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Die Suche nach dem Korallenschloß

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Tsü-Zse, die Schöne

In einem Dorf in der Nähe des Meeres lebte ein alter Fischer mit seiner Tochter. Schon als Kind war das Mädchen von außerordentlicher Schönheit gewesen, doch als sie erwachsen war, drang der Ruhm ihrer Schönheit in alle Welt und aus dem ganzen Lande kamen die jungen Männer, um um ihre Hand anzuhalten. Man sprach sogar davon, daß der Kaiser selbst sie zu seiner Konkubine machen wollte.
 

Das Mädchen, das Tsü-Zse genannt wurde, was 'Mondkind' bedeutet (und selbst dieser Name wurde ihrer Schönheit kaum gerecht), war jedoch nicht nur schön wie der Mond, sie war auch stolz: keiner der Freier konnte ihr Herz gewinnen. Er mochte zu Fuß oder auf einem edlen Pferd daherkommen, egal, ob er in geflickte Lumpen oder in prächtige Seide gekleidet war, sie wies jeden ab. Die Schönsten würdigte sie keines Blickes, die Wortgewandtesten stießen bei ihr auf taube Ohren und auch jene, die sie durch ihre Klugheit und Geschicklichkeit zu beeindrucken suchten, beachtete sie nicht.
 

Einem jeden, der in das kleine Dorf in der Nähe des Meeres kam, um Tsü-Zse's Gunst zu erlangen, stellte sie drei Aufgaben, doch jedermann verzweifelte daran, denn es schien ihnen unmöglich, sie zu lösen, und bald sprach sich herum, was die stolze Schöne von denjenigen forderte, die sie zur Gattin begehrten:
 

- die erste Aufgabe war, zwanzig armlange Schwanzfedern von den großen Möwen zu holen, die in Scharen über Menschen und Pferde herzufallen pflegten,

- die zweite Aufgabe war, in den ertraglosen Muschelbänken vor der Küste zwanzig kirschgroße, makellose Perlen zu finden und

- die dritte Aufgabe war, zwanzig goldene Schuppen von dem Haupt eines Drachens zu bringen.
 

Keiner der vielen hundert Freier hatte es bisher fertiggebracht, auch nur eine der Aufgaben zur Zufriedenheit Tsü-Zse's zu lösen. Viele versuchten ihr Glück mit Hilfe von allerlei Zaubersprüchen, die sie sich für viel Geld von Zauberern hatten beibringen lassen, die aus dem Verlangen der Jünglinge nach Tsü-Zse ihr Kapital schlugen. Andere versuchten, die schöne Stolze zu täuschen, indem sie in der Residenzstadt lange Möwenfedern und ebenso kirschgroße Perlen kauften und sich von Goldschmieden 'Drachenschuppen' anfertigen ließen, doch Tsü-Zse durchschaute jeden Schwindel, und der einzige Lohn dieser Männer war der Spott ihrer noch nicht geprüften Rivalen, die ihre eigene Vorgehensweise für die klügere hielten.
 

*
 

An einem regnerischen Tag kam ein sehr vornehm gekleideter junger Mann des Weges und fragte den alten Fischer, der vor der Tür seiner Hütte, unter deren vorspringendem Dach im Trockenen saß und ein Netz flickte (selbst fuhr der Alte nicht mehr aufs Meer hinaus, aber mit solcher Arbeit verdiente er sich das tägliche Brot für seine stolze Tochter und sich selbst), nach der nächsten Herberge.
 

"Oh, Herr, die ist noch weit und bei diesem Wetter sollte niemand unterwegs sein. Die Straße ist kaum mehr als eine große Schlammpfütze und Ihr habt kein Reittier. Kommt herein, trocknet Eure nassen Sachen an meinem Feuer und trinkt eine Schale Tee. Ihr könnt hier essen und zur Nacht wird Euch ein bequemes Lager bereitet", sagte da der Alte, legte seine Arbeit aus der Hand und öffnete, sich tief verneigend, weit die Tür seiner kleinen Hütte, in der er mit seiner Tochter lebte.
 

Da in der Residenzstadt gerade die Neujahrsfeierlichkeiten begangen wurden, waren zur Zeit keine Freier in dem kleinen Dorf, die sich um Tsü-Zse's Gunst bemühten, und so war auch die kleine Hütte, bis auf die Schlafstätten von Vater und Tochter, den offenen Herd und den schon etwas wackeligen Tisch, der in der Mitte des Raumes stand, leer. An anderen Tagen stapelten sich auf diesem Tisch und auf den einfach gezimmerten Hockern die Geschenke der von weit her angereisten Heiratslustigen, die ihr Glück bei Tsü-Zse versuchen wollten, und überall standen Diener mit randvoll gefüllten Kästen und Körben. Heute jedoch war allein Tsü-Zse in der Hütte, sie saß am Feuer und bereitete das Essen für ihren Vater, und eine fette Katze räkelte sich dicht neben dem Steinblock, auf dem eine große Kanne Tee warmgehalten wurde.
 

Als Tsü-Zse hörte, daß die Hüttentür geöffnet wurde, drehte sie sich um und erblickte den jungen Mann, und der junge Mann erblickte Tsü-Zse und war bezaubert von ihrer Anmut, trotz ihrer offensichtlichen Armut. Der alte Fischer führte seinen Gast an den Tisch, nahm ihm den nassen Mantel und die Stiefel ab, die er zum Trocknen in die Nähe des Feuers brachte, dann bot er dem jungen Mann eine große Schale Tee an, während er selbst mit einer wesentlich geringeren Menge vorlieb nahm. Und als der vornehme Gast seine Hände an der Teeschale wärmte und, Schlückchen für Schlückchen das heiße Getränk schlürfend, über den Rand des Gefäßes jede Bewegung der schönen stolzen Tochter des alten Fischers verfolgte, sagte dieser:
 

"Mein Herr, das ist meine Tochter Tsü-Zse. Im ganzen Land wird sie für ihre Schönheit gerühmt, doch sie ist so stolz, daß keiner ihr als Gatte genügt, nicht einmal die Edelsten der Residenzstadt und die Fürstensöhne fremder Länder. Sie hat geschworen, daß sie erst dann einem Mann als Gattin folgen wird, wenn dieser die drei Aufgaben gelöst hat, die sie jedem Bewerber stellt... doch wann wird das geschehen? Und da ihr Stolz auch nicht zuläßt, die Geschenke der abgewiesenen Freier anzunehmen, leben wir bis dahin im Elend, wo sie doch Konkubine des Kaisers sein könnte... und stellt Euch vor, ein Bettler, ein Tagedieb, löst die Aufgaben, dann ist es einer mehr, den ich mit meiner alten Hände Arbeit versorgen muß." Dann sah der Alte seinen vornehmen Gast aufmerksam an und dachte bei sich: 'Seine Gewänder sind außerordentlich prunkvoll, sein Aussehen makellos und seine Manieren tadellos. Sicher ist er der Sohn einer wichtigen Persönlichkeit', und er sagte zu dem jungen Mann: "Ihr würdet mir als Schwiegersohn gefallen, denn ganz offensichtlich seid Ihr aus einer wohlhabenden Familie und Eure gute Erziehung zeigt sich darin, daß Ihr ohne Murren und ohne ein Anzeichen von Langeweile mein langes Lamentieren ertragen habt."
 

Da lachte der junge Mann fröhlich. "Ihr langweilt mich keineswegs, alter Mann. Ich höre mit Wohlgefallen, daß ich in Euren Augen Eurer Tochter würdig bin, denn ich bin bezaubert von ihrer unvergleichlichen Schönheit, neben der der Schein des vollen Mondes verblaßt. Nichts wäre mir lieber, als sie als meine Gemahlin in das Haus meiner Eltern zu führen und Euch als meinen Schwiegervater reich zu beschenken." Und dann fragte er Tsü-Zse: "Was sind das für Aufgaben, die Ihr den Männern zu stellen pflegt, die Euch für sich gewinnen wollen?"
 

Da kam Tsü-Zse mit dem Essen vom Herd zum Tisch herüber und sagte mit stolz erhobenem Kopf: "Als erstes bringt mir zwanzig armlange Schwanzfedern von den großen silbernen Möwen, die in den Klippen hausen. Als zweites bringt mir zwanzig kirschgroße Perlen von den Muschelbänken vor der Küste, und als drittes bringt mir zwanzig goldene Schuppen von dem Haupt eines Drachens. Und denkt daran: nicht mein Vater bestimmt, wer mich zur Frau nimmt, sondern ich allein, und ich sage: nur wer diese drei Aufgaben zu meiner vollen Zufriedenheit löst, wird mein Gemahl."
 

Der junge Mann grinste breit und sagte: "Wenn das alles ist, was Ihr fordert, warum seid Ihr dann nicht längst verheiratet? Morgen früh werde ich Euch das Gewünschte bringen."
 

* * *
 



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