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Keksmagie

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier mein Beitrag zur AK-Kreativaufgabe 2021.
Ein keksiger Slice of Life One Shot mit einem besonderen Etwas.

Der Text enthält inklusive Überschrift 1477 Wörter. Komplett anzeigen

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Keksmagie

»So, noch Zimt und etwas Kardamom ...«, murmelte Myra und fügte die Zutaten der Teigmasse hinzu.

Regina saß auf der gegenüberliegenden Anrichte und ließ in kindlicher Nostalgie die Füße baumeln. »Und du bist überzeugt, das klappt?«

»Du zweifelst doch sonst nicht an meinen Künsten.«

»Stimmt, doch hab ich mal gelesen, dass korrekte Mengen beim Backen durchaus wichtig sind.«

Myra stieß ein Schnauben aus. »Alles Anfänger. Und nun still. Ich muss den Teig dreißig mal in und gegen den Uhrzeigersinn kneten und darf mich nicht verzählen.«

Regina schloss wohlweislich die Lippen. Sie kannte Myra seit der fünften Klasse – waren das wirklich schon fünfzehn Jahre? – und wusste, dass es ihr ernst war. Deswegen zog sie nur ein Knie an und bettete ihr Kinn darauf, während sie in Gedanken mitzählte. Regina war meilenweit davon entfernt, eine gute Bäckerin zu sein, doch sie fand Vergnügen daran, anderen dabei zuzusehen – besonders Myra. Bei ihr sah immer alles … so einfach aus. Selbst Mehl, Milch und Butter brauchte sie nicht abwiegen, sondern besaß ein unfehlbares Augenmaß, das noch jedes Rezept gelingen ließ.

»So!« Myra gab dem gut gemischten Teigklumpen einen Klaps. »Jetzt wird ausgerollt.«

»Soll ich jetzt helfen?«

»Noch nicht. Aber dann beim Ausstechen.«

»Gut, gut.« Regina schob sich von der Anrichte und umrundete die Kochinsel, auf der sich Myra ausgebreitet hatte. Sie hatte sich bereits vor einer halben Stunde ihrem Schicksal ergeben und auf Bitte ihrer Freundin die Finger von allem gelassen. Zwar traute sie sich zu, Zutaten von einer Schüssel in die andere zu kippen, doch Regina kannte Myras kuriose Eigenheit und nahm den ihr zugewiesenen Beobachtungsposten gewiss nicht mehr persönlich. »Darf ich wenigsten schon mal probieren?«

»Bedien dich.«

Sie schnappte sich etwas vom Teig und rollte sich daraus zwei kleine Kugeln. Die erste davon ließ sie sich sofort auf der Zunge zergehen. Selbst roh war der Teig köstlich. Den Puderzucker und das Mehl jeweils fünf Mal zu sieben, schien einen Unterschied zu machen. Oder lag es doch an der Speisestärke? Kurz schloss Regina die Augen. Die Zimtnote schwebte in der gesamten Küche. »Den Teig solltest du so verkaufen«, meinte sie, als sie sich die zweite Kugel in den Mund schnippte.

»Schön wäre es, aber Großproduktion funktioniert bei dem Rezept nicht. Und es muss Ei ran.«

»Ach ja, und dann auch nur Eier Größe M frisch aus dem Nest entnommen!«, rezitierte Regina und sah zu der Packung Supermarkteier, die für die nächsten Tage ihr Dasein im Kühlschrank fristen würde. »Ergibt nun immer mehr Sinn, dass du in der Ecke hier wohnst: Bauernhof eine Straße weiter, da sind die frische Milch und die Nesteier natürlich ein Klacks.«

Myra grinste. »Dung für die Erdbeeren und Hagebutten ist auch nicht weit.« Sie rollte den Teig weiter aus und zückte nun tatsächlich ein Lineal, um die Dicke des Teigs zu prüfen.

Regina schmunzelte. Sonst kein Messbecher weit und breit, aber die Höhe des Teiges abmessen. Sie sah Myra einen langen Moment weiter zu, bevor sie nachdenklich den Kopf neigte. Tatsächlich hatte Myra immer schon solche Eigenarten gehabt. Einerseits frei nach dem Sinn, andererseits musste es ein Holzlöffel aus Lindenholz zum Umrühren sein oder das Tuch zum Abdecken des Hefeteigs musste aus echter Handarbeit stammen. Wo sie überhaupt immer so etwas Spezielles fand, das nicht von irgendwo als Massenware importiert war, blieb für Regina trotz der unbegrenzten Möglichkeiten des Internets ein kleines Rätsel.

»So, fertig fürs Ausstechen«, verkündete Myra und wackelte mit den Augenbrauen, als sie auch schon einen großen Metallring aus der Schublade holte, an dem sicher ein Dutzend Ausstechformen aufgefädelt darauf warteten, in den Teig zu hechten. »Such dir aus, was du magst, dann ran an den Teig.«

Regina ließ sich nicht zwei Mal bitten. Das Ausstechen war ihr schon immer das Liebste gewesen. Von all dem weihnachtlichen Brimborium war es genau das, das sie am meisten an die kleine Weihnachtsbäckerei mit ihrem Vater erinnerte: Dicke, weiße Flocken, die im frühen Dunkel zu Boden taumelten, auch wenn sie kaum eine Schneedecke daließen, aus der man meist nur eine Schneemaus bauen konnte. Die fröhlichen Kinderlieder von einer CD, deren Melodie sie noch heute mitsummen konnte, und das leise Fluchen ihres Vaters, weil der Teig in den Formen stecken blieb.

Die Erinnerung schickte ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie schnappte sich den Metallring und drückte alle Formen nacheinander in den Teig, bis keines mehr übrig war.

Myra nickte anerkennend. »Ausgeklügeltes System. Komm, lass uns die Plätze tauschen, dann stanzt du weiter und ich mach schon den nächsten Klumpen!«

Eingespielt arbeiteten sie beide nebeneinander her, bis drei Bleche mit Keksen belegt waren, die sogleich im vorgeheizten Ofen landeten.

Regina ging in die Hocke und sah in das warme Innere, wo der Teig zu glänzen begann und sich die ersten Plätzchen aufplusterten. »Danke, dass du mich zum Backen eingeladen hast«, sagte Regina dann nach einem Moment.

Myra stand an der Spüle, wo Schüssel, Nudelholz und Ausstechformen auf ihr Schaumbad warteten. »Um ehrlich zu sein, habe ich zu danken. Nicht viele halten es mit mir in der Küche aus.«

Regina zuckte mit den Schultern. »Du bist eine chaotische Perfektionistin. Kann schon verstehen, warum ich nur ausstechen durfte. Hey, sag, wollen wir nächstes Jahr bei mir backen?«

Myra sah sie zweifelnd an. »Können wir machen, aber hast du nicht nur eine Mikrowelle?«

»Mit Umluftfunktion!«

Lachend schüttelte Myra den Kopf und beide machten sie sich an den Abwasch.

 

Regina polierte soeben die letzte Schüssel trocken, als ein Pling erklang, dass das Ende der Backzeit verkündete. Geschwind nahm Myra alle Bleche heraus und zog die Backpapiere auf die Abkühlgitter.

Zu ihrer Überraschung ließ Myra absolut nicht mit sich reden, als es darum ging, einen noch warmen Keks zu probieren, sodass sie tatsächlich dazu verdonnert war, zwei Stunden mit TV schauen und Punschtrinken zu verbringen, nur um von ihr später zurück in die Küche gescheucht zu werden, wo Myra nicht einmal nach einen Keks griff, sondern Regina gebannt beobachtete. »Bitte probier, ich hoffe sie schmecken.«

Regina zog eine Augenbraue nach oben. »Wir hätten sie auch früher kosten können« Sie schnappte sich einen goldbraunen Tannenbaum, der perfekt aussah. Nicht einmal der dünne Wipfel war dunkel geraten.

»Glaub mir, sie hätten anders geschmeckt«, sagte Myra darauf nur.

Gespielt genießerisch biss Regina vom Keks ab und verschluckte sich beinahe daran, als sie wie von der Zeit gepackt, wieder mit Mehl in Gesicht und Haar neben ihrem Vater stand und Kekse formte. Sie konnte beinahe die Worte der Lieder verstehen, die er für sie in Dauerschleife hörte, und spürte die Mandelstifte im Teig, aus denen sie letztendlich kleine Igelkekse backten, die süß aussahen, aber schrecklich verbrannt schmeckten. Überall wohlige Wärme, die sich wie eine Umarmung anfühlte.

Regina blinzelte heftig und starrte den restlichen Keks in ihrer Hand. »Was zum …«

»Es hat funktioniert, oder?« Myra musterte sie und sah aus wie ein Kind kurz vor der Bescherung. »Wonach schmecken sie? Hast du was … Ungewöhnliches gespürt?«

Prompt zweifelte Regina an ihre eigenen Sinne und ihrem Verstand und aß mit klopfendem Herz auch den restlichen Keks. Hatte sie sich das eingebildet? Doch auch diesmal schmeckte sie keinen Zucker oder Zimt, wieder prickelten die derben Röstaromen auf der Zunge, doch ebenso glühte ihr Herz vor Erinnerung. Wie war das …

»Myra, was ist in diesen Keksen?«

»Magie.«

»Hast du … du weißt schon, eine spezielle Zutat reingetan?«

»Magie!«, wiederholte sie. »Na ja, ohne deine Hilfe hätte es wohl nicht funktioniert.«

Regina holte Luft für eine weitere Frage, stolperte in Gedanken jedoch über das, was sie da gerade hörte. »Ist … ist das dein Ernst?«

Myra atmete durch und strahlte sie an. »Das frag ich mich bei manchen Rezepten auch. Ich meine: ›Gezeichnet von einer Königin.‹ Wie soll man heutzutage noch an eine Königin herankommen? Aber, Wörter haben Macht. Ebenso Namen und ich dachte mir, ein Versuch ist es wert. Ich wollte die Erinner-dein-Kekse schon seit Ewigkeiten probieren, doch hab mich nie getraut, weil ich es ja nicht erklären konnte und du noch nicht wusstest, ich meine weißt … Obwohl ich es dir schon lange … Also, wonach haben sie denn geschmeckt?«, fragte sie schlussendlich und zupfte mit einer Hand an ihrer anderen.

»Nach verbranntem Igel«, antwortete Regina automatisch, woraufhin Myra die Nase rümpfte.

»Oh! Das ist … unerwartet und spricht um ehrlich zu sein weniger für die Backkünste in deiner Familie …«

Ihre Gedanken rasten, während Myra ohne Luft zu holen weiter vor sich hin plapperte. So nervös hatte Regina sie … nun, eigentlich noch nie gesehen. Und wenn sie darüber nachdachte: Magie, Erinner-Dein-Kekse … Ein Löffel aus Lindenholz, Eier frisch aus dem Nest … Konnte das … Nein, das war doch … Sie nahm einen weiteren Keks in die Hand und sah Myra an. »Du bist …?«

Als hätte sie auf einen Knopf gedrückt, klappte Myras Mund zu, bevor sie sich den Rezeptbuchwälzer – Hatte der schon immer einen Ledereinband gehabt? – schnappte und ihn an sich drückte.

Myra lächelte schief – hoffnungsvoll. »Also, ich muss dir da etwas erzählen.«



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SamAzo
2022-01-02T00:29:45+00:00 02.01.2022 01:29
Wie toll wären diese Plätzchen?
Schade, dass das Rezept so spezifisch ist und es damit einfach nicht nachzumachen... selbst wenn man Magie hätte.
Aber allein die Vorstellung...



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