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Sinnlose Versprechen

von

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Jason wusste, dass er nicht auf ewig neben seinem Freund liegen bleiben konnte. Der Artikel, der am Morgen erschienen war, war sicherlich bereits in aller Munde und sein Drang, Holly anzurufen, ihr zu danken und sie über weitere Informationen auszufragen wuchs stetig an. Tyrone von Zundersby war nicht rechtschaffener als sein Vater. Woher Holly auch immer die Informationen gehabt haben mochte, sie entlarvte den im Dafürhalten der Bevölkerung glaubwürdigen Schlossherrn als Kriminellen. Als Geldwäscher insbesondere durch Waffenhandel.

Einen wehmütigen Blick warf er auf seinen Freund, der mit geschlossenen Augen, aber nicht schlafend, neben ihm lag. Einer von Lance’ Armen verweilte noch immer auf seiner Brust und passte sich dem steten Auf und Ab seiner Atmung an. Ob der Zügellosigkeit, mit der sie übereinander hergefallen waren, musste der Blonde lächeln. Die Intimität zwischen ihnen schienen sie bitter nötig gehabt zu haben. Mit seiner Linken fuhr er durch das schwarze Haar und hauchte einen Kuss auf Lance’ Stirn. Dieser gab anschließend das dunkle Blau seiner Iriden preis und suchte Jasons Ohrläppchen auf.
 

„Ich gehöre nur dir, wenn du-“
 

„Bitte, sag’s nicht!“, unterbrach der Blonde ihn barsch. Sanft sah er seinen Freund an und nickte.

„Wenn du mir im Gegenzug verrätst, woher du wusstest, dass mein Vater unter dem Pseudonym Father Dest die Stadt in Unruhe versetzte.“
 

Doch Lance ging nicht auf den Handel ein, sondern ließ nur seine Hand von der Brust ein Stück abwärts wandern. Mit bedächtigem Kreisen umspielte er Jasons Bauchnabel.

„Nein“, sagte er eine ganze Weile später.
 

„Dann schlägt unser Deal fehl“, zuckte Jason die Schultern. „Und doch gehörst du mir“, fügte er süffisant an, rollte sich dabei auf die Seite und presste seine Lippen auf Lance’.

Der Schwarzhaarige erwiderte den Kuss nicht, weshalb der Blonde bald wieder von ihm abließ.

„Gerade eben noch hattest du nichts einzuwenden“, raunte er enttäuscht.
 

„Die Zeiten ändern sich“, kam es leise zurück und Lance verbarg sein intensives Blau wieder hinter seinen Lidern.
 

Jason musste schlucken. Waren sie wirklich wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt? Kühle gepaart mit Überheblichkeit?

Seufzend schälte er sich aus dem Bett und verließ ohne sich noch einmal nach seinem Freund umzudrehen das Schlafzimmer. Im Bad stieg er sofort unter die Dusche und ließ eiskaltes Wasser seinen Körper hinablaufen. Er wollte das Gefühl betäuben, das sich zur seiner überaus ausgeprägten Gelassenheit gesellt hatte. Das Wissen, dass Lance immer noch strikt gegen seine Zukunftspläne war. Als sie eben miteinander geschlafen hatten, hatte ihn dieser Gedanke nichts ausgemacht, doch nach der Abweisung eben fühlte er wieder die stille Sehnsucht, seinen Freund zu berühren, ohne dass dieser am Ende doch nur wieder auf die verdammte Politik zu sprechen kam. Es zehrte mehr an Jason als er je vermutet hätte.

Erst als er zu frösteln begann und sich ein zartes Blau auf seinen Lippen abzeichnete, stellte er das Wasser ab. Während er wenig später in den Spiegel blickte, nickte er sich traurig zu… Er würde sein Leben durch nichts und niemanden lenken lassen.
 


 

Am späten Nachmittag erreichte er nach unzähligen Versuchen endlich Holly.
 

„Ja?“
 

„Hi Holly, hier ist Jason.“
 

„Ah Jason, schön, dass du dich mal wieder meldest“, meinte sie die Ironie keineswegs verbergend.
 

„Ich habe dich falsch eingeschätzt. Zufrieden?“
 

„Wärst du das bei der Antwort?“
 

„Nein, nicht wirklich“, gab er zu. „Kann ich bei dir vorbeikommen?“
 

„Wie? Du traust dich aus dem Haus?“, stichelte sie.
 

„Lass es nur raus“, forderte er sie augenrollend auf.
 

„Sei um zwanzig Uhr bei mir.“
 

„Danke für deine Großmütigkeit.“
 

„Ohne eine fette Entschuldigung lasse ich dich nicht in meine Wohnung. Das ist dir hoffentlich klar!?“

Damit legte sie auf und Jason schaute noch kurz sein Handy an, ehe er ebenfalls auflegte.
 

Er hörte gleich darauf Schritte hinter sich. „Du gehst?“
 

„So schnell wirst du mich nicht los“, entgegnete Jason hart. Selbst Lance konnte seinen Weg nicht bestimmen.
 

Wortlos näherte sich Lance und bettete alsbald eine Hand auf der Schulter des Jüngeren. Sacht hauchte er seinen warmen Atem an den Hals seines Freundes und schloss seine Augen. Jason hatte Mühe, nicht unter dem Kribbeln, das sich rasch in ihm ausbreitete, zu erbeben. Doch so sehr der Wunsch nach weiteren Berührungen auch auf Gegenseitigkeit beruhen mochte, Lance würde ohnehin nur wieder auf seine Kandidaturniederlegung zu sprechen kommen. Das wusste er.

Bestimmt, aber voller Schwermut legte Jason seine Rechte auf Lance’ Hand, hob sie an und drehte sie. Er wandte seinen Kopf zur Seite und drückte seine Lippen auf die Handinnenfläche des Schwarzhaarigen. Eine kleine Ewigkeit schienen sie so zu verharren, bis Jason dann aber den Kontakt unterbrach.

„Es wäre alles viel leichter, wenn du ehrlicher zu mir wärst“, kam es hauchzart über seine Lippen, die ihm noch das Gefühl vermittelten, Lance zu berühren.
 

Wie so oft schwieg der Ältere. Mit einem leichten Kopfschütteln ging Jason zum Sofa und ließ sich darauf nieder. Obwohl Lance an Ort und Stelle stehen und damit ebenfalls im Raum blieb, herrschte ab diesem Zeitpunkt eine beklemmende Stille zwischen ihnen. Lautes Kindergeschrei drang zu den gekippten Fenstern herein und legte sich wie unsichtbare Arme um Jason. Unterschwellig drangen alte Bilder vor seinem geistigen Auge auf. Szenen aus vergangenen Tagen, die Kelvin Sartaren als ziemlich vorbildlichen Vater darstellten. Fahrradtouren mit so spontanen Zielen, dass es manchmal besser gewesen wäre, sie hätten eine Karte oder einen Kompass mitgehabt, Fußballmatches im löcherübersäten Garten, gut gemeinter selbst erteilter Nachhilfeunterricht, der meist in einem Fiasko endete. Als Kind hatte Jason so einige Missgeschicke seitens seines Vaters erlebt, aber es hatte ihm nie an etwas gefehlt. Gerade die kleinen Malheure haben ihn immer zum Lachen gebracht. Auch ohne die Hilfe seiner Frau hatte Kelvin alles Erdenkliche getan, um ihn gut zu erziehen.

Ein trübsinniges Lächeln zierte Jasons Mundwinkel, seine Augen tranceartig auf Lance gerichtet, der ihn unverwandt ansah. Er würde hier nicht ausziehen wollen, selbst dann nicht, wenn ihn sein Freund wirklich vor die Tür setzen sollte. Aber auch wenn er mit seiner Sturheit alles auf Spiel setzte, er konnte seine Pläne nicht begraben. Zudem gab Lance auch nicht preis, warum er so agierte wie er eben agierte. War da nicht dennoch so viel Zuneigung zwischen ihnen? Dieselbe Verbundenheit, die er zu seinem Vater innegehabt hatte?

Die Stimmen, die von der Straße hereindrangen, verebbten allmählich und ließen nichts als zwei junge Männer zurück, deren Brustkörbe sich bedächtig hoben und senkten.
 

„Blinzle einmal und die Welt sieht gleich wieder anders aus“, hatte sein Vater immer gesagt. Immer dann, wenn sie zusammen alte Fotoalben angesehen hatten oder er einfach nach seiner Mutter gefragt hatte.
 

Langsam schloss Jason die Lider und öffnete sie im nächsten Augenblick wieder. Da stand der Mann, den er innig liebte. Den er über alle Maßen begehrte und nach dem es ihn wie eh und je dürstete. So wie Lance mit den Händen in den Hosentaschen, breitbeinig und den Kopf leicht schief gelegt dastand, die Haare ziemlich zerzaust und über dem dunklen Blau seiner Iriden ein abwesender Glanz, sehnte sich Jason noch mehr nach ihm. Möglichst geräuschlos erhob sich der Blonde und tilgte die Distanz, die er selbst hergestellt hatte. Lance bewegte sich nicht, auch nicht, als der Blonde mit seiner Rechten über dessen Wange strich.

„Solange ich von dir nicht mehr erfahre, gehe ich weiter meinen Weg“, flüsterte Jason schon beinahe.
 

Als der Blonde zu glauben begann, Lance hätte ihn nicht gehört, klärte sich dessen Blick.

„So soll es sein“, kam es kalt über seine Lippen.
 

„Ich werde Holly von dir grüßen“, sagte Jason ihm mitten ins Gesicht und mit einem Anflug von Zynismus. Anschließend kehrte er sich von ihm ab.
 

„Manche Menschen“, meinte der Schwarzhaarige, als der andere schon fast an der Tür war, „scheinen besser zu sein als sie in Wahrheit sind.“
 

Jason drehte sich noch einmal zu ihm um. „Und diejenigen, die verdorben zu sein scheinen“, entgegnete er leise, „sind die wahren Heiligen.“
 

Obwohl es noch vor achtzehn Uhr war, verließ Jason das Haus. Draußen war es hell, aber kaum belebt. Den einen oder anderen Seitenblick erntete er dennoch bereits, als er um die erste Straßenecke bog.

Warme Luft umspielte sein Gesicht, die Sonne lugte zwischen einer Ansammlung weißer Schleierwolken hervor. In sich gekehrt setzte er einen Fuß vor den anderen, den Blick immer wieder gen Himmel schweifend.
 

„Jason Sartaren – ein seltener Gast in letzter Zeit!“, drang eine tiefe Stimme von rechts zu ihm heran.
 

Ein Mann in einem blauen Overall blickte ihn von seiner Einfahrt aus unverhohlen an.
 

„Guten Abend, Yan“, erwiderte Jason. „Den Wagen immer noch nicht zum Laufen gebracht?“, deutete er auf die rote Corvette.
 

„Der alte Chrevolet schnurrt noch nicht richtig“, zuckte der Mann in den Mittvierzigern mit den Schultern.

„Ich glaube den Zeitungen kein Wort“, fügte er mit einem ernsten Gesichtsausdruck an.
 

Jason sah ihm in die matten blauen Augen. „Dann kannst du mich in zwei Wochen wählen.“
 

Darauf sagte Yan nichts. Dafür nickte er wieder in Richtung seines Oldtimers. „Wird Zeit, dass ich den hinbekomme. Meine Frau hängt mir ständig in den Ohren wegen ihrer versprochenen Spritztour“, lächelte er gequält.
 

„Dann halte dich mal ran“, grinste der Blonde zurück.

Zum Abschied hob er kurz die Hand und ging weiter. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie sein Gruß erwidert wurde.
 

Vor einem kleinen Schmuckgeschäft blieb Jason eine viertel Stunde später stehen und warf einen Blick ins Schaufenster. Er wusste, dass er nicht mit leeren Händen bei Holly auftauchen durfte. Als er zwei Personen hinter sich im Fenster spiegeln sah, wurde er bereits unsanft angerempelt. Jason reagierte nicht darauf und hoffte damit zu erreichen, dass er in Ruhe gelassen würde. Der Schmerz seiner Rippen hatte vorgestern erst nachgelassen und sich am Morgen beim Sex mit Lance kaum bemerkbar gemacht und er war nicht erpicht darauf, schon wieder geschändet durch die Welt zu laufen. Doch da spürte er schon kräftige Hände, die ihn gegen das Glas drängten. Mit schneller werdendem Herzschlag schloss er seine Lider und wartete ohne jedwede Gegenwehr ab.
 

„Solch dreckiges Blut hat hier nichts zu suchen“, zischte einer der beiden Fremden in sein Ohr.
 

Jason schnappte nach Luft, als sich der Druck auf seinem Rücken verstärkte. Seine Brust wurde schwer gegen die Scheibe gedrückt und gleißendes Licht durchzuckte ihn.
 

„Wir kennen die Wahrheit“, flüsterte der andere, der deutlich älter klang als der erste, der ihn festhielt.
 

Leichtes Schwindelgefühl befiel den Blonden und jedes Mal, wenn er seine Lider anhob, drehten sich Silber und Gold gepaart mit schattenhaften Gestalten. Die Stimmen waren ihm unbekannt und in seinem Zustand hätte er sie vermutlich nicht mal zuordnen können, selbst wenn er sie schon einmal vernommen hätte.
 

„Sünde und Sühne liegen nah beieinander“, meldete sich wieder ersterer zu Wort.
 

„Der Racheakt wird vollzogen werden“, verkündete der zweite.
 

Wie benebelt fühlte sich Jason. Er konnte den Worten keine rechte Bedeutung zumessen. Das einzige, was er deutlich wahrnahm, war das Stechen in seiner Brust und das laute Keuchen, das aus seiner Kehle drang.
 

„Wir wissen alles“, fügte der Ältere an.
 

In Nomine Patris, Et Filii...
 

„… ziehen wir die Fäden.“
 

Pater Noster, Qui Es In Caelis,…
 

„Er wird uns zur Seite stehen.“
 

Et Dimitte Nobis Debita Nostra,…
 

„Insbesondere unsere Zweifel“, raunte der in die Tage Gekommene.
 

Libera Nos A Malo.
 

Amen.
 

Mit brummendem Kopf sank Jason zu Boden. Er hörte, wie sich die zwei Männer entfernten, doch als er aufsah, konnte er nur schwarze Schemen erkennen. Verwirrt lehnte er sich an das Fenster in seinem Rücken. Es mussten Minuten vergehen, in denen er dort kauerte und den Punkt in der Ferne, wo die beiden verschwunden waren, fokussierte.
 

„Wollen Sie hier was kaufen?“, polterte der Geschäftsinhaber, der mit einem Mal aus seinem Laden gestürmt kam und sich vor ihm postierte.
 

Etwas kraftlos sah der Blonde auf und direkt in das unerwartet weiche Gesicht eines graumelierten Mannes.

„Äh… ja… natürlich.“

Unbeholfen richtete sich Jason auf und versuchte sich an einem Lächeln.

„Sie könnten mich auch gerne gleich beraten.“
 


 

Pünktlich um zwanzig Uhr klingelte er bei Holly. Er presste seinen Zeigefinger ein weiteres Mal auf den kleinen roten Knopf neben der Tür und die Brünette schien ihm immer noch nicht öffnen zu wollen. Aber vielleicht hatte sie ihn einfach nicht gehört. Mit der Faust klopfte er ein paar Mal an das gediegene Holz

„Holly?“

Die Stirn in Falten gelegt brachte er sein rechtes Ohr nahe an die Tür und lauschte.

„Holly?“

Ehe er sich etwaige unbegründete Sorgen machen konnte, hörte er, wie sich Schritte näherten und im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen.

„Meine werte Schönheit“, fiel er theatralisch auf die Knie und hielt ihr eine kleine blaue Schachtel entgegen.

Er hatte ernsthafte Probleme damit, ernst zu bleiben und heftete seinen Blick starr auf den Boden zu ihren Füßen, die Arme weit über sich gestreckt. Selbst als sie das Geschenk seinen Händen entnahm, blieb er so verharren. Möglichst leise atmend vernahm er, wie es kurz raschelte. Es vergingen bestimmt zwei Minuten, bevor sich Holly räusperte.
 

„Erhebe dich und schwing deinen Allerwertesten herein“, meinte sie mit fester Stimme.
 

Der Blonde verlagerte sein Gewicht zurück auf die Füße, zog einen imaginären Hut und verneigte sich.

„Danke, Mylady.“
 

„Spinner. Jetzt komm endlich rein“, grinste sie und wies auf das Zimmerinnere. „Zwar bleibst du weiterhin ein kleiner Kindskopf, aber die Ohrringe sind wirklich hübsch.“
 

„Für dich scheue ich keine Mühen“, entgegnete er mit dem Brustton der Überzeugung.
 

„Vermutlich hast du das erste Paar genommen, das dir der Schmuckverkäufer angeboten hat.“
 

Er stöhnte laut auf. „Frauen!“
 

„Ertappt, stimmt’s?“
 

„Das zweite“, gab er kleinlaut zu. „Aber sie haben mir nun mal gefallen.“
 

„Sie sind ja auch ein echter Blickfang.“
 

„Aber mir erst meine Überraschung schlecht reden.“
 

„Von wegen Überraschung!“, stemmte sie ihre Hände in die Hüften. „Und doch wollte ich nur eine einfache Entschuldigung von dir haben.“
 

„Das sagen die Frauen immer, sobald der Schmuck bereits in ihrem Besitz ist“, hob er eine Braue.
 

Holly begann zu lachen. „Das ist uns in die Wiege gelegt worden.“
 

„Darf ich deine Ausgelassenheit gleich ein wenig dämpfen?“, wurde Jason mit einem Mal vollkommen ernst.
 

„Was ist passiert?“, blickte sie ihn alarmiert an.
 

„Wie gebetsfest bist du?“
 

Hollys Gesichtsausdruck entgleiste. „Bitte?“
 

„Du kennst das ‚Vater unser’?“
 

„Natürlich!“
 

„Auf Latein ‚Pater noster’.
 

„Kann schon sein“, zuckte sie mit den Schultern.
 

„Ich kann auch nicht mehr viel Latein“, sprach Jason weiter. „Kann ich mal dein Internet benutzen?“
 

„Möchtest du mir nicht erst mal erzählen, was du mir damit sagen möchtest?“
 

„Später.“
 

„Wie später?“
 

„Darf ich ins Internet?“, klang der Blonde plötzlich gereizt.
 

Holly schüttelte verwirrt den Kopf, ging aber ins nächste Zimmer und kam mit ihrem Laptop wieder. „Hier.“
 

„Danke.“
 

Neugierig spähte die Brünette ihrem Freund über die Schulter, während er nach dem Gebet suchte.
 

„Da haben wir’s:
 

Pater noster qui es in caelis

sanctificetur nomen tuum

adveniat regnum tuum

fiat voluntas tua

sicut in caelo

et in terra

panem nostrum cotidianum da nobis hodie

et dimitte nobis debita nostra

sicut et nos dimittimus debitoribus nostris

et ne nos inducas in tentationem

sed libera nos a malo.
 

Quia tuum est regnum, et potestas, et gloria in saecula.
 

Amen…
 

Kannst du mir das bitte drucken?“
 

Hollys Augen wurden riesig. „Sonst noch Wünsche?“
 

„Bitte“, fügte er lieb an.
 

Widerwillig nahm sie ihm das Notebook wieder ab und marschierte damit wieder ins Nebenzimmer. Zurück kam sie lediglich mit einem Blatt Papier.
 

„Den Laptop bräuchte ich aber auch noch mal.“
 

„Jason!“, fauchte sie, aber trabte gehorsam noch mal über die Türschwelle.
 

„Du bist toll“, grinste er sie an, als er den Computer wieder vor sich und den Ausdruck auf seinen Beinen liegen hatte.
 

„Und nun spanne mich nicht weiter auf die Folter, sonst musst du das nächste Mal mit einer ganzen Tonne Schmuck ankommen.“
 

Lange sog Jason die Luft in seine Lunge und stieß sie dann abrupt aus. „Wie hast du das mit Tyrone von Zundersby herausbekommen?“, fragte er anschließend frei heraus.
 

„Ich habe so meine Beziehungen“, entgegnete sie schlicht. „Aber was hat das bitte mit dem hier zu tun?“ Sie verwies auf das Gebet.
 

„Vorhin wurde ich von zwei Männern sozusagen überfallen. Sie redeten wirres Zeug und drückten mich an die nächstgelegene Wand, so dass ich sie nicht sehen konnte und vor Schmerzen keine klare Sicht hatte. Aber ich glaube, sie waren auf meiner Seite. Irgendwie.“

Noch immer blickte Holly zweifelnd auf den Zettel auf Jasons Beinen, weshalb der Blonde fortfuhr:

„Sie meinten, sie würden die Wahrheit kennen. Um welche es sich dabei handelt, haben sie nicht erwähnt. Aber was sagst du, wenn ich dir verrate, was ihre ersten lateinischen Worte waren?“
 

„Ja?“, meinte sie argwöhnisch.
 

In Nomine Patris, Et Filii… Im Namen des Vaters und des Sohnes. Verstehst du?“

Vorsichtig nickte sie, trug aber weiterhin eine eher skeptische Miene.

„Die Bedeutung wurde mir erst gewahr, als ich schon fast vor deiner Tür stand. Mein Vater und ich! Zwar habe ich immer noch keine Ahnung, was das für Typen waren, aber irgendwas wollten sie mir mitteilen. Und meiner Meinung nach wollen sie diesen Zundersby aus der Stadt jagen.“
 

„Bist du dir sicher, dass du dir nichts zusammen fantasierst?“
 

„Holly!“, sah er sie an. „Du bist hier die Journalistin. Wie viele abwegige Geschichten sind dir im Laufe deines Berufs bereits begegnet?“
 

„Zu viele. Das ist es ja.“
 

„Und wie viele haben sich am Ende als wahr herausgestellt?“
 

„Zu wenige. Darum bin ich ja am Zweifeln. ’Tschuldige, aber ich glaube, du bist ein wenig durcheinander.“
 

Jason hörte ihr gar nicht recht zu, sondern strich bereits die Stellen an, an die er sich noch erinnern konnte, die die beiden Fremden von sich gegeben hatten.

„… libera nos a malo… dann die erste Zeile… Was haben die nur gesprochen?“

Sein Gedächtnis schien fast wie ausgelöscht. Abwesend fuhr er mit einer Hand seine Brust auf und ab. Seine Rippen schmerzten wieder und genau dieser Schmerz war auch dafür verantwortlich, dass er sich kaum an Details erinnern konnte. An sich war er schon froh, dass sich sein erster Tipp mit dem Gebet bewahrheitet hat. Doch es genügte ihm nicht. Er wollte wissen, was die Typen gemeint hatten. Wenn sie tatsächlich auf ihn und seinen Vater angespielt hatten, dann hatten sie möglicherweise seinen Vater gekannt. Und das galt es herauszufinden. Auf welchem Weg auch immer.
 

„…son, nun hör mir doch…“
 

Aber Jason wollte ihr immer noch kein Gehör schenken. Verkniffen schloss er die Augen und versuchte sich an das Gesagte zu erinnern. Nervosität keimte in ihm auf, denn er konnte sich einfach nicht recht konzentrieren.
 

„… vernünftig…“
 

Mit einem Mal riss er seinen Kopf herum und visierte Holly scharf an. „Rede hier nicht von Vernunft. Das war weder eine Halluzination noch interpretiere ich in den Vorfall zu viel hinein. Bitte, Holly, erkläre mich jetzt nicht für durchgedreht. Denn das bin ich nicht. Zumal ich herkommen wollte, um dir meinen Dank auszusprechen. Dein Artikel hat wahre Freude in mir ausgelöst. Glaubst du wirklich, man wird verrückt, wenn man am Morgen noch mit einem breiten Lächeln herumgelaufen ist?“
 

„Hör’ dir doch selbst mal zu“, konterte sie lediglich besorgt.
 

„Ich mag vielleicht ein klein wenig durcheinander klingen, aber doch nur, weil…“

Er beendete den Satz nicht, denn ihm wollten einfach nicht die passenden Worte einfallen.
 

„Weil? Jason, merkst du eigentlich, welch Wahnsinn in deinen Augen steht?“
 

Ihm blieb der Mund offen stehen. Nach zwei beklemmenden Minuten erklärte er sich leise: „Ich wurde total überrumpelt. Mit allen möglichen Dingen habe ich auf dem Weg zu dir ja gerechnet, aber nicht mit so was.“

Unruhig nahm er das Blatt Papier vor sich in die Hand, legte es auf den Tisch und wenig später wieder zurück auf seine Beine und wiederholte die Prozedur noch einige Male, bis Holly ihn anfuhr:
 

„Kannst du damit bitte aufhören?“ Abrupt stand sie auf. „Ich koche dir jetzt erst mal einen Tee, damit du wieder ein wenig zur Ruhe kommst.“
 

„Komm mir ja nicht mit Beruhigungsmixturen!“, rief er ihr kopfschüttelnd hinterher.

Die Erfahrung, dass ihm sonderbare Teesorten angedreht wurden versetzt mit irgendwelchen geheimen Zusätzen, hatte er bei der Brünetten schon einmal machen dürfen. Und er dachte nicht gerne daran, denn das Zeug hatte nicht nur bitter geschmeckt, sondern darüberhinaus sehr würzig. Eine Kombination, die ihm bis heute noch auf den Magen schlug.

Seufzend hielt er sich das Gebet vor das Gesicht und ging Zeile für Zeile die Übersetzung im Kopf durch. Zwar wurde er gewiss nicht oft in der Kirche gesehen, doch das Vater unser hatte sich als kleines Kind auch in sein Gedächtnis eingebrannt.

„Vater unser im Himmel“, murmelte er vor sich hin. „…libera nos a malo: erlöse uns von dem Bösen.“

Resigniert ließ er sich nach hinten sinken. Waren die Typen einfach nur high gewesen, die ihn aufgesucht hatten? Am helligten Tag das Vater unser zitieren!?

„Vielleicht haben sich die beiden irgendwas reingezogen“, sah er auf, als Holly wieder ins Wohnzimmer trat.
 

„Oder haben sich einen Scherz mit dir erlaubt.“

Sie stellte ein kleines Tablett auf dem Tisch neben dem Laptop ab.
 

„Dazu waren die Typen zu alt“, zog Jason seine Stirn kraus.
 

„Vielleicht wurden sie bezahlt.“
 

„Ich weiß nicht.“

Bald schon an sich zweifelnd schaute er wieder auf die schwarzen Zeilen.

„Wenn mir nur einfallen würde, was sie alles gesagt haben“, fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar.
 

„Trink!“

Auffordernd hielt die Brünette ihm eine Tasse hin.
 

Ablehnend hob er seinen rechten Arm an. „Nein,… danke.“
 

„Das ist nur Pfefferminztee“, entgegnete sie äußerst gekränkt.
 

Mit einem skeptischen Lächeln sah er sie an. „Es riecht aber nicht nur nach Minze.“
 

„Das bisschen Zitronen-Melisse, Baldrian, Lavendel und Johanniskraut wird dich schon nicht umbringen“, tat sie ab.
 

„Hast du nicht noch was vergessen?“
 

„Wenn ich dir sagen würde, was da alles drin ist, würdest du nichts davon trinken.“
 

„Und da wunderst du dich aber nicht ernsthaft warum, oder?“
 

Stöhnend griff sie nach dem Porzellan in seiner Hand und setzte es an ihrem Mund an. Ein wenig amüsiert beobachtete er ihr Mienenspiel, das alsbald die reinste Anwiderung ausstrahlte.

„Okay, das kann man wirklich nicht trinken“, gab sie sich geschlagen, nachdem sie noch einmal in die Tasse gerochen hat.

„Ein reiner Pfefferminztee?“, fragte sie.
 

„Kein Bedarf.“
 

„Aber immerhin siehst du nicht mehr so daneben aus.“
 

„Mit Komplimenten hast du es nicht so“, kommentierte er ungerührt.
 

„Okay, sagen wir“, setzte sie an, „du hast mit deiner Vermutung Recht.“
 

„Auf einmal?“, wandte er ein.
 

„Ich hatte in der Küche genug Zeit zum Nachdenken. Also, was wäre, wenn sie wirklich hinter deinem Vater stünden?“
 

„Woher dieser plötzliche Sinneswandel?“, warf er misstrauisch ein. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass er nicht aus heiterem Himmel kam. „Was genau hast du alles über meinen Vater und Tyrone von Zundersby herausgefunden?“
 

„Was möchtest du mir unterstellen?“
 

„Dass du noch viel mehr weißt als du zugibst. Ich habe dich wirklich gerne, aber wenn es um deinen Beruf geht, kannst du ziemlich berechnend sein.“
 

Lange und intensiv sahen sie sich an. Anscheinend hatte nicht nur Lance Geheimnisse vor ihm, sondern auch Holly. Wusste er immer noch nicht alles über seinen Vater?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  inulin
2007-08-09T12:47:46+00:00 09.08.2007 14:47
Mal so ganz unter uns...
Du hast es mit Rätseln, kann das sein? Und dann auch noch Latein. @_@
Ich bin so froh, dass ich diese Sprache NIE hatte. Und jetzt schmeißt du damit um dich. Na ja.. besser, als wenn des in französisch schreibst. Die Sprache fand ich nur im ersten Jahr toll... <.<
Aber zum Kapitel.
Ich find diese schwierige Beziehung zwischen Jason und Lance total klasse. Ich mag es wie du es schreibst, dass sie sich nah sind, aber auch entfernter voneinander sein könnten.
Und dann dieser Spruch den er Jason mit auf den Weg gibt, wie er aus der Wohnung geht.
Ich bin total verwirrt.
Ich freu mich auf den nächsten Teil. ^^


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