an diesem Abend wirklich vorgenommen mich mit Hikari zu unterhalten, aber als ich am nächsten Morgen das Klassenzimmer betrat war ich mir meiner Sache gar nicht mehr so sicher. Kaum war ich durch den Türrahmen getreten kam auch schon meine Freundin auf mich zugestürzt und zerrte mich auf den Flur. „Hey Kyoko, was ist den los. Nennt man so was eine Begrüßung?“, fuhr ich sie an, als sie mir im Flüsterton antwortete: „Sorry, aber ich muss dir unbedingt was erzählen.“ „Und warum flüsterst du dann?“ „Weil es nicht unbedingt die ganze Schule wissen muss. Es reicht doch wenn unsere ganze Klasse davon weiß.“ Ich schaute sie erwartungsvoll an, bevor sie endlich weiterfuhr. „Also hör zu: Irgendjemand hat rumerzählt, dass der Neue in seiner alten Heimatstadt drei Leute kaltblütig umgebracht haben soll! Einfach so, ohne jeglichen Grund! Ist das nicht schrecklich?!“ Ich sah Kyoko für eine Weile erstaunt an, bis ich schließlich den Kopf schüttelte. „Ach so n’ Quatsch! Das glaubst du doch wohl selber nicht!“ „Es zerreißen sich aber schon alle das Maul darüber. Es ist das Gesprächsthema Nummer 1!“ Immer noch kopfschüttelnd betrat ich die Klasse. Und es stimmte: Alle standen in einem weiten Bogen um Hikaris Platz herum und tuschelten. Sie sehen irgendwie verängstigt aus!, dachte ich sofort, Aber Hikari scheint das gar nicht zu stören. Der sitzt da und guckt aus dem Fenster. Dann betrat unser Lehrer den Raum und alle saßen blitzschnell auf ihren Plätzen. Als ich mich auch setzen wollte, bemerkte ich, dass sich Hikaris Tischnachbar einfach auf meinen Platz gesetzt hatte und mir flehend entgegenblickte. So blieb mir nichts anderes übrig als selbst meinen Platz neben Hikari einzunehmen. Ach was soll’s!, dachte ich, Die Gerüchte können gar nicht wahr sein. Außerdem wollte ich sowieso mehr über ihn erfahren.
 

In den darauf folgenden Tagen konnte ich allmählich Kontakt zu ihm aufbauen. Meine Klassenkameraden hielten mich für verrückt, besonders Kyoko. Aber es war mir egal, was sie dachten und wie sie über mich redeten, denn ich merkte, wie seine Gesichtszüge langsam aber sicher ein wenig sanfter wurden. Und eh ich mich versah, fing ich an mich in ihn zu verlieben. Ich wusste nicht wie, es war einfach geschehen.

Als ich wieder einmal auf dem Weg nach Hause war, stand Hikari an einer Straßenecke und wartete auf mich. Ich tat erst so als würde ich ihn nicht sehen und heftete meinen Blick stur auf den Boden. Doch als ich an ihm vorbei ging griff er plötzlich nach meiner Hand. „Hey, tu doch nicht so, als würdest du mich nicht sehen!“ Ich hob meinen Kopf und sah ihn verstohlen an. „Ja, schon besser! Ich komme heute Abend mal vorbei. Ich muss dir was zeigen.“ Mit diesen Worten drehte er sich von mir weg und verschwand hinter der nächsten Ecke. Ich war völlig perplex, nein, ich war sogar empört darüber, dass er sich einfach so zu mir eingeladen hatte. Der sagt, er kommt und ich soll spurten!, dachte ich verärgert, Na warte Freundchen, das kriegst du noch wieder! Gesagt, getan. Als er später am Tor klingelte machte ich ihm einfach nicht auf. Ich glaube er stand fast fünfzehn Minuten draußen rum, bis ich ihm doch die Tür öffnete. Durchhaltevermögen hat er ja, dachte ich bewundernd. „Mann, und ich dachte schon du bist gar nicht zu Hause! Warum hat das denn so lange gedauert?“, beschwerte er sich. Mit verschränkten Armen vor der Brust und in einem schnippischen Ton antwortete ich: „Das war dafür, dass du dich ohne Erlaubnis hierher eingeladen hast!“ Hikari tat einfach so als hätte er mich nicht gehört. Statt zu antworten wechselte er das Thema: „Ich wusste ja gar nicht, dass du Priesterin bist.“ „Woher....?“ „...ich das weiß? Is’ nicht schwer zu erraten. Du trägst ja schließlich die passende Kleidung....“ Ich schaute an mir herab und spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Oh nein, wie peinlich! Ich Idiotin hatte mich doch vorhin umgezogen! „Oh, ja, natürlich“, antwortete ich immer noch mit gesenktem Blick. Nach einiger Zeit hob ich dann doch den Kopf und wollte endlich wissen warum er zu mir gekommen war. „Also, jetzt sag mir doch mal was du mir so dringend zeigen wolltest.“ Hikari schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Ach, ich Dussel. Dazu müssen wir aber an die Klippen gehen.“ „Na, wenn das so ist“, bemerkte ich, „dann muss ich mir aber schnell noch was anderes anziehen. Warte hier, bin gleich wieder da!“

Während wir zu den Klippen liefen grübelte ich darüber nach, was er mir zeigen könnte. Ich fragte Hikari immer wieder danach, aber er antwortete jedes Mal mit: „Warts ab. Du wirst es ja gleich sehen.“ Als wir endlich am Ziel ankamen bot sich mir ein wunderbarer Anblick. Es dämmerte bereits und der Himmel färbte sich scharlachrot. Hikari nahm mich an der Hand und zerrte mich zu einer Skulptur. Bei seiner Berührung wurde mir ganz warm und mein Herz fing an wie wild zu klopfen. Die Skulptur hatte die Form eines liegendem Ovals. Ich war etwas verwundert, denn Hikari setzte sich plötzlich hinein. „Komm setzt dich. Von hier hat man einen tollen Blick aufs Meer.“ „Aber das ist ein Kunstwerk. Das kann man sich doch nicht einfach reinsetzten!“ „Man kann, siehst du doch. Komm schon, hab dich nicht so.“ Nach anfänglichem Zögern nahm ich dann doch ihm gegenüber platz und tat so, als würde ich den Sonnenuntergang betrachten, dann sah ich Hikari an, der es mir gleich tat. Im Licht der Abenddämmerung sah er noch besser aus und der Wind wehte ein paar Haarsträhnen in sein Gesicht. Immer noch verträumt fragte ich: „War es das, was du mir zeigen wolltest, Hikari?“ „Nein, nicht ganz. Schau mal dahinten.“ Ich drehte mich um, sah aber nichts. Die Wand der Skulptur war im Weg. „Warte lehn’ dich mal weiter zu mir rüber. Na, kannst du es jetzt sehen?“ Nachdem ich mich nach vorne gelehnt hatte, stützte ich mich noch an der Wand ab, so dass Hikaris Kopf zwischen meinen Händen war. Als ich dann zu der, mir gesagten Stelle blicken wollte, rutschte ich plötzlich ab. Hikari fing mich zum Glück auf, sonst wäre ich kopfüber aus dem Oval gefallen und die Klippen hinunter gestürzt. Er rettete mir also das Leben. Ich hatte gar nicht realisiert was da gerade geschehen war. Ich merkte nur, dass ich in seinen Armen lag und brachte nur heraus: „Sorry, ich habe es noch nicht gesehen.“ „Das macht nichts“, entgegnete er und fügte dann mit einer unglaublich saften Stimme, die man ihm gar nicht zu getraut hätte, hinzu: „Du bist sowieso das Schönste, was ich je gesehen habe.“ Jetzt fehlten mir erst recht die Worte. „Ich... ähm... also...ich..“ Doch er lächelte nur und legte mir den Finger auf die Lippen. Noch bevor ich merkte wie mir geschah, zog ich seinen Kopf zu mir heran und gab ihm einen Kuss, den er erwiderte. Es war mein erster und schönster Kuss, doch er wurde jäh unterbrochen. Ich hatte plötzlich eine schreckliche Vision. Ich sah einen Jungen, der Hikari bis aufs Haar glich. Er trug eine Art Umhang mit Kapuze und hielt ein vor Blut triefendes Messer in der Hand. Der Junge starrte mit einem eisigen Grinsen auf die drei Leichen, die vor ihm lagen. Alles war blutverschmiert. Ich zuckte zusammen und stieß mich von ihm weg. Total verstört stammelte ich: „Blut... überall Blut...so viel...Du....Du hast sie umgebracht!“ Mit diesen Worten stürzte ich davon und rannte als sei der Leibhaftige persönlich hinter mir her. Ich wollte nur schnell weg von Hikari, doch er folgte mir. „Ai, warte! Bleib stehen! Lass es mich erklären!“ „Nein, geh weg!“ Obwohl ich noch nie so schnell gerannt war holte er mich schließlich doch ein. Er packte mich an den Schultern, als ich versuchte, mich von ihm los zu reißen. „Jetzt hör mir doch bitte mal zu, Ai! Ich kann’s dir erklären!“ „Lass mich los! Ich hab alles gesehen. Du hast....Hikari, du tust mir weh!“ „Ich lass dich erst los, wenn du mir endlich zuhörst!“ Ich nickte nur, worauf er seinen Griff lockerte. Er ließ mir noch ein wenig Zeit, um mich zu beruhigen, bevor er einen Erklärungsversuch startete: „Ich darf dir leider noch nichts Näheres dazu verraten, aber eins musst du mir glauben: Ich war nicht derjenige, den du da gesehen hast.“ Daraufhin nahm er mein Gesicht in seine Hände und sah mich flehend an. „Bitte, vertrau mir!“ Ich erkannte an seinen Augen, wie verzweifelt er war. Nein, diese Augen konnten einfach nicht lügen! „Ja ich vertraue dir.“ Um meinen Satz zu verdeutlichen, gab ich ihm einen Kuss und umarmte ihn. Wir standen noch eine ganze Weile so da, bevor wir gemeinsam nach Hause gingen.

Keiner von uns beiden bemerkten, wie eine Gestalt hinter einem der Bäume hervor trat und uns lautlos nachschlich.
 

Am nächsten Morgen war ich wunschlos glücklich. Ja, ich, Ai Kyujo, war verliebt und er hatte meine Gefühle erwidert. Auch meinen Großmutter bemerkte es. „Na? Das du so glücklich bist kann ja nur einen Grund haben. Wer ist denn der Glückliche?“ Mit einem Lächeln nannte ich ihr Hikaris Namen. „Ist das nicht dein neuer Mitschüler, über den diese bösartigen Gerüchte im Umlauf sind?“ „Ja, genau der ist es. Da fällt mir ein, dass du ja noch gar nicht weißt, was gestern passiert ist.“ , bestätigte ich ihr und berichtigte auch sofort vom vorigen Abend. Nachdem ich meine Erzählung beendet hatte schwieg meine Großmutter. „Was sagst du dazu, Omi?“ „Ich weiß nicht so genau, meine Kleine. Es könnte sein, dass du da in etwas großes, außergewöhnliches hineingeraten bist. Aber was auch geschehen mag, wenn du Hikari wirklich liebst, musst du heraus finden, was da vor sich geht.“ „Ja, das tue ich. Wir haben Wochenende und ich muss nicht zur Schule. Ich treffe ihn nachher und dann werde ich ihn danach fragen. Aber jetzt muss ich erst mal Kyoko anrufen. Bin mal gespannt was sie dazu sagt.“

„Bist du wahnsinnig geworden?!“, dröhnte die Stimme meiner Freundin wenig später aus dem Telefonhörer. „Hey, Kyoko, jetzt beruhig dich doch mal wieder! Was hast du denn auf einmal?“, fragte ich sie, völlig verwundert über ihre Reaktion auf meine Neuigkeit. „Was ich habe? Hast du denn schon wieder vergessen, was dieser Typ getan hat? Der ist gefährlich!“ „Was denn? Spielst du jetzt etwa auf dieses blöde Gerücht an? Du kannst dich beruhigen. Hikari hat mir versichert, dass er nichts damit zu tun hat.“, versuchte ich meine Freundin zu beruhigen. Doch ich bekam nur eine schnippische Antwort zurück. „Ach, und das glaubst du ihm natürlich! Wie kann man nur so blauäugig sein?!“ „Man, jetzt komm aber mal wieder runter, ja? Kann meine beste Freundin sich denn nicht einfach für mich freuen?“ Ein langer Seufzer ertönte am anderem Ende der Leitung. „Du hast ja recht. Tut mir leid. Natürlich freue ich mich für dich. Ehrlich! Ich mein’ ja nur, du solltest etwas vorsichtiger sein.“ „Danke, das wollte ich hören. Okay, ich pass auf. Versprochen!“ Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich erschrocken fest: „Oh Mann! Is’ ja gleich drei. Ich muss mich beeilen, sonst komm ich noch zu spät! Du, ich muss jetzt Schluss machen. Muss noch wohin.“ „Ja, ich muss auch noch weg. Also wir sehn uns.“, verabschiedete sich Kyoko. Ich legte ebenfalls auf und stürzte in den Flur, um mich auf den weg zum nahegelegenen See zu machen.

Ich lief gerade verträumt eine Allee entlang, als mich plötzlich jemand am Arm packte und zur Seite riss. Ich vernahm ein dumpfes Geräusch und einen stechenden Schmerz dort, wo ich auf einen Baumstamm prallte. Ich spürte, wie mir eine Hand den Mund zu hielt und eine andere mich an den Baum drückte. Als ich die Augen wieder öffnete schoss mir nur eins durch den Kopf: Was zum... Hikari? Aber auf den zweiten Blick erkannte ich, dass es sich nicht um Hikari handeln konnte. Der Junge, der mir da gegenüber stand, sah ihm zwar zum Verwechseln ähnlich, doch seine Augen waren ganz anders. Sein Blick war so kalt und durchdringend, dass ich ihm nicht standhalten konnte. Er schien mich förmlich damit zu durchbohren. Außerdem waren seine Haare viel länger. Dann, mit einem überheblichen Grinsen auf den Lippen, fing er an zu sprechen. „Du bist also das Mädchen, das meinem Brüderchen so den Kopf verdreht hat.“ Hat der gerade ‚Brüderchen’ gesagt, wunderte ich mich. „Lass dich mal ansehen. Na ja, siehst ja ganz manierlich aus. Aber wie ich sehe bist du Priesterin. Das gefällt mir gar nicht.“ Ach richtig, ich hab ja vorhin ein Ritual durchgeführt und keine Zeit mehr gehabt mich umzuziehen! Während er langsam seine Hand von meinem Mund nahm sprach er mit einer befehlenden Stimme, die keinen Wiederspruch zu dulden schien: „Also sag mir, was weißt du über uns?“ Ich bekam nur mühsam ein paar Fragen als Antwort zusammen: „Was soll ich über wen wissen.... und wer bist du überhaupt?“ „Jetzt habe ich doch glatt vergessen mich vorzustellen“ ,sagte er, bevor er in seiner arroganten Art eine Verbeugung andeutete und mir seinen Namen nannte. „Ich heiße ...“ Er wurde abrupt unterbrochen, denn jemand rief anscheinend nach ihm. „Kurai, lass sie sofort los!“ Ich drehte mich in die Richtung der Stimme und sah Hikari, der mit einem verängstigtem Gesichtsausdruck auf uns zu rannte. „Na sieh mal einer an, mein Brüderchen! Du kommst gerade richtig. Ich mache mich gerade mit deiner kleinen Freundin hier bekannt“, begrüßte Kurai seinen Bruder. „Lass sie in Ruhe, Kurai! Bitte!“ „Das werde ich nicht“ , entgegnete dieser. „Sie ist eine Miko. Ihre Fähigkeiten könnten uns noch gefährlich werden.“ „Ja, aber das wird sicher nicht geschehen“ ,versuchte Hikari seinen Zwillingsbruder umzustimmen. Doch leider hatte er damit keinen Erfolg. „Tut mir leid, Hikari, aber ich kann das nicht riskieren.“ Plötzlich zog er ein Messer unter seinem Mantel hervor und machte sich bereit zuzustechen. Ich dachte nur noch Nein, jetzt ist alles aus. Das war’s. , denn obwohl ich mich unter seinem Griff wandte konnte ich mich nicht befreien. Mit einem Schrei sprang Hikari auf Kurai zu und zerrte an seinem erhobenen Arm. Darüber wurde Kurai so sauer, dass er ihn wütend von sich schleuderte. Hikari landete unsanft auf dem Boden. Kurai drehte sich von mir weg und ging auf seinen Bruder zu. Ich sank zu boden und rang nach Luft. „Was machst du da, was sollte dass gerade? Hast du denn vergessen, um was es geht?“, raunte er ihn an. „Nein, natürlich nicht. Aber so dürfen wir unser Problem nicht lösen!“ Plötzlich ging Kurai auf ihn los, schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Ich sah mit Entsetzen, dass er ihm noch zusätzlich in den Magen trat. Er wollte gerade wieder zuschlagen, als er hörte, dass sich meine Großmutter näherte. „Ai, bist du hier irgendwo? Melde dich bitte!“ Sofort rief ich nach ihr: „Ja, Oma. Hier bin ich!“ Kurai zuckte zusammen. Als er weg rannte drohte er uns noch: „Es ist noch nicht vorbei, Bruder! Ich komme wieder!“ Gerade war er außer Sichtweite, als meine Großmutter um die Ecke bog. „Oh mein Gott, was ist denn hier passiert?! Ist alles in Ordnung?“ „Ja Oma, mir geht’s gut, aber Hikari ist verletzt!“ Ich stürzte auf ihn zu und half ihm sich aufzusetzen. „Wie geht es dir? Warte, deine Lippe blutet.“ „Danke. Es tut mir so leid. Ich...ich...“ ,stotterte er, während ich ihm mit einem Taschentuch das Gesicht säuberte. Ich umarmte Hikari und versuchte ihn zu beruhigen. „Ist schon gut. Mir ist ja nichts passiert.“ Dann fügte ich noch mit ernster Stimme hinzu: „Aber ich glaube du hast uns einiges zu erklären.“ Meine Großmutter pflichtete mir nur Kopfnickend bei.
 

Als wir wenig später im Wohnzimmer saßen war Hikari schon wieder etwas ruhiger geworden. Nun konnte er uns endlich über seinen Zwillingsbruder aufklären. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Also wie ihr ja sicherlich schon gesehen habt, sind Kurai und ich Zwillinge.“

„Ach dann war er dass wohl, der mich damals beobachtet hat. Ich hab ihn nur nicht gesehen!“, stellte ich fest. „Ja, ich denke, dass könnte er gewesen sein. Na ja, wie auch immer. Ich glaube ihr solltet wissen, dass wir beide nicht aus einer normalen Familie stammen. Wir sind schon seit einer Ewigkeit verflucht.“ „Verflucht?“, meine Großmutter und ich horchten auf. „Ja. Ich kenne nicht die ganze Geschichte, aber jedes Zwillingspaar, das geboren wird, erwartet leider ein grausames Schicksal. Unsere Eltern mussten gleich nach der Geburt entscheiden, wer von uns beiden gut und wer böse werden sollte.“ „Aber das ist doch schwachsinnig! Warum sollten sie so was tun?“, unterbrach ich ihn verwirrt. Mit einem tiefen Seufzer fuhr er fort: „Weil der Fluch es so verlangt. Wenn wir uns weigern, wird die gesamte Familie Shibaru ausgelöscht ... Es wurde also festgelegt, das Kurai das Böse in sich tragen sollte. Meine Eltern versuchten dennoch eisern etwas dagegen zu untenehmen. Sie gaben ihm so viel Liebe, wie sie nur konnten. Doch sie bezahlten es mit dem Leben. Eines Nachts fing das ganze Haus an zu beben und aus dem Schlafzimmer unserer Eltern ertönten Schreie. So schnell wie es gekommen war verschwand es auch wieder. Als wir ins Zimmer gingen sahen wir warum es gegangen war: Es hatte bekommen was es wollte. Unsere Eltern waren tot, ihre Gesichter vor Angst verzerrt. Das ließ bei Kurai endgültig seine dunkle Seite zum Vorschein kommen und er wurde zu dem, was ihr heute erlebt habt.“ Hikari machte eine kurze Pause, bevor er mit einem Seufzer weiter erzählte. „Seit ihrem Tod hat er mir ständig vorgeschrieben, was ich zu tun hätte. Ich konnte mich einfach nicht gegen ihn wehren. Ich dachte ohne meinen Bruder könnte ich in dieser Welt niemals überleben. Er sorgte immerhin für mich. Doch alles was er verbrochen hatte, viel auf mich zurück, denn er blieb stets im Hintergrund und ließ sich niemals blicken. Doch eines Abends ging er eindeutig zu weit. Kurai lief davon und beging drei Morde. Völlig ohne Grund, nur so aus Vergnügen.“ „Oh mein Gott, dann stimmten die Gerüchte zum Teil also doch!“ „Hast du denn nicht versucht deinen Bruder irgendwie wieder...‚umzupolen’?“, wollte meine Großmutter wissen. „Natürlich hab ich’s versucht. Obwohl ich solche angst vor ihm hatte, habe ich wirklich alles erdenkliche unternommen, doch es half nichts. Kurai blieb, was er ist. Aber dann wurde mir klar, dass wir beide genauso enden könnten wie unsere Eltern. Ich kann ihn auch nicht umbringen. Wen er stirbt, ergeht es mir gleich. Wir können nur gemeinsam existieren. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll!“ Völlig verzweifelt saß er nun da: Die Ellenbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in den Händen. Er ist wirklich total am Ende., dachte ich. Als ich meinen Freund so betrachtete, fiel mir eine Kette auf, die aus dem Kragen seines Shirts herausgerutscht war. „Hat das Amulett hier eine bestimmte Bedeutung für dich?“, erkundigte ich mich bei Hikari, während ich den Anhänger in die Hand nahm. Es handelte sich anscheinen um ein chinesisches Ying & Yang Zeichen, doch die andere, die schwarze Seite des Symbols, fehlte. Nach einem verwunderten Blick auf mich antwortete Hikari schulterzuckend: „Keine Ahnung, kann schon sein. Mein Bruder und ich haben es schon seit unserer Geburt. Er hat die eine und ich andere Hälfte.“

„Hey Omi! Denkst du gerade das, was ich denke?“ , fragte ich viel sagend zu meiner Großmutter gewand. „Wenn du denkst, dass dieses Amulett der Schlüssel ist, dann hast du recht!“ Wir warfen uns noch verschwörerische Blicke zu, bevor meine Großmutter mit den Worten „Ich geh und bereite sofort das Ritual vor!“ das Wohnzimmer verlies und zum Tempel ging. Völlig überrascht über die plötzliche Aufruhr fragte Hikari: „Warum hat sie es denn auf einmal so eilig? Und warum wollt ihr jetzt ein Ritual abhalten?“ „Warts ab. Ich erklärs’ dir. Also: Dass du und dein Bruder jeweils einen Teil von Ying & Yang habt, hat einen ganz bestimmten Grund. Du hast die weiße Hälfte, während er die schwarze besitzt. Verstehst du?“ „Kein einziges Wort!“, gab mir Hikari zu verstehen, als er beide Schultern hochzog und den Kopf schüttelte. „Es ist doch ganz einfach! Du bist der gute Teil, Kurai der schlechte! Weiß und Schwarz....“ Jetzt endlich schien Hikari zu verstehen auf was ich hinaus wollte, denn ein wissendes Leuchten ging über sein Gesicht. „Das heißt also, dieses Amulett repräsentiert, so zu sagen, unsere Seelen! Mit seiner Hilfe könnte es uns gelingen Kurai doch noch umzupolen!“, folgerte er weiter. „Und genau dafür brauchen wir dieses Ritual.“ „Einverstanden. Sag mir, was ich tun muss.“

Ich berichtete meiner Großmutter, dass ich Hikari bereits losgeschickt hatte, um seinen Bruder zu uns zu locken. Während wir im Tempel die letzten Vorbereitungen trafen, gingen wir denn ganzen Plan noch einmal durch. „So weit so gut“, begann meine Großmutter, „Also, wenn dieser Kurai durch das Portal tritt, hältst du ihn mit den Majufu in dem Bannkreis fest, den ich hier auf diese Wand gezeichnet habe.“ Sie deutete auf die Wand rechts neben mir. Ich erkannte einen großen Kreis, in dem sich ein Pentagramm befand. In der Mitte dieses Symbols erkannte ich noch ein weiteres, nämlich ein Ying & Yang Zeichen. „Dann sprechen wir beide die Beschwörungsformel“, fuhr meine Großmutter mit ihren Erläuterungen fort. „Der Rest hängt dann von Hikaris mentaler Stärke ab. Er muss seinen Bruder davon überzeugen sich von seiner dunklen Seite loszureißen.“ „Ich hoffe er schafft es. Ich will gar nicht dran denken, was passieren könnte, wenn es schief geht“, teilte ich ihr meine Sorgen mit. Meine Großmutter lächelte mir als Antwort nur aufmunternd zu. Nach einem kurzen Seufzer ging ich an die Tür unseres Shinto-Tempels und hielt Ausschau. Es dämmerte bereits und so war es schwerer für mich etwas ausmachen zu können. Als ich eine plötzliche Bewegung bemerkte wanderte mein Blick nach links. Im schummrigen Licht des Abend erkannte ich Hikari der sich rasch mit seinem ungeduldig blickenden Bruder näherte. Selbst vom Weiten sah Kurai furchteinflößend aus. Ich gab meiner Großmutter, die bereits die weißen Zeremonienkerzen entzündet hatte, ein Zeichen. Ich bezog meine Stellung gegenüber des Pentagramms und meine Großmutter setzte sich im Schneidersitz genau in die Mitte des Raumes. Gespannt und mit angehaltenem Atem warteten wir auf die beiden Jungen, die jeden Augenblick durch die Tür kommen mussten.

Ich spitzte meine Ohren und hörte, wie die Dielen im Flur knarrten und als Hikari endlich den Raum betreten hatte ging alles ganz schnell. Kaum war Kurai über die Schwelle getreten, wurde er auch schon von der Wucht meines Majufu in den Bannkreis geschleudert, wo er völlig überrumpelt hängen blieb. Während ich rüber zu meiner Großmutter rannte und mich neben sie setzte, wurde ihm bewusst, dass er reingelegt worden war. „Hikari, du Verräter“, schrie er seinen Bruder an, der direkt vor ihm stand. Ohne auf die Vorwürfe des Bruders zu achten, drehte dieser sich noch einmal zu uns um und fragte mit sorgenvollem Blick: „Ich werde ihm doch nicht weh tun, oder? Das wird ihm wirklich helfen?“ „Ich verspreche dir, dass es zu seinem Besten ist“, antwortete ich ihm beschwichtigend. „Wir müssen uns beeilen“, rief meine Großmutter, „Die Majufu haben ihre Kraft schon fast verbraucht!“ Erstaunt sah ich zu den zwei Streifen Papier, die rechts und links neben Kurais Körper an der Wand hafteten. Und tatsächlich: Sie fingen langsam an sich aufzulösen. Verdammt, dachte ich, so war das nicht geplant. Die sollten doch viel länger halten! Kurai wurde immer wütender, was ihren Verfall nur noch zu beschleunigen schien.

Ich atmete noch einmal tief durch, bevor meine Großmutter und ich in einen leisen Singsang einstimmten, der die alte Beschwörungsformel formulierte:
 

"Der, der du gefangen bist in der Dunkelheit deiner Seele

Der, der du gehalten wirst von den Ketten der Erinnerung

Befreie dich von dem, was dich dort bannt

Lass dich von deinem Bruder aus der Finsternis führen

Lass es nicht zu, dass deine Hoffnung stirbt

Wir wissen, dass du noch irgendwo dort drinnen bist

Verbanne die Finsternis aus deiner Seele und lebe frei

Wir warten auf dich!"
 

Wir wiederholten diese Formel immer und immer wieder und wurden jedes Mal etwas lauter.

Während des ersten Verses hatte Hikari den Kopf seines sich windenden Bruders behutsam in beide Hände genommen und seinen eigenen Kopf an Kurais Stirn gelehnt. Hikari schloss die Augen. Er versuchte in den Geist seines Bruders einzudringen. Kurai schrie als hätte er starke Schmerzen. Auch Hikari verzog das Gesicht. Anscheinend stellte es sich doch als sehr viel schwieriger heraus die beiden Geister zu verschmelzen, als wir zuvor gedacht hatten.

Diese Prozedur zog sich fast ganze zwanzig Minuten hin. Nach dieser Zeitspanne wurde Kurai plötzlich ruhiger, bis er schließlich völlig bewegungslos wurde.

„Ich denke wir können mit den Beschwörungen aufhören. Es ist vollbracht“, hörte ich die erschöpfte Stimme meiner Großmutter neben mir. Zaghaft stand ich auf und ging zu den beiden Jungen hinüber, die noch immer an dem Bannkreis standen und sich nicht bewegten. Als ich näher gekommen war erkannte ich ein zufriedenes Lächeln auf Hikaris Lippen und als ich in Kurais Gesicht sah, fand ich auch bei ihm dieses Lächeln. Es schien sogar, als würde er weinen. Ganz langsam öffnete mein Freund seine Augen und jetzt liefen auch ihm die Freudentränen über die Wangen. Er löste die verkohlten Bannstreifen von der Wand und stützte den bereits bewusstlos gewordenen Kurai ab. Er legte seinen Zwillingsbruder behutsam auf den Boden. Erschöpft und mit müden Augen drehte er sich zu mir um. Er sagte noch so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte „Danke. Ihr habt uns gerettet.“, bevor auch er ohnmächtig zu boden fiel. Ich eilte zu ihm und legte seinen Kopf in meinen Schoß. Ja, schlaf ruhig, sagte ich in Gedanken zu ihm, Schlaf solange du willst. Du hast es dir wirklich verdient.
 

Hikari erwachte erst am späten Mittag des nächsten Tages. Ich hatte die ganze Zeit über an seinem Bett gesessen und war nun sehr froh darüber, dass er mich endlich wieder anlächelte und mit mir sprach. „Wie lang hab ich denn geschlafen?“ „Lange. Ich hab noch nie jemanden erlebt, der so lange geschlafen hat wie du. Ich an deiner Stelle währ schon längst vor Hunger gestorben!“ „Jetzt wo du es erwähnst: Ich hab tierischen Kohldampf!“, antwortete er mir und hielt sich den Bauch, bevor er sich dann mit ernsterer Miene nach dem Befinden seines Bruders erkundigte. „Kurai geht es gut. Er sitzt draußen im Garten und ist wie ausgewechselt.“ Ich stand auf und half Hikari aus dem Bett, denn er wollte natürlich sofort zu ihm. Als wir die Terrasse traten, saß Kurai in einem Stuhl und ließ sich die Sonne aufs Gesicht scheinen. Er sah rundum glücklich aus. „Danke“; sagte Hikari leise, „Ab hier schaff ich es alleine. Er wandte sich von mir ab und ging langsam auf seinen Bruder zu. Ich sah nur vom weiten, wie er Kurai von hinten vorsichtig seine Hand auf die Schulter legte, dieser sich um sah, aufsprang und Hikari um den Hals fiel, gerade so als hätten sie sich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Eine Ewigkeit ... das stimmt wahrscheinlich sogar. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es war all die Jahre von einem so bösen Geist besessen gewesen zu sein, dachte ich und stieß einen leichten Seufzer aus. „Warum so trübsinnig. Du kannst stolz auf das sein, was du hier geleistet hast.“ Ich drehte den Kopf zu der Seite, aus der die Stimme gekommen war und sah meine Großmutter mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck neben mir stehen. „Ja, ich weiß. Aber ich glaube, das die schwierigen Zeiten erst noch kommen werden. Kurai muss sich irgendwann mit seinen Taten als Besessener auseinander setzten. Da führt kein Weg herum. Das wird bestimmt eine Zerreisprobe für die beiden.“ „Ganz gewiss sogar, mein Kind. Aber damit werden sie schon klar kommen. Beide, sowohl Hikari als auch Kurai, haben bewiesen, dass sie einen festen Charakter besitzen und dass das Band zwischen ihnen sehr stark ist.“ Mit diesen aufmunternden Worten kehrte meine Großmutter wieder ins Haus zurück, denn sie sah Hikari freudestrahlend auf uns zukommen. Sie wusste genau, dass ich gerne etwas Zeit mit ihm allein verbringen wollte. „Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll?“ „Also ich wüsste da schon was. Jedenfalls könntest du dich bei mir damit bedanken“, sagte ich mit einem schelmischen Grinsen. „Na los, sag schon, was ist es?“ Ich ging etwas näher an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Kommst du denn nicht alleine darauf?“ und schon im nächsten Augenblick wusste ich, dass er mich sehr wohl verstanden hatte, denn er schloss mich in seine Arme und küsste mich sanft. Erst auf die Stirn, dann auf die Schläfe und schließlich trafen sich unsere Lippen. Ja, genau das habe ich jetzt gebraucht, dachte ich überglücklich.
 

Wir saßen noch eine ganze Weile eng umschlungen auf der Veranda und schauten Kurai dabei zu, wie er, schon fast kindlich, unseren Garten durchstöberte.

„Er wirkt so friedlich“, bemerkte ich. „Ja, wie ein kleines Kind. Er hat eben viel nachzuholen“, entgegnete Hikari. „Du hast mir noch gar nicht erzählt, was bei der Zeremonie eigentlich mit euch geschehen ist“, entgegnete ich, neugierig auf die folgende Antwort.

„Ich kann mich zwar nicht mehr an alles genau erinnern, aber ich weiß noch, dass ich mich plötzlich in Kurais Bewusstsein befand. Ich war von völliger Dunkelheit umgeben und weil ich nichts erkennen konnte, rief ich nach Kurai. Schließlich nahm ich ein leises Pochen wahr. Es hörte sich wie das Schlagen eines Herzens an. Ich folgte also diesem Klang und konnte nach einiger Zeit ein schwaches Licht leuchten sehen. Als ich bei dieser Stelle ankam, sah ich etwas, das ich, mein ganzes Leben lang nicht vergessen werde.“ Hikaris Stimme war während seiner Erzählung immer leiser geworden und jetzt verstummte sie ganz. „Was ... was hast du dort gesehen? Du kannst es mir ruhig erzählen. Danach geht es dir bestimmt besser“, versuchte ich ihn zu ermutigen. Er holte noch einmal tief Luft und fuhr dann fort: „Ich war total geschockt. Da hing Kurai, gefesselt an Ketten und er hatte überall blutige Wunden. Es war ganz so, wie ihr es in eurer Beschwörungsformel geschildert habt. Langsam, ganz langsam, öffnete Kurai die Augen. Er sah mich an und in seinem Blick lag so viel Schmerz, aber vor allem war er erfüllt von Hoffnungslosigkeit. Ich zwang mich seinen Zustand zu ignorieren und fing an auf ihn einzureden. Ich sagte ihn, das es noch eine Chance für ihn ... für uns ... gäbe ein normales Leben ohne diese Qualen zu führen, aber dafür müsse er jetzt mit mir mit kommen und sich von diesen Ketten befreien. Als er einfach nur schwieg rannte ich auf ihn zu, nahm seinen Kopf in die Hände und legte meine Stirn auf die seine. Dann versuchte ich es noch einmal und diesmal klappte es. Wie durch ein Wunder lösten sich die Ketten auf und er sank in meine Arme. Tja, und dann bin ich in deinem Bett wieder aufgewacht und sah dein Gesicht vor mir.“ „Das hast du gut gemacht. Ohne dich währ er wahrscheinlich verloren gewesen.“ Danach schwiegen wir wieder. Doch eine Frage brannte mir schon seit einiger Zeit auf den Lippen: „Was habt ihr jetzt vor? Werdet ihr fortgehen?“

Oh, bitte sag, dass du bei mir bleibst. Bitte, bitte, flehte ich in ihn in Gedanken an. Ich merkte, dass mein Freund ziemlich an seiner Antwort zu feilen hatte, denn er bekam kein Wort heraus. Mit einem Seufzer antwortete er dann endlich: „Ich denke, es ist besser, wenn wir für eine Weile verschwinden. Es ist nötig, dass wir unser altes Elternhaus aufsuchen und möglichst wieder an unsere Familie herantreten.“ Nein, das war wirklich nicht die Antwort, die ich hören wollte. Ich riss mich aus seiner Umarmung und stellte mich mit verzweifelten Gesicht vor ihm hin. „Aber ich will nicht, dass du gehst. Hier können wir euch doch auch helfen. Hier habt ihr eure Ruhe.“ In meiner Stimme schwang ein deutliches Zittern mit. Jetzt war Hikari auch aufgestanden und legte mir beruhigend seine Hände auf die Schultern. „Glaube mir, ich will genauso wenig hier weg, aber es geht nicht anders. Ich muss Kurai helfen mit seiner Vergangenheit klar zu kommen und das kann ich nur von zu Hause aus, dort wo alles begann.“ „Das verstehe ich ja, aber...“ „Ich komme wieder zurück, das schwöre ich dir. Wenn alles geklärt ist kehre ich zu dir zurück.“ Wie als wolle er seinem Versprechen noch mehr Ausdruck verleihen, küsste er mich. Dann sah er mir tief in die Augen und während ich mich in dem unendlichen Blau der seinen zu verlieren schien, flüsterte er: „Hiermit ist unser Versprechen besiegelt. Es wird uns ewig aneinander binden.“

In der darauf folgenden Nacht lagen wir, dicht aneinander gekuschelt in meinem Bett. Wir sagten kein Wort. Wir genossen einfach dieses unbeschreibliche Gefühl und versuchten es uns so gut wie möglich einzuprägen, damit wir es immer in unserm Herzen bewahren konnten.
 

An dem darauf folgende Tag verbrachten wir jede freie Minute miteinander, auch wenn er sich ab und zu um Kurai kümmern musste. Wir wollten einfach die uns noch verbleibende Zeit so gut wie möglich nutzen.

Am späten Nachmittag war es dann soweit: Der Abschied war gekommen.

Schweren Herzens ging ich auf das Gartentor zu, wo die anderen bereits auf mich warteten.

Meine Großmutter nahm Kurai zur Seite, damit ich mich in Ruhe von Hikari verabschieden konnte. Auch ihm fiel es nicht leicht die passenden Worte zu finden: „Also, ich...“ Noch bevor er seinen Satz beenden konnte, unterbrach ich ihn: „Nein, sag bitte nichts. Das würde es nur noch schwerer machen. Versprich mir nur noch ein mal, dass du auch wirklich zu mir zurück kommen wirst.“ „Natürlich komme ich wieder, das weißt du doch.“ Mit diesen Worten nahm er mich ganz sanft in den Arm, bevor wir uns ein letztes Mal küssten.

Wir konnten uns nur schwer von einander lösen und ich sah ihnen noch lange nach, nachdem sie sich noch einmal bedankt hatten und auf wiedersehen sagten. Auch Kurai schien bedrückt gewesen zu sein. Hikari und ich hatten beschlossen, dass es einfacher wäre, wenn er sich nicht mehr umdrehte. So war es sicher besser. Ich hatte ihn bis zur letzten Sekunde nicht loslassen wollen.

Als sie außer Sichtweite waren, konnte ich die Tränen nicht mehr zurück halten und sank auf die Knie. Ich werde auf dich warten und wenn es für immer sein sollte, schwor ich mir selbst. „Meine kleine Ai ... bitte weine nicht zu sehr. Du wirst nicht lange auf ihn warten müssen. Da bin ich mir ganz sicher“, tröstete mich meine Großmutter mit ihrer beruhigenden Stimme. „Komm lass uns ins Haus zurück gehen. Ich muss dir etwas zeigen.“
 

Ich saß bereits auf der Coach im Wohnzimmer, als sie mit einem sehr alt aussehendem Buch in den Armen den Raum betrat. Sie schlug es auf und gab es mir. „Das ist eine Prophezeiung, die schon sehr lange in unserer Familie weiter erzählt wurde. Ich glaube, sie dürfte dich interessieren.“ Ich war etwas erstaunt. Was hat denn eine alte Prophezeiung mit meiner Situation zu tun?, fragte ich mich. Neugierig begann ich zu lesen, was da stand:
 

„Und es wird ein Mädchen geboren, dessen Wesen voll Liebe ist.

Sie wird die Rettung für zwei Fremde sein, denen von höheren Mächten Fesseln angelegt wurden.

Der eine geschützt vom Licht, der andere bewacht von der Dunkelheit.

Und das Schicksal von zweien der dreien ist auf ewig verbunden.

Dieses Verbindung wird vom Licht gesegnet sein.“
 

Jetzt war ich völlig verwirrt: „Ich versteh nicht ganz. Was soll das mit mir und meiner Lage zutun haben?“ „Das ist doch ganz einfach. Sieh mal, du musst einfach einige Wörter aus dem Text mit den Namen von euch verbinden. Schau noch mal genau hin“, versuchte mich meine Großmutter auf die Lösung zu lenken. Ich musste einige Zeit suchen, aber dann hatte auch ich es versanden: „Tatürlich! Die Wörter `Liebe` und `Rettung` bilden meinen Namen: Ai Kyujo. Mit `zwei Fremde` sind Hikari und Kurai gemeint. Also lassen sich aus den folgenden Wörtern auch ihre Namen zusammensetzen: `Fesseln`, `Licht`, `Dunkelheit` ...

Shibaru, Hikari, Kurai oder anders herum Hikari und Kurai Shibaru“, erklärte ich begeistert. Doch die letzte Lösung lies jegliche Trauer von mir weichen, denn das was ich dort las stärkte meine Hoffnung ins unendliche. “Die letzten beiden Zeilen ... Hikaris und meine Liebe ist gesegnet. Das und sein Versprechen reichen mir als Garantie.“

Ich blickte zu meiner Großmutter auf. „Danke, das hat mir sehr geholfen.“

Sie nickte mir als Bestätigung zufrieden zu. Ich stand auf und ging hinaus in den Garten.

Die Sonne ging gerade hinter den letzten Häuserfronten unter. Ich stand einfach nur da und sog die frische Abendluft ein und plötzlich musste ich an das denken, was mir meine Mutter einmal erzählt hatte. Ich hatte sie gefragt, was eigentlich die Seele ist. Damals verstand ich zwar nicht was sie meinte, aber irgendwie habe ich diesen Spruch trotzdem in Erinnerung behalten. Sie sagte zu mir: „Die Seele hat weder Form noch Gewicht. Man kann weder ihre Größe noch ihre Tiefe messen. Niemand hat jemals gesehen, was sie wirklich ist, und dennoch kann sie schmerzen. ... Und sie reagiert nur auf diesen einen Menschen.“ „Das versteh ich aber nicht, Mami.“ „Keine Angst, mein Schatz. Irgendwann wirst du es verstehen“, hatte sie geantwortet und mir beschwichtigend einen Kuss auf die Stirn gegeben.

Doch heute verstand ich seine Bedeutung. „Ja, Hikari, du bist für mich der Einzige. Du kommst ganz sicher zu mir zurück. Ich glaube ganz fest daran.“
 

ENDE



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  LauraJane
2008-04-03T16:37:29+00:00 03.04.2008 18:37
schön^^
eine wirklich schöne geschichte
das ritual ist klasse beschreiebn und du achtest wirklich gut auf details. dein schreibstil ist echt genial und du kannst die gefühle der personen sehr überzeugend schildern.
echt gut geworden X3

Von:  Monkey-D-Suria
2007-09-16T11:09:37+00:00 16.09.2007 13:09
Puhh ... was für ein wunderschöner Kapitel! Und ein sensationeller Abschluss der FF!!!
Eigentlich kenne ich die FF bereits, aber deine ist zum "Immer-wieder-lesen"! Fantastisch!
Du hast nicht nur eine tolle Fähigkeit, dich auszudrücken, sondern auch eine beachtliche Fantasie und Erzählfreudigkeit - bitte behalte dies!
Aber am meisten beeindruckt mich nach wie vor der Einfallsreichtum bezüglich der Namen und der tiefe Bezug, der dahintersteckt. Ebenso finde ich die Weisheit, die du mit der FF vermitteln willst, toll.
Man merkt total, wie viel Mühe du dir mit Allem gemacht hast. Respekt und beide Daumen hoch!!!

Ach ja - bitte entschuldige, wenn das als Werbung gilt: Ich habe einen Fanfic-Wettbewerb-Zirkel am Laufen, wo der erste Wettbewerb bereits läuf t und der Zweite darauf ist auch bereits geplant. Ich suche immer solche tollen Schreiberlinge, wie dich - wenn du also Lust hast, kannst du gerne mit dieser FF im 2. Wettbewerb beitreten:

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