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The Saga - Blossom of Eternity

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Chapter 20: How It Is To Be Alone

Chapter 20: How It Is To Be Alone
 

Kiara hatte eine schlaflose Nacht hinter sich. Müde blickte sie in den großen Spiegel, der in ihrem Zimmer hing, und ein Mädchen mit strähnigen Haaren und aschfahler Haut sah ihr entgegen. Das Glas spiegelte eine Gestalt wider, die vor wenigen Tagen noch nicht existiert hatte. Geschunden und gepeinigt schaute sich Kiara selbst an, fuhr sich mit den Fingern über die Wange und über das Kinn. Getrocknetes Blut haftete auf ihrer Stirn, doch sie wusste, dass es nicht ihr eigenes war. Es stammte von Jake.

/Als ich seine Hand im Wald geküsst habe…/

Schmerzvoll verzog sie ihr Gesicht zu einer Grimasse, aber wandte den Blick nicht ab. Weiterhin stierte sie sich an, wollte sich selbst herausfordern. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit ihrem Dad des Öfteren dieses Spiel gespielt hatte. Meistens hatte sie verloren, da David seine Mundwinkel immer so weit nach unten geschoben hatte, dass er so stark einem Clown ähnelte, dass Kiara nicht umhin konnte als zu lachen. Während sie an die Unbeschwertheit damals dachte, sammelten sich kleine silbrig glänzende Perlen in ihren Augen und bedeckten das Braun ihrer Iris. Doch sie wünschte sich diese Zeiten nicht zurück. Irgendwie kam ihr das absurd vor, doch es gab dafür einen wichtigen Grund. Denn zu jener Zeit hatte sie Jake nicht bei sich. Noch mehr Tränen häuften sich an und strömten alsbald wild an Kiaras Wangen hinab.

/Jake ist so nah, doch für mich… so fern./

Lethargisch schaute sie sich ununterbrochen weiter in die Augen. Nein, dieses Mal würde sie nicht verlieren. Denn ihre Gedanken hatten nichts Amüsantes an sich, rein gar nichts.

/Was sollte mich nun zum Grinsen verleiten?/

Fast hätte sie über diesen Gedanken gelacht. Doch ihr Mund verzog sich nicht im Geringsten, sondern wurde weiterhin lediglich von Tränen bedeckt. Sie konnte das salzige Nass auf ihrer Zunge schmecken und schluckte ab und an kräftig.

Viele Minuten vergingen, in denen sie reglos vor dem Spiegel stand und trauerte. Sie war unfähig sich zu rühren und verspürte auch keinen Drang dazu.

Plötzlich klopfte es zweimal an der Tür.

„Hier ist deine Mom. Darf ich reinkommen?“

Cecil bekam nur Schweigen zur Antwort. Sie klopfte erneut, doch kein Laut drang zu ihr hinaus. Kiara indes verdammte diese Welt. Das, was ihr lieb war, war ihr mit einem Schlag wieder genommen worden.

„Komm schon, meine Kleine.“

Wie sehr hasste sie in diesem Moment diese Worte. ’Meine Kleine’ wiederholte sie verächtlich in ihrem Verstand. Sie wollte in Ruhe gelassen werden, warum verstand das denn keiner? Langsam fragte sich Kiara, warum sie in der Nacht überhaupt nach Hause zurückgekehrt war. Sie liebte ihre Eltern und gerade nachdem sie Jake abweisen musste, hatte sie Geborgenheit gebraucht, doch was tat sie wirklich hier? Mit einem Mal überschlugen sich ihre Gedanken.

„Mach bitte die Tür auf.“

Kiaras Augen weiteten sich. „Mom, geh von der Tür weg!“, rief sie panisch. „Wenn du mir vertraust, dann geh!“
 

Cecil stand wie angewurzelt vor Kiaras Zimmertür und ihre Hand lag noch immer auf der Klinke. So hysterisch hatte sie ihre Tochter noch niemals schreien hören. Cecil schluckte schwer, machte sich Sorgen, wollte zu Kiara, um nachzusehen, was der Grund für ihre Verzweiflung war.

„Moooooooooooooooom!“

Dieser schrille Ton versetzte Cecil in Angst und Schrecken, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Nun zögerte sie nicht länger, sondern ließ die Klinke los und rannte hinunter ins Wohnzimmer. Verstört griff sie nach dem Telefon und ihre zittrigen Hände konnten kaum die richtige Nummer wählen.

„Dave Ladeur“, ertönte es aus dem Hörer…
 

„Wenn du es wagen solltest, meiner Familie auch nur ein Haar zu krümmen, dann lernst du mich kennen.“

/Ach wie süß. Sie lehnt sich schon wieder gegen mich auf und hat es fast zu spät begriffen, dass ich sie hierher gebracht habe. Was würdest du sagen, erst deine Mom und dann deinen Dad zu begraben!?/

Grelles Lachen hallte in Kiaras Kopf wider. Schreckliche Szenen taten sich vor ihren Augen auf, kreisten in ihrem Verstand und wurden anschließend von durchdringender Schwärze verdrängt.

/Nun ist sie sprachlos… wie naiv du doch warst! Zu glauben, mich durch einen Trick besiegen zu können. Ich muss zugeben, ich war ein wenig überrascht von deiner Willensstärke und deiner Intelligenz, doch selbst wenn du der schlaueste Mensch auf Erden wärest, hättest du gegen mich keine Chance. Du hast noch gar keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast, meine Kleine./

„S-a-g n-i-e w-i-e-d-e-r ‚meine Kleine’ z-u m-i-r.“

/Sollte ich mich da irren oder hast nicht du eben diese Worte verächtet, obwohl sie von der dich alles liebenden Mutter stammten!? Du machst mir ein leichtes Spiel, wenn du mit dir selbst so im Unreinen bist.

Komm, lass uns hinunter zu Cecil gehen und ihr ein wenig Angst machen./

Kiara konnte das fiese Grinsen dieses grausamen Etwas in sich spüren.

„Nur über meine Leiche.“

/Tut mir leid, diesen Gefallen kann ich dir nicht tun. Wie du weißt, brauche ich deinen Körper. Er ist für andere Zwecke vorhergesehen als sich nun im Blut zu laben./

„Lass meine Eltern in Ruhe“, zischte Kiara.

/Wer wird denn gleich so wütend werden! Sachte, sachte./

„Was muss ich dir bieten, damit du sie aus Allem heraushältst?“

/Ui, meine Kleine begreift langsam, wie dieses Spiel gespielt wird./

Als Kiara erregt die Faust gegen den Spiegel schlug und dieser in tausend Stücke zerbarst, die schillernd auf dem Boden zu erliegen kamen, hallte erneut schrilles Gelächter in ihrem Kopf.

/Dass dich diese zwei harmlosen Worte so erhitzen, gefällt mir. Doch bevor ich mich nun zu sehr an deinen Emotionen erlabe, kommen wir doch zu deiner Frage zurück. Was du mir bieten kannst? Ha-ha-ha,… zuerst dein Medaillon!/

„Mein Medaillon? Das liegt irgendwo im Wald.“

/Bist du dir da auch wirklich sicher? Greif doch mal in die Tasche deiner Jeans./

Unsicher, was sie tun sollte, verharrte Kiara eine Weile. Sie hatte es doch selbst fallen lassen und nicht mehr aufgehoben, hatte es in der Nacht dort zurückgelassen. Nun wurde sie aufgefordert, es aus ihrer Hosentasche zu holen, wo es doch unmöglich sein konnte. Und dazu kam der Befehl von den dunklen Mächten, denen doch jedes Mittel recht war, jemanden in die Irre zu leiten. Eigentlich sprach alles dagegen. Das Medaillon konnte unmöglich bei ihr sein.

/Erst lassen wir ihr langsam das Blut entrinnen und-/

„Schon gut!... Ich schau ja nach.“

Trotzig griff Kiara in den Stoff und bekam sogleich was Hartes zu fassen. Das Ding in ihrer Hand war rund und vibrierte sacht. Ungläubig betrachtete sie das Medaillon, fuhr hauchzart über die feinen Erhebungen. Als ihre Fingerkuppen pulsierten, würgte sie den dicken Kloß in ihrem Hals hinunter.

„W-Wie n-nur?“

Kiara ließ erschrocken das Medaillon fallen. Ruckartig wand sie sich einmal um die eigene Achse, kniff die Augen ganz fest zusammen und riss sich die Kleider vom Leib. Anschließend schlüpfte sie ins Bett und vergrub sich unter ihrer Bettdecke. Eng zusammengerollt zog sie die Decke über ihren Kopf, hielt sie krampfhaft über sich.

„Verschwinde! Geh weg! Geh aus meinen Körper!“, wimmerte Kiara. Wie ein kleines Kind, das einen Alptraum oder Angst vor den vielen Schatten im Zimmer hat, kauerte sie unter der Zudecke und wünschte sich, dass der böse Spuk endlich aufhört.

Bis jetzt hatte sie die Ereignisse der letzten Tage gut weggesteckt. Mut hatte sie gekennzeichnet, als sie sich den dunklen Mächten entgegengestellt hatte. Doch als sie eben das Medaillon, das eigentlich nicht hier sein durfte, in den Händen spürte, stieg in ihr ein Gefühl der Erfolglosigkeit auf. Egal, was sie unternehmen würde, würde in einem Misserfolg enden, würde dieses Etwas in ihr nur noch in seinem Selbstbewusstsein stärken. Selbst ihre List hatte versagt. Was konnte sie nun noch ausrichten? Jede Gegenwehr wurde abgewehrt, ins Nichts verbannt, in Schall und Rauch verpufft.

/Jaaa, das machst du gut. Wiege dich in deiner Verzweiflung, bette dich darin. Sauge all die negativen Gedanken auf, verschmelze sie zu einer riesigen Blase, die, wenn sie platzt,… dein Ende bedeutet!!! Ha-ha-ha-… ha/
 

„Cecil, warte! Du kannst nicht zu ihr hoch gehen.“ Dave sah seine Frau fest an, während er sie ein wenig grob an den Schultern festhielt.

„Tu tust mir weh“, zischte sie.

„Hör mir doch erst einmal zu, bevor du unüberlegt handelst.“

„Was hat Rationalität hier verloren, wenn es um meine Tochter geht?“

„Unsere Tochter“, betonte Dave verärgert. „Sie ist für uns beide das Wertvollste. Denke ja nicht, ich würde sie weniger lieben. Doch-“

„Wage es nicht!“

„Aber-“

„Ahhhhhhhhhhhhh!“ Cecil schrie und ihr Gesicht war wutentbrannt. Ihre dunkelblonden Haare hingen ihr teils in den Augen, konnten aber das blitzende Grün darunter nicht verbergen. „Warum hast du immer ein ‚aber’ oder ein ‚doch’ oder irgendeinen anderen Widerspruch parat? Es gibt kein aber, wenn um Kiara geht. Wir müssen zu ihr und ihr helfen!“

„Denkst du im Ernst, ich würde etwas anderes lieber wollen!? Wir haben“, das kleine Wörtchen ’aber’ schluckte er geflissentlich herunter, „keine Chance gegen diese Macht. Die Gefahr, die von ihr ausgeht, ist zu groß.“ Dave wandte den Blick von seiner Frau ab und drosselte seine Stimme. „Tot können wir ihr auch nicht helfen.“ Während er dies sprach, ließ er Cecil los, die ihn nun benommen ansah. Als sie den letzten Satz in ihrem Verstand wiederholte, zuckte sie zusammen.

„Können wir denn gar nichts ausrichten? Müssen wir wirklich tatenlos zusehen, wie unsere Tochter leidet?“

Dave sank auf die Knie, bettete seine Arme in den Schoß. „Ich fürchte, wir müssen abwarten. Denke an das, was Aina gesagt hat: Sie ist die Blüte der Ewigkeit!“

„…“

„Bitte setze dich einen Moment und höre mich an. Wenn ich geendet habe, kannst du mir gerne widersprechen, doch bitte nur, wenn du wirklich glaubst, dass alles völliger Blödsinn ist. Okay?“

Cecil nickte beunruhigt, tat aber wie geheißen und ließ sich auf einer Ecke der Couch nieder.

„Gut. Ich danke dir.“ Als Dave eine Hand auf eine der Ihrigen legen wollte, wich sie zurück. Er biss sich auf die Unterlippe, nahm ihre Geste aber hin, wollte in diesem Augenblick nicht noch mehr Unruhe stiften, auch wenn es ihn zutiefst verletzte. „Ich vermute, dass das, was Kiara gerade erleidet, so nicht vorhergesehen war. Nun fragst du dich sicher, warum ich so denke. Das kann ich dir auch sogleich begründen. Meiner Meinung nach hätte Aina nicht zugelassen, dass Kiara bei uns aufwächst, wenn sie gewusst hätte, dass sich das hier ereignen würde… dass das… Böse von ihr… Besitz ergreift…“ Dave fiel es nicht leicht, dies auszusprechen, denn jede einzelne Silbe schnürte ihm die Kehle zu. Sichtlich bemüht, ruhig zu bleiben, fuhr er leise fort. „Als Jake hier war, konnte ich in seinen Augen erkennen, dass er uns die Wahrheit sagte. Er wusste selbst nicht, warum Kiara nicht zu uns wollte. Dein Anruf vorhin hat meine letzten Zweifel behoben. Die Zweifel, dass Kiara nicht zu uns kam, weil sie uns schützen möchte.“ Er stand auf und setzte sich neben seine Frau, weiterhin akzeptierend, dass sie von ihm nicht berührt werden wollte. „Sie sagte dir, dass du ihr vertrauen sollst. Vertrauen, verstehst du? Denke mal einige Jahre zurück an den Tag, an dem wir mit Kiara im Free Winder Zoo waren. Sie hatte Angst, die Ziege zu streicheln. Partout wehrte sie sich dagegen, eine Hand nach dem Tier auszustrecken. Du gingst zu ihr hin und sagtest ihr, dass sie Vertrauen in sich und das Tier haben solle und dass ihr die Ziege nichts tut, wenn sie an sie glaubt. Kiara dachte eine Weile über deine Worte nach und streichelte anschließend die Ziege.“

Dave verstummte und die einkehrende Stille wurde nur noch durch das Ticken seiner Armbanduhr durchbrochen. Heimlich wischte er sich über das linke Auge, entfernte eine kleine Träne, die sich gebildet hatte. „Wir haben mit ihr so oft darüber gesprochen, dass es wichtig ist, Menschen, die man lieb hat, zu vertrauen. Bitte, Cecil, wir sollten unsere eigenen Worte beherzigen. Zumal Kiara, unser eigen Fleisch und Blut, uns darum bat.“

„Ich… ich…“

„Schon gut. Komm her.“ Dave wand liebevoll seine Arme und Cecil und zog sie zu sich. Als Cecil seine Körperwärme spürte, ließ sie sich einen Moment fallen und schloss die Augen, verbarg das Grün, das der Wut vollkommen entsagt hatte. „Unsere Kleine ist die Blüte der Ewigkeit. Sie wird die Kraft haben, das Böse zu besiegen. Wir müssen an sie glauben, fest an sie glauben.“

/Ob das reicht vermag ich selbst nicht zu sagen./, dachte Dave und schaute hilflos auf seine Frau, die ihr Gesicht in seinem Hemd vergraben hatte.
 

Kiara zitterte am ganzen Leib, wollte nichts sehnlicher als Jake bei sich haben, der sie ganz arg festhält. Wie gerne hätte sie seine schweren Körper auf dem Ihrigen gefühlt, seine Hände wie sie über ihre nackte Haut streifen, seine Lippen, die die Ihren mit Feuchtigkeit benetzen. Sie wünschte sich so sehr, dass, wenn sie die Augen öffnet, er zumindest neben ihr liegt und sie liebevoll anblickt. Zaghaft schlug sie die Lider auf, doch sah nichts als das Orange der dünnen Bettdecke über ihr. Natürlich bekam sie nichts anderes zu sehen, was sie aber nur noch mehr bedrückte.

/Ich gebe dir zwei Wahlmöglichkeiten./, begann die tiefere Stimme in ihr, die schmerzlich in ihrem Verstand verweilte. Kiara drückte die Decke ganz fest an ihr Ohr, wollte nichts davon hören. Egal, wie sehr sie sich darum bemühte, der Stimme auszuweichen, sie konnte ihr dennoch nicht entgehen. Vor Worten, die aus dem eigenen Körper drangen, konnte man sich nicht schützen.

„Leider“, sprach sie unmerklich vor sich hin.

/Die erste ist, dass du meine Forderungen erfüllst und zwar widerstandslos, dir auf diese Weise dir deine weitere Existenz ermöglichst./ Die dunkle Macht unterbrach sich absichtlich, um den Effekt bei Kiara noch zu verstärken. „Was ist die zweite?“, fragte Kiara und zwang sich, das fiese Grinsen in ihr nicht wahrzunehmen und sich bloß nicht darauf einzulassen.

/Du überlässt mir sofort deinen Körper./

„Was ist, wenn ich keines von beiden beabsichtige?“

/Sag bloß, du hast deine lieben Eltern dort unten schon vergessen. Also wenn das so ist, dann lass uns hinunter gehen und nachschauen, ob sie noch da sind. Vielleicht freuen sie sich, dich zu sehen, vor allem, wenn du ihnen eine nette kleine Überraschung bereitest. Ha-ha-ha./

„Meine Eltern sollen nicht für mich leiden.“

/Das müssen sie auch gar nicht, wenn du das tust, was ich von dir verlange. Für was entscheidest du dich nun?/

Kiara biss sich fest auf die Zunge, spürte wie der Schmerz ihren Körper erzuckte. „Sag mir, was ich tun soll“, erwiderte sie kleinlaut.

/Gut, das soll nicht auf sich warten lassen. Nimm das Medaillon und zerstöre es!/

„Wenn das alles ist.“ Langsam schob Kiara die Decke von ihrem Körper, entblößte damit ihr Evakostüm und stand auf. Entschlossen nahm sie das runde Stück Schicksal in die Hand und drehte es ein letztes Mal vor ihrem Gesicht hin und her. Mit aller Kraft schleuderte sie es zu Boden und wartete auf das Bersten vom zersplitternden Medaillon.

Verwundert sah Kiara zu Boden und schaute sich die Stelle an, auf die sie es geworfen hatte. Dort gab es keine kleinen Splitter zu erblicken, nicht einmal große. Nur eine tiefe Kerbe zierte nun das Parkett ihres Zimmers und das Medaillon lag vollkommen unversehrt einen Meter daneben.

/Oh tut mir leid! Hab ich wohl vergessen zu erwähnen, dass sich das Medaillon nicht einfach so zerstören lässt?!/

Diese fiese Stimme in ihrem Kopf trieb Kiara allmählich in den Wahnsinn. Musste dieses Etwas in ihr immer dermaßen unverhohlen lachen, dass sich Kiara wie ein Stück Dreck vorkam!? Kiara hob das Medaillon erneut auf.

„Wie kann man es vernichten?“

/Schön, dass du fragst. Dann spitze mal deine kleinen Öhrchen…/
 

„Du meinst also, dass es besser ist, wenn du mich für zwei Tage allein lässt.“ Frederic, der einen kleinen Koffer in der einen und einen dicken Schlüsselbund in der anderen Hand hielt, nickte.

„Richtig.“

„Gut, dann geh doch. Brauch’ dich sowieso nicht“, sagte Jake schnippig und drehte sich auf dem Küchenstuhl, so dass er seinen Freund nicht mehr sehen konnte.

/Jake, ich muss! Sonst/, er schloss die Augen für einen Moment, /kann ich für nichts mehr garantieren… außerdem solltest du nun auch ein wenig Abstand haben von allem; da bin ich, der dich gewiss ständig an Kiara erinnert, hier fehl am Platze. Ja, rüge mich nur mit deiner Abkehr, versetze mir nur einen tiefen Stich in meiner Brust… ich darf dich eh nicht-/

„Pass auf dich auf“, sprach Frederic leise in den Raum, als er ihm anschließend den Rücken zukehrte und ging.

Als er draußen die Haustüre ins Schloss gezogen hatte, blickte Frederic über die Schulter und hoch zum Balkon ihres Apartments. /Auf bald, Jake./

Jake konnte Frederic durch das Fenster hindurch genau in die Augen sehen, als dieser den Kopf wand. /Warum verlässt du mich gerade jetzt?/ Traurig sah er seinem Freund nach, wie er ins Auto stieg und kurz darauf davonfuhr. /Du sagtest mir, dass du das für mich tust. Doch ich möchte nicht, dass du weg bist und mich hier allein lässt. Wie soll ich denn ohne dich nicht pausenlos an Kiara denken!? Deine Nähe spendete mir ein wenig Trost und Geborgenheit, ich möchte dies nicht entsagen./

Lethargisch stützte sich Jake an die kalte Wand, schmiegte sein Gesicht an den schweren Vorhang, wobei ihm kleine braune Haarsträhne über die Stirn fiel. Unbekannte Stimmen drangen an sein Ohr, die von der Straße herauf hallten. Jake sah erneut hinunter und hielt den Atem an. „Genau so was wollte ich jetzt sehen“, brummte er vor sich hin. Mit trüben Augen sah er dem Pärchen, das sich zärtlich festhielt, hinterher, bis sie hinter der nächsten Hausecke verschwanden.

Er wusste nicht, wie viele Minuten vergangen waren, doch nach einer ganzen Weile setzte er sich zurück auf den Küchenstuhl und nahm die Bluse zur Hand, die auf dem Tisch vor ihm lag. Sachte vergrub er sein Gesicht darin und atmete mehrmals tief ein und aus. Jeder Atemzug nährte ihn mit Empfindungen an Kiara. Gierig sog er ihren Duft immer und immer wieder ein, konnte einfach nicht mehr davon ablassen. In seinem Kopf kreisten Bilder von all den Erlebnissen, die sie gemeinsam erleben durften, von denen einige sehr schön, andere wiederum der Grund für seine missliche Lage waren. Zu gern hätte er die Zeit zurückgedreht und Kiara daran gehindert, in diese Kirche zu gehen. Er redete sich erneut ein, dass nur seine Apathie an jenem Tag Schuld für ihr jetziges Übel sei, und dafür hasste er sich. Nur allzu sehr schämte er sich für seine Unverantwortlichkeit. Heiße Tränen quollen in den Winkeln seiner Augen an, doch bevor sie ihren Weg nach draußen suchen konnten, stand er geräuschvoll auf. Sein Stuhl schepperte laut, als er gegen die Spüle stieß.

„Wenn Frederic schon nicht hier ist, dann muss ich endlich selbst wie ein Erwachsener handeln und darf mich nicht ständig meiner Trauer hingeben!“ Seine Worte verloren sich schnell im mittelgroßen Raum, in dem ja außer ihm keiner war. Nachdem ihm diese Totenstille keine Antwort gab, löste sich seine Entschlossenheit schnell wieder in Luft auf. /Ohweh, das kann ja heiter werden. Zwei Tage allein mit… ja mit nichts./ Resigniert sank er wieder auf das harte Holz und stützte sein Kinn auf seine Hände.

„Okay Frederic, ich versuch´s dir zuliebe“, seufzte Jake nach wenigen Minuten. Er verbarg das tiefe Blau hinter seinen Lidern und begann sich zu konzentrieren und sich dabei von allem loszulösen, einen freien Kopf zu bekommen. Zunächst angestrengt, bald ganz entspannt fokussierte er einen Punkt vor seinem inneren Auge. Nur noch auf diesen kleinen schwarzen Fleck schaute er, ließ alles andere nebensächlich sein.

’ Sie muss nun DEINE Wärme weiterhin vernehmen dürfen, damit sie die Kraft aufbringen kann, die dunklen Mächte zu bezwingen. Nur Vertrauen und das Gefühl, dass jemand für sie da ist, der sie liebt, können sie beschützen!’

/Ja mein lieber Freund, ich werde an sie und mich und uns glauben… Kiara, ich stehe hinter dir, kämpfe gegen die dunklen Mächte an. Ich bin bei dir, ich denke mit aller Kraft an dich. Spürst du, wie meine Finger durch dein weiches Haar streichen, wie meine Lippen deine kühle Haut sanft berühren? Hab Vertrauen in dich!/

Jake wartete noch ein wenig ab, bevor er die Augen wieder öffnete. Unglücklich starrte er auf seine bandagierten Hände, die rhythmisch mit dem Puls seines Herzens schmerzten.

„Vergebens!“, rief er in die Leere des Raumes, der ansonsten noch immer totenstill war. „Nichts, aber auch rein gar nichts, konnte ich fühlen. Wie soll denn da eine Verbindung zu Kiara hergestellt werden können!? Kann ich denn nichts tun?“

Da Jake weder ein noch aus wusste, ließ er sich in seinem Stuhl zurücksinken, so dass er am Ende halb auf ihm lag.

/Frederic, komm zurück! Wie kannst du nur die Verantwortung tragen, in diesen Stunden nicht bei mir zu sein? Du warst immer bei mir, wenn ich dich brauchte. Nun ist wieder so ein Moment gekommen, in dem ich dich brauche. Diese Einsamkeit und Machtlosigkeit zermürbt mich und lässt mich nicht einmal ein Band zu der Frau schaffen, die ich von ganzem Herzen liebe. Ach Frederic, ich weiß einfach nicht weiter./
 

Mit weit geöffneten Augen lauschte Kiara den Worten in ihrem Kopf, die nicht sie dachte, sondern dieses Etwas in ihr, das von ihr lautlos Besitz ergriffen hatte, sprach. In jener Nacht, in der sie in diese Kirche gelockt worden und den dunklen Mächten das erste Mal begegnet war. Jedes Mal, wenn sie an die Kreatur umhüllt von Stoff dachte, schüttelte es sie.

Als die Stimme in ihr verstummte, sackte Kiara auf die Knie und atmete erregt ein und aus. Sie hatte Mühe, auch nur einen Ton hervorzubringen. „G-gibt es k-keine andere Möglichkeit?“

/Da muss ich dich enttäuschen./

„D-dann muss es s-so geschehen.“

Das Medaillon in Kiaras Rechten begann heftig zu vibrieren, strahlte plötzlich eine starke Kraft aus.

/Beeile dich!/, waren vorerst die letzten Worte, die Kiara von den dunklen Mächten vernahm. Warmes Violett umleuchtete das Medaillon und fing an, sich über Kiaras Hand und dann über ihren ganzen Körper auszubreiten. Nach wenigen Minuten erstrahlte sie in einem sanften Lila und sie blickte verwundert in ein großes Bruchstück ihres zerbrochenen Spiegels. Als ihre Augen über ihren nackten Körper glitten, und diese Prozedur ein paar Mal wiederholten, konnten sie zu keinem Zeitpunkt diese warme Aura erblicken. Das Violett spiegelte sich rein gar nicht wider, doch Kiara war sich sicher, dass es sie umgab. Schließlich sah sie ihre Arme und Beine in Lila getaucht, ebenso ihren Bauch.

/Auch wenn es mir der Spiegel nicht zeigt, ich bilde mir das nicht ein. Das Medaillon fühlt sich gerade irgendwie richtig in meiner Hand an. So, als ob es wirklich da hingehöre, zu mir gehöre. Doch wenn ich meine Eltern und Jake retten möchte, muss ich es zerstören. Ohh, wie mich diese Wärme durchflutet, sie ist so rein und unbefleckt. Da möchte man sich ihr voll und ganz hingeben, sich in ihr betten und sie nicht mehr entweichen lassen./

Wehmütig legte sie das Medaillon auf den kleinen Glastisch neben ihr. Als sie gänzlich ihre Finger von ihm nahm, verschwand damit auch das Leuchten und die Wärme, die äußerst angenehm war, wich wieder dem kalten Schauer, der sie seit wenigen Tagen begleitete.

„Dann werde ich das hinter mich bringen“, sagte sie zu sich selbst. Eilig zog sie sich was an, plünderte ihr Sparschweinchen und steckte das Medaillon, von einem Leinentuch umwickelt, ein. Sie schlich so leise wie es ging aus dem Haus und lief zur nächstgelegenen Bushaltestelle. Dort angelangt verlagerte sie ihr Gewicht ständig von einem Fuß auf den anderen, konnte die Ankunft des Busses kaum noch erwarten. Ihr kamen die drei Minuten, die sie warten musste, wie eine halbe Ewigkeit vor. Als sie in den Bus stieg, beschlich sie das Gefühl, von allen Seiten beobachtet zu werden. Der Mann, den sie gerade passierte, schaute missmutig über den Rand seiner Zeitung. Die junge Frau, neben die sie sich setzte, bedachte sie mit einem geringschätzigen Blick und das Pärchen, das ihr gegenübersaß, tuschelte miteinander und warf ihr unentwegt misstrauische Seitenblicke zu. So unwohl hatte sich Kiara noch nie in einem Bus gefühlt, doch um sich dadurch nicht weiter verunsichern zu lassen, wandte sie krampfhaft die Augen durch das große Fenster nach draußen auf die vielen bunten Attraktionen, die wie in einem Film an ihr vorbeizogen.

Der Bus leerte sich zunehmend und jeder, der an Kiara vorbeikam, sah sie argwöhnisch an, bevor er ausstieg. Selbst die Leute, die draußen standen und in den Bus hineinsahen, blieben mit ihren Blicken an ihr hängen und legten ihre Stirne in Falten, kritisch und auf der Hut. Kiara zwickte die Augen zu und redete sich ein, dass sie sich das nur einbilde und die Menschen sie nicht sie, sondern wen anders meinten. Doch als sie das Braun wieder freigab, zuckte sie zusammen. Eine alte Frau hatte ihr gegenüber Platz genommen und starrte sie unverblümt an.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte Kiara bemüht freundlich.

Als sie lediglich andauerndes Starren als Antwort erhielt, begann sie wütend zu werden. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, wiederholte sie gereizt.

„Kehr um, bevor es zu spät ist!“, erwiderte die Frau drohend. Kiara stockte der Atem. Was hatte die Dame da gerade eben von sich gegeben?

„Wie bitte?“

„Ich habe nichts gesagt, junge Lady. Oh, Sie sehen ja ganz fürchterlich aus und zittern am ganzen Leib.“ Die alte Frau kramte kurz in ihrer Handtasche und reichte dann Kiara ein Taschentuch. „Nehmen Sie das und wischen Sie sich den Schweiß von der Stirn.“

Kiara nahm es dankend an.

„Ich sage es ja immer wieder: diese jungen Dinger von heute verstricken sich immer häufiger in Probleme, die ihnen dann schwer zu schaffen machen.“ Besorgt schüttelte sie den Kopf und reichte Kiara ein weiteres Taschentuch. „Hier nimm das! Mehr kann ich nicht für dich tun.“

„Danke.“ Mehr konnte Kiara nicht erwidern, denn sie war verwirrt. /Ich halluziniere… ich halluziniere./

Eine halbe Stunde später befand sich neben Kiara nur noch eine einzige Person im Bus: der Busfahrer. Kiara mied es, in dessen Rückspiegel zu sehen. Sie fürchtete, von ihm auch noch scheel angesehen zu werden. Stattdessen faltete sie die Hände und betete. Sie wusste nicht warum sie das genau in diesem Moment tat, doch sie hatte keine Ahnung, an wen sie sich sonst wenden sollte. Jake, ihre Eltern, Frederic… alle waren fern. Und Kiara fühlte sich allein. Darum schloss sie nun die Augen und sandte ein Gebet hoch in den Himmel, in der Hoffnung, es könne erhört werden.

„Eigentlich absurd“, seufzte sie. /Ich trage das Böse in mir und erhoffe mir Rettung von oben. Von den Menschen musste ich mich trennen, und… nein so darf ich nicht denken. Wenn ich nun dem Sacrament of Live und all der Macht, die von ihm ausgeht und die es in sich birgt, entsage, dann würde ich mich vollends geschlagen geben. Noch kann ich das nicht zulassen; zuerst muss ich die retten, die ich liebe!/

Sie lächelte bekümmert. /Wenn es nur schon vorbei wäre…/

„In wenigen Minuten erreichen wir Season Hall.“ Die Stimme des langbärtigen Busfahrers riss Kiara aus ihren Gedanken. Vorsichtig griff sie sich an die Beule ihrer Tasche und vergewisserte sich, dass das Medaillon noch bei ihr war. /Gut. Dann auf zur Mission ’Vernichtung des Zeichens der ewigen Blüte’!/ Während sie das dachte, überkam sie Übelkeit und sie hielt sich eine Hand vor den Mund. Aber die große Peinlichkeit blieb ihr erspart und sie konnte glücklicherweise ohne Missgeschick aussteigen. Frische Luft strömte ihr zugleich entgegen und sie atmete dankbar ganz tief ein. Nach und nach verging das flaue Gefühl im Magen und sie ging ein paar Schritte. Ihre Füße hinterließen frische Spuren auf dem sandigen Boden und sie näherte sich stetig dem Gebäude, das sie am liebsten niemals mehr aufgesucht hätte.
 

’ Nur Vertrauen und das Gefühl, dass jemand für sie da ist, der sie liebt, können sie beschützen!’

Dieser Satz wiederholte sich immer und immer wieder in Jakes Kopf. Wie gern hätte er sich von ihm befreit, doch die Worte hallten laut pausenlos in ihm wieder.

„Ich will doch nichts sehnlicher als ihr beistehen. Verdammt! Wie soll ich das denn anstellen!? Mein Versuch vorhin scheiterte doch kläglich.“

Wütend auf sich selbst knirschte er mit den Zähnen, verkrampfte seine Finger in Kiaras Bluse. Nicht mal mehr ihr Duft ließ ihn erbeben, erzürnte ihn eher noch mehr. Seine Tatenlosigkeit brachte ihn um den Verstand. Mit einem Satz sprang er auf und rannte hinaus. Er rannte, bis er vor Seitenstechen keine Luft mehr bekam. Mit schmerzender Brust kam er vor der alten Kirche zum Stehen. Das Sacrament of Live erstrahlte in feierlicher Manier, wie es das immer tat. Die Stärke, die von ihm ausging, beruhigte Jake ein wenig und verleitete ihn zum Eintreten. Als er den ersten Fuß hineinsetzte, hörte er schon das vertraute Nachhallen, das in solchen Gemäuern üblich war. Verworren ging er über den harten Boden, steuerte direkt auf den Altar zu, den er dann umlief und sich anschließend wie ein Pfarrer hinter ihn stellte. Seine Atmung hatte sich noch nicht wieder gänzlich normalisiert, aber wenigstens sendete seine Brust keine Schmerzsignale mehr aus. Nur seine Hände pulsierten brennend, was er zu verdrängen versuchte. Er schaute sich um und stellte fest, dass er eine Kirche noch nie aus dieser Perspektive betrachtet hatte. Die Bänke waren ihm zugewandt, ebenfalls die Bilder, die die Wände und die Fenster zierten. Jede Szene, die dargestellt wurde, schien sich ihm zu offenbaren, ihm ganz allein gewidmet zu sein, sich nur für seinen Blick abzuspielen. Er konnte den Dornenbusch fast brennen fühlen, vor dem Moses kniete. Das gespaltene Meer drohte über ihm wieder zu verschmelzen, eins zu werden und ihn mit sich in die Untiefen des Wassers zu reißen. Die kleinen Mosaikstücke leuchteten in vielen bunten Kolorierungen, belebten die Weite der Kirchenhalle enorm. Warme Farben tauchten den Raum in eine ruhige und selige Atmosphäre. Sie war zu konträr zu Jakes Gemütszustand, so dass er sich nur allzu gern auf sie einließ. Behutsam legte er seine in Bandagen gelegten Hände auf den Altar, vernahm sogleich die ungeheure Stärke, senkte die Lider, um der Vollkommenheit gänzlich gewahr zu werden. Einen langen Atemstoß entlockte er seiner Lunge, was ihn allmählich zur Ruhe kommen ließ. Sein Herz begann im Rhythmus des Pulsierens des Sacrament of Lives zu schlagen; er wiegte sich in den sachten Schlägen des harten Steines unter seinen Fingern.

/Hilf mir, sie zu erreichen. Ich flehe dich an, hilf mir./ Die Vibration unter seinen Händen gewann an Intensität, versetzte seinen Körper in Spannung. /Ich bin bei dir, Kiara, ganz nah bei dir. Egal, was du tust, ich vertraue dir und stehe in jeder Beziehung hinter dir. Gemeinsam kämpfen wir für unsere Liebe…/
 

Die starken Mauern ragten weit hinauf und die Turmuhr zeigte viertel vor drei an. Der Zeiger war gerade auf die Neun gesprungen, doch das dreimalige Leuten ertönte nicht. Kiara holte ein letztes Mal tief Luft, umfasste von außen das Medaillon in ihrer Tasche und ging auf die Kirche zu. Obwohl sich alles in ihr sträubte, setzte sie einen Fuß vor den anderen und näherte sich stetig dem Schauplatz ihres Alptraums. Als sie einige Meter hinter sich gebracht hatte, stutzte sie und blieb verwundert stehen. Sie sah sich das Gemäuer genauer an und stellte fest, dass sie der erste Eindruck nicht getäuscht hatte. Die Kirche wirkte viel älter als bei ihrem ersten Besuch, die Steine, aus der sie erbaut war, waren um einiges mehr von den Naturgewalten in Mitleidenschaft gezogen als Kiara das in Erinnerung hatte. Ihr Blick schweifte über das gesamte Gebäude.

/200 Jahre?/

Sie nickte unbescholten. „Mindestens… Keine Kirche kann in zwei Tagen um mehr als 200 Jahre altern. Ich habe keine Ahnung, was hier geschehen ist, aber ich muss hinein.“

Als sie sich den Flügeltüren näherte, überkam sie ein eiskalter Schauer. Bedächtig striff sie mit ihren Fingerkuppen über das vom sauren Regen angegriffene Holz und erzitterte. /Hier hat sich Jake seine Hände… ihr grausamen Mächte werdet dafür büßen!/ Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und sie trat gegen die Wand stickiger, modrig riechender Luft. Der Raum sah noch genauso aus wie wenige Tage zuvor, nur mit einem kleinen Unterschied: eine dicke Staubschicht bedeckte den Boden und die langen Bankreihen. Langsam schritt sie vor zum Altar.

/Sie hat gesagt, ich müsse es in das Buch legen./ Bei jedem Schritt wurde Kiaras Körper schwerer und als sie nur noch geringfügig vom Altar entfernt war, dachte sie, ihr Herzschlag setze aus. Sie sackte wie ein Stein zu Boden und hielt sich die Brust. Die Schwere, die sie überkommen hatte, wurde noch lastender, wollte sie ganz und gar niederdrücken. Auf allen Vieren keuchte Kiara, versuchte verzweifelt dagegen anzukämpfen. Ihr Gesicht war dem Boden so nahe, dass ihr Atem Staub aufwirbelte und sie ihn zu schlucken bekam. Ein trockener Hustenreiz folgte und Kiara hätte sich beinahe an dem würgenden Gefühl im Hals übergeben. Mit schmerzender Lunge zwang sie sich aufzusehen und schaute die Figuren, die sich um den Altar wanden, erzürnt an. „Vor IHM braucht ihr eure Häupter nicht senken!“ Obwohl jeder Ton eine Qual war, sagte sie dies mit fester Stimme. Leidend nötigte sie sich zurück auf ihre Füße und bewältigte mit aller Mühe die Stufe, die sie zu dem großen schwarzen Buch führte. Verächtlich pustete sie den Staub von ihm, wodurch die goldenen Worte zum Vorschein kamen. /Und du willst eine Bibel sein! Ha!/ Zögerlich griff sie nach dem Einband und schon bei der kleinsten Berührung schnellte ihre Hand zurück. Kleine silbrige Perlen sammelten sich in ihren Augen, verschleierten den Anblick der kurz bevorstehenden Untat. Erste Zweifel taten sich in Kiara auf und sie war sich nicht mehr sicher, ob sie das Medaillon wirklich zerstören wollte. Viele Jahre hatte sie es stets um ihren Hals getragen, immer die beruhigende Schwere gefühlt. Ja sie hatte es achtlos im Wald liegen gelassen (und sie wusste, dass sie es nicht mehr an sich genommen hatte!), aber dennoch war eine Vernichtung dessen, was lange Zeit ein Teil von ihr war, etwas anderes. Kiara schlug sich eine Hand vor den Mund und kehrte sich von dem Buch ab. Sie wollte wegrennen, doch konnte nicht. Eine unsichtbare Macht hielt ihren Körper noch immer gefangen. Tränen begannen lautlos über ihre Wangen zu rollen und sie stieg unter höllischen Schmerzen von der Erhöhung hinab. Nach ein paar schlurfenden Schritten meldete sich eine ihr bekannte und gleichermaßen verhasste Stimme zu Wort.

/Wenn du jetzt gehst, dann darfst du bald das Blut deiner Eltern in deinen Händen spüren./

„Sei still!“, wollte Kiara schreien, doch nur ein klägliches Wimmern kam über ihre Lippen. „Lass mich endlich in Ruhe.“

/Du bist so weit gekommen, magst du ernsthaft in allerletzter Minute so leichfertig mit dem Leben deiner lieben Eltern spielen!? Nun, mir soll es Recht sein… wenn es deinem Wunsch entspricht./

Anstatt was zu erwidern, schlug Kiara ihre Faust gegen die nebenstehende Bank und warmes Blut lief über ihre Knöchel. Weitere heiße Tränen quollen aus ihren Augenwinkeln und vernebelten ihre Sicht.

/Nur zu, schände dich selbst! Auch wenn damit niemanden geholfen ist, ich schaue dir dabei gerne zu./

Allmählich konnte Kiara diese selbstgefällige Stimme nicht mehr ertragen. „Wenn ich dich erwürgen könnte, würde ich es tun.“

/Ha-ha-ha…/

Dieses aufgesetzte Gelächter trieb Kiara in den Wahnsinn. „Hör auf zu lachen, ich mach ja schon.“

Plötzlich wurde es wieder still. Kiara war, als ob eine unendliche Last von ihr genommen worden war. Müde schleppte sie sich zurück vor das Buch und öffnete widerwillig den Einband.
 

<< Ich rief nach dir.

Erzürn` nicht meine Schönheit,

die mich aus dem Bann befreit.
 

Meine Stimme erklang

um Dich zu wecken,

damit das Böse erwacht.

In Dir erwacht! >>
 

Die Verse hatten sich nur geringfügig geändert, doch Kiara waren sie so unangenehm wie jeher. Nun holte sie das Medaillon aus der Tasche, befreite es vom Stoff und hielt es zittrig auf den Handflächen. Es begann so heftig zu vibrieren, dass Kiara es fast fallen gelassen hätte, doch noch war sie nicht bereit, es IHM zu übergeben. Sie stand vor dem geöffneten Buch und konnte zusehen, wie die Schrift vor ihr verschwamm und neue Worte bildete: << Gib es mir! >>



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Silverphoenixdragon
2006-09-04T00:20:44+00:00 04.09.2006 02:20
so hier mein kommi wieder
find es wieder klasse

sky


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