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Einzelposting: Der Kinderdieb


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Von:    warin 15.07.2011 21:17
Betreff: Der Kinderdieb [Antworten]
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Das Gefühl, das mich beim Lesen von "Der Kinderdieb" beschlich, hatte ich das letzte Mal bei Pan's Labyrinth. Eine Mischung aus Ekel, Abscheu und tiefer Faszination. Ein böses, verstörendes Buch, das hält, was das hochglänzende, schwarz/rote Cover mit BROMs meisterhaften Illustrationen verspricht.

Schon im Prolog wird ein Mädchen durch den eigenen Vater missbraucht. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Nick, ein Außenseiter, der sich mit einer Drogengang anlegt und flüchten muss. Da kommt ihm die Chance auf einen Fluchtweg, geboten vom geheimnisvollen, spitzohrigen Peter, ganz recht. Doch Peter spielt sein eigenes Spiel und seine Motive sind nicht ganz uneigennützig. So findet sich Nick bald unter den Teufeln wieder, einer Horde wilder Teenager, die auf einer sterbenden Zauberinsel gegen Monster und fanatische Pilger ums Überleben kämpft.

In einem Wechsel aus aktueller Handlung und Rückblenden aus Peters Sicht geht der Leser auf Entdeckungsreise nach Avalon, dem letzten Hort für Elfen und Zauberwesen, der so ganz und gar anders ist, als man sich ein Zauberreich vorstellt. Dabei geht es meist rücksichtslos brutal, bisweilen aber auch unglaublich poetisch und anmutig zu, wie im Hort der Dame, der Herrin von Avalon, der Peter durch ein magisches Band tief verbunden ist.

Zur Sprache: Gossenslang zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. "Räudig", "Pisse" und "Arsch" gehören zu den meist verwendeten Worten. Merkwürdig mutete es mir an, wenn auch Menschen vergangener Zeiten den Slang des 20./21. Jahrhunderts sprechen. Abgewöhnen würde ich BROM die Angewohnheit, schreien durch GROSSBUCHSTABEN darzustellen. Das gehört in Comics, in einem ernstzunehmenden Roman wirkt es für mich deplatziert. Neben Fäkalsprache gibt es reichlich Gewaltexzesse. Blut spritzt, Körperteile werden abgetrennt und Gehirnmasse und Gedärme fliegen nur so umher. Wer da sensibel ist, sollte von dem Buch besser die Finger lassen. Lange Zeit war ich mir nicht sicher, ob BROM nur provozieren und Tabus brechen wollte, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Doch das würde dem "Kinderdieb" nicht gerecht werden, dafür steckt zu viel Tiefe in dem Buch. Eine erschreckende, verstörende Tiefe zugegebenermaßen. Eins muss ich BROM dabei lassen: Kämpfe, von denen es reichlich gibt, kann er (be)schreiben wie kein zweiter.

Im Gegensatz zum derzeitigen romantisierenden "all age" Trend in der Phantastik ist "Der Kinderdieb" aus meiner ganz klar ein Jungen Buch. Als Grafikdesigner von Spielen wie World of Warcraft kennt BROM das Lebensgefühl der Generation Internet. Von Jungen, die sich stets benachteiligt fühlen und in ihren Fantasien davon träumen, zurückzuschlagen. Ob "Der Kinderdieb" nun ein Plädoyer für oder gegen Gewalt ist, muss jeder Leser für sich entscheiden. Auf jeden Fall ist der "Kinderdieb" ein Buch, über das man sprechen sollte, vielleicht sogar im Unterricht. Denn neben der Auseinandersetzung mit den Themen Gewalt, Hass, Mobbing und Gruppendynamik bietet der "Kinderdieb" viele interessante Anleihen an die britische Mythologie und letztendlich natürlich auch an das Original Werk von James M. Barrie. Und ich gebe BROM recht, dass Peter Pan schon im Originalwerk eine verstörende Figur voller Widersprüche ist, die es wert ist, entzaubert zu werden.

Dabei ist die Geschichte spannend bis zur letzten Seite und entzieht sich jedem Klischee. Koalitionen wechseln, Gut wird Böse und Böse gut, die Grenzen verschwinden und am Ende steht die Erkenntnis, dass Gewalt oft nur aus Missverständnissen, falscher Ehre und einem Mangel an Kommunikation resultiert.

Jedes Kapitel wurde von BROM wundervoll illustriert und in der Mitte des Buches befinden sich noch acht Seiten mit Farbillustrationen der Hauptcharaktere.

Ein Meisterwerk, das geradezu nach einer Verfilmung schreit. Vorzugsweise natürlich durch Guillermo del Toro ;-)
Mankind is a creature that no longer evolves. They keep their bodies merely to satisfy the desires of the flesh. They're worthless, don't you think? However, you don't have to remain a wretched human being forever. Mankind has finally created an exit. The Network. The Wired is the way, Lain.

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