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Kurzgeschichten 2112

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Rahel rutschte unruhig auf ihrem Stuhl zurück. Die Versammlung dauerte jetzt schon drei Stunden und

es war kein Ende in Sicht. Hitzige Diskussionen liefen, Rahel versuchte gar nicht erst, etwas zu sagen,

mit ihren 21 Jahren gehörte sie zu den Jüngsten und wäre kaum beachtet worden. Um so eifriger hörte

sie zu, nickte und schüttelte ihren Kopf zu den verschiedenen Sprecher und Sprecherinnen. So lebhaft

hatte sich Rahel seit dem Tod ihrer Maman vor einem Monat nicht mehr gefühlt.

Sie wünschte sich etwas tun zu können, aber erst mal wurde nur geredet.
 

Vor drei Stunden hatte sie Levias schlanke Gestalt auf sich zulaufen sehen. Sie hatte gewunken und

gesagt, es gebe Neuigkeiten, es sei eine Versammlung einberufen worden. Rahel hatte sich aus Mamans

altem Schaukelstuhl erhoben und war Levia nachgelaufen. Sie hatte versucht, mit ihr mitzuhalten und

als sie in der Bizongue ankamen war sie ausser Atem gewesen. Heimlich betrachtete sie Levia, die

dastand, als wäre der Lauf eben ein gemütlicher Spaziergang gewesen.

Verknirscht musste sie sich eingestehen, dass sie nicht mit ihr mithalten konnte. Obwohl sie als Kinder

oft zusammen trainiert hatten, mit dem gemeinsamen Ziel zu Wächterinnen zu werden, war Rahel

immer weiter zurückgefallen. Sie konnte sich noch gut an die Enttäuschung erinnern, als sie erfuhr,

dass sie nicht gewählt worden war.

"Jetzt hör auf damit, das ist langsam langweilig" hörte sie eine Stimme dicht bei ihrem Ohr.

"Und ich hasse es, wenn du meine Gedanken liest" entgegnete Rahel wütend. Und lächelte dann

zerknirscht, als sie Levias Blick bemerkte, "Aurelia" erklärte sie.

"Bin ich jetzt wieder die Schuldige, du hast sie nicht vor mir verborgen"

Ungeduldig wischte Rahel mit der Hand nach dem Geist, natürlich viel zu langsam um sie zu erwischen.

Aber es reichte, Aurelia hielt etwas Abstand. Und Rahel fand auch nicht mehr die Gelegenheit, sich um

sie zu kümmern, jetzt waren auch die letzten eingetroffen, die Versammlung wurde eröffnet.

"Es wurde soeben bekanntgegeben, dass es im Vatikan einen Machtwechsel gab, der alte Anführer der

Jäger hat abgedankt, und sein Nachfolger hat bereits deutlich gemacht, dass er massive Massnahmen

gegen die Dämonen plane. Es scheint, als habe sein Vorgänger mit Dämonen verhandelt, sie als

Informationsquellen benutzt und geduldet. Dem soll ein ende gesetzt werden"

Rahel hörte etwas erstaunt zu, das waren die Neuigkeiten? Eigentlich hatte sie mehr erwartet. Was

kümmerte sie Europa und die Dämonen dort, für Haiti hatte sich der Vatikan noch nie interessiert.

Aber die Sprecherin fuhr fort, und langsam begann sie zu Ahnen, dass sich da was anbahnte: Solche

Spannungen hatte es in Europa schon seit achtzig Jahren nicht mehr gegeben, ein medienwirksamer

Angriff auf eine Gruppe Vampire rüttelte die Dämonen auf. Während sie sich vor dem Machtwechsel

einigermassen sicher sein konnten, am leben zu bleiben, so lange sie sich unauffällig verhielten, drohte

jetzt allen Gefahr.

Ausserdem gab es Gerüchte, dass der Vatikan nach Amerika schielte, und vorhabe, die Simeoniten

zurück zum "wahren Glauben" zu bringen.

Die Diskussionen hatten begonnen, ob es sie betreffe, ob für die Bizongue und ihren Glauben Gefahr

bestünde, wie weit die Logen darin verstrickt seien und so weiter.
 

"Ich bin dafür, dass wir abwarten, wie sich die Situation entwickelt" sagte Marie, die älteste

Teilnehmerin und Leiterin der Bizongue. "Aber wir sollten dafür sorgen, dass unsere Beobachter in

Europa sicher sind"

"Wer ist denn schon dort, die meisten haben doch kaum eine Ahnung", "Genau, die können uns

vielleicht spezifische Informationen zu den Personen geben, die sie beobachten, aber die haben nicht

den Überblick", "Wir sollten einige Geister regelmässig rüberschicken" kamen die Gegenargumente.

Rahel konnte sich nicht mehr zurückhalten. "Ich mache das, ich gehen nach Europa und beobachte die

Lage."

Einen Moment dachte sie, das war nichts, ich hätte besser geschwiegen. Aber dann wandte sich Marie

ihr zu.

"Traust du dir das zu? Es wird bestimmt nicht einfach, an die Informationen zu kommen" dabei schaute

sie Rahel durchdringend an. Rahel wusste, dass sie versuchte, ihre Beweggründe zu erkunden.

Sie hielt dem Blick stand: "Ich werde das schaffen, ich war schon mal da. Ich kann die Situation

einschätzen." Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: "Ausserdem habe ich Aurelia" sie warf dem

Geist, der im Hintergrund schwebte einen Blick zu. "Sie wird mich unterstützen"

Sie merkte, wie die Teilnehmenden anfingen zu tuscheln, aber sie sah wieder Marie an. Ich weiss, dass

du wissen willst, wieso ich das mache, dachte sie. Aber du weisst genau, dass ich nicht wirklich hierher

gehöre. Maman ist tot und Levia ist kaum im Dorf, als Wächterin ist sie beschäftigt und hat kaum noch

Zeit für mich. Mich hält nichts mehr hier.

Rahel war sich nicht sicher, wie viel Marie davon verstand, aber sie hoffte, dass sie sie überzeugt hatte.
 

"Gut" ergriff Marie das Wort, und sofort wurde es still. "Was meint ihr zu diesem Vorschlag?"

Rahel spürte eine Ellbogen in den Rippen und wandte sich um. "Willst du das wirklich tun?" fragte Levia.

"Ja" antwortete sie und lächelte.

Levia schüttelte den Kopf. Sie wollte schon etwas sagen aber Rahel liess sie gar nicht erst zu Wort

kommen: "Können wir später darüber reden?" damit wandte sie sich wieder der Versammlung zu.

Schliesslich wurde gerade über ihre Zukunft diskutiert.

Aurelia hatte sich materialisiert und erklärte gerade, dass sie Rahel unterstützen werde, weil sie

beschlossen habe, bei Rahel zu bleiben. Rahel war ihr dankbar, und sie merkte, dass die Idee immer

mehr zu überzeugen schien.
 

"Du bist mir noch eine Erklärung schuldig" sagte Levia als sie sich auf den Heimweg begaben. Sie

konnte nur schwer verbergen, dass es ihr überhaupt nicht passte, dass Rahel nach Europa ging.

"Was willst du denn hören?" Rahel war enttäuscht, dass ihre Ziehschwester und Freundin sich nicht mit

ihr freuen konnte. "Natürlich verlasse ich dich ungern, aber ausser dir ist mir hier nichts mehr wichtig.

Weisst du noch, wie enttäuscht ich war, als ich nicht zur Wächterin gewählt wurde? Ich dachte, es sei,

weil ich weiss bin, adoptiert, nicht hierhin gehöre.

Aber das war es nicht, oder?

Aurelia sagte damals, meine Talente würden woanders liegen, sie hatte recht. Wer sonst, kann sich

unauffällig unter die Snobs in Europa mischen, wer hat die entsprechende Bildung und kann die

Sprachen. Wer war schon mal dort ausser mir, das pseudo Studiensemester hat mir einen tiefen Einblick

in die Gesellschaft ermöglicht. Das hier ist, was ich tun kann. Endlich habe ich das Gefühl, mich nützlich

machen zu können und das ist toll."

Levia hatte schweigend zugehört: "Wenn du es wirklich willst, kann ich dich kaum davon abhalten, ich

war nur erstaunt, weil du nach dem letzten mal geschworen hast, nie wieder rüber zu gehen. Ich

möchte nicht, dass du dich von irgendwem zwingen lässt."

"Keine Sorge, ich mache das absolut freiwillig, obwohl es schon nicht mein grösster Wunsch ist, mich

unter diese Snobs zu mischen. Aber ich hoffe, dass Emily mir helfen wird, weisst du noch, die

Studentin, die ich letztes mal kennen lernte. Sie müsste inzwischen mit dem Studium fertig sein. Aurelia

ist schon unterwegs, sie ausfindig zu machen."

"Dann versprich mir nur eins, komm wieder!"

"Aber sicher"

"Wer zuerst beim Haus ist!"

"Hey, das ist Unfair, du weisst genau, dass ich nicht mithalten kann!"

Lachend rannten sie los, die Spannung war verflogen und Levia passte sich Rahels Tempo an.
 

Sie standen am Flughafen, die Maschine nach Berlin war gerade ausgerufen worden. Rahel

verabschiedete sich von Marie und den anderen aus dem Dorf, die gekommen waren, um sich zu

verabschieden. Sie blickte sich nach Levia um, die ihr zunickte. Sie würde nicht allein fliegen.

"So, jetzt muss ich aber gehen, sonst fliegen sie ohne mich." Ein letzter Blick zurück, dann ging sie

durch die Schleuse.
 

Anmerkungen:

Eine Bizongue ist sowohl eine Versammlungshütte einer Voodoogemeinde als auch die Versammlung

selbst.



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