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Ein mal eins

von

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Keiner der Beiden vermochte Augenblicke später zu sagen, was genau geschah. Wie es passierte.

Athos Lippen näherten sich Aramis Gesicht.
 

Vielleicht verlor er den Halt, vielleicht ergab sie sich der magischen Anziehungskraft seiner Augen.

Vielleicht verblüffte ihn die plötzliche Weiblichkeit im Gesicht des vermeintlichen Mannes und machte es ihm einfach nur zu leicht zu vergessen. Wahrscheinlich war sie ihm einfach nur verfallen und viel zu lange in der einsamen Gesellschaft ihres Versteckspiels gefangen. Vielleicht, vielleicht ...

Egal was und wie es geschah, aber beide Lippenpaare trafen sich.

Konnte es Verblüffung auf Athos Seite sein, die Sehnsucht bei Aramis, die ihre Lippen länger als eine Schrecksekunde auf einander verweilen ließ, - sanft und fordernd? Bei dem Einen Unverständnis hervorrufend, bei der Anderen elektrisierend?
 

Gleichzeitig öffnete seine Hand den Umhang und glitt auf der samtweichen Haut zum Dekollete hinunter. Aber die Hand spürte weder die festen Formen einer muskulösen Männerbrust, noch die haarlose Hühnerbrust eines Jünglings, sondern die weichen Formen einer Frau.
 

Wie ein abgeschossener Pfeil sprang Athos auf. Er hatte gehört, dass es solche Menschen gab. Eine Laune der Natur, - halb Mann, halb Frau. Aber das sein Freund wie sie war ... Oder hatte man ihn seiner Männlichkeit beraubt? Es hieß Kastraten bekamen weibliche Formen. In seinen Gesichtszügen spiegelte sich Entsetzten und Panik wieder, während er auf Aramis hinunter sah, die sich nicht einmal mehr sicher war, seine Hand wirklich auf dem Ansatz ihres Busens gespürt zu haben.

"Was bist du, Aramis?" rief Athos fassungslos. Seine Augen waren unnatürlich weit aufgerissen. "Ein Kastrat, ein Hermaphrodit, ... verdammt, wie kommst du an einen Busen?" Entsetzt sah er auf seine Hand nieder, die sie eben noch so sanft berührt hatte.

"DU WUSSTEST, DASS ICH DAS BIN?" Bei seinen Worten sprang auch Aramis auf oder versuchte es wenigstens, da sie sich in ihrem Umhang verfing und damit kämpfte, sich nicht selbst zu erdrosseln. Endlich stand sie ihm im halbwegs geordneten Zustand gegenüber und steigerte ihre Stimme zu einem lauten Streitgespräch. "Was heißt, ,was ich bin'? Hältst du mich für ein Monstrum, eine Missgeburt?"

"Dann sage mir, was du bist! Bis eben nahm ich noch an, du wärst ein ganz normaler Mann, aber kein ... kein UNMANN?" spie er aus. (Wir sprechen Athos hier keineswegs Integrität und Toleranz ab, aber wir befinden uns immerhin im 17. Jahrhundert und die Menschen hatten mit vielen Dingen zu kämpfen, die sie einfach nicht kannten und nicht verstanden.)

"Ich bin eine Frau", tobte sie.

"Eine Frau?", keuchte er überrascht und sah sie schreckliche Sekunden lang mit einem beängstigendem Erschrecken an. Seine Augen begannen vor Wut zu glühen. "Wie kannst du es wagen eine Frau zu sein? Du hast uns belogen, du hast Porthos belogen, den König, den Kapitän ... alle!"

Ihr Atem ging schwer. "Ich werde dich nicht um Erlaubnis fragen, für das was ich bin. Und wenn du nicht wusstest, dass ich eine Frau bin, warum hast du mich dann geküsst? Was sollte dieses Spielchen?"

"Das frage ich dich!", brüllte Athos zurück. "Und der Kuss war nicht beabsichtigt. ICH WÜRDE DICH DOCH NICHT KÜSSEN, WEIL ..."

"Weil was?" unterbrach sie ihn aufgebracht und sprang zurück, die Hände zu Fäusten geballt. "Weil ich so abnormal bin?"

"Hältst du dich etwa für normal?" fragte er schneidend. "Du spielst dich als Mann auf und lebst völlig unnatürlich. Herzlichen Glückwunsch! Das ist eine Leistung auf die du stolz sein kannst. Hat es dir Spaß gemacht, die gesamte Welt zum Narren zu halten? Gibt es noch mehr von dir?"

"Ja, wir treffen uns an jedem ersten Sonntag im Monat." Ihr Gesicht war ein Kaleidoskop aus Wut und Entsetzen. Rasend vor Zorn nahm Aramis ein Buch zur Hand und warf es Athos entgegen. Es verstand sich von selbst, dass sie ihn mitten auf die Stirn traf.

"ICH BIN NORMAL und nur die Ignoranz von Euch Männern treibt mich dazu. Und ich wiederhole: Du wusstest, dass nicht Celinè, sondern ich hier bin und du hieltest mich weiterhin für einen Mann? Und trotzdem hast du mich geküsst." Ihr Wutgekreische erinnerte ihn an einen pfeifenden Teekessel.

"Ich glaube, dass habe ich jetzt verstanden." Wutentbrannt hielt der sonst so ruhige Musketier sich die schmerzende Stirn. "Und ich wiederhole mich auch gerne wieder: ES WAR NICHT BEABSICHTIGT! Ich wollte dich nicht küssen, sondern dich nur reizen, damit du dieses Possenspiel aufgibst und nicht ich als Narr dastehe. Ich habe in dir immer nur einen Mann gesehen!" Er verzog in verwirrter Missbilligung sein Gesicht bei diesen Worten.

Die Farbe wich aus Aramis Gesicht. Für kurze Zeit erstarben alle Worte, dann seufzte sie tief und blickte mit einem Ausdruck schwerer Demütigung auf den Boden. Ja, dachte sie. Du hast mich immer nur als Mann und als Freund gesehen und jetzt habe ich selbst das verspielt. Sie ließ sich erschöpft auf die Chaiselongue fallen und saß dort stumm als zusammengesunkenes Häuflein Elend.

"Was soll dieses Versteckspiel?" Athos Stimme war wieder ruhig und beherrscht. Dabei ließ er offen, welche Heimlichkeit er meinte. Er hatte sich beruhigt und sah streng auf den blonden Kopf nieder. Teile der falschen Haarpracht hatten sich im Ungestüm der Aufregung gelöst. Sie waren nicht für hektische Kopfbewegungen geschaffen.

"Aramis?" Alarmierend beugte er sich zu ihr hinunter, als er merkte, dass sie sich krümmte und das aschfahle Gesicht grün anlief. Der Wein war mittlerweile angekommen und reagierte auf den durch Viren aus dem Gleichgewicht gebrachten Magen.
 

An die nächsten Minuten erinnerte sich Aramis, in der gesamten Peinlichkeit dieses verunglückten Abends, besonders ungern und mit besonders viel Rottönung im Gesicht. Was sie den gesamten Tag mit Mühe und Not zu verhindern wusste, kannte jetzt kein Halten mehr. Erbärmlich hing sie über einem in aller Eile herbeigeschafften Eimer und spuckte aus, was der Magen hergab. Wenigstens, und dies sah sie nicht wirklich als Trost, entband ihr Anfall sie vorerst von einer Erklärung.

Wenig später lag sie schwach, mit beizendem Magensäuregeschmack im Mund und sterbenselend ausgestreckt auf der Chaiselongue. Ihr Gesicht war tränennass, so sehr hatte sie das auf und ab ihres Magens angestrengt. Sie öffnete die schmerzenden Augen, als Athos ihr ein nasses Tuch auf die Stirn legte und sah ihn an. Sein Gesicht war ausdruckslos, aber sie wusste, dass er nach einer Erklärung verlangte, auch jetzt, - gerade jetzt. Lieber hätte Aramis Duelle mit der gesamten roten Garde des Kardinals ausgefochten, als hier und jetzt zu sein.

Athos sah auf das bleiche Gesicht nieder. Die zerlaufende Wimpernfarbe hatte hässliche Flecken hinterlassen. Von einem plötzlichen Gefühl der Fürsorge ergriffen, nahm er den Lappen und wischte die restliche Schminke fort. Ein bisschen mehr von der gewohnten Aramis kam zum Vorschein.

"Geht es wieder?"

Aramis nickte langsam. "Eigentlich müsste ich betrunken sein, aber ich glaube, dazu geht es mir zu dreckig", flüsterte sie mit belegter Stimme. "Danke, dass du meine Haare aus dem Gesicht gehalten hast."

Er lächelte. "Keine Ursache. Ich habe eigentlich nur deinen Kopf von meinem einzig guten Möbelstück weggedreht. Ich wollte mir das Sofa nicht versauen." Athos saß auf der Chaiselonguekante und hatte sich mit einer Hand abstützend über sie gebeugt. Er war so nah und doch so fern für sie. Sein Gesicht spiegelte nicht mehr das Entsetzen und die Wut von vorhin wieder. Die gewohnte Ruhe war wieder in die Züge ihres Freundes zurückgekehrt.

"Wirst du es jemandem sagen?"

Athos sah sie ernst an. "Ich denke nicht", antwortete er nach einer Weile. Er schüttelte den Kopf. "Nein, ganz sicher nicht, aber dir sollte klar sein, dass du gegen alle Gesetze verstößt. Niemand wird es billigen, wenn es herauskommt. Ich könnte nie verantworten, dich ihnen auszuliefern. Verbannung, Exkommunion durch die Kirche, Haft, Bestrafung oder gar Scheiterhaufen warten auf dich."

"Das weiß ich. Das habe ich auch gewusst, als ich von zu Hause weglief."

"Du hast alle betrogen."

"Betrogen ist ein hartes Wort", wisperte Aramis tonlos.

"Selbst Gottes Gebote brichst du."

"Gottes Gebote? Gottes Gebote verbieten auch zu morden und zu ehebrechen und doch tun es die Menschen. Gott hat andere Sorgen, als sich um mich zu kümmern." Sie wollte sich aufsetzten. Mehrere blonde Haarsträhnen fielen wirr in ihr Gesicht. Sanft drückte sie Athos auf das Polster zurück. Willenlos ließ sie es geschehen und schloss die Augen. Er beobachtete die junge Frau schweigend. Sein Blick glitt von ihrem Gesicht zu ihrem Körper und erinnerte sich, was sie in diese Situation gebracht hatte.

"Warum, Aramis?" Die blauen Augen sahen ihn matt an.

"Warum ich hier bin oder warum ich mich als Mann verkleide?"

"Beides! Warum du hier bist!"

Aramis sah aus halbgeöffneten Augen zu ihm auf. "Celinè möchte heiraten und ist überstürzt aus Paris abgereist. Übrigens soll ich dich ganz herzlich von ihr grüßen."

Athos musterte sie kurz von oben bis unten. "Warum?"

"Vermutlich weil sie dich doch mag?"

Er schnaubte verächtlich. "Warum du in diesem Aufzug hier bist?"

"Ich wollte vermeiden, dass dir das Herz unnötig gebrochen wird. Sie ging, ohne ein Wort zu sagen."

Zu ihrer Verwunderung lächelte der Musketier. "Ich war nicht in Celinè verliebt."

"Nicht?"

Er schüttelte den Kopf. "Nein, deine Sorge war unberechtigt."

"Ich nahm es an, weil ich dich bei ihr sah und du glücklich schienst."

"Begehren hat nicht unbedingt etwas mit Liebe zu tun."

"Das weiß ich."

"Wie konntest du nur auf die Idee kommen, dich als Celinè zu verkleiden?"

"ich brauche mich nicht als Celinè verkleiden", schnappte sie, sichtlich empört. Da war wieder die alte Aramis, ausgestattet mit Feuer und jener Art von Aggressivität, die aus Paranoia wächst. Ihre Stimme wurde kräftiger.

"Nicht?"

"Nein, sie sieht aus wie ich und ich sehe aus wie sie, einfach, weil wir Zwillinge sind. Identische Zwillinge. Das ändert sich auch nicht, nur weil du in mir keine Frau sehen kannst."

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Die Linien um den Mund wurden härter. "Du hast doch alles dafür getan, dass dich niemand als Frau siehst. Was erwartest du nach sechs Jahren Selbstbetrug. Soll ich dich als Frau sehen?"

Verunsichert sah sie Athos an. "Nein ... nein, nicht, wenn es alles zwischen uns verschlechtern würde." Dabei ließ sie aus, welche Verbesserungen sie sich erhoffte, wenn Athos ihr etwas Gegenteiliges beschied.

"Was passiert jetzt mit uns?" Unsicher sah sie zu ihm auf. "Wird alles wie früher sein?"

"Ganz sicher nicht", wandte Athos ein. "Es wäre von Vorteil, wenn du mir erklären würdest, warum das alles? Ich denke, ich habe eine Erklärung verdient. Ich werde allmählich zum Meister der Geduld, nicht wahr?"

"Eindeutig. Ich habe schon immer deine enorme Selbstbeherrschung bewundert."

Sein Blick wandte sich zu dem knisternden Feuer im Kamin. Rot leckten die Flammen an den Holzscheiten. Unsicherheit und Verwirrung nahmen den sonst ziemlich klar sehenden Geist von D'Trevilles bestem Musketier in Anspruch. Er war Ratlos, ein Gefühl, dass ihn sonst kaum heimsuchte. "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich von dir halten soll. Bis jetzt fühlte ich mich immer noch verraten. Ich meine, sechs gemeinsame Jahre als Kollegen und Freunde liegen hinter uns, und doch wussten Porthos und ich nichts von dir. Vielleicht solltest du mir erklären, warum du lügst und dich verstellst, Aramis!" Seufzend sah Athos auf die liegende Gestalt. "Auf jeden Fall wäre es von Vorteil, wenn du mir zuhören und nicht einschlafen würdest."
 

Er entnahm einer Truhe eine Decke, um sie über die schlafende Gestalt zu legen. Dann zog er einen Stuhl heran und setzte sich daneben. Das linke Bein auf das rechte Knie stützend, die Arme vor der Brust verschränkt. Aramis schlief fest. Der Atem ging gleichmäßig und die roten Flecken in ihrem Gesicht verblassten. Schweigend betrachtete er sie. Ihr Gesicht wirkte weicher und verletzlicher, wenn sie schlief. Es war, als würde er seinen Freund zum ersten Mal richtig sehen. Seine Augen fuhren über die hohe Stirn, die hellen Brauen, den dunklen Schatten unter den Augenlidern, den Nasenrücken, zu der Kinnfurche unter dem Lippenbogen. Wie konnte er sich nur derart schwer täuschen? Alle die vielen Jahre lang? Er war nun wirklich kein unbedarfter, nichtswissender junger Mann. Er hätte es sehen müssen. Genügend Anzeichen waren da gewesen. Vielleicht sollte er wirklich an seiner Wahrnehmung zweifeln. Immerhin bemerkte er nicht einmal, dass beide Frauen Zwillinge waren. Zu seiner Verteidigung wusste er nur anzuführen, dass beide Schwestern von zu unterschiedlichem Wesen waren. Die eine oberflächlich und seicht. Celinè war unwirklich gewesen. Sie hatte gerade genügend Wirklichkeit besessen, um zu existieren. Aramis war stark und couragiert und so wirklich, dass es sie dauernd in wirkliche Schwierigkeiten brachte.

Vor einer Stunde hätte es Athos nicht für möglich gehalten, dass er die Nacht auf einem wackligen Stuhl verbringen würde. Er selbst konnte es kaum glauben. Wenn wirklich Celinè gekommen wäre, dann säße er jetzt bestimmt nicht auf einem harten Stuhl sondern ..., jedenfalls säße er dann nicht auf einem harten Stuhl, soviel stand fest. Ihm fiel ein, dass er ja in sein Bett gehen konnte. Und als wollte sich ein Übel zu dem nächsten gesellen, bekam er noch Kopfschmerzen. Langsam ging er in Richtung Schlafzimmer, zog sich aus, schlug die Decke zurück und kroch in die kühlen Lacken, um während andere schliefen schlaflos sechs Jahre zu überdenken. Dort hockte er schließlich, während der Mond sein kaltes Licht in den Raum warf. Ein Urteil, wie seine zukünftige Beziehung zu Aramis aussah, erlaubte Athos sich nicht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Kitty
2005-04-16T18:57:08+00:00 16.04.2005 20:57
Juhu sie haben sich geküsst *rumhüpf*
Und dann dieser Zoff, wahnsinnig gut hingekriegt! *daumen hoch*
Von: abgemeldet
2004-03-23T09:06:36+00:00 23.03.2004 10:06
Also ganz ehrlich, als ich die erste Seite von diesem Kapitel gelesen habe, dachte ich, ich würde in einen Fernsehr schauen, so sehr hat mich dein Ausdruck überzeugt, dass ich dachte, ich würde den beiden wahrhaftig bei dem Streit zuschauen... Wow, das muss man erstmal hinbekommen ;o)
Freu mich auf das nächste Kapitel :o)
LG Krisi
Von:  Kajuschka
2004-03-22T18:33:37+00:00 22.03.2004 19:33
Ich kann nicht viel dazu sagen. Du hast wieder mal bewiesen, dass du einfach genial schreiben kannst. Auch wenn ich mich wiederhole, weiter so...
Von:  Tach
2004-03-22T16:53:58+00:00 22.03.2004 17:53
Tja, Klasse wie immer, kann man nix zu sagen ^^. Mir fehlen ernsthaft die Worte, und ich hab auch keine wirklich Idee, wies weitergehen soll...*am Kopf kratz* Jedenfalls ham se sich schön gezofft XD.
Ich überleg mir morgen was und dann schreib ichs dir ^^V


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