Zum Inhalt der Seite

Der Schatzsucher

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

„Dem Herzog seine Schatzkammer wurde ausgeraubt? Ist das dein Ernst?“

„Trink doch erst mal einen mit mir. Du wirst sehen, nach zwei Krug Mahakamer Met wird der Auftrag ganz anders aussehen.“

„Und wie kommt es, dass mir ausgerechnet ein Zwerg den Auftrag eines Menschenherzogs schmackhaft machen will?“

Besagter Zwerg, er hatte sich als Yany Vivaldi und Cousin dritten Grades von Vimme Vivaldi vorgestellt, wies auf einen freien Tisch in der Taverne. Geralt brummte, folgte ihm aber und setzte sich dem Zwerg gegenüber.

„Also?“

„He, Wirt! Zwei Mahakamer Met!“, brüllte Yany durch den Schankraum, und drehte sich dann wieder zu Geralt um. „Du musst wissen, mein Cousin Vimme hat mir so viel von dir erzählt.“

„Dich hat er nie erwähnt“, erwiderte Geralt.

„Ja? Seltsam, da werde ich wohl mal ein ernstes Wort mit ihm reden müssen.“

Der Met wurde serviert und die Bedienung beachtete die beiden nicht weiter. Yany nahm einen Schluck, Geralt ließ seinen Krug vorerst unangetastet.

„Also, kommen wir zum Geschäftlichen. Dieser Auftrag, musst du wissen, hängt schon seit einigen Wochen aus. Bisher haben sich alle die Zähne an ihm ausgebissen, egal, ob Glücksritter, Schatzsucher oder die Männer des Herzogs selbst. Man erzählt sich, nicht einmal der Chefspion des Herzogs habe eine Spur finden können.“

Geralt blieb skeptisch. Die ganze Geschichte hatte für ihn einen faden Beigeschmack, schon seit der Zwerg sich vorgestellt hatte. Das Äußere erinnerte zwar entfernt an Vimme Vivaldi, aber irgendwas sagte dem Hexer, dass er hier vorsichtig sein musste.

„Ich nehme an, du erwartest so etwas wie eine Vermittlungsgebühr für den Auftrag?“, fragte er.

Yany lehnte sich zurück und seine Mundwinkel zogen sich nach oben.

„Du hast es erfasst, Hexer! 40 Prozent erscheinen mir angemessen.“

„Hah, du erwartest, dass ich die ganze Drecksarbeit mache, durch die Gosse krieche und gegen Kriminelle und wer weiß was noch kämpfe und du willst 40 Prozent nur dafür, dass du die Ausschreibung vom Anschlagbrett genommen und mir gebracht hast?“, konterte Geralt.

„Jeder weiß doch, dass ihr Hexer nicht so gut im Verhandeln seid, lass mich das beim Herzog übernehmen.“

Geralt verschränkte die Arme.

„Zehn Prozent“, bot er an.

„Was? Du willst mich wohl auf den Arm nehmen!“

Yany sprang von der Bank auf. Der Hexer verzog keine Mine.

„35 Prozent!“

„Hah!“

Geralt zog die Augenbrauen hoch und schob sich zum Ende seiner Sitzbank.

„Wo willst du denn hin?“, fragte Yany.

„Plötze füttern und mich dann auf’s Ohr hauen. Der Tag morgen wird lang.“

„Na schön, dann eben 30 Prozent!“

Die anderen Tavernengäste drehten sich schon alle nach Geralt und dem Zwerg um. Yany war ja leider auch nicht zu überhören. Geralt drehte sich zu ihm um und bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, ihm nach draußen zu folgen. Als Yany bei Plötze zu ihm aufgeschlossen hatte, drehte sich der Hexer um.

„Du solltest da drin nicht so laut herum krakeelen, hat dir Vimme gar nichts beigebracht?“

Yany hatte so viel Anstand, sich am Hinterkopf zu kratzen.

„Also was sagst du zu 30 Prozent?“

„Ich bin bereit, mich auf 15 zu verständigen.“

„Fünfzehn!“, fuhr der Zwerg empört auf, blickte sich dann aber schnell um, um zu prüfen, ob ihn jemand gehört hat. Hier draußen war zum Glück weniger los als in der Taverne. „Damit komme ich ja nicht mal bis nach Ban Glean.“

Geralt zog eine Augenbraue hoch und machte sich dann an seinem Sattel zu schaffen. Plötze schnaubte missbilligend, knabberte aber weiterhin am Heu.

„Ich bin bereit, mich mit 20 Prozent einverstanden zu erklären. Aber danach will ich nie wieder was hören.“

Yany senkte den Kopf und spielte mit seinem Bart. Ob die Demut echt oder gespielt war, war dem Hexer egal. Er schwieg.

„Einverstanden“, meinte Yany schließlich.

„Gut. Und eins noch, nach diesem Auftrag will ich dich nie wieder sehen.“

Der Zwerg schluckte, sagte aber nichts. Geralt nahm seine Satteltasche.

„Dann bis morgen, Yany“, meinte der Hexer und verschwand wieder in der Herberge.
 

„Ein Dieb, der durch Wände gehen kann?“, fragte Geralt.

Der Hexer war mit seinem Zwergenpartner zur Burg des Herzogs geritten. Nachdem Yany die Belohnung halbwegs erfolgreich nach oben gehandelt und Geralt dem Ganzen zugestimmt hatte, hatte der Herzog sie gebeten, sich das Problem aus nächster Nähe anzuschauen.

Jetzt standen sie in der Schatzkammer des Herzogs. Kahle Wände, recht schmucklose, zum Teil ziemlich abgewetzte Kommoden, deren Schubladen allesamt offen standen. Nicht mal ein Teppich zierte die kleine Kammer, in der der Herzog laut eigener Aussage zuvor im Reichtum schwimmen konnte. Der Hexer hatte da so seine Zweifel, aber er ließ sich nichts anmerken. Yany hatte nur ungläubig von einer Ecke in die nächste geschaut und zwei Schubladen näher inspiziert. Er ließ sich so leicht beeindrucken. 

„Und euer Hofzauberer hat definitiv keine Spuren eines Portals finden können?“

Der Herzog sah ihn nur streng an.

„Seine Durchlaucht wiederholt sich nicht“, erklärte der ebenfalls anwesende Kammerdiener.

Geralt indes hörte gar nicht richtig hin. Er war von den vielen kleinen Tapser irritiert, die den kleinen Raum übersäten. Gerade einmal so groß wie seine Daumenkuppe, bedeckten sie jedoch in einem gleichmäßigen Teppich die wenigen Quadratmeter Boden. Selbst an der Wand waren einige Spuren sichtbar. Das Muster wurde nur von einigen großen Klecksen unterbrochen, die Geralt als die Fußstapfen der kürzlich hier anwesenden erwachsenen Männer identifizierte.

„Und sonst wurde nichts gestohlen? Keine juwelenbesetzte Kette ihrer Durchlaucht, der Herzogin?“

„Nein. Der Schmuck ihrer Durchlaucht wurde ebenfalls hier aufbewahrt.“

Geralt zog eine Augenbraue hoch. Die wohlhabenden Damen, die er so kannte, wollten ihr Geschmeide immer in ihrer Nähe wissen. Da waren die adligen Damen gar nicht so anders als Yennefer oder Triss. Der Hexer wandte sich wieder der Eichentür zu, die der Kammerdiener zuvor schnaufend aufgeschoben hatte.

„Das ist ein ziemlich schweres Schloss“, meinte Geralt.

„Sonderanfertigung der Zwerge von Mahakam.“

Yany kam von der Kommode heran, bei der er gedankenverloren in den Raum gestarrt hatte. Der Zwerg hatte das Schloss bereits zuvor in Augenschein genommen, aber nicht viel feststellen können. Und auch Geralt hatte keine Hinweise gefunden, dass sich jemand widerrechtlich an dem schweren Eisen zu schaffen gemacht hätte. Keine Kratzspuren, kein abgesplittertes Holz an den Stellen, an denen das Schloss im Holz eingelassen war, nichts, was auf ein Stemmeisen hindeutete.

„Und ihr tragt den Schlüssel jederzeit um euren Hals?“

„Zu jeder Zeit“, bestätigte der Diener. „Selbst während dem Bad.“

Der Herzog räusperte sich leicht. Geralt verzichtete darauf, noch mal nachzufragen. Wahrscheinlich hatte der Herzog den Schlüssel auch zum Klogang dabei. Nicht einmal seiner Ehefrau würde er diesen anvertrauen, dass jemand den Schlüssel kopiert hat, schloss er aus.

Der Hexer setzte seine Sinne wieder ein, um das Schloss unter die Lupe zu nehmen. Auch hier zeigten sich die merkwürdig kleinen Tapser. An der Außenseite vom Gang senkrecht nach oben, an der Innenseite senkrecht nach unten in die Schatzkammer hinein. In der Schatzkammer verlor sich die Spur schnell unter den vielen anderen Tapsern. Von der Gangseite her führte sie jedoch einige Schritt weg.

„Ich muss mich in der Burg umsehen.“

„Habt ihr etwa schon eine heiße Spur?“, fragte der Herzog aufgeregt.

Der Adlige hatte bisher wenig gesprochen, Geralt schätzte, dass er es einfach als unter seiner Würde betrachtete, mit dem Hexer direkt zu sprechen. Ein Verhalten, das viele vom Hochadel an den Tag legten. Fast vermisste er Emhyr var Emreis, den Kaiser von Nilfgaard, der sich nicht zu schade war, sich die Zähne an Geralt auszubeißen.

„Heiß würde ich sie nicht nennen. Sie ist nur äußerst seltsam“, erklärte er. „Je nachdem, wo die Spur hinführt, muss ich möglicherweise die Gemächer ihrer Durchlaucht betreten.“

Der Herzog sah ihn nun äußerst streng an.

„Welche Spur habt ihr denn?“

„Eine, die ich nur mit meinen geschärften Hexersinnen wahrnehmen kann.“

Herzog und Kammerdiener sahen zum Zwerg, aber Yany schüttelte nur den Kopf.

„Ich hab am Schloss nichts Außergewöhnliches feststellen können, außer dass es von einem der sieben großen Meister von Mahakam stammt. Engrasch Eisenbart, er macht die Besten, wenngleich Einfachsten.“

„Mein Kammerdiener wird euch begleiten. Und zwei Wachen.“

Geralt nickte nur lahm. Als ob er sich jemals an die Ehefrau eines Adeligen herangemacht hätte. Wenn die Herzogin nur halb so alt war, wie ihr Mann aussah, hatte sie nicht viel von dem Hexer zu befürchten.

Der Herzog schlurfte davon. Geralt wartete, bis er um die Ecke gebogen war und fing dann wieder an, die unmittelbare Umgebung vor der Schatzkammer zu begutachten. Sowohl Kammerdiener als auch die zwei Wachen ließen ihn nicht aus dem Blick. Der Hexer seufzte innerlich. Sein Plan war eigentlich, den Kammerdiener mit Axii so stark zu verwirren, dass er ihm alles gestand, was er vom Tatzeitpunkt wusste. Mit zwei Soldaten im Schlepptau wurde das jedoch schwierig.

So beschränkte er sich darauf, seine Hexersinne zu nutzen, um aus dieser steten Spur tapsiger kleiner Abdrücke schlau zu werden, die in den unverwechselbaren Schlangenlinien eines Besoffenen von der Tür der Schatzkammer wegführte. Kammerdiener, Zwerg und Soldaten folgten ihm im Gänsemarsch.
 

Geralt stand von herzoglichen Wachen umzingelt in deren Aufenthaltsraum. Anstatt in die Gemächer der Herzogin hatte die Tapserspur den Hexer zurück ins Erdgeschoss und dann quer über den Burghof geführt. Neugierige Blicke waren ihm und seinen Begleitern gefolgt, als sie im Trakt für die Soldaten unweit des Burgtores verschwanden. Einige Soldaten, die gerade dienstfrei hatten, hatten ihr Kartenspiel beiseitegelegt, um den Hexer in Aktion zu sehen. Der war schnurstracks in einem von zwei Schlafsälen verschwunden. Hier hatte der Dieb scheinbar gewütet.

„Ein Glück für euch, dass der Herzog eine ordentliche Belohnung ausgeschrieben hat.“

Die Umstehenden brummelten, der Kammerdiener räusperte sich.

„Oder hab ich was übersehen?“, fragte Geralt niemand bestimmten.

„Wir gehen bei dem Dieb mittlerweile von einem Serientäter aus. Die Schatzkammer seiner Durchlaucht hat er natürlich als Erstes ausgeräumt.“

„Vermutlich, weil dort am meisten zu holen war“, kommentierte der Hexer sarkastisch.

„Bei uns hat der Mistkerl erst vor zwei Tagen zugeschlagen“, warf einer der Soldaten ein.

„Aber dass ein Dieb unterwegs war, wusstet ihr doch, oder?“

„Natürlich. Keiner der Soldaten hat seine wenigen Grywen noch aus den Augen gelassen, jeder hat jedem misstraut.“

„Und vermutlich hat auch jeder seine wenigen Münzen beim Scheißen dabei gehabt ...“, überlegte Geralt.

„Häh?“

Yany sah peinlich berührt drein.

„Die meisten hatten sie in einer Geldkatze am Körper getragen, seit der Herzog ausgeraubt worden war. Sogar beim Schlafen haben sie sie nicht aus den Augen gelassen.“

„Ich hätte niemals was anderes erwartet. Trotzdem muss der Dieb ja an die wenigen Münzen herangekommenn sein.“

Der Auftrag gestaltete sich für Geralt immer mysteriöser. Einen einfachen Beutelschneider hätten die Soldaten längst selbst hops genommen, schließlich hing ihr Sold von der gut gefüllten Schatzkammer des Herzogs ab. Dass sie noch nicht längst desertiert sind, wunderte Geralt trotzdem etwas. Aber da sie mittlerweile selbst alle ausgeraubt worden waren, blieb ihnen sonst nur ein Leben als Gesetzlose auf der Straße.

„Und jetzt sorgt der Herzog mit seinem guten Namen für einen Kredit beim örtlichen Zwergenbankier, um euch mit Verpflegung und Unterkunft bei sich zu behalten.“

„Seine Durchlaucht!“

„Natürlich, seine Durchlaucht ...“

„Seine Durchlaucht ist eine höchst ehrenwerte Persönlichkeit“, bestätigte einer der Soldaten.

„Trotzdem! Wenn der Dieb nicht bald geschnappt wird, bin ich hier weg“, maulte einer in der zweiten Reihe.

„Donald! Du schon wieder, wenn ich dich noch mal so sprechen höre, erfährt der Herzog davon!“, raunzte ein anderer.

Der Kammerdiener verzog nur die Augen.

„Gut, ich glaube, hier habe ich genug gesehen“, meinte Geralt.

Überraschtes Gemurmel erhob sich.

„Aber du hast doch noch gar nichts untersucht?“, fragte einer verwirrt.

„Ach. Also der Dieb hat euch eure Schätze unter der Nase weggestohlen, und ich soll jetzt genau nachsehen, ob ich irgendwelche Spuren finde? An euch vielleicht? Wären die Herren denn bereit, alles bis auf die Unterhosen auszuziehen?“

„Geraaaalt ... Du vergisst, dass mein Name hier auch auf dem Spiel steht.“

Der Hexer brummte nur.

„Ich sag euch, wie der Dieb reingekommen ist. Durch die Tür, als diese offen stand.“

„Hah! Glaubst du etwa, wir sind komplett blöd? Die Tür ist in der Regel geschlossen, nur zum Wachwechsel wird sie geöffnet. Uns wär aufgefallen, wenn sich ein Unbefugter Zutritt verschafft hätte.“

„Nur dass dieser Unbefugter kein Mensch ist.“

Geralt kämpfte sich aus der Menge hervor und blieb zwei Meter vor der Tür zum Schlafsaal stehen. Er ging in die Hocke und legte die Hände ineinander.

Die Spur an Tapsern, die zielgerichtet herein und wieder heraus geführt hatte, war hier sogar noch deutlicher zu erkennen, als in der Schatzkammer. Die Kreatur, die sicher nicht größer als eine Katze war, hatte sich am Türrahmen vorbei gedrückt und dann zunächst an der Wand gehalten. Dumm war es nicht, denn die Tapser sammelten sich vor allem in den dunklen Ecken, die das Licht der Feuerschalen und Kerzenständer nicht erreichte. Nur hier und da war der kleine Dieb aus seinem Versteck hervor gekommen, immer dann vermutlich, wenn Soldaten in einen tiefen Schlaf gefallen waren und sich auch sonst nichts rührte.

Trotzdem stand Geralt vor einem Rätsel. Er hatte keinen blassen Schimmer, um was für ein Wesen es sich handelte. Was war so klein wie eine Katze, lief auf vier Pfoten und schaffte es, eine bis zum Rand gefüllte, herzogliche Schatzkammer auszurauben?

Als Yany ihm in der Taverne von dem Diebstahl und dem damit zusammenhängenden Auftrag erzählt hatte, hatte Geralt auf einen Doppler getippt. Den Auftrag hätte er mit links lösen, den Spuren des Dopplers bis zu dessen Unterschlupf folgen, ihn stellen und bei der Gelegenheit den Schatz sicherstellen. Der Hexer hätte ohne großen Aufwand einen ordentlichen Batzen verdienen und dann weiterziehen können. 

Gegen diese Theorie sprach, dass Doppler von Natur aus ehrliche Häute waren, die nur ihr Leben zu leben versuchten. In seiner ganzen Zeit als Hexer war Geralt bisher nur ein krimineller Doppler untergekommen, und der hatte auch nur Gemüse von einem Markt in Novigrad gestohlen, um Anderlinge damit zu versorgen. Ein nachvollziehbares Verbrechen, das aus Güte und Mitgefühl begangen worden war. Geralt hatte ihn laufen lassen.

Die winzigen Pfotenabdrücke in der Schatzkammer hatten den Hexer eines Besseren belehrt. Ein Doppler konnte nicht der Täter sein, denn die konnten sich nur in etwas verwandeln, was von Körpergröße und Masse her ähnlich war. Ein gut beleibter Doppler konnte einen durchtrainierten Soldaten, der ihn um ein oder zwei Köpfe an Größe überragte, problemlos kopieren. Doch auf die Größe einer Katze zusammenschrumpfen konnte keiner von ihnen.

Jedenfalls hatte Geralt noch nie von einem gehört. Er stand wieder auf.

„Wie jetzt, kein Mensch?“, fragte Yany.

Der Zwerg hatte die meiste Zeit über geschwiegen, seit die Verhandlungen über die Belohnung zu einem erfreulichen Ergebnis gekommen waren. Geralt war überrascht, in ihm doch so einen angenehmen Partner gefunden zu haben. Rittersporn hätte jeden von Geralts Schritten kommentiert. Oder alternativ wäre er mit dem nächsten Rockzipfel verschwunden.

Jetzt rückten Zwerg, Kammerdiener und Soldaten dem Hexer wieder auf die Pelle. Er drehte sich zu ihnen um und hielt die Hände vor sich.

„Euer Dieb ist in etwa so groß, nicht größer als eine Katze. Eher kleiner.“

„Und weißt du, was es ist?“

Trotz dass sie ausgeraubt worden waren, hatten die Soldaten leuchtende Augen. Ob sie einfach nur furchtbar gespannt ob der gleich folgenden Offenbarung des Hexers waren oder ihr Adrenalin aufgrund der Aussicht auf Rache hochkochte, wusste Geralt nicht. Aber er musste es ihnen sagen.

„Ehrlich, ich habe keine Ahnung, was euch und den Herzog bestohlen hat.“

Aufgebrachtes Raunen ging durch die Menge, einer rief „Scharlatan“ im Hintergrund.

„Meine Herren, was soll denn seine Durchlaucht denken? Der Hexer hat sich sicherlich nur versprochen“, versuchte der Kammerdiener, die wütenden Soldaten zu besänftigen. Vergeblich.

Geralt griff nach Yanys Unterarm und zog ihn sicherheitshalber zu sich.

„RUHE!!“, brüllte jemand hinter Geralt und der Zwerg zuckte zusammen.

Die Soldaten wurden still.

„Feldwebel Garfield, gut, dass Ihr da seid!“, begrüßte der Kammerdiener den Neuankömmling und drückte sich in dessen Richtung.

„Was ist hier los?“

„Der Schwindler hier behauptet, er weiß nicht, wer der Dieb ist.“

Feldwebel Garfield sah mit hochrotem Kopf zu Geralt.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich den Dieb nicht finden kann. Ich weiß nur nicht, um welches Wesen es sich handelt.“

Die Zähne des Feldwebels mahlten, der Dieb hatte ihn also auch erwischt. Aber als Feldwebel konnte sich Garfield schließlich nicht anmerken lassen, wie wütend er war. Er musste professionell bleiben.

„Dann sieh zu, dass du diesen Gauner findest. Je früher, desto besser. Nicht mal die Huren lassen uns noch ran, wenn du verstehst ...“

„Mhm. Ich muss nur noch die Betten untersuchen.“

„Die Betten? Welche Betten?“

„Die von den Soldaten, die ausgeraubt wurden. Der Dieb hat immer gewartet, bis einer fest schlief und ihm dann den Beutel ausgeglaubt.“

Wie zur Bestätigung brummten einige überrascht.

„Darf ich?“

Erst verzögert machten die Soldaten Platz, damit der Hexer sich einige der Betten genauer ansehen konnte.

„Wirklich ordentlich!“, kommentierte er die sauber zusammengefalteten Decken und aufgeschlagenen Kissen, auch wenn es nur die billigsten Billigvarianten waren.

„Nur ein ordentlicher Soldat hat das Zeug dazu, ein guter Soldat zu sein. Das ist meine Devise“, erklärte Feldwebel Garfield. „Die Männer müssen begreifen, dass sie nur dann zu einem hervorragenden Soldaten taugen, wenn sie ihre Ausrüstung stets ordentlich halten, und ...“

„Danke, ich habe verstanden!“

Geralt inspizierte das erste Bett erst gründlich, bevor er die Decke vorsichtig auseinanderfaltete. Der Soldat, der hier schlief, hatte schon seit etwa zwei Tagen nicht mehr gebadet. Neben dem vergleichsweise strengen Schweißgeruch konnte er nichts weiter feststellen. Der Hexer trat einen Schritt zurück.

„Willst du das nicht wieder zusammenfalten?“, fragte einer entrüstet.

„Nein? Bin ja kein Soldat und es ist auch nicht mein Bett.“

Der Mann brummte wütend.

Der Hexer ging zur nächsten Schlafstatt.  Hier war der Soldat nicht ganz so ordentlich, das Kissen lag schief am Kopfende und hatte getrocknete Flecken. Der Mann, der hier schlief, sabberte nachts wohl genüsslich vor sich hin. Wie zuvor nahm Geralt die Decke vorsichtig auseinander.

„Toni, was ist das denn?“, meinte Feldwebel Garfield entrüstet.

„Da ist doch nichts!“

„Man muss schon blind sein, um das nicht zu sehen, Toni, also wirklich!“

„Oder zu riechen. Ich empfehle, sich vor dem Schlafen gehen noch mal zu erleichtern.“

Geralt legte die Decke mit spitzen Fingern wieder zurück. Dann ließ er seinen Blick mit seinen Hexersinnen durch den Raum schweifen.

„Ah, hier könnte ich fündig werden.“

Er ging einmal über den Gang, der die eine Seite mit Bettreihen von der anderen trennte und begutachtete wieder ein Bett.

„Hier ist einer nachts wohl besonders aktiv, kann das sein?“

„Steffen wälzt sich ständig herum, das hatte er schon immer.“

Das Bett war entsprechend durchgelegen, doch das war weniger, was den Hexer stutzen ließ. Steffen war offensichtlich ein sehr reinlicher Soldat, zumindest hatte er innerhalb des vergangenen Tages gebadet. Über den Seifengeruch hinweg konnte Geralt einen Duft aufschnappen, den er so gar nicht kannte. Es musste ein Tier sein, roch aber weder nach Hund noch nach Katze. Und andere Tiere verirrten sich in der Regel nicht in Gebäude.

Geralt suchte das Bett gründlich ab und wurde schließlich fündig, als er ein paar tiefschwarzer und sehr kurzer Haare fand. Er schnüffelte daran und wieder raunten die Soldaten hinter ihm. Feldwebel Garfield räusperte sich, schaute dann aber ganz interessiert, als der Hexer seine Errungenschaft hochhielt.

„Das sind n paar Haare von ner Katze“, kommentierte Yany.

„Nein. Katzen haben längere Haare. Ihr könnt eurem Steffen dankbar sein, wegen seiner nächtlichen Aktivität hat er dem Dieb wohl ein paar Haare aus dem Fell abspenstig gemacht.“

„Und damit kannst du den Dieb finden?“, fragte Feldwebel Garfield.

„Ja. Ich wollte mich gerade auf den Weg machen“, meinte Geralt.

Erleichtertes Seufzen schwappte ihm entgegen. Selbst der immer noch anwesende Kammerdiener wirkte, als wär ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Yany grinste selbstsicher von einem Ohr zum anderen, er witterte wohl schon das große Gold.

„Worauf wartest du dann noch?“, fragte Feldwebel Garfield barsch. „Ab mit dir auf die Jagd, auf dass ich heute Abend wieder was zum Knödeln hab.“

Der Hexer ließ sich mit seinem Begleiter nach draußen scheuchen. Geralt kannte solch ein Verhalten schon, Yany noch nicht. Sie gingen zu Plötze und Yanys Pony hinüber. Schließlich schloss der Kammerdiener zu ihnen auf und räusperte sich.

„Ihr habt ein Händchen dafür, euch Freunde zu machen.“

„Warum? Ach, ich weiß schon. Die liebe Ordnung und so.“

„Also, wohin wollt Ihr als Nächstes?“

„Hier in der Burg habe ich alles gesehen. Ich bezweifle, dass der Dieb so dumm ist, sein Versteck innerhalb der Mauern zu haben. Ich möchte den Bereich außerhalb der Burg untersuchen.“

Der Kammerdiener sah erleichtert drein.

„Ich werde seine Durchlaucht unterrichten.“

Geralt nickte nur und sah dem Mann hinterher, als dieser sich eiligen Schrittes trollte. 

„Man man man, das läuft ja wie am Schnürchen.“

„Freu dich nicht zu früh. Noch hab ich den Dieb oder sein Versteck ja nicht aufgespürt. Komm, lass uns die Pferde satteln und dann nach draußen.“

Yany schlurfte hinter Geralt her.
 

„Geralt, wonach suchen wir jetzt eigentlich genau?“, tadelte Yany.

Sie hatten sich vom Acker gemacht und Geralt stocherte jetzt in der näheren Umgebung um die Burgmauer im Unterholz herum, um eine neue Spur zu finden.

„Sagte ich doch schon, nach etwas, das nicht größer als eine Katze ist und zumindest zum Teil kurzes, schwarzes Fell hat.“

„Du weißt schon, dass das auf ziemlich viele Tiere zutrifft, oder?“

„Auf welche denn so?“

„Na ja, auf Ratten, Katzen, kleine Hunde und ... man Geralt, hast du das eigentlich grad absichtlich gefragt?“

„Nein Yany, ich wollte dich nur beschäftigt halten, während ich weiter zwischen Brombeersträuchern herumkrieche.“

Der Zwerg brummte genüsslich, während er sein Pony am Zügel hinter Geralt her führte. Plötze streunte unweit herum und nippte mal hier am Gras, mal da an einem Halm. Der Hexer seinerseits schnüffelte immer wieder in der Luft.

„Maulwürfe sind übrigens auch schwarz, nur für denn Fall, dass du nie einen ausgebuddelt hast.“

Geralt drehte sich ruckartig zu dem Zwerg um, was diesen einen spitzen Schrei entlockte.

„Maulwurf? Ernsthaft?“

„Ja. Jetzt sag bloß, das weißt du nicht.“

„Nein, Maulwürfe gehören nicht zu dem, was Hexer üblicherweise jagen. Aber jetzt, wo du mich drauf bringst ... Die Fußspuren, die überall in der Burg verteilt sind, passen gut zu der Größe eines Maulwurfs.“

„Fußspuren? Wo hast du denn bitte Fußspuren gefunden? Ich hab gar nichts gesehen!“

„Hexersinne, schon vergessen?“

„Ach stimmt ja, die berühmt berüchtigten Hexersinne. Und wie funktionieren die, wenn ich fragen darf. Oder ist das vielleicht geheim?“

„Ja, geheim. Es hängt damit zusammen, wie Hexer erschaffen wurden, aber glaub mir, so genau willst du das gar nicht wissen.“

Yany brummte.

„Also suchen wir jetzt einen Maulwurf?“

„So in der Art. Denk dran, es hat nur die Körpergröße eines Maulwurfs, von der Form her ist es aber vielleicht ganz anders.“

„Toll, ein Maulwurf! Ich hätte meine Spitzhacke mitbringen sollen.“

Geralt machte sich wieder auf die Suche. Yany malte ein denkbar schlechtes Szenario an die Wand. Wenn der Dieb tatsächlich irgendwo einen Bau hatte, würde der Eingang zu diesem vermutlich ziemlich klein sein. Wenn es sich nicht sowieso gerade direkt im Boden unter ihnen von hier nach dort grub. Er musste einfach weiter suchen und hoffen, dass ihr kleiner Dieb etwas anders gestrickt war als der gemeine Gartenmaulwurf. Wenn er Pech hatte, musste er listig vor dem Eingang hocken und warten, bis sich etwas tat. Wie eine Katze vor einem Mauseloch.

Überhaupt, Maulwürfe. Geralt konnte sich nicht daran erinnern, in seiner Zeit als Hexer jemals Jagd auf Maulwürfe gemacht zu haben. Nicht einmal als Novizen hatten sie welche ausgegraben, obwohl im Burgfried von Kaer Morhen zahlreiche Maulwurfhügel zu sehen waren. Vesemir hatte sie immer nur dazu verdonnert, sie platt zu treten oder abzutragen, wenn es nicht anders ging.

„Immerhin müssen wir keiner Schlange hinterherjagen. Oder einer Spinne. Das wär eklig. Geralt, hast du schon mal Spinnen gejagt? ... Geralt?“

„Hier drüben!“

„Dieser Hexer ...“

Yany führte sein Pony um eine Felsformation herum. Wie Geralt es geschafft hatte, sich unbemerkt so weit zu entfernen, war ihm ein Rätsel. Er schloss zu ihm auf.

„Hast du was gefunden?“

„Nein, leider nicht. Ich begreif’s einfach nicht. Wir sind jetzt fast einmal um die Burg herum gewandert. Die einzige Stelle, die wir ausgelassen haben, war die Hauptstraße Richtung Stadt. Irgendwas hätte ich auf jeden Fall finden müssen. Dass der kleine Dieb die Soldaten ausgeraubt hat, liegt zeitlich nicht so lange zurück, als dass sich jede Fährte mittlerweile aufgelöst haben kann. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.“

„Und wenn wir noch bei der Hauptstraße schauen? Dann haben wir immerhin überall gesucht.“

„Und wenn wir da auch nichts finden?“

Der Zwerg stemmte die Hände in die Hüften.

„Du bist ja richtig niedergeschlagen.“

Geralt brummte und stieß dann einen Pfiff aus. Plötze kam über Umwege zu ihnen.

„Komm, wir müssen eh in die Stadt und uns eine Herberge suchen. Ich will nicht hier draußen sein, wenn’s dunkel wird.“

„Ich hatte eigentlich vor, hier draußen zu übernachten“, meinte der Hexer.

„Ernsthaft?“

„Ernsthaft. Ich hab nicht mehr so viel auf der Kante, musst du wissen.“

Yany kratzte sich am Hinterkopf.

„Hör mal, Kumpel. Geht mir ähnlich, wenn ich über meine Finanzen nachdenke. Aber ich hätte lieber gerne eine dicke Mauer zwischen mir und der Wildnis, wenn du verstehst. Wer weiß, was hier nachts so herumstreunt.“

„Vor allem Nekker und Moderhäute, würde ich meinen. Bei dem kleinen See hinten hab‘ ich auch ein paar Ertrunkene gesehen und ein Wasserweib ist da meist auch nicht fern.“

„Noch ein Grund mehr, dass wir uns beeilen.“

„Na gut, aber Gasthaus ist nicht. Ich werde mir irgendwo einen Dachboden suchen.“

Eine halbe Stunde später saßen sie im Gasthaus, das proppenvoll war, zwei Krug Kaedwen Gold vor sich. Der Wirt hatte Yany unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er Anderlinge nicht beherbergte. Nur Geralts Anwesenheit hatte den Mann davon abgehalten, den Zwerg hinauszuwerfen. Yany war der einzige Anderling im Gasthaus und wenn es nach dem Hexer ging, würde das auch nicht mehr für lange Zeit so sein. Yany hatte selbst eingesehen, dass ein Dachboden wohl die bessere Option sei. Betrübt sah er in seinen Bierkrug, den er kaum angerührt hatte.

„Ich frage mich, wie ein Zwergenbankier es geschafft hat, hier Fuß zu fassen“, meinte Geralt.

Er behielt die anderen Gäste im Auge. Immer wieder warf ihnen jemand einen verstohlenen Blick zu. Yany brummte nur.

„Überleg doch mal, in einer Kleinstadt wie dieser?“

Er erhielt keine Antwort. Geralt konnte es seinem Begleiter nicht verdenken. Er konzentrierte sich auf die Gespräche um ihn herum, die sich viel um das bisher recht schlechte Wetter drehten. Ungewöhnlich für die nördlichen Königreiche, dass es über Wochen hinweg nicht geregnet hat. Wenn das so weiterging, schätzte Geralt, würden die Leute hier mit einer Dürre zu kämpfen haben. Kein Wunder, dass die Gemüter hochkochten.

Der Hexer wollte sich gerade auf die Gespräche in einem anderen Teil des Schankraums fokussieren, als sein Medaillon vibrierte. Ruckartig riss er den Kopf herum, konnte aber nichts feststellen, was den Anschein von Magie erweckt haben könnte. Dann sah er blitzartig unter den Tisch, an dem sie saßen. Das schreckte Yany aus seinem Wachtraum.

„Geralt?“, fragte er besorgt.

„Ich dachte, ich hätte was gespürt.“

Er sah sich noch einmal im Raum um, aber das Gefühl von anwesender Magie war verflogen. Sein Medaillon vibrierte nicht mehr.

„Wir sollten besser gehen“, meinte er schließlich, nahm einen großen Zug von seinem Bier und stand dann auf.

Das ließ sich Yany nicht zweimal sagen. Er nahm ebenfalls noch mal einen Schluck und nahm dann seine Sachen zusammen.

„Scheiße“, raunte er dann.

„Was ist?“

Yany sah Geralt überrascht ins Gesicht.

„Mein Geld ist weg.“

Der Hexer kapierte sofort, was der Zwerg meinte.

„Scheiße!“

Yany durchsuchte seine Sachen noch mal, aber sein wenig Erspartes tauchte nicht wieder auf.

„Das gibt’s doch nicht!“, meinte er aufgebracht.

Wieder schauten einige Gäste zu ihnen hin. Geralt nahm den Zwerg sanft am Oberarm und schob ihn Richtung Ausgang. Yany ließ sich führen und sie schoben sich zwischen den anderen Tavernenbesuchern hindurch zum Ausgang. Draußen schwappte ihnen kühle Luft entgegen.

„Ein Glück, dass uns der Wirt gleich am Anfang abkassiert hat. Stell dir nur vor ...“

Geralt brummte zustimmend. Es wäre mindestens in einer Tavernenschlägerei geendet.

„Aber was machen wir jetzt?“

„Uns von der Taverne wegbewegen. Du wirst ja sicher mitbekommen haben, dass die Stimmung drin ziemlich aufgeheizt ist.“

„Ja. Ist sie doch immer, wenn ein Zwerg da ist.“

„Hah! Ob du’s glaubst oder nicht, das lag nicht nur an dir. Aber komm erst mal mit.“

Sie überquerten die Straße, die nur von einigen wenigen Feuerschalen alle paar Meter erhellt wurde, und drückten sich dann unter das Vordach eines Hauseingangs, von dem aus sie die Taverne im Blick hatten, wo sie aber selbst nicht direkt entdeckt wurden.

„Das Wetter war bisher ziemlich schlecht, die Leute haben Angst vor einer Dürre und damit ausbleibender Ernte.“

„Toll, Yany, wo hast du dich da wieder reingeritten?“, tadelte sich der Zwerg. „Und da tauche ich auf und bin das Bauernopfer, das sie auf den Scheiterhaufen verbrennen wollen.“

„Noch nicht, aber wir sollten uns hier nicht länger aufhalten als nötig.“

„Vielleicht wäre die Wildnis doch ein besserer Übernachtungsort.“

„Ja? Aber dann hätte ich keine neue Spur bekommen. Immerhin hat der Dieb ein zweites Mal zugeschlagen.“

Yany brummte und kramte dann seine Geldkatze wieder hervor.

„Ich begreif’s nicht, da ist nicht mal ein Schnitt dran zu sehen! Wie ist das Biest an das Gold gekommen?“

Yany reichte Geralt die Geldkatze, aber auch der Hexer konnte nichts Ungewöhnliches feststellen, außer dass sie leer war. Dafür war sie mit einigen Tapsern behaftet, ein untrügliches Zeichen. Er gab sie wieder zurück.

„Wir haben es wohl mit einem äußerst geschickten Dieb zu tun, wenn er es schafft, einen nüchternen Zwerg um dessen Erspartes zu bringen, ohne dass dieser es merkt.“

Yany brummte. Geralt wandte sich wieder der Taverne zu und ging in die Hocke.

„Willst du jetzt die ganze Nacht wachbleiben und die Taverne im Auge behalten?“

„Nur so lange, bis ich etwas Merkwürdiges sehe. Du kannst dich ja solange zusammenrollen und versuchen, ein bisschen zu schlafen. Ich wecke dich dann.“

„Als ob ich jetzt schlafen könnte ...“

Trotzdem rollte er sich im Schatten zusammen.
 

Yany gähnte herzhaft, dann grunzte er.

„Verdammich! Hab ich schlecht geschlafen.“

„Ja? Hast aber die ganze Zeit geschnarcht.“

Der Zwerg riss die Augen auf. Geralt war gerade dabei, sich zu strecken und zu dehnen.

„Hast du etwa auch geschlafen?“, fragte er vorwurfsvoll.

Geralt sah verlegen drein.

„Oh man, ich hätte doch auf einen anderen warten sollen ...“

Sie standen noch immer unter dem Vordach, das sie gestern als ihren Versteckposten auserkoren hatten. Auf der Straße war schon geschäftiges Treiben, eine Dienstmagd kehrte den Bereich vor der Taverne. Nicht jeder der Gäste hatte es nach Hause geschafft, einer lag am Hauseck und schlief seinen Rausch aus.

„Weißt du, was ich merkwürdig finde?“

„Hm?“

„Die Leute haben zwar so ihre üblichen Probleme, aber niemand hier scheint Opfer eines Diebstahls geworden zu sein.“

„Woher weißt du das?“, fragte Yany und stand auf.

„Ich hab gestern in der Taverne versucht, etwas über unseren Fall herauszufinden. Während du Trübsal geblasen hast. Die Leute wissen zwar davon, dass der Herzog und einige Soldaten ausgeraubt wurden, aber niemand erzählt davon, dass er selbst oder ein Nachbar Opfer geworden sei. Findest du das nicht auch merkwürdig?“

Yany rieb sich die Augen und gähnte noch mal.

„Du meinst also, unser Dieb raubt nur die Reichen und Wohlhabenden aus?“

„Wohlhabend nicht zwingend, aber Leute, die für den Herzog arbeiten.“

„Geralt, du vergisst da noch jemanden.“

„Entschuldige. Yany, ich fürchte, du bist ein Gelegenheitsopfer geworden.“

„Danke Geralt, das muntert mich jetzt so richtig auf!“

„Jedenfalls, das ganze wirkt zu organisiert, als dass es Zufall sein könnte.“

„Du meinst, der Dieb ist vernunftbegabt?“

„Weiß nicht. Wenn der Dieb nicht selbst vernunftbegabt ist, dann steht womöglich jemand hinter ihm, der ihn anleitet.“

„Oh man, das wird ja alles ziemlich kompliziert“, meinte Yany.

„Du hast wohl das schnelle Gold gewittert. Aber es stimmt schon, dieser Auftrag ist anspruchsvoller als gewöhnliche Hexeraufträge.“

„Aha?“

„Sonst geht’s meist darum, irgendein Monster zur Strecke zu bringen. Als Schatzsucher betätige ich mich eher selten. Dieser Auftrag verlangt aber beides von mir.“

„Solange du ihn gelöst bekommst ...“

„Wir, Yany, du vergisst, dass du mein Partner bist.“

„Natürlich. Sag mal Geralt, würde es dir was ausmachen, wenn wir zu dem Zwergenbankier gehen?“

„Du willst einen Kredit aufnehmen?“

„Nur einen kleinen. Komplett ohne Münzen fühle ich mich so nackt. Und vielleicht gibt er mir ja einen günstigen, so von Zwerg zu Zwerg.“

Der Hexer brummte nur. Die winzige Spur, die er hatte, hatte er eh schon wieder verloren. Und vielleicht konnten sie bei dem Stadtzwerg etwas in Erfahrung bringen. Die Menschen hier waren ihnen gegenüber schon misstrauisch genug, da würden sich die wenigsten von ihnen befragen lassen. Gut möglich, dass ein anderer Zwerg offener war.

Yany hatte seine Sachen zusammen gepackt. Sie sammelten ihre Pferde ein und machten sich auf die Suche nach dem Bankier. Immer wieder warfen ihnen die Leute misstrauische Blicke zu, Kinder wurden vorsorglich in die Häuser geschickt und manch einer rief ihnen ein unflätiges Wort hinterher. Geralt hatte es hier wieder mit den besonders Mutigen zu tun, die schnell den Schwanz einziehen würden, wenn er sie direkt konfrontierte. Wenn er einfach nur vorbeiging, trauten sie sich was. Yany grummelte vor sich hin.

„Je eher wir hier wieder weg können, desto lieber ist’s mir“, murmelte er.

Sie kamen zu einem eher mäßig besuchten Markt, die Leute boten vor allem Töpfe, Holz- und Lederwaren feil. Ein Stand verkaufte Kräuter und Yanys Pony machte Anstalten, dort hin zu wollen.

„Neeeiiin, komm hier lang.“

Der Zwerg versuchte, es an dem Stand vorbei zu manövrieren, aber der Kräuterkundler warf ihm einen unmissverständlichen Blick zu. Geralt wirkte heimlich ein Axii-Zeichen und das Pony beruhigte sich wieder. Plötze schlurfte einfach weiter hinten drein, als wäre nichts gewesen.

„Wie peinlich. Geralt, wir sollten die Pferde ein Stück weiter anbinden.“

„Ist wohl besser so.“

Sie verließen den Markt auf der gegenüber liegenden Seite und banden ihre Reittiere an.

„Hast du gesehen? Das Bankhaus scheint an dem einen Hauseck des Marktes zu sein.“

„Ich hab über die Leute und die Stände hinweg nicht so viel gesehen.“

„Also gut, lass uns um den Markt herum gehen und das Bankhaus dann von der anderen Seite her aufsuchen.“

Als sie nach einer Weile ankamen, stellten sie fest, dass es verschlossen war.

„Seltsam, am helllichten Tag zu?“, wunderte sich Yany.

„So ist doch kein Zwergenbankier drauf, die, die ich kenne, sind sonst immer besonders geschäftigt. Bei dem hier brennen nur ein paar Kerzen, aber zu sehen ist sonst nichts.“

„An sich würde ich dir ja Recht geben, Geralt, aber vielleicht macht er einfach nur Besorgungen?“

„Ja? Und dass hier weit und breit keine Wachen zu sehen sind, kommt dir nicht merkwürdig vor?“

Yany kratzte sich am Bart.

„Ich meine, wenn er ein Bankier ist, der dem Herzog Kredit gibt, damit dieser die Soldaten bezahlen kann, müsste er ja einen großen Tresor haben.“

„Sollen wir warten?“, fragte der Zwerg.

„Lass uns erst einmal zum Hintereingang gehen und lauschen.“

„Man Geralt, die Leute werden wirklich noch denken, wir führen was im Schilde.“

„Dann sagen wir einfach, dass wir im Auftrag des Herzogs hier sind. Und außerdem ist Lauschen nicht gleich Lauschen.“

„Schon gut, schon gut, deine Hexersinne?“

Geralt nickte und sie gingen einmal um das Gebäude herum. Der Hexer lehnte sich an die Hauswand, verschränkte die Arme und tat so, als würde er die Leute auf der Straße beobachten. Yany versuchte, einen ähnlich unbeteiligten Eindruck zu erwecken, und sah die Straße immer wieder rauf und runter. So warteten sie etwa eine viertel Stunde. Der Zwerg war nicht der Geduldigste.

„Komm endlich her du Mistviech“, dröhnte es schließlich dumpf durch die Holztür.

Etwas fiel herab, danach knallte etwas und still war es wieder. Geralt nahm die Hände herab und sah zu Yany.

„Zuhause ist auf jeden Fall jemand.“

„Und auf jeden Fall nicht allein, wie es scheint. Sollten wir mal an der Ladentür schauen?“

Geralt antwortete zunächst nicht drauf. Stattdessen trat er auf die Straße und nahm den Häuserkomplex in Augenschein.

„Was ist?“

„Du gehst in den Laden und lenkst den Zwerg ab und ich schaue, ob ich in der Zwischenzeit nicht auf anderem Wege in das Haus komme.“

Yany sah sich ganz erschrocken um.

„Du willst einbrechen?“, flüsterte er.

„Ich möchte nur wissen, mit wem er geredet hat. Ein Hund war es nicht, das hätte ich gehört. Und außerdem ist mein Medaillon unruhig.“

„Magie? Möglich wär’s.“

„Und womit soll ich den Zwerg ablenken?“

„Mir egal, plaudert über Mahakam. Du wolltest doch eh in die Richtung, wenn der Auftrag vorüber ist? Dir wird schon was einfallen.“

Yany brummte nur und schlurfte zur Vorderseite des Hauses. Geralt machte sich auf den Weg, über eine Leiter auf den Balkon des Nebengebäudes zu klettern und von dort auf das Dach des Bankhauses zu springen. Von dort verschaffte er sich über ein Dachfenster Zutritt.

Geralt lauschte in die Dunkelheit. Im Gebäude war alles still, Yany hatte es wohl noch nicht geschafft, Eintritt zu erlangen. Die Augen des Hexers gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Wie er vermutet hatte, nutzte der Bankier den Dachboden Geralt schlicht zu der Luke in dem Boden, an der eine Treppe lehnte. Der Raum darunter war schon etwas heller als der Dachboden.

„Yany, wie lange brauchst du noch?“, fragte Geralt sich.

Es konnte doch nicht so lange dauern, in einer Stadt voller Menschen den einzigen Zwerg weit und breit in ein Gespräch über die liebe Heimat zu verwickeln. Wie Geralt so darüber sinnierte, nahm er im Raum unter sich eine Bewegung wahr. Oder glaubte es zumindest. Geralt sah noch mal genauer hin, aber der Eindruck hatte ihn wohl getäuscht.

„Seltsam ...“, flüsterte er.

Ein kräftiges Hämmern gegen die Tür ließ ihn den Kopf hochreißen, dann quiekte etwas im Raum unter ihm. Ein Fluch, dann das Drehen eines Schlüssels in einem schweren Schloss.

„Ja?“, raunte eine Stimme unten.

Yany hatte es wohl endlich geschafft, den Zwergenbankier auf sich aufmerksam zu machen. Doch er hatte Zeit, sich auf das Gespräch zu konzentrieren, das sich unten gerade entspann. Geralts Medaillon vibrierte. Angestrengt starrte er in die Dunkelheit und beschloss dann, eine Phiole Katze zu schlucken. Seine Augen schärften sich umgehend, sodass er besser in der Dunkelheit sehen konnte als ein normaler Mensch. Seine Katzenaugen glühten.

Unten trollte sich ein pummeliges Etwas von einer Ecke in die andere, kratzte mal hier auf dem Boden, mal dort an einer Holzkiste. Es hatte Patschepfoten mit kleinen Krallen vorne, die sich wohl zum Graben eigneten. Und die verdächtig nach den Tapsern aussahen, die er in der Burg überall gesehen hatte.

„Du warst das also ...“, dachte er.

Das Tier blickte in seine Richtung. Mit seinem breit geratenen Entenschnabel und seinen kleinen Knopfaugen sah es eigentlich ganz drollig aus. Bei längerem Hinsehen fiel Geralt auf, dass es einen kleinen Schwanz hatte, der ebenfalls mit Fell bedeckt war. Also schon mal keine Ratte. Es musste sich tatsächlich um so etwas wie einen Maulwurf handeln.

Das Tier wandte sich wieder ab, ohne seinen Besucher wahrgenommen zu haben. Der Gang war ziemlich pummelig und Geralt konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es übergewichtig war. Oder trächtig. Unten fing Yany gerade an, von seiner Rückreise nach Mahakam zu erzählen.

„Gut, jetzt nur nicht aufhören“, dachte Geralt.

Er beobachtete den kleinen Kerl weiter. Es kroch in eine Ecke, in der einige Laken aufgetürmt waren, und fing an, sich dort ein Nest zu machen. Es schien wohl tatsächlich Nachwuchs zu erwarten. Als es mit seiner Kuhle zufrieden schien, machte es jedoch etwas Merkwürdiges. Es drehte sich auf den Rücken und fing an, sich den Bauch zu kratzen. Nein, nicht kratzen, es drückte mit seinen Pfoten in den Bauch.

Geralt musste mehrmals blinzeln, bevor er glaubte, was er sah. Das kleine Kerlchen griff sich an oder eher in den Bauch und zog daraus etwas hervor. Das Hexermedaillon vibrierte jetzt sehr stark. Fasziniert beobachtete der Hexer, wie das Tier eine Kette aus seinem Bauch hervor zog, samt Anhänger dran. Es betastete den Stein des Anhängers mit seinen Patschepfoten und platzierte das Schmuckstück dann in der Kuhle. Dann griff es sich wieder an den Bauch.

Der Hexer verfolgte, wie das Tier zahlreiche Wertgegenstände aus seinem Bauch hervor zog und es in seinem Nest platzierte. Der Bauch wurde immer kleiner dabei, der Berg an Schätze und Kostbarkeiten immer größer. Wie das Tier das machte, war ihm ein Rätsel.

Schließlich hatte es einen ansehnlichen Haufen zusammen und Geralt wurde glatt neidisch. Für das kleine Vermögen dort unten auf dem Haufen konnte er sich ein Stadthaus in Gildorf leisten, einem der besseren Stadtbezirke in Novigrad.

Das Tier schob seinen Haufen zurecht und machte sich dann wieder auf die Suche. Nachdem es seinen Bauch geleert hatte, war es jetzt viel flotter unterwegs. Der Hexer warte, bis der kleine Kerl hinter einer Kiste verschwunden war und kletterte dann ganz vorsichtig die schmale Leiter hinab. Die vorletzte Stufe war morsch und gab nach.

„Verflixt!“, fluchte er.

Geralt fing sich gerade noch und schaffte es, nicht mit dem Fuß umzuknicken. Trotzdem war seine Tarnung dahin, denn das Gerumpel wurde auch im Erdgeschoss gehört. Noch dazu quiekte der kleine Dieb erschrocken. 

„Was war das?!“, hörte Geralt die aufgebrachte Stimme des Zwergenbankiers.

„Was meinst du?“, antwortete Yany erschrocken.

„Das Gerumpel oben, hast du das nicht gehört?“

„Ich hab nichts gehört.“

Geralt fluchte innerlich und rappelte sich hoch. Von dem kleinen Kerlchen war natürlich weit und breit nichts mehr zu sehen. Jetzt, wo es mit seinem Bauch fertig war, vibrierte das Hexermedaillon nur noch schwach.

„He, hab ich dir schon erzählt, wie sie neulich diesen Hexer aufgebracht haben? Sagte, er brauche nur einen halben Tag, um dem Spuk auf dem Friedhof ein Ende zu bereiten.“

Selbst von seiner Position aus konnte Geralt hören, wie nervös Yany klang.

„Einen Hexer? Die gibt’s noch?“

Nur eine kurze Verschnaufpause, aber der Hexer nutzte sie, um sich nach dem Tier umzusehen. Er beugte sich hinter zwei Kisten, doch dort war es nicht. Danach wandte er sich einem Regal zu, das bis unter die Decke reichte und bis oben hin mit Ramsch gefüllt war. Sein Medaillon vibrierte stärker, doch er sah das Tier nicht. Hörte es aber, wie es schnell schnaufte. Aufgeregt. Ganz in seiner Nähe. Das Hexermedaillon vibrierte noch etwas stärker. Geralt sah irritiert an sich herab.

„He, du kleiner Dieb!“, rief er, die Tarnung vollends vergessend.

„Jetzt hab ich aber wirklich was gehört!“

Das Tier hing mit den Vorderpfoten an seinem Medaillon. Scheinbar war es am Regal hochgeklettert, als Geralt herangetreten war. Unten machte sich jemand auf den Weg in den ersten Stock.

„Willst du mich jetzt auch noch beklauen?“

Geralt packte das Tier mit fester Hand und es fing zu zappeln an.

„Nix da, du wirst einiges zu erklären haben. Oder wohl eher dein Besitzer.“

Selbiger schob gerade seinen Kopf nach oben.

„Das glaub ich ja alles nicht!!“, rief er empört auf und wollte sich gerade daran machen, dem vermeintlichen Einbrecher die Leviten zu lesen.

Geralt drehte sich zu dem Zwerg um und funkelte ihn mit seinen Katzenaugen an. Dann deutete er auf den Goldhaufen.

„Ich an deiner Stelle wäre jetzt sehr still. Sonst wirst du dem Herzog einiges zu erklären haben.“

Der Zwerg ließ die Schultern hängen. Hinter ihm kam Yany die Treppe hoch.

„Geralt! Du bist aufgeflogen.“

Der Hexer verdrehte nur die Augen. Schließlich wirkte er Axii auf das kleine Wesen, das sich noch immer gegen seinen Griff wehrte. Es erschlaffte.

„Also? Wie wollen wir das jetzt regeln?“

Der Zwergenbankier schaute verlegen zu Boden.

„Ich würde gerne wenigstens meinen Kopf behalten, wenn das ginge.“

„Das ließe sich unter Umständen einrichten.“

Yany schaute zwischen Geralt und dem anderen Zwerg hin und her.

„Du musst selbstverständlich alles zurückgeben, was du noch hast.“

„Natürlich.“

„Was hattest du mit dem ganzen Gold des Herzogs überhaupt vor?“

„Mir ein schönes Leben aufbauen, natürlich.“

„In Kaedwen?“, fragte Geralt skeptisch. „Hier ist es inzwischen genauso sicher für Anderlinge wie in Redanien.“

„Ja? Mit mir kommen die Leute klar. Vermutlich, weil ich ihnen günstige Kredite einräume.“

„Auf Kosten des Herzogs und der Soldaten?“

„Die nehmen die Leute hier doch aus als gäb’s kein Morgen mehr. Hast du dich mal umgesehen? Die Menschen leiden!“

„Und du bist ihr Heilsbringer? Das geht nur solange gut, wie niemand dein Treiben bemerkt. Überhaupt, wie hättest du das Geschäft auf Dauer fortsetzen wollen? Gold vermehren geht ja schlecht. Und dem Herzog kannst du schlecht seine eigenen Münzen immer wieder als Kredit geben und von deinem kleinen Kumpanen zurück stehlen lassen.“

„Irgendwas wär mir schon eingefallen ...“

Geralt seufzte verdrießlich.

„Irgendwas ...“

Er schüttelte den Kopf.

„Du hast Glück, dass ich ein milder Geselle bin. Wenn du versprichst, alles zurück zu geben, werde ich dich laufen lassen. Aber du musst noch heute die Stadt verlassen.“

„Natürlich.“

„Und niemand darf ein Sterbenswörtchen davon erfahren, hörst du?“

„Äh, Geralt? Ich hab da vielleicht eine Lösung.“

Der Hexer sah zu Yany.

„Will ich das so genau wissen?“

„Na ja, vielleicht ... Also Thoren hier hat genauso Sehnsucht nach Mahakam wie ich. Da bietet es sich vielleicht an, dass wir zusammen reisen?“

„Das musst du entscheiden. Ich komme ja nicht mit. Aber ihn hier kannst du natürlich nicht behalten.“

„Dagobert? Aber du kannst mir Dagobert doch nicht wegnehmen.“

„Das Vieh hat einen Namen?“

„Natürlich hat es den! Es ist schließlich mein bester Partner!“

„Oh man. Aber du kannst Dagobert trotzdem nicht behalten.“

„Ich hab ihn in einem ehrlichen Kartenspiel gewonnen! Rechtlich ist er mein Eigentum!“

„Rechtlich war er so lange dein Eigentum, bis der Herzog eine Belohnung auf den Kopf des Diebs ausgesetzt hat. Ich bin bereit, auf meinen Anteil der Belohnung zu verzichten, dafür verlange ich aber diesen kleinen Kerl.“

„Und was hast du mit ihm vor? Dir mit meiner Idee ein schönes Leben machen?“

„Zugegeben, das klingt verlockend. Aber nein, ich werde ihn wohl eher wo hinbringen, wo er keinen Ärger machen kann. Am besten nach Kaer Morhen, dort können wir ihn studieren.“

„Studieren? Du meinst wohl aufschneiden und untersuchen!“

Thoren klang gar nicht begeistert.

„Nein, natürlich nicht.“

Geralt hielt das Tier, Dagobert, hoch.

„Er ist ja doch ganz possierlich, wenn er sich nicht grad an den Kostbarkeiten der anderen Leute vergreift. Aber er wird eh nicht lange leben, wie die meisten Säugetiere in seiner Größe.“

Thoren grummelte.

„Sag, hatte der, von dem du das Tier gewonnen hast, noch mehr von seiner Sorte?“

„Ich hab keine gesehen. Aber der kam auch nicht von hier. Meinte, er sei von sehr weit weg.“

„Und hat er dir einen Namen genannt, oder welcher Rasse das Tier angehört?“

„Er hat’s mal erwähnt, aber ich hab‘ ehrlich nicht so zugehört. War viel zu fasziniert davon, wie Dagobert über den Tisch kletterte und sich alle Wertgegenstände einverleibte. Nichler ... Nippler ..., oder sowas? Ich weiß nich‘ mehr ...“

Geralt brummte nur.

„Geralt, was ist denn mit meinem Anteil? Wenn du deinen verschenken willst, ist mir das egal, aber ich werde sicher nicht auf meine 20 Prozent sicher nicht verzichten. Plus das, was mir der kleine Ganove gestern Abend in der Taverne gestohlen hat.“

„Ganz einfach, du nimmst dir deinen Anteil und keine Münze mehr. Ich lass euch einen halben Tag Vorsprung, dann lasse ich von einem Schreiber einen Brief an den Herzog verfassen und mache mich dann selbst aus dem Staub.“

Yany kratzte sich am Bart.

„Es macht wohl alles keinen Sinn, ich geh schon mal meine Sachen packen.“

„Dann wär‘ das abgemacht.“

Thoren ging ins Erdgeschoss hinunter und fing an, seine Sachen zusammen zu packen.

„Du bist ja wirklich hart im Verhandeln“, meinte Yany vorwurfsvoll.

„Wenn’s drauf ankommt. Den Nippler kann Thorin jedenfalls nicht behalten. Überleg dir mal das Chaos, das der kleine Kerl auf Dauer anrichten würde. Soldaten würden desertieren und plündernd und brandschatzend durch die Lande ziehen.“

„Übertreibst du da nicht ein wenig?“

„Nein. Das ist das, was in der Regel passiert, wenn Fürsten ihre Männer nicht mehr bezahlen können.“

„Von der Seite habe ich das ganze noch gar nicht betrachtet.“

Geralt ging an ihm vorbei nach unten, um sich um einen sicheren Stauraum für Dagobert zu kümmern. Den Namen des Tiers würde er auch ändern müssen, wenn es schon einen Namen haben musste.

„Vielleicht nenn ich ihn Lambert, der ist genauso lästig ...“
 

Zwei Tage später hatte Geralt schon gut Strecke gemacht. Für Yany und Thoren galt das hoffentlich ebenfalls, wobei Geralt bezweifelte, dass Yany sich schnappen lassen würde. Der Zwerg hatte einfach ein zu gutes Geschäft mit dem Auftrag gemacht, als dass er sich jetzt darum bringen lassen würde. Was mit Thoren war, war dem Hexer im Grunde egal. Der Auftrag hatte gelautet, den Dieb zu schnappen, und den hat er erwischt. Dass der Dieb seinerseits einen Auftraggeber hatte, konnten weder Herzog noch Soldaten wissen. Weshalb Geralt auch keine Veranlassung sah, Thoren ans Messer zu liefern.

Geralts neuer Begleiter saß in einem Ledersack verschnürt vor ihm auf dem Sattel und schaute nach links und rechts. Mittlerweile hatte sich der Nippler daran gewöhnt, auf Plötze zu reiten, und machte keine Anstalten mehr, flüchten zu wollen. Auch weil der Hexer ihn nicht bedrohte. Und Geralt ließ den Kleinen gelegentlich mit seinem Medaillon spielen, auch wenn das natürlich bei weitem nicht so toll war wie der ganze Schatz, den es zuletzt aufgehäuft hatte. In Kaer Morhen würde es in der Hinsicht ziemlich auf dem Trockenen sitzen.

„Vesemir wird Bocksprünge machen, wenn er dich ins Bestiarium aufnehmen darf. Da steht dann als Überschrift ‚Der gemeine Nippler‘. Na? Wie gefällt dir das?“

Noch mehr war Geralt darauf gespannt, was sein Hexerkollege Lambert dazu sagen würde, dass er jetzt einen Namensvetter hatte. Noch dazu einen, der ein Händchen für die finanziellen Aspekte des Lebens hatte.

„Er wird vermutlich versuchen, mir den Hals umzudrehen ... Aber das kriegen wir schon hin, wir zwei, nicht wahr?“

Geralt tätschelte Lambert den Kopf und ritt dann mit ihm in den Sonnenuntergang.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück