Collapse - Gegenwart
Kapitel 28:
Collapse - Gegenwart
Namis Sicht
Wieder einmal trafen wir uns bei Ruffy zu Hause. Seine Wohnung war schon immer am besten geeignet,
wenn wir bei jemandem übernachten wollten. Beim Abendessen planten wir für die Ferien, ob wir zelten
oder wandern gehen sollten. Ruffy wollte zwar noch in Urlaub fahren, aber wir würden sicherlich einen
Termin finden, an dem wir alle konnten. Vivi war leider nicht dabei, was, glaube ich, Ruffy schade fand.
Als er mir die Haustür aufgemacht hatte, hatte er ganz enttäuscht geguckt. Ihm war es nie egal, seine
Gefühle offen zu zeigen, was ich schon immer gut fand. Er hatte wohl irgendwie mit ihr gerechnet, dass
würde ich ihr noch erzählen. Sanji spülte später das Geschirr ab, weil Ruffys Spülmaschine defekt war.
Wir anderen gingen in den großen Garten, breiteten dort Decken aus und wollten Sternschnuppen
gucken. Das wurde schon lange angekündigt, dass man in der Nacht viele Sternschnuppen sehen
konnte. Ruffys Garten bestand aus viel Gras und wild wuchernden Pflanzen, da sich keiner um das
Unkraut kümmerte. Die Decke konnte trotzdem glatt gestrichen werden, da wir vorher viele Nüsse,
Tannenzapfen und Steine woandershin geworfen hatten.
Wir pendelten alle vom Garten und der Wohnung hin und her, um die verschiedensten Sachen zu
besorgen. Lysop holte Taschenlampen, Ruffy füllte Früchtetee in Thermoskannen ab, Zorro holte
irgendwie Zeitschriften, keine Ahnung was für welche und wozu, ich suchte nach einer Umhängejacke,
weil es abends kühl war, Sanji bereitete alles für die Marshmallows vor, wir liefen richtig kreuz und
quer. Lysop hatte einen kleinen Elektrogrill mitgebracht und den wollten wir unbedingt austesten. Ich
fand meine blaue Übergangsjacke und zog sie an. Die Hälfte der Jungs war draußen und baute alles auf.
Ich lief durch den Flur und wollte zu ihnen, lief dabei an der Küche vorbei und blieb stehen. Wie von
selbst warf ich einen Blick hinein und sah Sanji, der mit dem Rücken zur Wand gelehnt stand und sich
den Kopf hielt. „Ist alles okay?“ fragte ich vorne weg, damit er mich bemerkte. Doch meine Stimme
schien nicht zu ihm durchgedrungen zu sein, denn er änderte seine Position nicht, sah nur verkrampft
aus und hatte starke Kopfschmerzen. Ich lief noch zwei Schritte auf ihn zu und fasste ihn an seiner
Schulter, dass er merkte, dass ich da war. Doch er regte sich immer noch nicht. „Sanji?“ Langsam
öffnete er seine Augen, aber schloss sie gleich darauf wieder. Seine Hände pressten fester auf seinen
Kopf, er hatte RICHTIGE Schmerzen! Was konnte ich tun? Was sollte ich sagen? „Sanji, magst du dich
hinlegen? Oder was trinken?“ Immer noch keine Reaktion, er lehnte mit ganzem Gewicht mit der
Schulter an der Wand und hatte alle Gesichtsmuskeln angespannt. Seine Stirn war gerunzelt und die
Augen zusammengekniffen. „Sanji!?“ Ich kam nicht zu ihm durch, doch dafür bekam er noch
Bauchschmerzen hinzu, sowie ich in Panik geriet. Ich lief aus der Küche und aus der Haustür raus, da
stieß ich mit Zorro zusammen. „Mensch, pass doch auf!“ motzte er mich an, was aber nicht weiter
schlimm war. „Du Zorro, ruf mal Ruffy bitte ganz schnell! Sanji ist schlecht!“ Ich drehte mich auf Ansatz
um und überließ Zorro seiner Aufgabe. Ich kam zurück in die Küche, wo Sanji an der Wand gelehnt auf
dem Boden saß, sich immer noch den Kopf und den Bauch hielt. Wieso hatte er nur auf einmal solche
Schmerzen? Ich kniete mich vor ihn hin. „Die andren kommen noch. Warte noch kurz.“ Ich wollte gerade
aufstehen, um ein Glas Wasser zu holen, da durchzuckte mich ein kleiner Schock. Als es mir nicht so
gut ging, war ich froh, dass Sanji niemand anderes geholt hatte, denn ich wollte unter keinen
Umständen, dass mich noch jemand anderes in so jämmerlichen Zustand sah. Und genau das hatte
gerade ich angerichtet! Wenn jetzt alle kommen und um Sanji stehen und sich fragen was er hat, ist es
genau NICHT das, was er eigentlich wollte! Ich könnt mir den Kopf einschlagen, ich war ja so dumm!
Vielleicht wäre er nachher sauer auf mich, weil ich einfach alle gerufen hatte, als es ihm schlecht ging!
Ich meine, Jungs haben auch ihren Stolz und wollen nie zeigen, wenn es ihnen schlecht geht. Wieso
musste ich auch immer so mütterlich rüberkommen und denken, ich würde alles richtig machen? Man
hörte schon, dass sie anderen schnell eintrudelten.
Sanji hatte die Beine angezogen und hielt sich den Bauch, er hatte sich ganz sicher etwas eingefangen.
Ich blieb in der Hocke, um auf selber Augenhöhe mit ihm zu bleiben. Ruffy und Lysop versuchten, mit
ihm zu sprechen. „Hey, Kumpel, was hast du?“ „Wo tut’s dir denn weh?“ „Sollen wir einen Arzt
rufen?“ „Kannst du uns überhaupt hören?“ Sie plapperten einfach weiter, ohne ihm Zeit zu lassen, auf
etwas zu antworten. Wobei, er hörte wahrscheinlich genauso wenig zu, wie bei mir vorhin. Er war total
mit sich selbst beschäftigt, was mir richtig Leid tat. In letzter Zeit war er schon immer total schlapp
gewesen, und heute schien es Konsequenzen für ihn zu haben. Ausgerechnet in den Ferien krank
werden ist ja auch nicht das Wahre. Ihm war sicher schwindelig und übel, ich wusste es nicht genau,
aber Ruffy stand auf. „Was machst du?“ fragte Lysop und Ruffy durchsuchte ein paar Küchenschränke.
„Ah, hier!“ wurde er fündig und kam gleich darauf mit einem Glas Wasser zu Sanji. „Hier, eine
Kopfwehtablette. Danach geht’s dir besser.“ Wollte er ihn aufbauen und ich fand es irgendwie süß von
ihm, dass er sich so normal benahm. Immer wenn es einem von uns schlecht ging, war er total
verantwortungsvoll und hatte sinnvolle Ideen. Er mochte es auf keinen Fall, wenn es einem von uns
schlecht ging. Zwar hielt Ruffy ihm das Glas hin, aber Sanji regte sich immer noch nicht. Das Atmen
machte ihm wohl schwer zu schaffen und es tat mir weh, nichts für ihn tun zu können! „Hey, nimm
schon.“ forderte Ruffy ihn nochmals auf und Sanji öffnete tatsächlich seine Augen. Er brauchte kurz, um
zu realisieren, dass wir alle um ihn herum standen, und er wollte aufstehen. Mit den Händen stütze er
sich vom Boden und auch an der Wand ab, Ruffy und ich wollten ihn unter seinen Armen packen. Doch
als er praktisch schon auf den Beinen stand, kippte er um. Damit hatte keiner gerechnet und für einen
Sekundenbruchteil hielt die Zeit an, bis sein Körper hart auf dem Boden aufkam. Keiner hatte schnell
genug mit Reflexen reagiert, um ihn aufzufangen. Alle waren von einer Sekunde auf die nächste
aufgewühlt!. „SANJIIII!!!!“ schrie Lysop, Ruffy lauschte nach seinem Herz und bei mir brach der Schweiß
aus! Die übertrieben es vielleicht, aber dass hatte uns alle tierisch erschrocken! Sanji war
zusammengebrochen und in dem Durcheinander kam Ace nach Hause, von seiner Arbeit, er hatte ja
keine Schulferien. Zorro klärte ihn in Sekundenschnelle auf, was los war und Ace schnappte sich das
Telefon, um den Notarzt zu rufen.
Ruffy hatte ihn auf den Rücken gedreht, dass wir ihm besser ins Gesicht sehen konnten. Ich fühlte an
seiner Stirn, ob er Fieber hatte, aber sie war nur sehr warm. Was fehlte ihm bloß? Ich machte mir richtig
Sorgen und wusste genauso wenig wie die Jungs, was ich tun könnte. „Die schicken einen
Krankenwagen.“ beruhigte uns Ace, doch das änderte noch lange nichts daran, dass Sanji litt! Erstmal
mussten wir warten, und das war furchtbar. Sanji atmete gleichmäßig, seine Augen waren geschlossen
und sein Arm lag so da, als wollte er sich weiterhin den Kopf halten, aber kam nicht ganz dran. Ich
strich ihm Haarsträhnen aus dem Gesicht und schaute abwechselnd zu den anderen. Sie standen nur
rum und wurden ungeduldig. Aber am meisten betroffen war immer noch Sanji. Ich versuchte, mit ihm
zu reden, vielleicht hörte er ja etwas. „Sanji? Hörst du mich?“ Keine Reaktion, ich sah zu Ruffy, der
meinen Blick erwiderte. Besorgnis. „Sanji? Brauchst du was? Können wir was für dich tun?“ versuchte ich
es noch mal, aber wurde wiederum nicht erhört. Das machte einen echt kribbelig, seinem Freund so
hilflos beistehen zu müssen. Wir konnten nur auf den arschlahmen Krankenwagen warten. Aber
irgendwo hatte Sanjis Zusammenklappen auch was Gutes, denn jetzt konnte ich ihm über sein Gesicht
streichen. Ich hielt schon die ganze Zeit seinen Kopf und es fiel auch niemandem besonders auf, dass
ich diese Position eingenommen hatte. Ob er bewusstlos war? Sein Kopf war total gerötet und er hatte
Probleme, wenn er schlucken musste, da es schon an seiner Atmung haperte. Er drehte seinen Kopf
auch manchmal zur Seite, von ihm ging richtig viel Wärme aus und er schwitze wahrscheinlich vor
Anstrengung. Für mich sah das nach hohen Fieber aus, aber das hatte er ja nicht. Das war eher ein
Kreislaufkollaps, das hatte ich bis dato noch nie hautnah miterlebt. Hoffentlich hatten die Ärzte auch
gleich das nötige Zeug dabei, um ihm zu helfen! Ich nahm Sanjis Hand und streichelte, drückte sie. Ich
war doch bei dir, halte durch.
Soviel ich mitbekommen hatte, stellte sich Ace vor die Haustür, um dem Krankenwagen zuzuwinken,
damit die wussten, dass der Notruf aus diesem Haus kam. Lysop hatte einen Waschlappen mit kaltem
Wasser auf Sanjis Stirn gelegt, da sonst keinem etwas Besseres einfiel. Als das Sirenengeräusch aus der
Ferne ertönte, fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen! Pure Erleichterung ergriff mich und ich drückte
Sanjis Hand, wodurch er seine Augen öffnete. Das hatte ich nicht direkt beabsichtigt, aber jetzt konnte
es nur besser werden. „Hey, Sanji!“ hieß ich ihn Willkommen zurück, Lysop brachte nichts raus und
Ruffy fiel gleich mit der Tür ins Haus. „Die Männer in weiß kommen, um dir zu helfen! Sie sind gleich
da!“ versuchte er mit fröhlichem Ton Begeisterung wachzurütteln. Ich sah Sanji ins Gesicht und er
musste kurz ordnen, was wir gesagt hatten. Lysop meldete sich nun auch zu Wort. „Mann, Sanji, du
hast uns alle voll erschreckt! Wir haben schon den Notarzt gerufen, die kümmern sich gleich um dich.“
Den Geräuschen zu Urteilen nach, hatte der Krankenwagen soeben vor dem Haus geparkt. Sanji wollte
sich aufrichten, doch Ruffy und auch sein eigener Körper spielten nicht ganz mit und er landete wieder
auf dem Rücken. „Bleib liegen!“ befahl Ruffy streng. Sanji sagte jetzt auch was. „Ich – ich brauch keinen
Krankenwagen!“ Jetzt machte er einen auf topfit, aber das nahm ihm doch keiner ab. „Unsinn, die
schauen sich dich nur an.“ hielt ich gegen seine Lüge, doch er weigerte sich nachdrücklich. Dabei sah er
nach vorne, oder oben, irgendwohin, aber nichts ins Gesicht von einem von uns. „Nein! Ich will das
nicht! Ich brauche keine Ärzte! Es geht schon besser!“ ächzte er unter Schmerzen und verzog wieder
das Gesicht. Lysop stellte sich mit gegrätschten Beinen über Sanjis Unterleib und sah ihn böse an. „Von
wegen, du kommst ja noch nicht mal hoch! Erst jagst du uns so ’nen Schrecken ein und behauptest
jetzt, es wäre nichts.“ Sanji hörte wohl wieder nicht zu, was wir sagten und dass wir es gut mit ihm
meinten, denn er wollte sich nicht wieder beruhigen. „Ich brauche keinen Arzt! Ich will nicht ins
Krankenhaus!“ Die Ärzte kamen in dem Moment rein und checkten schnell, wer der Patient war. Lysop,
Ruffy und ich machten Platz, dass sie sich um Sanji verteilen konnten. Einer überprüfte, was fehlte und
Sanji wurde wütend. Dass war bestimmt nicht gut für seine Nerven, wenn er jetzt anfing, sich
aufzuregen. „Geht weg! Ihr braucht mich nicht zu untersuchen! Ich will keine Hilfe von euch!“ Mir tat
das richtig weh, dass er sich nicht helfen lassen wollte. Warum war er nur so stur und gegen Ärzte? Die
sind doch zum Helfen da! Und dass Sanji so unhöflich mit ihnen sprach fand ich auch nicht normal.
Einen Moment lang kam er mir wie ein junger Hund vor, der sich mit allen Mitteln wehrte, weil er
vielleicht mal schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Wir anderen wollten auf ihn einreden, dass er es
gut sein lassen sollte, doch da die Männer vom Rosa Kreuz an ihm rumfummelten, blieben wir still. Alle
guckten genau zu, Sanji fing sogar an zu Strampeln, das war alles echt heftig!
Alles ging total schnell und sie hatten ihm erstmal ein paar Valiumtabletten rein geschmissen, dass er
sich beruhigte. „Was hat er denn?“ fragte Ace, der sich nur im Hintergrund gehalten hatte und sich
beteiligen wollte. Ein junger Mann schüttelte den Kopf. „Können wir noch nicht genau sagen. Wir
müssen ihm erstmal Blut abnehmen.“ Zorro schaltete sich auch ein. „Ihr wisst nicht mal, was er hat!? Bis
ihr Blut abgenommen habt und wisst, was los ist, dauert es doch ewig! Seht ihr nicht, dass es dem Kerl
da schlecht geht!?“ Lysop stellte sich vor ihn und entschuldigte sich auf der Stelle. „Tut mir Leid, mein
Freund hier macht sich bloß Sorgen! Machen Sie bitte weiter, um Sanji zu helfen.“ Zu Zorro fauchte er so
was wie ’Idiot!’ und verfolgte dann die weitere Behandlung. Sanji konnte sich gar nicht mehr
widersetzen, er biss die Zähne zusammen und musste es zwangsweise über sich ergehen lassen. Ich
sah nicht genau auf seine Armbeuge, als sie ihm Blut abnahmen, sondern in sein Gesicht. Der eine
Mann stand auf und lief zu seinem Kollegen, sodass niemand mehr hinter Sanjis Kopf stand. Ich nahm
die Stelle sogleich in Beschlag und kniete mich zu Sanji runter. Er erkannte mich und verzerrte wieder
das Gesicht. Seine Schmerzen nahmen einfach nicht ab, immerhin hatten die Ärzte ihm noch nichts
verabreicht, dass ihn weitergebracht hätte. Ich berührte vorsichtig seinen Hinterkopf, seine
Haarsträhnen, keiner bemerkte es. „Sanji, das wird schon wieder.“ sagte ich leise, denn es musste nicht
gleich jeder mitbekommen. Die Rosakreuzmänner liefen vom Krankenwagen und Aces und Ruffys Haus
hin und her, um das Blut zu analysieren. Letztendlich wollten sie Sanji in einer Trage in den Wagen
bringen. Keiner, außer Betroffener selbst, hatte etwas einzuwenden. Ich konnte nicht nachvollziehen,
weshalb Sanji solche Angst hatte, oder eben Wut. Die Männer holten eine Trage und Sanji musste sich
einfach deren Willen beugen, was ihm offensichtlich nicht in den Kram passte. Da er gleich eh
weggebracht wurde, strich ich über seine Stirn. Er sollte wissen, dass ich mich um ihn kümmerte. Er
machte die Augen auf und traf direkt in meine, sein Blick war unglaublich stechend und mir lief es heiß
–nein, kalt- den Rücken herunter, ganz langsam. Ich wendete meinen Blick aber nicht ab, sondern hielt
ihm stand. Ich wollte irgendetwas sagen, dass er sich nicht den Ärzten gegenüber verschließen sollte,
aber es kam nichts raus. Die Notärzte stellten die Trage ab und wollten an Sanji anpacken. Dieser
schloss die Augen und hatte wohl wieder einen Schmerzensschub.
Er wurde in den Wagen gebracht und wir alle standen vor dem Haus versammelt. Das alles ging richtig
schnell, jetzt sollte Sanji wohl ins Krankenhaus verfrachtet werden. Mir wurde in dem Augenblick schon
klar, dass ich ihn im Krankenhaus auf jeden Fall besuchen würde. Aber anstatt abzufahren, blieb der
Krankenwagen in der Einfahrt stehen. Einige Nachbarn guckten aus den Fenstern zu, und wir alle
wurden zu Schaulustigen. Sanjis Wohlergehen lag jetzt in guten Händen, das Einzige, das eben blöd
war, war, dass sich Sanji so geweigert hatte. Man kann ja nur schlecht gesund werden, wenn man sich
gegen Medizin verschließt. Dann hauten die Ärzte die hinteren Wagentüren zu und wollten anscheinend
abfahren. Ruffy lief um das Auto herum auf die Fahrerseite. „Und was hat er jetzt!?“ Der vermutliche
Fahrer gab, wie zu vermuten war, keine Auskunft. „Ärztliche Schweigepflicht.“ Es brachte nichts, die
noch weiter zu löchern, das hatte er dann auch kapiert. Sie stiegen ein und mir kam ein brillanter
Einfall. Ich klopfte noch rechtzeitig an die Beifahrerseite und fragte den einen jungen Kerl, ob ich
mitfahren könnte. „Nein, nur Angehörige dürfen mit!“ „Ich bin seine Schwester!“ log ich, hätten sie nach
meinen Personalien gefragt, hätte ich meinen Ausweis natürlich vergessen. Er zögerte einen Moment,
übereichte diese Nachricht an den Fahrer und dieser erlaubte mir, mitzufahren. Die Jungs hatten diese
Lüge mitgekriegt, aber waren schlau genug, nichts auffliegen zu lassen. Mir wurde die
Kofferraumklappe geöffnet und mein Herz machte einen Mordssprung, dass die das echt schluckten!
Bevor die es sich anders überlegten, stieg ich ein. „Ich ruf euch dann sofort an, wenn ich was weiß!“
sagte ich zu den Jungs und verschwand dann in Sanjis Obhut. Ich durfte mitfahren, da es ja kein ernster
Notfall war. Ich verstand nicht ganz, wieso sie jetzt unbedingt ins Krankenhaus wollten, aber
Hauptsache, sie würden ihm helfen. Bei der Fahrt saß ich auf einem kleinen, mit Stoff überzogenen
Hocker. Sanji lag widerwillig auf dem Liegebett und ich weiß nicht, ob er mitbekommen hatte, dass ich
mitfuhr. Um ihn hantierte ein junger Mann, vielleicht der Erfahrenste von den dreien. Ich blieb still, so
wie es in den Normen stand, und sah auf Sanji.
Auf Warten war ich nicht gerade scharf, aber da es um Sanji ging, war es etwas ganz anderes! Ich sah
auf die Uhr am Ende des Ganges, sie tickte sehr viel langsamer als andere Uhren, außerhalb vom
Krankenhaus. Sanji wurde gerade untersucht und ich hing vor dem Wartezimmer rum. Mal stand ich,
mal saß ich, mal holte ich mir eine heiße Schokolade, für Zeitschriften hatte ich keinen Nerv und nach
einer dreiviertel Stunde wurde Sanji auch schon entlassen. Er war also doch nicht schwer krank, ich
hatte schon mit allem Möglichen gerechnet! Asthma, Krebs, Diabetes, keine Ahnung was! Er lief aus
dem Zimmer und hatte wohl noch einen wackelnden Kopf, da er ein wenig taumelte. Aber er konnte
schon mal gehen, immerhin ein Anfang. Sollte ich hinter ihm her? Brauchte er erstmal frische Luft und
fünf Minuten für sich alleine? Unentschlossen stand ich vor der Tür, da kam eine junge
Krankenschwester heraus. „Ah, hallo.“ sagte sie und ich wunderte mich erstmal, dass sie gleich einen
netten Eindruck machte. Aus dem Fernsehen kannte man Krankenschwestern nur als hektisch, ’ich-
darf-nichts-sagen’ und verschlossen, doch dass sie mich von sich aus ansprach, fand ich schon mal
toll. „Hallo.“ grüßte auch ich zurück und sie sah sich kurz um. „Sie sind doch die Schwester von dem
Patienten, den wir gerade hatten, oder? Oder verwechsele ich sie da mit jemandem?“ Ich schnallte
sofort, dass sie mit einer Verwandten sprechen wollte und stieg in das Schauspiel ein. „Ja, ich bin seine
Schwester Seulgi.“ Hatte ich den Namen richtig ausgesprochen? „Also, seine Halbschwester wollte ich
sagen.“ korrigierte ich mich, nicht, dass sie genauere Informationen hatten. Oh Shit, hoffentlich
verlangte sie jetzt keine Geburtsdaten oder andere Angaben von mir, dann wäre ich geliefert! „Ja, also,
ich wollte fragen,“ fing sie vorsichtig an, sah sich noch mal um, ob jemand den langen Gang entlanglief,
„ob Sanji vielleicht physische Probleme hat? Schulisch oder familiär, meine ich?“ Sie war wohl total eine
Anfängerin, aber mir zu Gunsten. Ich musste erstmal über diese Frage nachdenken. Schulisch oder
familiär? „Also ich glaube, dass es bei ihm in der Schule schon gut läuft. Also das Schuljahr hat er
erstmal gepackt, wir haben gerade Ferien. Und in der Familie...“ Ich schwank meinen Blick ein wenig hin
und her, um ihr vorzumachen, dass ich überlegte, doch dann schüttelte ich den Kopf. „Also vor mir war
jetzt eigentlich nichts, würde ich sagen.“ Die Schwester pulte an ihren Fingernägeln herum und sprach
weiter. „Ja okay, dann kann ich auch nicht weiter helfen.“ Sie wollte sich wohl von mir abwenden, da
hielt ich sie noch mal auf. „Wieso? Was hat er denn?“ Ich wusste, dass ich bei ihr bohren konnte, bis sie
mir etwas sagte. Solange kein Arzt in der Nähe war konnte ich mir das erlauben. Sie wollte was sagen,
doch ich kam ihr zuvor, um sie in Bedrängnis zu versetzen. „Bitte sagen Sie mir, was er hat! Er ist doch
mein Bruder!“ „Also,“ fing sie an und ich konnte es kaum erwarten. „Ja, was?“ „In der Blutprobe haben
wir... also wenn ich jetzt mit Fachbegriffen komme, verstehen Sie sicher nichts.“ lachte sie kurz
ablenkend, doch mein Blick wies sie wieder zurecht. Sie merkte das auch schnell und räusperte sich.
„Also wir haben Reste von Drogen bei ihm gefunden, er scheint vor kurzer Zeit mal so einiges
genommen zu haben.“ Mein Kopf kippte weg. Ihr war es sichtlich unangenehm, es mir gesagt zu haben,
war ihr eigentlich klar, dass sie dadurch ihren Job verlieren konnte? Aber egal, das schockte mich jetzt,
um ehrlich, ehrlich zu sein. „Und...“ versuchte ich eine Frage zusammenzubringen, doch meine Zunge
hemmte mich. „Und warum? Und was für welche? Und wann war das?“ Viel zu viele Fragen auf einmal,
jetzt würde ich erst recht keine Antwort mehr bekommen! Die Krankenschwester wendete sich so, dass
sie gehen müsse und wollte mich abwürgen. „Also, eigentlich darf ich das nicht sagen, das hab ich jetzt
nur, weil sie die Schwester sind und so...“ redete sie sich raus und ich konnte sie nicht mehr aufhalten.
„Ich habe Ihnen das nur gesagt, weil man Probleme immer an der Wurzel packen muss. Vielleicht
können Sie ihm erstmal am Besten weiterhelfen.“ Sie lief den Flur entlang und ich setzte mich auf einen,
an der Wand fest angeschraubten, Stuhl. Sanji und Drogen, diese beiden Wörter passten einfach nicht in
einen Satz. Diese Information musste erstmal sickern.
erstellt am 01.05.2007
4Kolibris,
Elena