Zum Inhalt der Seite

Ein mal eins

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

(9 log 3) -1,294

Die Wochen vergingen und diesmal vergingen sie wirklich. Die Tage flogen dahin und bald folgte ein Monat dem anderen. Es waren quälende Tage, wenn Aramis daran dachte, bei wem Athos nach Dienstschluss seine Zeit verbrachte. In einer Stadt wie Paris, auch wenn sie zu Aramis Zeit nur ein Drittel des heutigen Paris maß, war es nicht schwer ihrer Schwester aus dem Weg zu gehen. Athos selbst sprach nie über seine Beziehung zu Celinè, aber die Abendstunden, die er mit seinen Freunden verbrachte waren bedauernswert gering. Die Vorstellung ihn bei ihr zu wissen, schmerzte tiefer, als Aramis sich eingestehen wollte. Sie brauchte nur Athos Lächeln morgens zu sehen, und sie spie Gift und Galle, gleichzeitig hasste sie sich dafür. (Wenn man es genau sah, war Athos Lächeln kein anderes als sonst, still, in sich ruhend, freundlich, aber es hätte ja mit Celinè zu tun haben können und dieses "hätte" raubte Aramis den Schlaf.)

Vielleicht gehörte es einfach zu ihren Eigenschaften dazu, heiß und lodernd wie eine Stichflamme zu lieben. Immer waren Leidenschaften bis zum äußersten Grad nicht mehr den Willensfähigkeiten der Menschen untertan. Ihre Entscheidungen gehörten nicht mehr zu den bewussten Handlungen ihres Lebens. Ansonsten hätte sich Aramis nie als Mann verkleidet in Paris wiedergefunden. Jemand mit ihren Wesenszügen musste einfach handeln und sich über alle Verbote und Schranken des Lebens hinwegsetzen. Und genauso musste es einfach geschehen, dass sie sich wieder verliebte und mit einer Kraft liebte, die wie ein Sturm über ihr Seelenleben hereinbrach.

Aramis hatte schon vor langer Zeit begonnen, die Gefühle, die sie verwirrten und aus der Fassung brachten zu verdrängen und tief in sich einzuschließen. Denn sich zu verraten und Athos ihre Liebe zu gestehen, würde sie niemals tun. Sie würde nichts gewinnen, aber alles verlieren.
 

Unauffällig lockerte Bischof Thénadier den steifen Kragen seiner Robe und rückte die schweren Amtsketten zurecht, bevor er die Kanzel betrat und seinen Blick über seine fürstlichen Schäfchen schweifen ließ. Die riesigen Goldleuchter tauchten den Altar in weiches Licht. Die Morgensonne warf ihre Strahlen durch die hohen, mit Buntglas verzierten Fenster, in das Mittelschiff. In den ersten Sitzreihen saß der König mit seiner Familie. In seiner unmittelbaren Nähe seine rote Eminenz, Kardinal Richelieu, hinter ihnen teilte sich der Hochadel bis zum hintersten Drittel auf, dort stand der Kleinadel und scharrte ungeduldig mit den Füßen. Gespräche und Lachen verklangen. Die Sonntagspredigt in Notre Dame begann. Gelegentliches Räuspern, verlegenes Hüsteln, verstecktes Gähnen, das Rascheln von Kleidung durchbrach das monotone Latein des Bischofs. Ansonsten lauschte die Gemeinde andächtig, in einer Zeit da der Glaube an Gott auch mit Angst und Schrecken verbunden war, den Ausführungen ihres Predigers.

Aufmerksam die königliche Familie im Augen behaltend und doch nahezu unsichtbar im Schatten des äußeren Säulengangs standen die Musketiere seiner Majestät und wachten über ihren weltlichen Hirten.

"Ist alles in Ordnung mit dir, Aramis? Dein Gesicht ist ziemlich weiß." Athos sah seinen Kollegen verstohlen an.

"Mit meinem Magen stimmt etwas nicht." Dieser machte sich gerade schmerzhaft bemerkbar und das beunruhigende Rotieren der Magensäfte hallte viel zu laut durch die andächtige Stille der Kirche.

"Solltest du nicht einen Arzt aufsuchen?" bemerkte Athos besorgt. Aramis Gesichtsfarbe erbleichte noch ein wenig mehr. Ein Arzt würde das Ende ihrer Existenz als Mann und damit als Musketier bedeuten. Eine Arztkonsultation war die schlimmste Krankheit, die sie sich zuziehen konnte. In diesem Fall konnte sie gleich selbst die Fackel ihres Scheiterhaufens in den Händen halten und das todbringende Reisig entzünden.

"Ich traue keinem Arzt", zischte sie zurück. "Bevor man es sich versieht hängen fünf von ihnen an deinem Handgelenk und lassen dich zur Ader, während der Rest sich mit einer Egelkolonie auf deinem Rücken zu schaffen macht, um dich zu schröpfen. Zum Schluss stirbst du an Blutmangel und sie holen sich deine Hinterlassenschaft, um ihr immenses Honorar zu bezahlen. Oh, nein, nicht mit mir."

"Sind das nicht ziemlich veraltete Vorstellungen?"

"Nein! Das nennt sich Überlebenswille und nun möchte ich nichts mehr darüber hören."

"Meine Freunde", mischte sich Porthos ein, der bisher mit den Gedanken woanders weilte. "Wie wäre es, wenn wir zur Mittagspause das "Grand Vachenoir" aufsuchen. Sie sollen einen köstlichen Hasenbraten dort haben. Ich kann den Duft schon riechen." Er stutzte, als sein Kollege zu würgen begann.

"Sprich nicht von Essen, Porthos. Aramis Gesicht nimmt eine leicht grünliche Färbung an, " meinte Athos.

"Was denn?" Beleidigt drehte sich Porthos weg und begann, nach Außen ganz die Haltung eines wachsamen Musketiers wahrend, vom Essen zu träumen. Ruhe kehrte in den Reihen der Musketiere ein. Der Segensspruch näherte sich.

"Bist du glücklich, Athos?" Aramis hatte sich lange zu dieser Frage durchringen müssen. Erstaunt über den plötzlichen Themenwechsel sah Athos sie an.

"Ja. Amen."

"Amen."

Er überlegte. "Deine Cousine ist bezaubernd, wenn du darauf hinaus wolltest." Aramis nickte, während ihre Augen weiterhin den König im Blick behielten. Ach, Athos, dachte sie betrübt. So schlau, so welterfahren und doch so dumm. Sind alle Männer zu dem Irrglauben verdammt, eine Frau sei gut und aufrichtig, nur weil sie schön und jung ist? Siehst du nicht Celinè's wahres Wesen? Aber du siehst ja auch mich nicht, obwohl wir seit 6 Jahren befreundet sind. Du siehst mich nicht, obwohl wir so viele Stunden miteinander verbringen, zusammen reden, zusammen lachen. An manchen Tagen schreit alles in mir danach, es dir in dein Gesicht zu schreien.
 

Aramis lief durch die Straßen. Ihr Magen rumorte noch immer. Zum Glück war sie in der Lage ihr Essen bei sich zu behalten, aber der bloße Gedanke an zusätzliche Nahrungsaufnahme ließ eine neue Übelkeitswelle aufsteigen. Sie war auf der Suche nach einem Apotheker. Egal ob diese behaupteten, es wäre die neue Wundertinktur schlechthin und doch nur ein Präparat aus Kräutern, die in jedem Kräutergarten einer Hausfrau zu finden waren. Hauptsache es half.

Genau dieses versuchte ihr eine halbe Stunde später ein dürrer Greis mit gelblicher Gesichtsfarbe zu verkaufen. Seine Kleidung verströmte einen penetranten Geruch nach Schwefel und Kräutern. Die langen Finger mit den schwarzen Fingernagelrändern krallten sich um einen Glasflakon. Das absolute Heilmittel gegen jegliche Arten von Krankheit und Leid.

"Gewonnen aus dem Öl einer seltenen Pflanze aus dem Orient."

"Ja, da bin ich mir absolut sicher, " erwiderte Aramis und schaffte es mühsam, den Sarkasmus aus ihrer Stimme zu bannen. "Und Jungfrauen- und Drachenblut und der Zehnagel unseres Heilands." Die dunklen Augen im Faltengespinst sahen sie alarmiert an. Ängstlich bekreuzigte er sich, drückte Aramis den Flakon in die Hand und bugsierte sie zur Tür hinaus, natürlich nicht ohne vorher ihr Geld genommen zu haben. Bei Geld hörte der Aberglauben auf. (Aberglauben ist eine nicht zu unterschätzende Macht. Tausende von Männern und Frauen wurden als Hexen verurteilt und verbrannt, weil der Verstand der Menschen Untertan des Aberglaubens war. Nicht umsonst fürchtete Aramis ihn.)

Unvermittelt auf die Straße geworfen, setzte sie ihren Weg fort. Sie war noch nicht lange unterwegs, als sie in der Ferne ihre Schwester sah. Innerlich stöhnte sie auf. Paris war doch nicht groß genug für sie beide. Neben Celinè trat ein junger Mann auf die Straße und legte seinen Arm zutraulich um deren Taille. Beide bewegten sich auf eine große Reisekutsche zu. Gepäckstücke stapelten sich auf dem Wagendach. Neugierig geworden trat Aramis näher heran. "Celinè?" Erschrocken wirbelte ihre Schwester herum und erstarrte. Das war doch lächerlich. Andere Familienmitglieder fielen sich vor Zuneigung um den Hals und ihrer Schwester quellten vor Schreck jedes Mal die Augäpfel aus den Höhlen, wenn sie sie erblickte.

"Mach den Mund zu, Celinè! Ich möchte ja gar nichts von dir."

"Verzeihung", mischte sich der junge Mann ein. Ihm war anzusehen, dass er aus gutem Hause stammte. Der lange schlanke Körper steckte in teuren Gewändern der neuesten Mode.

"Seid Ihr der Bruder von Mademoiselle Celinè?" Er verbeugte sich galant. "Darf ich mich vorstellen, ich bin Graf de Guise." Ein Guise, dachte Aramis. Das erklärte die schwächlichen Gesichtzüge, welche von einem adligen Stammbaum zeugten, der sich durch zuviel Inzucht fortgepflanzt hatte. Schielte er etwa?

"Ich möchte die Erlaubnis einholen, Mademoiselle Celinè ehelichen zu dürfen." Der Graf wartete, dann rückte er schließlich näher an seine Braut heran und raunte: "Meine Liebe, ist dein Bruder geistig beeinträchtig? Er glotzt mich nur mit diesem weit geöffneten Mund an."

"Das ist nicht mein Bruder", erwiderte Celinè erbost. "Ein Vetter vierten Grades und ja, er hat als Kind einen schlimmen Unfall erlitten ... Ihr wisst." Celinè tippte sich wegweisend mit dem Zeigefinger an die Schläfe. "Entschuldigt uns bitte!"

Sie zog Aramis beiseite. "Was machst du hier. Du wolltest dich doch fernhalten!"

"Was machst du hier, Celinè?"

"Das siehst du doch. Ich reise ab", erklärte sie, als sei es das natürlichste der Welt.

"Und was ist mit Athos?"

"Mit Athos? Was soll mit Athos sein", zischte sie. "Er ist ein einfacher Musketier und das ist ein de Guise. Keiner aus der Hauptlinie, aber ein de Guise. Ein Adelsgeschlecht, das der königlichen Familie angehört. Und er will mich heiraten, also verhalte dich ja still und steh mir nicht im Weg herum!"

"So einfach ist das?"

Celinè lachte leise und verächtlich. "Ja, natürlich du Dummerchen. Eine de Herblay geht in die Linie der de Guise ein. Ich werde eine Gräfin sein. Spiel du nur weiter dein widernatürliches Spiel. Höchstwahrscheinlich landest du auf dem Scheiterhaufen, aber tu mir den Gefallen und stirb anonym. Jetzt entschuldige mich. Wir reisen ab!" Sand wirbelte auf, als sich die riesigen Wagenräder in Bewegung setzten und Aramis in einer Wolke aus Staub zurückließen.

"Richte Athos bitte meine allerherzlichsten Grüße aus!" Celinè winkte aus der davon rollenden Kutsche ihrer qualvoll hustenden Schwester zu. Der dunkle Wagen bog um die Ecke und verschwand aus der Sicht.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (5)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kitty
2005-04-16T18:37:46+00:00 16.04.2005 20:37
Wah, du kannst so toll beschreiben! *schwärm* Das mit der Kirche, wahnsinn! Also diese Celine ist ja sowas von unsympathisch *schüttel* *löl* dat soll ja wohl so sein, nech? XD
Von:  Kajuschka
2004-03-02T16:29:17+00:00 02.03.2004 17:29
Wie bei deinen anderen Fanfics auch schön und mitreißend geschrieben. Bitte mehr...
Von: abgemeldet
2004-03-02T12:52:52+00:00 02.03.2004 13:52
Na Anne,
bei dir muss Aramis immer leiden, oder? XD Also sie kann ja schon mal nicht schwanger sein, also muss es ja wirklich was ernsthaftes sein... Da merkt man schon wieder, dass du etwas vorhast, was wir aber bestimmt wiederrum überhaupt nicht erwarten... Also, ich freu mich auf dein nächstes Kaput :o)
LG Krisi
Von:  Tach
2004-02-29T20:00:58+00:00 29.02.2004 21:00
Und mir sagt natürlich wieder mal keiner Bescheid >_< *heul* An mir geht echt alles vorbei....

Wie auch immer, die Spannung steigt ins unermessliche...*auf Fingern rumkau* ich muss ja sagen, Celine is wirklich selten unsympathisch o.O. das is dir gut gelungen XD. und ich mag den Stil der Geschichte irgendwie, aber ich vermisse son bischen den Humor. Der is diesmal recht rar gesät. Aber sonst, genial wie immer ^^V
Von: abgemeldet
2004-02-28T15:04:53+00:00 28.02.2004 16:04
Meine Güte, schon der dritte Teil. Bist du im Moment in einer äußerst kreativen Phase? Jedenfalls bin ich schon gespannt wie es weitergeht.


Zurück