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Die Sonne scheint für alle

von

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XXIX.

 

 

Chiho holt einmal tief Luft, verbeugt sich dann tief vor dem verdutzten Lucifer und rattert so schnell herunter, dass sich die Worte fast miteinander vermischen:

„Ich entschuldige mich aufrichtig dafür, dass ich deinen Laptop kaputt gemacht habe.“

Sie zögert und schielt zu ihrem Vater hinüber. Der mustert sie nur streng und macht eine auffordernde Geste. Sie verzieht das Gesicht, verbeugt sich aber dennoch gehorsam ein zweites Mal.

„Und ich entschuldige mich für all die gemeinen Sachen, die ich zu dir gesagt habe“, stößt sie widerwillig hervor. „Und dafür, dass ich dich geschubst habe.“

Das einzige, was sie wirklich aus tiefsten Herzen bereut ist ihre eigene Dummheit, sich gestern Abend heulend in die Arme ihrer Eltern geflüchtet zu haben und von ihnen so gut erzogen worden zu sein, dass sie ihnen am Ende sogar das mit dem Laptop gestand.

Trotzdem hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihr Vater sie noch vor seinem Dienstbeginn hierher fahren und sie zu dem hier zwingen würde.

Darüberhinaus -

„Sie kommt selbstverständlich für den Schaden auf“, hört sie ihren Vater sagen. Unwillkürlich ballt sie die Hände zu Fäusten, doch sie hält den Kopf eisern gesenkt und versucht, eine neutrale Miene zu ziehen, obwohl sie innerlich am Kochen ist. Das ist so unfair!

„Das ist wirklich nicht-“ beginnt Mao und sie wirft ihm einen dankbaren Blick zu. Aber ihr Vater bleibt stur und unterbricht Mao sofort.

„Ich bestehe darauf. Unsere Versicherung bezahlt zwar den Schaden, aber es wird eine Differenz zwischen dem Zeitwert und dem Neupreis geben. Und meine Tochter wird diese Differenz aus eigener Tasche bezahlen, damit sie aus ihren Fehlern lernt.“

Verärgert beißt sie sich auf die Unterlippe, zwingt sich aber wieder demütig zu Boden zu starren.

„Das ist wirklich nicht nötig“, versucht es Mao mit einem besorgten Blick zu Chiho hinüber erneut. Er weiß, wie wenig sie bei MgRonald's verdient.

„Ich bestehe darauf.“

„Ich wollte mir endlich mal ein Spitzenteil kaufen“, murmelt Lucifer alles andere als begeistert vor sich hin. Er weiß, dass er das unter diesen Umständen jetzt vergessen kann. Weder Mao noch Alciel werden es zulassen, dass er mehr von Chiho annimmt, als diese es sich leisten kann.

Doch er erhält unerwarteterweise Schützenhilfe von Chihos Vater persönlich.

„Kaufen Sie sich, was Sie möchten, junger Mann. Der Preis spielt keine Rolle. Meine Tochter hat Strafe verdient“, fügt er mit einem scharfen Blick zu Chiho hinzu.

Lucifer wirft erst Alciel und dann Mao einen zögernden Blick zu, doch ihren Mienen ist nicht zu entnehmen, ob sie derselben Meinung sind. Das ist gemein. Zum ersten Mal, seit er hier mit ihnen lebt, wollen sie ihn etwas frei entscheiden lassen - und dann ausgerechnet das?

Oder ist das ein Test? Muss er ihnen beweisen, dass er nett und verzeihend und selbstlos sein kann – dass er so sein kann wie sie, dass er sich integrieren kann? Wenn er jetzt nicht so handelt, wie sie es von ihm erwarten, werden sie ihn dann wieder fallenlassen wie eine heiße Kartoffel?

Bei dem Gedanken daran schnürt es ihm die Brust zusammen.

Er ist so tief in seine Gedanken versunken, dass er die Worte, die Mao mit Sasaki wechselt, gar nicht mitbekommt, aber er schreckt auf, als er Alciel sagen hört:

„Ich werde euch sicherheitshalber begleiten, Sasaki-san.“

Da bitte. Lucifer schluckt einmal trocken. Er wusste es doch.

 

 

Das zweite Mal innerhalb einer Woche sitzt er im Fond des Wagens der Sasakis und wieder genau zwischen Alciel und Mao, während Chiho wieder auf dem Beifahrersitz thront. Der einzige Unterschied ist wirklich, dass diesmal Herr Sasaki am Steuer sitzt.

Und genau wie damals ist Lucifer tief in seinem Kopf abgetaucht – wenn auch diesmal aus anderen Gründen. Er kann nicht aufhören, darüber nachzugrübeln, wie ungerecht das ist. Noch vor drei Tagen hätte er diese kleine Bitch ausgenommen wie eine Weihnachtsgans und wäre nur durch Maos und Alciels Intervention zu stoppen gewesen. Er hätte sich notgedrungen gefügt und er hätte es gehasst. Er hätte Mao und Alciel dafür gehasst. Aus tiefsten Herzen. Sie hätten ihm Ketten angelegt und er hätte sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt. Aber jetzt findet er sich in der unerträglichen Situation wieder, diese Ketten nicht nur stillschweigend zu erdulden, sondern sie sich auch freiwillig selbst anzulegen, weil er keinen Streit mehr riskieren will.

Das nennt man emotionale Erpressung und er hat sich diese Grube selbst gegraben. Warum fällt er eigentlich immer wieder in dieses Muster zurück?

Er ist so tief in seine düsteren, selbstquälerischen Gedanken versunken, dass er es erst gar nicht bemerkt, als der Wagen plötzlich stehenbleibt.

„Hanzō.“ Er reagiert nicht auf seinen japanischen Vornamen, aber auf Maos Stimme und seine Hand an seiner Wange. Er blinzelt einmal und stellt verblüfft fest, dass Mao schon aus dem Wagen geklettert ist und sich jetzt nur noch einmal zu ihm hineinbeugt.

Huh? Was? Sind sie schon da? Doch da bemerkt er, dass sie am Straßenrand stehen und niemand außer Mao den Wagen verlassen hat und begreift, dass sie auf dem Weg zum Elektronikfachgeschäft nur angehalten haben, um Mao bei MgRonald's abzusetzen.

„Mata ne“, verabschiedet sich Mao und ganz kurz flackert sein Blick verstohlen zu Sasaki und Chiho nach vorne. Und dann lehnt er sich noch weiter in den Fond hinein, streicht Lucifer über die Wange und gibt ihm einen Abschiedkuß.

Es ist nur Theater, aber für Lucifer fühlt es sich verdammt echt an.

Mao zwinkert ihm noch einmal verschmitzt zu, zieht ihm neckisch das Cap über die Augen und geht.

Dann fällt die Tür ins Schloß und der Wagen fährt wieder los. Chiho ist blaß geworden und zieht eine Schnute, und Herr Sasaki tut so, als hätte er nichts bemerkt.

Und Alciel … nimmt Lucifer Hand in seine und verschlingt ihre Finger miteinander.

 

 

Keine zehn Minuten später betreten sie ein großen Fachmarkt für Elektronik, angeführt von Herrn Sasaki, ihm folgen Alciel und Lucifer und Chiho trottet mit düsterem Gesicht hinterher.

Sie ist so nahe daran, ihrem Vater alles zu erzählen. Dass Urushihara vor vier Monaten diverse Geschäfte überfallen hat und dass er nicht nur mit Mao, sondern auch mit Ashiya zusammen ist. Das ist bestimmt nicht legal. Aber während sie Urushihara alles Schlechte der Welt wünscht, gilt das nicht für Mao (und Ashiya), also wird sie auch nicht verraten, dass Urushihara noch minderjährig ist. (Natürlich weiß sie es besser, aber in Urushiharas Papieren steht es nun einmal so.)

Und so hält sie ihre Klappe und macht gute Miene zum bösen Spiel. Denn wer weiß – wenn sie sich jetzt erwachsen verhält, erkennt Mao vielleicht doch noch, was er an ihr hat?

Er ist zwar leider nicht hier, um es live mitzuerleben, aber Ashiya wird ihm bestimmt alles erzählen. Er erzählt ihm immer alles. Also reißt sie sich am Riemen, versucht sogar eine neutrale Miene zu ziehen, auch, wenn ihr das sehr schwer fällt.

Sie ist immer noch wütend, aber auch enttäuscht und verletzt – warum musste Mao diesen Freak küssen? Ist es ihm wirklich egal, wie weh ihr das tut? War alles zwischen ihnen wirklich gelogen? Nein, entschieden schüttelt sie den Kopf, das kann nicht sein. Vielleicht will er sie nur schützen, so wie vor zwei Wochen, als er ihr vorschlug, ihre Erinnerungen an ihre Entführung durch Sariel zu löschen? Wenn es jemanden gibt, der geliebte Menschen von sich wegstößt, um sie zu schützen, dann ist das Mao Sadao. Ja, so muss es sein. Er möchte nur nicht, dass sie wieder zwischen die Fronten gerät. Wie konnte sie nur jemals an seiner Liebe zu ihr zweifeln?

Und so kommt es, dass sie, als sie die Computerabteilung betreten, schon wieder guter Laune ist.

Die aber noch einmal einen argen Dämpfer erhält, als sie sieht, vor welchem Regal Lucifer stehengeblieben ist und die Preise sieht.

 

 

Langsam läßt Lucifer seine Blicke über die ausgestellten Modelle wandern. Er weiß genau, was er will, aber er wagt es kaum, diesen Laptop auch nur anzusehen – der Preis ist wirklich einschüchternd. Also konzentriert er sich auf die mittelklassige Ware. Dabei ist er sich jeder Sekunde der bohrenden Blicke der anderen bewusst. Es dauert nicht lange, dann hat er sich entschieden, aber als er die Hand ausstreckt, um danach zu greifen, fällt ihm Alciel in den Arm.

„Oi, komm schon“, seufzt Lucifer. „So teuer ist der nicht.“

Aber Alciel starrt ihn einen Moment lang einfach nur an und schüttelt dann leicht den Kopf.

„Du mißverstehst da etwas, Hanzō-chan. Kauf dir, was du willst.“

Hanzō-chan? Lucifer steht normalerweise so gar nicht auf seinen japanischen Vornamen und -chan geht bitte schon mal gar nicht, aber so, wie Alciel es betont, fährt ihm ein wohliger Schauer über die Wirbelsäule und in der ersten Sekunde überhört er daher glatt, was Alciel ihm noch sagt. Doch dann blinzelt er ihn aus großen Augen an.

„Wie bitte? Hast du mir eben wirklich einen Freifahrtschein erteilt?“

„Wo warst du nur wieder mit deinen Gedanken, als Mao das mit Sasaki besprochen hat? Sie haben sich auf ein Limit von 60.000 Yen geeinigt. Alles, was darüber liegt, bezahlen wir selbst. Und da wir dein Geld noch nicht angerührt haben, kannst du ruhig nochmal dieselbe Summe drauflegen. Aber ich würde dir raten, nicht alles auszugeben und wenigstens die Hälfte zu sparen.“

Lucifers Augen leuchten auf.

„Kann ich mir dann auch noch eine richtige Spielekonsole kaufen plus ein paar Spiele?“

„Natürlich. Wenn es Multiplayer-Games sind.“

Im ersten Moment glaubt Lucifer, sich verhört zu haben.

„Du... willst mit mir zocken?“

Alciels Wangen überzieht plötzlich eine leichte Röte und für einen Moment weicht er Lucifers Blick aus, doch dann nickt er zögernd und lächelt verlegen.

„Nur, wenn es dir recht ist...“

Lucifer ist für eine Sekunde tatsächlich wie gelähmt, dann blinzelt er einmal und umarmt den anderthalb Köpfe größeren Dämonen spontan.

Das ist ein sehr unschickliches Benehmen, doch ausnahmsweise ist das Alciel einmal egal und er drückt ihn ganz fest an sich.

 

 



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