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Mach die Augen zu...

Es geht weiter!
von

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Zerrüttete Familie

Die Glastüren öffneten sich geräuschlos vor ihm und er betrat das Gebäude. Der Gang, den er entlang ging, wirkte etwas kahl und es roch nach Desinfektionsmitteln. Er ging an vielen verschlossenen Türen vorbei und am Ende des Ganges eine Treppe in den nächsten Stock hinauf. Dort musste er den Gang ein Stück entlang, dann zweimal links abbiegen und dann die dritte Tür von rechts. Er klopfte an, aber statt eines 'Herein' oder etwas ähnlichem, öffnete eine junge Schwester die Tür.

Es dauerete eine Weile, dann erkannte sie ihn und ihr Gesicht leuchtete auf.

„Guten Tag! Was für eine Überraschung! Wir haben Sie schon vermisst, es ist so lange her... Gehen Sie ruhig hinein, ich habe nur rasch die Nachmittagsmedikamente gebracht. Ihr Vater ist wach.“

Sie nickte ihm zu und verschwand mit einem Lächeln um die nächste Ecke. Er zögerte noch eine Weile, mit der Klinke in der Hand. Dann öffnete er die Türe ganz und betrat das Zimmer.

Sein Vater war im Moment der einzige Bewohner dieses Zimmers. Er saß an dem kleinen Tisch neben dem Fenster und schaute hinaus. Er saß mit dem Rücken zu Kanaeel und ob er die Schritte des jungen Mannes gehört hatte, war nicht zu erkennen. Vor dem Fenster war ein dicht belaubter Baum und im Moment saßen ein paar Amseln darin und unterhielten sich. Das schien den älteren Herrn sehr zu faszinieren.

Kanaeel blieb neben dem Tisch stehen. „Hallo Vater!“ sagte er sanft und berührte seinen Vater leicht an der Schulter. Der Mann drehte sich zu ihm um und sah zu ihm hinauf. Er lächelte und Kanaeel lächelte zurück. Dann wanderte der Blick des Älteren wieder hinaus.

„Sind sie nicht herzig, diese Vögelchen? Sie singen den ganzen Tag und unterhalten mich. Manchmal haben sie auch Würmer im Schnabel oder kleine Ästchen und Moos. Dann können sie nicht singen, denn sonst würden sie es verlieren. Niedliche kleine Vögelchen...“

„Wie geht es dir, Vater?“ fragte Kanaeel leise.

„Wie es mir geht? Ach, ich kann nicht klagen. Gutes Essen, nette Bedienung. Nur das Wetter war die letzten Tage ziemlich schlecht.“ Er betonte letzteres noch einmal, in dem er kräftig nickte.

„Gehst du manchmal nach draußen, Vater?“

„Ja jeden Tag. Nur wenn es regnet, dann nicht. Die letzten Tage konnte ich nicht, da war das Wetter so schlecht.“

Kanaeel nickte zustimmend.

„Wie laufen deine Therapien?“ fragte er dann.

„Therapien?“ Der ältere Mann sah ihn ungläubig an.

„Naja, Gymnastik oder so etwas. Man hat mir gesagt, dass du Gymnastik mitmachst.“

Der andere Mann blickte ihn an, als wollte Kanaeel ihn auf den Arm nehmen.

„Ist schon gut.“ beschwichtigte Kanaeel und senkte den Blick.

Sein Vater sah wieder nach draußen. „Ach, die lieben Vögelchen sind wieder da...“

Sie schwiegen eine ganze Weile.

„Ich wollte, mein Sohn käme mich mal besuchen.“ meinte der ältere Mann plötzlich in die Stille hinein. Er drehte sich zu Kanaeel um. „Er war so ein liebes Kind, aber er hat mich noch kein einziges Mal hier besucht. Das ist noch nicht sehr nett, oder nicht?“

Er erwartete offensichtlich eine Antwort von Kanaeel, deshalb nickte er schwach.

„Da umsorgt man das Kind Tag und Nacht und was ist der Dank? Kein einziger Besuch... Das tut sehr weh.“

Kanaeel erwiderte nichts. Sein Vater sah wieder aus dem Fenster.

„Ich bin sehr enttäuscht.“ kam es nach einiger Zeit. „Ich hätte nie gedacht, dass mein Sohn ein solcher Nichtsnutz wird.“ Der Mund des älteren Mannes wurde von einem harten Zug umspielt, die Augen blickten verbittert drein.

Kanaeel schloss die Augen. Er hätte nicht herkommen sollen, dass wusste er. Aber nach diesem Traum hatte er nicht anders gekonnt.

„Ich muss jetzt gehen, Vater.“ sagte er leise und stand auf.

Der ältere Mann blickte zu ihm auf. „Zu wem wollen Sie?“

Kanaeel schluckte schwer. „Ich wollte zu Ihrem Nachbarn, aber er ist nicht da.“

Sein Vater nickte verständnisvoll. „Tjaja, so ist das mit den jungen Leute. Nie haben sie Zeit. Mein Sohn ist auch so einer.“

„Auf Wiedersehen!“ sagte Kanaeel leise.

„Wiedersehen!“ meinte der Mann und blickte zum Fenster. „Oh, die Vögelchen sind wieder da...“
 

Auf der Autobahn nach Hause fuhr Kanaeel ans Tempolimit seiner Maschine.
 

Der nächste Freitagabend fand ihn erschöpft auf seiner Couch wieder. Die Woche war die Hölle gewesen. Im Büro nur Unmengen an Arbeit, ein paar Kollegen waren krank und es hatte drei Tage geregnet, sodass er das Motorrad zuhause gelassen hatte und mit dem Zug gefahren war. Das bedeutete wiederum, dass er früher aufstehen musste. Alles in allem also keine schöne Woche.

Vor der Haustür hatte er Rabeanah getroffen und sie hatte gefragt, ob er zum Abendessen kommen wollte, doch er hatte sie enttäuscht. Er wollte nur noch seine Ruhe.

Passend dazu klingelte sein Telefon. Mühsam raffte er sich auf und nahm ab.

„Hallo?“

„Hallo, Kanaeel, mein Junge! Wie geht es dir?“

Seine Mutter, das hatte gerade noch gefehlt. Seit er vierzehn war konnte er sie nicht mehr anlügen. Aber wenn er jetzt die Wahrheit sagte, würde sie sich nur Sorgen machen.

„Ach, ganz gut. Nur im Büro war viel zu tun, es sind auch ein paar Kollegen krank. Naja, dieses Wochenende werde ich wohl nur ausruhen.“ Er versuchte den letzten Satz mit einem Lächeln zu beenden, um seine Mutter zu beruhigen.

„Ich hoffe, du hast dir keine zusätzliche Arbeit mit nach Hause genommen?“

„Nein, hab ich nicht.“ Diesmal war sein Lächeln sogar echt. Sie war immer so besorgt.

„Papa geht es gut.“ sagte sie plötzlich. „Er hat sich von seiner Erkältung erholt und-“

„Ich weiß.“ unterbrach Kanaeel seine Mutter. Sie verstummte schlagartig. „Ich war Samstag da.“

„...Und?“ fragte sie nach einer Weile vorsichtig.

Er schüttelte den Kopf und ließ die Schultern hängen.

„Es war ein Fehler. Ich hätte nicht hingehen sollen. Für ihn gibt es mich nicht mehr.“

„Kana-“

„Es hat keinen Sinn Mama! Er wird sich nicht plötzlich an mich erinnern! Er hat mich von seiner Festplatte gelöscht und ich hab es satt, das immer und immer wieder zu hören.“ fiel er ihr aufgebracht ins Wort.

„Junge...“ Die Stimme seiner Mutter klang müde.

„Ich mag nicht mehr.“ sagte Kanaeel nach einer Weile leise.

„Es ist wohl besser, wenn ich dich jetzt in Ruhe lasse. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende und ruh dich aus, mein Schatz, ja?“

„Ja Mama, werde ich. Mach's gut.“

„Auf Wiederhörn mein Junge!“

Kanaeel legte auf und schlurfte in die Küche. Unschlüssig stand er vor dem offenen Kühlschrank und starrte hinein. Nichts sprach ihn an. Als er die Türe wieder schloss, fiel sein Blick auf das Werbeprospekt eines Pizzadienstes, welches mit einem Magneten an seine Kühlschranktür gepinnt war. Er holte das Telefon und bestellte sein Abendessen.
 

Schwer schnaufend krallte er sich mit einer Hand am Geländer fest. Die andere brauchte er, um damit herum zu rudern, falls er das Gleichgewicht verlor. Er hatte zu der Pizza eine Flasche Wein aufgemacht und diese auch geleert. Was ihn nun in diese Situation brachte, dass er sich, gefährlich schwankend, die Treppe hinauf in sein Schlafzimmer kämpfte. Im Badezimmer machte er einen Zwischenstop. Sein Spiegelbild gefiel ihm gar nicht. Angewidert wendete er sich ab und putze sich schnell die Zähne. Dann tastete er sich an der Wand entlang in sein Schlafzimmer.

Das Licht ließ er aus, sein Bett würde er auch so finden. Sein Fenster war angekippt und ein kühler Nachtwind bauschte die beigen Gardinen, die das Zimmer vor fremden Blicken schützten. Er brachte auch den Geruch von gemähtem Gras mit herein.

Er war nicht allein im Zimmer, das spürte sofort. Langsam- sein Zustand ließ nichts anderes zu- entledigte er sich seiner Kleidung und kroch unter die Decke.

„Fogy...?“ murmelte er halb benommen.

Als Antwort spürte er eine kühle Hand auf seiner heißen Stirn.

„...Bleibst... bleibst du heute Nacht hier... hier bei mir?“

>Ich bin immer da.< kam die ruhige Antwort. >Ich lasse dich nicht allein.<

„Danke...“ schniefte Kanaeel leise.

Er spürte wie Fogy sich neben ihm niederließ und seinen Arm um ihn legte.

„Du bist ein Engel...“

Kanaeel seufzte zufrieden und kuschelte sich in die Umarmung. Er war schon zu sehr weggetreten, als dass er bemerkt hätte, dass Fogy bei dem Wort 'Engel' unwillkürlich zusammen gezuckt war...



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