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The Saga - Blossom of Eternity

von

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Chapter 11: Psalm 21

Chapter 11: Psalm 21
 

"Spürt Ihr das auch?"

"Ja...", sie atmete tief ein, hielt kurz die Luft an und stieß sie dann leise aus. Marian stützte sich mit beiden Händen auf die Tafel, die zwischen ihr und ihrem Volk stand. Die Mitglieder der `Inauguration` sahen sie bedrückt, aber ehrfurchtsvoll an.

"Das Licht ist endlich vollends entfacht.", verkündete sie und blickte dabei jedem Einzelnen für einen Moment in die Augen. Sie wollte die Stimmung ihrer Gemeinschaft abwägen, um auch sichergehen zu können, dass sie bereit waren. "Sie haben sich vereint... doch die entstandene Macht ist zu groß und noch ist sie darauf nicht vorbereitet."

Ein leises Murmeln ging durch die Menge, verstummte aber sogleich wieder.

"Unser aller Untergang steht bevor... wird immer unabwendbarer, wenn wir nicht handeln..."

Während sie mit sich rang, trat Jakes Vater an ihre Seite und legte ermutigend seine Hand auf ihre Schulter. Die Kraft, mit der er zudrückte, sollte ihr zu verstehen geben, dass er hinter ihr stand und ihre Entscheidung respektierte.

"Nun gibt es nur noch eine Möglichkeit, wie Kiara dazu gebracht werden kann, ihre Kraft ohne unser Zutun, also eigenhändig, beherrschen zu lernen..." Es fiel ihr sichtlich schwer, ihren treuen Ergebenen den Befehl zu erteilen, aber sie musste sich dazu durchringen, zum Wohle aller. "Uns bleibt keiner andere Wahl...", ihr Blick wurde eisern, "Ihr wisst was ihr zu tun habt!"

Einer nach dem anderen verneigte sich vor ihr und verließ dann schweigend den Tempel, ging hinaus in die Nacht, ließ seine Herren alleine zurück.

Marian senkte den Kopf und schloss die Lider.

"Du trägst keine Schuld... keiner trägt sie. Es ist nun einmal so gekommen und wir müssen das akzeptieren und aufs Beste hoffen. Wir handeln richtig!"

"Oh Jeffrey, warum musste das nur geschehen!?... Er wird uns das nie vergeben."

"Du weißt, Jake ist willensstark... aber auch ich kann dir nicht versprechen, ob er uns dafür verantwortlich machen wird. Dennoch, meine liebe Marian, du hast dich richtig entschieden und ich stehe zu dir."

Von hinten legte er seine starken Arme um seine Frau und flüsterte ihr sein Liebesgeständnis ins Ohr...

Nach einer Weile traten auch sie aus dem Tempel, der unter dem fahlen Licht des Mondes geheimnisvoll und düster wirkte. Seit der Gründung der `Inauguration` diente er schon den Treffen des eigens für den Kampf gegen die dunkle Macht gegründeten Volkes, das seine Wurzeln aus der Zeit der Wende zum 17.Jahrhundert hat. Anfangs waren die Mitglieder vom Schicksal auserwählte Menschen gewesen, die einem von höheren Mächten dazu erkorenen Anführer willenlos unterstanden hatten, dem sie widerstandslos zu gehorchen hatten. Doch die Mentalität hatte sich mit jedem Jahrhundertwechsel verändert und so auch die Hierarchie in den Reihen der Gemeinschaft. Heute stehen Jakes Eltern an der Front, doch sie wurden als Herr und Herrin von den Mitgliedern selbst dazu ernannt. Es hatte eine Wahl gegeben, in der sie einstimmig gewählt worden waren. Seither wurden sie von den Erben der Ahnen und Urahnen vergangener Tage als Herrscher anerkannt und dementsprechend behandelt, sogar verehrt.

Marians weißes Gewand mit der dunkelroten Stickerei auf Rücken und Ärmel, die fast einer Blume glich, glitt schwebend über die Treppe, die vom Tempel hinab führte. Der hauchdünne Stoff wurde durch eine leichte Brise nach hinten geweht. Ihr bekümmertes Gesicht glänzte matt unterm Sternenhimmel.

"Jeffrey...", begann sie leise. "Bitte gehe zu den anderen und...", ihre Stimme wurde hart und glich wieder der starken Frau, die er geheiratet hatte. "Bereite mit ihnen gemeinsam die Zeremonie vor."

Wortlos entfernte er sich, drehte sich im Schatten der alten Weide von ihr unbemerkt noch einmal um und betrachtete ihr Antlitz, das steif am Fuße der Treppe stand. Die Zeit der Entscheidung rückte näher; die Ruhe wartete nur darauf, durchbrochen zu werden...
 

Verba vox ad deos (Der Ruf an die Götter)

in nomine dedicationis resonat. (erklingt im Namen der `Inauguration´.)

Custos templi, a vobis creandis, (Die Templer, von euchgeschaffen,)

voluntatem ultimam nuntiant. (verkünden den letzten Willen.)

Audite preces psalmum viginti unus, (Erhört Psalm 21,)

donate vires (verleiht Kraft)

in perpetuum. (für die Ewigkeit.)

Gens nostra grates agunt, (Unser Volk sagt Dank,)

in honore et in obsequio. (in Ehre und Ergebenheit.)
 

Die Mitglieder der ´Inauguration´ fassten sich bei den Händen und senkten die Köpfe auf die Brust, so dass ihre Gesichter gänzlich von den langen Kutten, von festem roten Strick um die Hüfte fixiert, verdeckt wurden. In ihrer Mitte reflektierte das Wasser im großen, einfach angelegten Steinbecken das Licht der Fackeln, die ringsum an den kahlen Wänden angebracht waren. Ihr Sprechgesang hallte dumpf wider, verlor sich aber schnell in der Höhe des Raumes. Regungslos standen sie im Kreis und beschworen die höheren Mächte. Einzig Jakes Eltern hatten die Augen geöffnet, aber ihr Blick war ebenso leer wie ihre Körper zu sein schienen. Wie willenlose Marionetten sahen sie aus, die lediglich den Mund öffneten und wieder schlossen. Diese Art Trance dauerte noch fast zehn Minuten an, bis sich plötzlich das Wasser vor ihnen zu bewegen begann. Unentwegt floss es im Uhrzeigersinn am Beckenrand entlang. Erst war die Strömung langsam, aber dann gewann sie an Geschwindigkeit und erreichte letztendlich so eine Schnelligkeit, dass der Verlauf mit bloßem Auge nicht mehr erkennbar war und sich im Zentrum ein Loch bildete, das immer tiefer wurde. Der Gesang wurde zunehmend lauter und die Stimmen trugen immer mehr Leidenschaft und Intensität in sich. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf den Gesichtern der Angehörigen der ´Inauguration´, die aber im Dunkel der weißen Kutten verborgen blieben. Mit einem Mal trat eine Fontäne aus dem Steinbecken, spiegelte den Schein der Fackeln wider, wand sich immer weiter drehend nach oben. Feine Wasserstrahlen, die sich aus ihr emporhoben, brachten das einzige Licht des Raumes zum Erlischen. Tiefe Finsternis legte sich zunächst über das Volk, das sich weiterhin an den Händen hielt und eine Einheit bildete. Ihr Gesang aber verebbte allmählich; gänzliche Stille kehrte ein, nur durch das Keuchen weniger Mitglieder durchbrochen.

Die Luft kühlte immer weiter herunter und ließ den Atem der Templer als Schleierschwaden im wenigen Licht, das von draußen hereindrang, erkennen. Nun hob Jeffrey den Kopf und sein Blick klärte sich. Sein Gesicht wurde durch gleißendes Licht bestrahlt, das noch im selben Augenblick durch das Wasser der Fontäne drang.
 

"Dirimite virium tenebricosorum, quod virtus in vacillatione incurrit,

imperate cursum novum fortunae, conglutinate cogitationem priscam!"
 

Noch bevor Jeffrey das letzte Wort mit tiefer Stimme gesprochen hatte, stimmten die anderen wieder ein und sangen im Chor nach.
 

"Haltet ein der dunklen Macht, wenn die Kraft gerät ins Wanken,

gebietet des Schicksals neuen Lauf, bindet ein die alten Gedanken!"
 

Nach einigen Wiederholungen zog sich das Wasser wieder ins Steinbecken zurück und nahm das helle Licht mit sich, das eben noch erstrahlte. Der letzte Schein wurde von Jeffreys Gesicht genommen. In der wiedergekehrten Finsternis ließen sie sich los und gingen bedächtig, noch immer mit gesenktem Haupt, hinaus in die Morgendämmerung...
 


 

Kiara öffnete die Augen, spürte ihre Rechte unter ihrem Gesicht. Während sie erst einige Male blinzeln musste, um zu realisieren, dass sie gar nicht in ihrem eigenen Zimmer war, fuhr sie sich verschlafen durchs Haar.

"Gut geschlafen?"

Erschrocken drehte sie sich um, sah Jakes nackten Oberkörper und errötete ein wenig. Sogleich wandte sie sich wieder von ihm ab und vergrub sich unter der Bettdecke.

"Wer versteckt sich denn hier gleich?" Jake kniete sich aufs Bett, zog sanft die Decke zurück und beugte sich über sie. Glücklich grinste er sie an und gab ihr einen Kuss.

/Wie lieb er doch ist... mein Herz beginnt schon wieder zu beben... ach und wie seine Augen funkeln... dieses tiefe Blau, in dem ich so gern versinke... ich.../

"Kiara, es tut mir leid, aber...", sein Blick verfinsterte sich, "Frederic erwartet mich schon seit fünf Minuten. Ich muss nun-" Da verspürte er ihren linken Zeigefinger auf seinen Lippen. "Schon gut, geh nur. Ich warte hier solange." Kiara stützte sich auf ihre Ellenbogen und küsste ihn auf die Stirn.

/Mein Herz bebt.../

"Ach Kiara,..." Er schloss die Augen für einen kurzen Moment, seufzte und stand dann auf. Als er sich ein Hemd angezogen hatte, nahm er seinen Schlüssel vom Nachttisch und sah sie noch einmal an. "Vergiss nie, dass ich dich liebe." Die Tür schloss sich hinter ihm.

Verwirrt lag Kiara da. /Vergiss nie, dass...??/ In Gedanken wiederholte sie seine letzten Worte ohne zu begreifen, was sie zu bedeuten hatten. Sollte das eben etwas heißen, dass...? Wollte er damit vielleicht sagen, dass...?

Vehement schüttelte sie den Kopf. /Nein, gewiss nicht. Vermutlich hat er es nur so dahin gesprochen.../

"Ja, genau so wird es gewesen sein... schließlich hat er mir versprochen, immer bei..." Sie verstummte, setzte sich unsicher auf und starrte lange die helle Tür an...

/Komm bald wieder!/
 

"Sieh mich bitte nicht so grimmig an. Ja, ich habe dich hierher gebeten, doch die eigentliche Intention stammt nicht von mir." Frederic hat sich solche Vorwürfe schon immer verbeten. "Deine Eltern gaben mir den Auftrag dazu."

Erstaunt sah Jake ihn an. "Meine Eltern?" Seit über einer Woche hatte er nichts von ihnen gehört. Schließlich war er es gewohnt, dass seine Familie mehrere Tage oder auch Monate von ihm getrennt war und ihm eher selten Nachrichten zukommen ließ respektive lassen konnte. Und Neuigkeiten, die anscheinend von solcher Wichtigkeit waren, dass er trotz Besuch am frühen Morgen gerufen wurde, hatte es bisher auch noch nie gegeben. Mit einer Hand strich er sich übers dunkle Haar, das matt im fahlen Licht der Sonne glänzte, das hinter ihm durch das mittelgroße Fenster schien und sich allmählich hinter großen Wolken versteckte. "Wie geht es ihnen?", wollte er wissen.

Frederic sah ihn ernst an, seine Miene verhärtete sich, wandte dann aber den Blick vom Jüngeren kurz ab.

"Ist etwas passiert?... Ist einer von ihnen verletzt worden? Oder-"

Als der Ältere die Hand hob und abwinkte, verstummte Jake. "Um Himmels Willen nein, sie sind unversehrt..."

Skeptisch betrachtete Jake seinen jahrelangen Begleiter und Freund. Er kannte ihn und wusste, dass hinter seiner harten Fassade, die er immer zu Tage legte, wenn er einen wichtigen Befehl ausführte, ein besorgter und gefühlvoller Mann steckte.

Frederic räusperte sich und wies auf einen edlen Holzstuhl, der in der Ecke des Raumes stand. "Bitte setz dich."

Unruhig lehnte Jake ab und verlagerte ständig sein Gewicht von einem Bein aufs andere. Dann griff er nach der Stuhllehne, wendete sie um 180 Grad und stützte sich mit beiden Armen auf sie. Eindringlich sah er seinen Gegenüber an. "Frederic, du weißt ganz genau, dass ich es nicht leiden kann, wenn mir jemand etwas verschweigt... es gab schon zu viel Heimlichtuerei in meinem Leben, ich habe dies langsam satt. Ständig bin ich der Letzte, der eingeweiht wird und das-" Indem er sich schmerzhaft auf die Lippen biss, brachte er sich selbst zum Schweigen. Manchmal ging sein Temperament mit ihm durch, aber er wusste, dass sich das nicht geziemte und er sich zu zügeln hatte. Also ging er um den Stuhl und ließ sich darauf nieder. "Ich möchte doch einfach nur wissen, warum ich hier bin." Resigniert ließ er seine Arme seitlich herabhängen.

"Die höheren Mächte wurden von den Mitgliedern der ´Inauguration` gerufen.", erwiderte Frederic endlich, woraufhin eine lange Pause folgte.

/Die höheren Mächte.../

Dann stand Jake wieder auf und stellte sich vor Frederic, der ihn ein ganzes Stück überragte. Entschlossen ergriff er dessen Hände und drückte sie fest.

"Bitte sag mir, was das zu bedeuten hat."

/... seit meiner Geburt herrschen meine Eltern über diese kleine Gemeinschaft. Zwar bin ich ihr leiblicher Sohn, werde aber fast immer aus den Angelegenheiten der `Inauguration` herausgehalten... zu meinem eigenen Schutz sagen sie immer... doch ich bin jetzt erwachsen, ich will endlich wissen, was unser beider Schicksal bestimmt... immer nur einzelne Aspekte erzählt zu bekommen, die ich mir dann zusammenreimen darf, genügt mir nicht mehr... wenn ich bedenke, dass Kiara bei Weitem noch weniger weiß, dann-/

Diesen Gedanken schüttelte er ab, denn er hatte sich vor langer Zeit geschworen, für sie alles zu tun, was in seiner Macht stand. Etwas Wichtiges lag in der Luft und wartete nur darauf, ausgesprochen zu werden. Darum durfte er jetzt nicht abschweifen. Verzweifelt sah er Frederic in die Augen.

"Nun gut, Jake. Du willst es nicht anders."

"..."

"Ein neues Schicksal wurde heraufbeschworen und damit hat die letzte Zeremonie der `Inauguration` stattgefunden."

/Neues Schicksal?/

"Du wirst schon bald merken, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Entschuldige mich." Frederic eilte zur Tür. Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal zu Jake um. "Es tut mir leid." Dann ging er ohne nähere Erläuterung.
 

Wirre Gedanken kreisten in den Köpfen aller. Keiner fühlte sich in jenem Augenblick wohl in seiner Haut. Das Schicksal hatte sich gewendet, das Rad der Zeit gedreht. Die Weichen wurden neu justiert und der Lauf der Welt wurde neu bestimmt...

Dunkle Wolken zogen auf und brachten einen heftigen Sturm mit sich. Trumity lag für mehrere Stunden in grauem Nebel. Regen prasselte an die Scheiben und der Wind peitschte in den Bäumen. Die Straßen waren leergefegt und das Leben auf dem Marktplatz völlig verstummt. Die Sonne kämpfte vergebens gegen die Finsternis, die den ganzen Tag nicht enden wollte...
 

/Wo bleibt er nur so lange.../ Seit mehr als einer Stunde starrte Kiara schon die blaue Wanduhr an und konnte das laute Tick-Tack-Tick-Tack nicht mehr ertragen. Als sie den Gedanken fasste, doch besser nach Hause zu gehen, vernahm sie das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss drehte.

"Da bist du ja end-" Ihre Stimme erstarb, als sie ihren Freund teilnahmslos im Türrahmen stehen sah. Der leere Blick, der sein Gesicht zeichnete, verunsicherte sie und ließ sie ihren Ärger vergessen.

"Jake!?", doch sie erhielt keine Antwort. Unergossene Tränen perlten in ihren braunen Augen und sie legte ihre warmen Hände auf seine weißen Wangen. "Was ist mit dir? Jake? Bitte... sag doch was."

Er wehrte ihre Geste ab und Ironie bestimmte nun seine Gesichtszüge. "Was magst du denn hören!?"

Entsetzt über den scharfen sarkastischen Klang entfernte sich Kiara einen Schritt von ihm.

/Soll ich dir sagen, dass meine lieben Eltern einfach über uns entschieden haben?... dass wir beide nur ein Werkzeug sind, das man beliebig benutzen kann?.../

Jake ging zum Fenster, öffnete es und lehnte sich weit hinaus in den Regen. Trotz des heftigen Windes, der ihm die Nässe entgegenpeitschte, legte er sich aufs Fensterbrett und sah hinab in die Tiefe.

/Was würden sie machen, wenn sich eins ihrer Spielzeuge...?/

Plötzlich brach er in hysterisches Gelächter aus. Ängstlich betrachtete Kiara die Szene, die sich ihr darbot, und konnte nicht begreifen, was vor sich ging. Das laute Pfeifen des Windes drang an ihr Ohr und die kalte Luft, die aus dem offenen Fenster hereinströmte, ließ sie frösteln. Um gegen die Kühle und gegen den Schock ankämpfen zu können, schlang sie ihre Arme um ihren Körper.

"Kiara?", stürmisch drehte sich Jake um und packte sie an den Schultern. "Was hältst du von einem Wochenende in", er überlegte angestrengt, "in den Bergen? Forest of Eagle?"

Nun völlig verwirrt blickte sie ihn an, zögerte, nickte dann aber unsicher. "Klingt gut." Ihre Stimme war dünn; die Situation behagte ihr nicht gerade. Doch was sollte sie machen? Ablehnen, weil er Eigenschaften an den Tag legte, die sie von ihm nicht kannte!? Nein, sie lief nicht davon, nur weil etwas in ihm vorzugehen schien, was sie nicht gleich verstand. Dafür liebte sie ihn viel zu sehr...

/Was ist dir nur widerfahren...?/

"Lass uns packen!" Hektisch zog Jake wahllos Kleidungsstücke aus dem Schrank und warf sie unachtsam in einen schwarzen Koffer, den er behände unter dem Bett vorgezogen hatte.

Wie in Trance verfolgte Kiara das Schauspiel. Jake rannte von einem Zimmer zum nächsten und wieder zurück und legte immer wieder Dinge auf dem Bett ab, die er zum Schluss alle in den Koffer stopfte. Nachdem er ihn zugeklappt und den Reißverschluss zugezogen hatte, nahm er ihn in die eine Hand und mit der anderen griff er sachte nach Kiaras Arm. "Können wir?"

"Ähm...", nach einem kleinen Moment des Schweigens, "Okay, gehen wir."
 

/Wir fahren schon seit zwei Stunden und noch immer hat er nicht gesagt, warum wir überhaupt weggehen. Er blickt immer stur geradeaus und möchte seine Trauer vor mir verbergen...

Letzte Nacht... scheint in tiefer Vergangenheit zu liegen.

Die Wärme seines Körpers, die auf meinen überströmte... fließt immer langsamer in meinen Adern.

Seine Lethargie ergreift langsam von mir Besitz, auch wenn ich mich dagegen wehre.../

Bedrückt sah Kiara die Landschaft an sich vorbeiziehen. Lange Baumreihen, die im grauen Regenschleier ihr sattes Grün des Frühlings einbüßten, hohe kahle Mauern, die öfter die Straße säumten, weite Felder, von Dunst behangen, passierten sie.

/Dieses Schweigen ist kaum noch zu ertragen... Jake, sag doch etwas, irgendwas.../

Durch die Spiegelung im Fenster sah sie seine verschwommene Silhouette. Sie seufzte, als ihr bewusst wurde, dass er sie kein einziges Mal angesehen hatte seit sie im Auto saßen.

/Er ist völlig abwesend... worum sich seine Gedanken wohl drehen mögen... was in Gottes Namen ist heute Morgen passiert!?/

Hilflos zuckte sie unbemerkt mit den Schultern und gab sich dem Prasseln der Regentropfen auf der Heckscheibe hin...

Vor ihnen ragte der Turm einer Kirche zunehmend höher empor. Aus der Ferne tippte Kiara auf Rokoko und sollte damit auch Recht behalten. Dieser Baustil aus dem 18. Jahrhundert faszinierte sie seit jeher aufgrund seiner Eleganz und seiner asymmetrischen Formen. Vor allem der graziöse und liebenswürdige Dekorationsstil rief immer wieder Begeisterung in ihr wach.

"Können wir dort kurz halten?", fragte sie vorsichtig auf die Kirche deutend und brach damit die Stille.

"Sicher.", erwiderte er freundlich.

"Danke dir."

/Noch immer blickt er mich nicht an.../
 

Als Kiara aus dem Auto stieg, streckte sie sich ausgiebig und hörte ihre Knochen knacken. Sie war froh darüber, dass der Regen endlich nachgelassen hatte und nur noch vereinzelt Tropfen vom Himmel fielen. Mittlerweile war es schon früher Abend und sie waren den ganzen Nachmittag unterwegs gewesen. Ihre Eltern wussten darüber nicht einmal Bescheid, was sie im Moment aber nicht kümmerte. Ihr Blick heftete sich wieder auf die Kirche.

/Heute ist der erste Tag seit langem, dass ich nicht das Sacrament of Live sehe... die Wärme, die von ihm ausgeht und mein Herz erfüllt, kann keine andere Kirche ausstrahlen... aber ich verspüre so einen Drang, dort hineinzugehen. Irgendetwas dort drinnen ruft nach mir, streckt die Hände aus nach mir.../

Langsam dahin schreitend näherte sie sich der mit Engelsfiguren verzierten Tür, die sich zu beiden Seiten hin öffnen ließ. Als sie nur noch einen Schritt von ihr entfernt war, verharrte sie und streckte ihre Rechte aus. Behutsam legte sie sie auf das nasse Holz und schloss die Augen.

/Ich kann ganz dumpf Stimmen hören... sie scheinen im Chor zu sprechen, bis auf eine... sie klingt mächtig, sie/

Plötzlich riss sie die Augen auf und drehte sich um. /Er ist mir nicht gefolgt. Regungslos lehnt er am Auto mit Blick in die Ferne... er nimmt mich heute überhaupt nicht mehr wahr./ Enttäuscht betrachtete sie ihn noch eine Weile, wandte sich dann doch wieder von ihm ab. /Bringt nichts auf ihn zu warten. Er geht ja doch nicht mit hinein, dafür hängt er zu sehr seinen Gedanken nach... um was sie sich auch drehen mögen. Dann eben allein!/

Mit aller Kraft zog sie eine Hälfte der schweren Tür auf und schlüpfte schnell hindurch, bevor sie krachend wieder zufiel. Drinnen war es nicht dunkler als draußen, wo die Wolken dicht an dicht hangen. Dennoch musste sie sich erst an das Licht der kleinen Halogenlampen, die unauffällig in den Wänden eingearbeitet waren, gewöhnen. Nachdem sie sich die Augen gerieben hatte, sah sie sich neugierig um. In Brauntönen gehaltene Linien schlängelten sich auf den cremefarbenen Wänden entlang, formten verschiedene Muster, ergaben aber ein vollkommenes und einheitliches Gesamtbild. Vom Boden bis zu Decke reichte diese Art von Dekoration und in den Rahmen, die sie ab und an bildete, waren Gemälde sichtbar. Kunst, die von Präzision und Handarbeit geprägt war. Von solcher Größe, dass ein einziger Blick nicht ausreichte, um die Szene, die dargestellt wurde, ausmachen zu können. Über dem kompletten konkaven Mittelteil der Decke erstreckte sich ein Werk, das Kiara bekannt vorkam. Auch mit scharfem Nachdenken wusste sie nicht, wo sie es schon einmal gesehen haben könnte. Alles betrachtend schritt sie auf die langen Bankreihen zu, die anders als im Sacrament of Live schwarz waren und nur vereinzelt Sitzkissen aufwiesen.

`Kiara!`

Erschrocken sah sie sich um, konnte aber niemanden erblicken. Mehrmals zwinkerte sie und strich sich braune Locken aus dem Gesicht.

"Hallo? Ist da wer?" Keine Antwort. Noch einmal drehte sie sich im Kreis, jede Ecke mit den Augen scharf absuchend, aber es war keine Menschenseele da außer ihr. Mit einem Schulterzucken schob sie es auf ihre Fantasie und setzte sich auf den cremeweißen Stoff der hintersten Bank. Der prachtvolle Altar mit der hohen Kanzel im Hintergrund lag nun in ihrem Blickfeld. Helle Figuren wanden sich zu beiden Seiten, alle gesenkten Hauptes, ehrerbietend. Goldene Kerzenhalter schmückten den Altar, in deren Mitte ein Buch lag. Dieses war riesig und von schwarzem Leder umhüllt. Davon fasziniert erhob sich Kiara sogleich wieder und begab sich ans andere Ende der Kirche. Vorsichtig strich sie mit Zeige- und Mittelfinger über die feinen Einkerbungen im Einband.

/Ich wusste gar nicht, dass es eine so große Bibel gibt.../

Nach einigem Zögern schlug sie die erste Seite auf und erstarrte noch im selben Augenblick.

`Ich rufe nach Dir.` Erneut diese raue Stimme. Erneut schaute Kiara umher und erneut bekam sie niemanden zu Gesicht.

/Seltsam... ich hab sie doch aber sicher gehört.../ Nervös kaute sie auf ihren Fingernägeln und las, was vor ihr im Buch stand.
 

<< Ich rufe nach Dir.

erwache meine Schönheit,

die mich aus dem Bann befreit.

Meine Stimme erklingt,

um Dich zu wecken,

damit das Böse erwacht.

In Dir erwacht! >>
 

Schnell klappte Kiara die Bibel zu und konnte nicht fassen, was sie soeben gelesen hat.

`Erwache meine Schönheit.`

Entsetzt stolperte sie ein paar Schritte rückwärts, stieß sich schmerzhaft den Rücken an und taumelte dann die eine Stufe vom Altar hinab. Alles drehte sich in ihrem Kopf. Verzweifelt krallte sie sich am Geländer der Kanzel fest und kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn.

"Was geschieht hier nur?" Ihre Worte hallten an den hohen Wänden unbeantwortet wider.

`Meine Stimme erklingt, um Dich zu wecken, damit das Böse erwacht.`

"Was geschieht hier n..." Leer,... ihr Blick wurde gänzlich leer. `In Dir erwacht!`



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