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Erlebnisse

von

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(II) Überraschungen

Schon als er an der Außenmauer des Anwesens vorüberschritt, nahm er Stimmen einzelner Musketiere wahr, die sich scheinbar in Trainingseinheiten befanden. Denn die Geräusche ihrer Degen waren synchron zu den Schritten, die die Anwärter tätigten.

Der Sand unter seinen Stiefeln knirschte leise, als er durch den Rundbogen des Tores ging und den zwanzig Meter langen Kiesweg am Hause Kapitän de Trévilles betrat, um den Trainingsplatz zu erreichen.

Er ließ die zweite Mauer hinter sich, die den Weg vom offenen Platz abgrenzte und fand sich wie erwartet unter nahezu zwei Dutzend fechtenden Musketieren wieder.

Alle Übenden trugen bereits die höchst angesehene Lilienuniform, was bedeuten musste, dass sie kurz vor der zeremoniellen Einführung stehen mussten.

Einige Schritte vor dem Besucher stand ein einzelner Musketier von scheinbar höherem Rang, der die gesamten Phasen, in welchen sich die Anwärter befanden, überblickte und beurteilte.

Der Unbekannte glaubte einen alten Freund in ihn erkannt zu haben, sodass er sich leise von hinten an den wertenden Musketier heranschlich und ihm plötzlich auf die Schulter klopfte.

Völlig überrascht nahm der Musketier einen Angriff von hinten an und fing panisch an zu schreien.

Da bemerkte der Besucher augenblicklich, dass es sich nicht um denjenigen handelte, den er eigentlich erhofft hatte, wiederzusehen "Ihr seid ja gar nicht, D'Artagnan!".

Der panisch schreiende Musketier griff zu seinem Degen, als er endlich feststellte, dass sein Gegenüber unbewaffnet war und er sich somit im Vorteil befand.

"Hattet Ihr etwa vor mich zu überfallen?!", schrie er völlig aufgebracht und zog seinen Degen, dessen Spitze er sofort gegen die Brust des Anderen richtete.

"Glaubt mir, mein Herr", begann der nun scheinbar Schuldige sich zu verteidigen "ich wollte Euch weder überfallen, noch sonst in irgendeiner Weise Schaden zufügen. Ich hielt Euch lediglich für jemanden, der Ihr nicht seid!".

"Und das soll ich Euch glauben?!", die Klinge des Degens drang näher zur Brust des werdenden Opfers vor "Heutzutage hat doch jeder ein Attentat auf einen Musketier im Hinterkopf!".

Bevor sich der Besucher über solch wunderlichen Worte Gedanken machen konnte, erschallte hinter ihm eine andere Stimme "Was geht hier vor sich? Bericht, Soldat!".

Als sich beide Männer zu der fordernden Stimme umdrehten, trat Schweigen ein.

"Aramis", stotterte der Besucher endlich und konnte nicht wahrhaben, wieder einen alten Freund vor sch zu haben.

Aramis musste genauer hinschauen, um zu erkennen, wer sich vor ihr befand.

"Jean?", flüsterte sie noch immer zweifelnd, aber er nickte.

Und dann war sie sich ganz sicher "Meine Güte! Du bist zurückgekommen!".

Ohne weitere Fragen zu stellen, zog sie ihn in ihre Arme.
 

Etwas angespannt stand Jean nun inmitten des Büros von Kapitän de Tréville, zumindest hatte er das angenommen.

"Ich freue mich sehr, dich wiederzusehen, Jean", erneut wurde er umarmt, doch dieses Mal von Athos.

Jean fühlte sich etwas komisch, dies lag jedoch nicht an der Umarmung, denn auch diese war wie bei Aramis von viel Wärme erfüllt.

Dennoch schlich sich Unbehagen in ihn ein.

Es sollte sich wenig später herausstellen, dass dieses Gefühl eher einer Vorahnung glich.

"Erzähl, Jean", Athos lockerte seinen Griff um Jean wieder und sah ihn an "wie ist es dir nun ergangen die letzten Jahre? Wir waren sehr betrübt, als wir nach deiner Abreise nie wieder was von dir hörten, kein Brief, kein Gruß, gar nichts...".

Jean überlegte kurz und musterte dabei noch einmal Athos, der vor ihm stand und Aramis, die sich im Hintergrund hielt neben dem Schreibtisch.

"Ich habe die letzten Jahre ganz Frankreich bereist, von den Pyrenäen bis hoch zur Bretagne. Zuerst wollte ich nach einigen Wochen so schnell wie möglich wieder nach Paris zurückkommen, weil ich dachte, ich würde keinen Monat überleben. Diese Zeit war sehr anstrengend. In Paris war es leicht, mal für eine Woche keine Arbeit zu haben, denn es ergaben sich immer wieder kleinere Sachen mit denen man Geld verdienen konnte. Aber in den kleinen Dörfern Frankreichs sah das alles anders aus. Ich war glücklich, wenn ich einige Tage bei einem Bauern auf der Weide arbeiten durfte, als Gegenleistung konnte ich im Stall übernachten und mit der Familie zu Abend essen.

Sobald es jedoch keine Arbeit mehr für mich gab, musste ich weiterziehen. Dann hatte ich tagelang nichts zu essen und musste im Freien übernachten.

Dennoch vergaß ich nie mein eigentliches gesetztes Ziel, nämlich meine Mutter wiederzufinden.", Jean setzte kurz in seiner Erzählung ab und dachte wieder nach. In Aramis' und Athos' Augen entfachte kurz ein Hoffnungsschimmer, dass er wirklich seine Mutter wiedergefunden hatte.

Gerade als sie ihn ermutigen wollten, weiter zu sprechen, holte er wieder Luft "Durch Zufall begegnete ich eines Tages einem Edelmann in einem Gasthof, in welchem ich gerade arbeitete. Er wurde von einigen dunklen Gestalten bedrängt, sodass ich ihm zu Hilfe eilte und wir sie gemeinsam in die Flucht schlagen konnten. Wir kamen ins Gespräch und als ich ihn über meine derzeitige Situation aufklärte, bot er mir längerfristige Arbeit in seinem Hause an. So konnte ich zumindest erst einmal ein wenig Geld sammeln und hatte ein Dach über dem Kopf, was sich sehr anbot, da der Winter eingebrochen war und ich nicht wusste, wie lange ich denn noch in dem Gasthaus arbeiten konnte. Also ging ich mit ihm nach Aurillac im Süden Frankreichs. Es stellte sich bald heraus, dass Monsieur Gaston ein sehr gutmütiger Mensch war. Er lehrte mich richtig zu fechten und mich ordentlich zu verhalten. Ich beobachtete ihn dabei, wie er den Bettlern in der Stadt jedes Mal zwei Goldstücke gab, damit sie sich etwas zu essen kaufen konnten. Ich verehrte seine Güte, da es auf der Welt nicht mehr so viele Menschen von seiner Art gibt. In seinem Hause arbeitete ich hart, doch ich kam mir nie wie nur ein einfacher Angestellter vor. Gaston behandelte mich vielmehr wie einen Sohn. Eines Abends fragte er mich, ob ich denn sein Erbe sein wolle. Er meinte, mir könnte er sein Vermögen und seine Villa anvertrauen, da er davon überzeugt war, dass ich es richtig verwalten würde. Ich sagte zu ihm, dass es eine große Verantwortung wäre und ich nicht wüsste, ob ich dieser gewachsen wäre. Somit bat ich ihn um etwas Bedenkzeit."

Athos und Aramis fassten nicht, was sie da hörten. Nach der langen Zeit, die Jean in Armut in Paris verbracht hatte, wurde ihm nun endlich Glück zuteil, ein besseres Leben zu führen. Sie waren sehr von seiner Ehrlichkeit beeindruckt. Jean hätte sofort das Geld von Monsieur Gaston annehmen können, dennoch hatte er sich zurückgehalten. Athos und Aramis waren sich sicher, dass Jean ebenso viel Güte besaß, wie Gaston.

"Was war weiter geschehen?", unterbrach Aramis nun wieder die übermächtige Stille, sodass Jean seine Erlebnisse weiter schilderte "Als ich am nächsten Abend nach einem Ausritt zur Villa von Monsieur Gaston zurückkehrte, konnte ich bereits von weitem erkennen, dass das Haus in Brand gesteckt wurde. Vor den Flammen fand ich Gaston am Boden liegend und kaum noch bei Bewusstsein. Ich wusste, dass er sterben würde, als ich ihn in meine Arme nahm und letzte schwache Worte mit ihm wechselte. Die alten Feinde waren zurückgekommen und hatten alles zerstört. Gaston gestand mir in seinen letzten Atemzügen, dass er meine Mutter gekannt hatte und mich daher bei sich aufgenommen hat, da er mich auch so lange gesucht hatte. Er verriet mir, dass er in dem kleinen Stall, etwas abseits vom Haus, Geld in einem Beutel versteckt hatte. Er hatte geahnt, dass so etwas passieren würde. Außerdem befand sich noch ein Zettel in dem Beutel, auf dem ein Kloster in Vesoul (im Osten Frankreichs) geschrieben stand. Mein nächstes Ziel also war das Kloster. Dort erfuhr ich von den Nonnen, dass meine Mutter dort ihre letzten Tage verbracht hatte, bevor die Tuberkulose sie einholte und sie daran starb. Sie erzählten mir, dass sie durch die lange Verfolgung so schwer erkrankt war und sie leider überhaupt nichts mehr für sie tun konnten. Als ich an dem Grab meiner Mutter hinter dem Kloster stand, wusste ich, dass ich alles nur Gaston zu verdanken hatte. Denn ich hatte endlich meinen Frieden gefunden. Ich blieb noch einige Zeit im Kloster und half den Nonnen dabei, schwere Arbeiten an der Kirche zu vollbringen. Dafür lehrten sie mich einige spanische und englische Worte. Doch die Gemäuer waren schon sehr alt und begannen bereits zu verfallen, sodass ich bald einen Entschluss traf. Da ich sowieso nicht lange im Kloster bleiben konnte, verließ ich es in der Nacht und legte das Geld von Monsieur Gaston in die Kirche. Es war viel, was Gaston hinterlegt hatte, sodass die Kirche wieder in einen sehr guten Zustand hergestellt werden kann. Für mich war es nur ein kleiner Dank dafür, dass sich diese Frauen die letzten Tage im Leben meiner Mutter um sie gekümmert haben.", Jean sah Athos und Aramis wieder in die Augen und erkannte dabei, dass beide von dieser Tragödie sehr berührt waren. Sein Schmerz war inzwischen vorüber, aber auf ewig eingeschlossen in seinem Herzen, sodass er ihn nie vergessen würde. Dass er seine Geschichte nun erzählen konnte, überzeugte ihn davon, dass er mit seiner Vergangenheit nun leben kann. Eine depressive Stimmung lag in der Luft, die Jean keinesfalls hervorrufen wollte, schließlich sahen sich die drei nach neun Jahren wieder und das war doch eigentlich ein grund zum Feiern "Meine lieben Freunde, jeder Mensch hat eine Vergangenheit, die Schmerz in sich birgt. Doch dieser Schmerz macht jeden Einzelnen von uns stärker. Deshalb bin ich nach Paris zurückgekehrt. Ich möchte ein neues Leben beginnen...", er lächelte und die beiden Musketiere erkannten, wie sehr viel älter und reifer Jean geworden war.

Als dieser junge Mann vor ihnen stand, erinnerten sie sich irgendwie an ein Abbild D'Artagnans, als dieser mit siebzehn Jahren nach Paris gekommen war. Doch in den Augen von Jean konnte man sehen, dass er bereits viel erlebt hat. Dies war der große Unterschied zu D'Artagnan.

Jean war groß, schlank und kräftig geworden. Seine Haltung war gerade und fordernd und sein Gesichtsausdruck ließ nicht zu viel von seinen Gefühlen preisgeben. Athos und Aramis bewunderten seine Entwicklung zum Mann, in solch einem jungen Alter.

Auch Jean war gerade dabei, die beiden alten Freunde intensiver zu begutachten.

Während seiner Erzählung hatte sich Athos wieder in den Stuhl des Kapitanes gesetzt und die Hände unter seinem Kinn verschränkt, um sich darauf abzustützen. Diese Haltung ließ Jean an Monsieur de Tréville selbst zurückerinnern. Die schmalen Falten unter seinen Augen waren etwas tiefer geworden und die Schultern etwas breiter. Auch hatte er nicht nur wie früher einen Oberlippenbart, sondern nun auch einen kleinen Bartansatz am Kinn. Dies ließ ihn allgemein etwas reifer wirken und wahrscheinlich noch attraktiver auf Frauen. Seine Kleidung hatte sich auch etwas verändert. Sie war nun viel dunkler mit einem grünen Schimmer. Dies ließ Athos sehr edel wirken.

Aramis hingegen stand neben dem Schreibtisch in gewohnter Haltung. Aber Jean war sofort aufgefallen, dass ihre Gesichtszüge noch weiblicher geworden waren. Wurde denn ein Frau im zunehmenden Alter immer schöner? Er war sich nicht ganz sicher, aber bei Aramis schien es der Fall zu sein. Es wäre doch sehr verwunderlich, wenn die Männer in ihrer Umgebung nicht erkennen würden, dass Aramis eine Frau ist, aber scheinbar hat in all den Jahren immer noch keiner Verdacht geschöpft, denn sonst wäre Aramis sicher nicht mehr bei den Musketieren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fastcaranbethrem
2004-04-01T16:54:59+00:00 01.04.2004 18:54
spannend, spannend ... der schreibstil wird immer besser.
es liest sich wie ein guter song. man beginnt mit leisen piano- oder geigentönen, die stimme setzt ein - rauchig, melancolisch und geht in den refrain


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