Intoxicant - Pubertät 15
Kapitel 29:
Intoxicant - Pubertät 15
Sanjis Sicht
Ich beeile mich, um möglichst schnell an die Brücke zu kommen. Es ist wie immer schon sehr spät, wie
zu erwarten steht Tamara am Brückengeländer und sieht mir rauchend entgegen. Ich komme bei ihr an
und wir begrüßen uns, machen uns dann auf den Weg zu ihrer Wohnung. Ich bin neulich von Marlboro
auf Tabak umgestiegen, das ist billiger, hole mir jetzt, aus Gewohnheit, ein Filterpapier heraus und
drehe mir meine Zigarette selbst. Tamara hat heute einen schnellen Schritt drauf, ich muss mich richtig
beeilen, um bei ihrem Tempo mitzuhalten. Ich zünde mir meine Fluppe an und sehe dabei zu dem
Sternenhimmel. Irgendwie bringt es keiner von uns zustande, ein Gespräch zu beginnen, bis wir bei ihr
ankommen. Den großen Sternenwagen habe ich nicht gefunden, aber nicht so schlimm.
Normalerweise rücken wir immer zwei Stühle vor das Fenster und öffnen es, setzen uns hin und
schauen raus. Wir reden in letzter Zeit immer abends, ich bin erst seit über eine Woche mit ihr
angefreundet, doch komme trotzdem täglich. Wir sind total auf gleicher Wellenlänge, deshalb habe ich
auch schnell Vertrauen zu ihr entwickelt. Mit meinem Tagesleben brauche ich gar nicht erst anfangen,
im Moment geht es mir nur abends gut. Mit Tamara kann ich unglaublich gut reden, über alle Probleme,
ohne dabei seine Privatsphäre überschreiten zu müssen. Wenn jemand was nicht erzählen will, ist es
okay, wir hören uns gegenseitig zu und genau das hatte ich schon die ganze Zeit gebraucht.
Doch heute ist sie anders drauf, wir kommen bei ihr an, sie sagt nur „Warte hier.“ und verschwindet in
ihrer Wohnung. Ohne groß noch weiter nachzudenken lehne ich mich an die Hauswand und rauche
meine Zigarette zu Ende. Vielleicht will sie einen Spaziergang machen und holt sich noch eine Jacke,
wer weiß. Ich rolle mir ein neues Blättchen zusammen, stecke es in den Mund und zünde es an. Die
Sterne sind ganz schön schwach, es gibt ja Orte, wo der Himmel mit Leuchtenden überstreut ist, doch
hier ist echt nichts los. Liegt wohl an der Großstadt. Heute ist es wieder etwas kühler, ich ziehe
mehrmals an der Kippe, damit mir innerlich warm bleibt, und warte weiter. Wo bleibt Tamara nur? Da
höre ich Gepolter... wenn man vom Teufel spricht, sie kommt gerade aus der Hochhaustür heraus.
Tatsächlich hat sie sich was übergezogen, sogar eine Handtasche übergehängt, was ich bis jetzt noch
nie an ihr gesehen habe. Sie läuft an mir vorbei, so, dass ich mich an ihre Versen hefte und gleichen
Schritt halte. „Wo willst du hin?“ frage ich, doch sie antwortet nicht. Sie sieht geistesabwesend aus, hat
keine Lust zu Reden und raucht nicht mal. Ich unterlasse es, sie bei ihrem Namen zu nennen, sie wird
schon wissen, wo sie uns hinführt. Wir laufen den ganzen Weg zur Brücke zurück, dann weiter
geradeaus, überqueren Straßen, lassen den einen oder anderen Spielplatz hinter uns, alles liegt im
Dunkeln und ich bin richtig gespannt. Weit kann der Weg ja nicht sein, sonst hätten wir einen Nachtbus
genommen. Dass sie heute nicht reden will, finde ich komisch. Die Straßenlaternen werden seltener, ich
kenne die Gegend hier kein bisschen, weiß nicht mal den Namen vom Stadtteil, wo wir sind, doch das
macht ja nichts. Ich fange schon die fünfte Kippe an diesem Abend an, mal sehen, bis zur wievielten ich
noch mitzähle.
Wir nähern uns einem verlassenen Parkplatz, von irgendwoher kommt Musik, doch ich kann nur die
Richtung einordnen. Wir kommen auf jeden Fall näher dorthin, da es lauter wird und ich halte mich
streng an Tamara, um mich nicht zu verlaufen. Das ist hier zwar nicht gerade wahrscheinlich, aber so
wie sie sich beeilt, könnte sie schnell mal hinter einer Hauswand verschwinden und bei meinem Glück
hätte ich in dem Augenblick woanders hingeguckt, bis ich alleine dastünde. Ich denke mal, die Musik
kommt von dem Untergeschoss, doch obwohl wir uns zügig nähern, ist kein Licht zu erkennen. Hier
kommt bestimmt keine Menschenseele her, ich frage mich, was Tamara hier wohl will? Und wieso sie
mich mitgenommen hat? Neben dem Tiefgeschoss ist ein Gebüsch, man kann daneben eine Treppe
runtergehen, die tagsüber vielleicht sogar benutzt wird, Tamara schlägt aber den Weg ins Gebüsch ein
und bahnt sich dort einen Weg. Wir nähern uns bestimmt dem Ziel, ich rieche schon verstärkt
Qualmgeruch. Da geht bestimmt eine Party ab. Mich irritiert nur, dass hier kein Licht ist. Da ist eine
große Wand, anscheinend von einem anderen Parkhaus, wir laufen den langen Weg drum herum und da
kommt uns eine riesige Welle von gut riechendem Gestank entgegen. Das sieht nicht direkt nach einer
Party aus, aber anders kann ich es nicht beschreiben. Eine riesige Menschenmasse tummelt sich unter
dem Parkplatzdach, jeder raucht, Schweiß, Cocktails und viel Rauch liegt in der Luft, sticht mir nicht nur
in die Nase, sondern auch in die Augen und ich fühle mich mit einer Körperhälfte abgestoßen, aber mit
der anderen genauso auch angezogen. Ich muss Tamara im Auge behalten, sie kennt hier sicher ein
paar Leute, sie schlängelt sich auch schon durch die große Halle und ich verliere sie nicht aus den
Augen. Nimmt sie überhaupt noch Rücksicht auf mich? Sie läuft auf eine Wandseite zu und stößt auf
eine Clique zu, die sie irgendwie begrüßt. Meine Jacke kann ich glatt ausziehen, so warm ist es hier, im
Gegensatz zur Abendluft draußen. Zum Sitzen ist nirgends Platz, einige tanzen, einige sind schon
richtig besoffen, wer organisiert hier bitte schön Musik und Alkohol? Tamara hat wohl schon
angefangen was zu schreien, man muss hier echt gegen den Lärm ankommen. Nichts desto Trotz
gabele ich mir einen Weg zu ihr, fasse ich sie an der Schulter, dass sie sich zu mir herumdreht und ich
will sie fragen, wo wir sind und was das für eine Party ist. Tamara benimmt sich richtig komisch, ich will
nicht wissen, wie sie sich verhält, wenn sie zu ist!
„Wo sind wir hier!?“ rufe ich und sie brüllt ihre Antwort zurück. „Schrei nicht so, ich bin nicht taub!“
Eigentlich müsste sie doch selbst merken, wie sehr das hier dröhnt! Meine ganzen Sinne werden
benebelt und ich selbst werde nervös. Besser, ich stecke mir noch eine Kippe an, das macht mich ganz
hibbelig, wenn es überall nach Rauch riecht und jeder qualmt, außer mir. Tamara hat sich auch schon
wieder zu dem Halbkreis umgedreht und mich würde es nicht im Geringsten wundern, wenn hier
mehrere Shishas, also Wasserpfeifen, rumgereicht werden. Die meisten sehen sowieso total zugekifft
aus, dabei ist grad mal halb Eins, wie das wohl in zwei Stunden aussehen wird? Ich drängele mich neben
Tamara, um den Anschluss nicht zu verlieren. Ich schubse ein wenig jemand andres zur Seite, der sich
aber nicht daran stört, und sehe, wie eine Person in der Mitte irgendwelche Pillen austeilt. Er hat ganz
viele in seiner Hand, sucht je nach Größe oder Farbe bestimmte aus und gibt sie allen in die Hand. Bei
mir schaltet sich sofort der Verstand ein. Sind das Drogen? Sehen so Ecstasypillen aus? Nimmt Tamara
davon auch welche? Ja, jetzt ist sie an der Reihe und bekommt vier in die Hand gedrückt. Der Typ will
jetzt mich drannehmen, sieht, dass ich nicht hierzu gehöre, doch Tamara setzt sich für mich ein und
ruft: „Das ist hn Neuer, der gehört zu mir!“ Dabei klopft sie mir kräftig auf die Schulter und der Kerl will
mir was raussuchen, da mischt sich Tamara schon wieder ein. „Gib ihm ein paar verschiedene mit, dann
kann er sich selbst was schmeißen! Hn paar von den Happy Pills, Love-Drugs, XTC und Adam!“ Hä? Sie
bekommt sofort, was sie verlangt und tritt ein paar Schritte zurück, wobei sie da schon wieder an
jemanden stößt. Sie sieht mich an und grinst, richtig berauscht. „Hier, das konnt ich für dich rausholn!
Probier mal!“ Ich bin mir gar nicht sicher, sie ist doch sowieso schon total neben der Spur. „Na komm!
Du bist doch hn Prachtkerl, Blondie, das verträgst du schon!“ gluckst sie unter Lachen und drückt mir
zwei in die Hand. Diese eine Woche, wo ich sie schon kenne, hatte sie mich nur ganz am Anfang
Blondie genannt, danach nur noch mit ’Sanji’ angesprochen. Jetzt hatte sie mich wieder Blondie
genannt, ist das jetzt mein neuer Spitzname, oder was? Sie meint es zwar nur lustig oder so, aber-
„Hallooo?? Erde an Blondie! Nicht einschlafen, schlucken!“ Tamara fuchtelt vor meinem Gesicht herum
und holt mich aus meinem Gedankengang, ich balle meine Hand, fühle die kleinen Tablettchen darin
und beiße mir auf die Lippe. Bevor mein Gehirn wieder das Sagen übernimmt, hebe ich meine Hand vor
den Mund und werfe mir die Dinger rein. Im ersten Moment spüre ich nichts, keine Wirkung, muss man
die so schlucken oder erst im Mund zergehen lassen? „Na also, geht doch!“ lacht sich Tamara halb
schlapp und mit einem mal kommt mir alles sehr viel schöner, unwirklicher vor, eine Leichtheit erfasst
mich und ich weiß gar nicht, was genau passiert. Alle Leute hier kommen mir plötzlich sympathisch vor,
die Musik war doch schon die ganze Zeit schon mein Geschmack, was war nur vorher mit mir los? Klar
weiß ich, dass diese Pillchen jetzt alles in mir auf den Kopf drehen, aber ist doch herrlich so! Die Luft
riecht lecker und ich habe Lust auf tanzen, auf Party und auf alles andere, was es hier sonst so gibt.
Keinen Plan, was los ist, aber es fühlt sich toll an!
erstellt am 02.05.2007
4Kolibris,
Elena