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Eine zauberhafte Nacht

von

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„Anschließend wurden die Innereien und das Gehirn entfernt“, fuhr ich mit meiner Erklärung fort. Regis‘ Miene zeugte von offener Neugier, seit ich angefangen hatte, ihm von der altägyptischen Mythologie und schließlich von der Mumifizierung der Toten zu erzählen. Etwas Vergleichbares schien es in dieser Welt nicht zu geben, wenn selbst jemand so Gebildetes wie Regis davon noch nie gehört hatte. „Auf welche Weise wurde die Schädeldecke geöffnet?“, hakte der Vampir nach, den Kopf grübelnd schief gelegt. „Gar nicht.“ Nun hob er eine Braue und seine Frage stand ihm offen ins Gesicht geschrieben. Ich grinste. „Das Gehirn wurde mit einem schmalen Stab, der durch die Nase eingeführt wurde, zerstoßen und schließlich herausgelöffelt“, verriet ich ihm. Zugegeben, meine Erklärung war fachlich gesehen bestimmt eine absolute Katastrophe, aber sie erfasste immerhin den Kern. „Faszinierend!“, bemerkte Regis, dessen Miene sich nun aufhellte. Dem konnte ich nur zustimmen. Mich hatte die Hochkultur Ägyptens ohnehin schon immer in ihren Bann gezogen. „Die Organe wurden in Kanopen gelagert und mit ins Grab gegeben, während der Leichnam dann eingeölt und bandagiert wurde“, kehrte ich zurück zu Beginn unserer Unterhaltung. „In die Bandagen wurden viele Amulette eingewickelt, die den Toten auf seinem Weg ins nächste Leben beschützen sollen.“

„Mir erschließt sich jedoch immer noch nicht, wieso ein bandagierter Leichnam als gruseliges Monster angesehen wird“, wandte Regis nun ein. Ich lachte. „Na ja, es geht es bei der Mumifizierung ja um die Auferstehung aus dem Tod. Irgendwie zumindest“, meinte ich zögerlich. „Mh, verstehe.“ Regis‘ angestrengte Miene ließ ihn aussehen, wie einen alten Gelehrten, der sich über ein uraltes Rätsel das Hirn zermarterte, das er einfach nicht zu lösen vermochte. „Nachdem ein bisher ungeplündertes Grab entdeckt und geöffnet worden ist, gab es viele Geschichten rund um einen Fluch des Pharao, der jene treffen sollte, die es wagten, seinen Frieden zu stören. Und tatsächlich sind von denen, die das Grab geöffnet haben, mehrere unter zunächst ungeklärten Umständen gestorben“, verkündete ich unheilvoll, musste dann aber grinsen. „Letzten Endes lag das aber nicht an einem Fluch, sondern einem Schimmelpilz, den die Betroffenen im Grab eingeatmet hatten. Sie wurden krank davon.“ Regis‘ Miene blieb für einen Moment lang ausdruckslos, dann schüttelte er lachend den Kopf. „Deine Welt birgt viele solch interessanter Geschichten, oder?“ Ich nickte, ohne zu zögern. „Schier unendlich. Und viele sind schon seit langer Zeit verloren“, gab ich seufzend zu. Meine Gedanken galten dabei der Bibliothek von Alexandria. Wie viel Wissen dort einst verbrannt war, vermochte niemand noch einzuschätzen.
 

„Deshalb also möchtest du dich als eine dieser Mumien verkleiden“, schloss Regis aus all meinen Ausführungen. „Genau! Dass Orianna ausgerechnet an Halloween einen Kostümball veranstaltet, ist quasi eine Einladung!“ „Niemand wird dein Kostüm verstehen“, brummte Dettlaff aus seiner Ecke missmutig. Bisher hatte er sich aus unserer Unterhaltung fein rausgehalten und stattdessen in seinem Buch geschmökert, doch scheinbar hatte er durchaus zugehört. „Und wenn schon. Mir gefällt es“, entgegnete ich entschieden. Dettlaff ächzte nur leise, widersprach aber nicht und ich ahnte, dass er das nur deshalb nicht tat, um keine Diskussion loszutreten, von der wir beide wussten, dass sie sich ewig hinziehen könnte. „Mach doch, was du willst“, meinte der Vampir schließlich, eine Seite seines Buches umblätternd. Na, und ob ich das tun würde! Seit ich in dieser Welt festsaß, hatte ich so vieles verloren und wenn sich nicht irgendein Wunder ereignete, würde ich mein Zuhause nie wieder sehen. Da konnte man mir doch wenigstens meine Erinnerungen an meine Heimatwelt gönnen. Eigentlich sollten besonders Regis und Dettlaff das verstehen, immerhin waren sie auch nicht in dieser Welt geboren worden, sondern durch die Sphärenkonjunktion hier gelandet. Sie hatten sich bestimmt auch erst orientieren und damit arrangieren müssen.

„Als was werdet ihr zwei euch denn kostümieren?“, wandte ich mich an Regis, der sich nicht einmal bemühte, sein Grinsen zu verbergen. „Nun, wir werden wohl einen alten Scherz unserer kleinen Gruppe fortführen, nicht wahr?“, galt seine Frage Dettlaff, der wieder nur ein Brummen zur Antwort gab. Fragend hob ich eine Braue. „Und der wäre?“, wollte ich wissen. Regis lachte. „Wir werden uns als Vampire kostümieren.“ Fassungslos sah ich von einem der beiden Vampire zum anderen. Ihr Ernst? Das war so albern und bescheuert, ich wusste gar nicht, was ich dazu sagen sollte. Mal ehrlich: Vampire? Sie WAREN verdammt nochmal Vampire und wussten besser als jeder andere, wie absurd die Vorstellungen der meisten Menschen von ihrer Art waren. „Jetzt wirklich?“ Regis nickte bestätigend ob meiner Frage. „Orianna hat damit glaube ich vor“, überlegte er und tippte sich mit dem Finger gegen das Kinn. „Wie lange ist das nun her? Vielleicht vierzig Jahre? Sie fand es wohl witzig und irgendwie wurde es dann Tradition. Selbstverständlich ahnen die menschlichen Gäste des Abends nichts von der Ironie unserer Kostüme.“ Natürlich nicht, ging es mir trocken durch den Sinn. Die einzige Ausnahme würde ich sein, die gedanklich schon jetzt die Hand vor die Stirn schlug. Aber wer war ich, ihnen diesen Spaß zu missgönnen?

„Das wird bestimmt lustig. Orianna schmeißt doch häufig solche Feste und ich-“ Ich unterbrach mich. Nicht ich, sondern Geralt war auf einer der Soireen gewesen, auch wenn ich ihm dabei als Spielerin von The Witcher III über die Schulter geschaut hatte. „Ich bin sicher, sie weiß genau, was sie tut“, beendete ich meine Aussage ungeschickt. „Vielleicht braucht sie ja vorab noch Hilfe? Es gibt bestimmt viel vorzubereiten“, sinnierte ich laut. Eigentlich wollte ich lediglich Mäuschen spielen und die Bruxa ein wenig im Auge behalten. Von ihren Waisen, an deren Blut sie sich berauschte, wusste ich, doch ich brauchte klare Beweise, bevor ich Regis und Dettlaff damit konfrontieren konnte, dass ihre alte Freundin sich an wehrlosen Kindern vergriff. „Ich denke, sie wird bereits alles in die Wege geleitet haben“, beruhigte mich Regis entspannt. „Aber erzähl mir doch bitte mehr über diesen Osiris-Mythos, den du erwähnt hast. Er ist der Ursprung der Mumifizierung der Ägypter? So nanntest du sie doch.“ Eilig nickte ich und schon Momente später war Orianna vergessen, als ich Regis von Isis‘ verzweifelter Suche durch ganz Ägypten erzählte.
 

Oriannas kleine Soiree erwies sich als nicht ganz so klein, wie es die Worte ihrer Einladung hatten mich glauben lassen. Schon am Eingangstor dämmerte mir das, denn dort standen bereits mehrere Paare Schlange. Als wir eintrafen, wurden wir jedoch vom Wachmann direkt herangewunken und eingelassen, ganz ohne ein Einladungsschreiben vorweisen zu müssen, wie es die Herzogin und Geralt im Spiel gemusst hatten. Vielmehr wurden wir wie VIPs hereingeschleust. So richtig wohl fühlte ich mich damit nicht, aber das könnte auch einfach daran liegen, dass mich die Wartenden angesehen hatten, als wäre ich völlig wahnsinnig. Wenn ich ehrlich war, verstand ich das sogar. Während Regis und Dettlaff in ihren dunklen Aufmachungen dem absoluten Klischeebild eines Vampirs entsprachen – und die Bemerkung, dass Dettlaff dafür kein Kostüm gebraucht hätte, hatte mir schon bei unserem Aufbruch einen finsteren Blick eingebracht – fügten sich die beiden doch perfekt in das Gesamtbild einer adeligen Gesellschaft. Ich jedoch fiel auf wie ein bunter Hund. Es mochte eine Kostümparty mit dem Thema Ungeheuer sein, doch bei den meisten Gästen bemerkte man das kaum. Mit meinen Bandagen war ich scheinbar deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Vermutlich war ich heute Abend die einzige Frau, die kein Ballkleid trug. Darauf hätten mich Regis und Dettlaff doch wirklich hinweisen können! Fast bereute ich meine Kostümwahl. Aber eben nur fast. Zumindest musste ich so nicht fürchten, über meinen eigenen Rocksaum zu stolpern oder an einem Korsett zu ersticken. Mir drohte höchstens, mit meinen herunterhängenden Bandagen irgendwo hängen zu bleiben.

Neugierig sah ich mich um. Ungeheuer konnte ich kaum erkennen. Sollten die paar Federn am Kleid und der komische gelbe Hut da etwa schon genügen, um einen Greifen darzustellen? In meinen Augen konnte man da genauso gut ein Huhn reindeuten. Und was war das da bitte? Das Kleid war so bunt, davon bekam man ja Augenkrebs. Es erinnerte mich eher an einen Regenbogen als irgendein lebendes Tier, geschweige denn an eines, das als Monster oder Ungeheuer durchginge. Eines jedoch musste ich zugeben: Die meisten Gäste mussten sich mit ihren Kostümen, ob man sie nun so nennen wollte oder nicht, viel Mühe gegeben. Ob es nun ausgefallene Accessoires waren oder geschickte Schnitte der Kleidung, es gab viel zu sehen. Auf der anderen Seite fiel ich vermutlich am Ende am meisten auf. Meine Kostümwahl war einfach zu exotisch. Anders als die anderen Gäste trug ich ein Kostüm und keine formelle Kleidung mit besonderem Thema. Zwar sprach mich niemand darauf an, aber ich konnte sehen und hören, wie mich die Leute beobachten und tuschelten. Manche Dinge waren wohl überall gleich. Sollten sie halt lästern. Mit diesen Leuten hatte ich sonst sowieso nichts zu tun und Wert legte ich darauf auch keinen. Demonstrativ wandte ich mich ab und schwang dabei eine Bandage um mich herum, als wäre sie ein Schal. Pah!
 

Keine Stunde später schenkte mir schon niemand mehr Beachtung. Dettlaff hatte sich in eine Ecke verkrümelt und schaute dabei so finster drein, als wolle er den Nächsten, der es wagte, ihn anzusprechen abschlachten. So konnte man einer Unterhaltung natürlich auch entgehen. Während sich Dettlaff überhaupt nicht wohl zu fühlen schien, fühlte sich Regis sichtlich pudelwohl. Wann immer ich ihn irgendwo bemerkte, sprach er mit jemand anderes. Ihm tat es wohl gut, ein bisschen unter Leute zu kommen, auch wenn diese Leute Menschen waren, die nicht ahnten, dass sein Kostüm die Wahrheit offenbarte. Schmunzelnd schnappte ich mir eines der angebotenen Häppchen, bevor ich auf Dettlaff zusteuerte. Er mochte Menschen nicht besonders, was nach den jüngsten Geschehnissen kaum ein Wunder war. Dass er trotzdem hier war, lag ohne Frage an Regis. Die beiden teilten ein so enges Band, dass es ein Mensch, wie ich, kaum nachfühlen konnte. Am Ende tat es Dettlaff aber bestimmt gut, sich nicht zurückzuziehen und der Welt den Rücken zu kehren. Ein bisschen Misanthropie war zwar meiner Meinung gesund, aber im originalen Spielverlauf verließ Dettlaff Toussaint, sofern er überlebte. Wenn ich mich richtig erinnerte, hatte er sich in die Berge zurückziehen wollen, in die Gesellschaft der weniger intelligenten, eher von Instinkten geleiteten Vampire. Daraus war nun nichts geworden. Ein bisschen stolz war ich schon darauf, denn ich bildete mir ein, darin meinen Einfluss in dieser Welt zu sehen. Dettlaff hatte überlebt, das war auch im Original möglich gewesen, aber die Trennung der beiden Vampire war beklemmend gewesen. Zufrieden setzte ich mich neben Dettlaff, den Blick in Richtung Regis gewandt, der inzwischen zwei Damen unterhielt, von denen eine ihr Kleid gerade so auffällig zurechtrückte, dass ich beinahe befürchtete, ihr würden gleich die Brüste aus dem Dekolleté fallen.

„Willst du dich nicht lieber unter die Gäste mischen?“, bemerkte Dettlaff nach einer Weile in einem Tonfall, als wolle er mich loswerden. So klang er jedoch meistens und ich wusste, es sprach Sorge aus seinen Worten, ich könnte die Feier nicht genießen. Aber das tat ich, und zwar in vollen Zügen. Heute fiel ich zwar genauso sehr auf wie auch sonst, aber ausnahmsweise galt das Getuschel meinem Kostüm und nicht meiner Person. Die meisten Bewohner von Beauclair waren immer noch nicht sicher, ob sie mich eher als die Herrin des Hexers einstufen wollten oder als Monsterbändigerin, ein Titel den ich den beiden Greifen verdankte, die ich großgezogen hatte. Wie schnell die zwei erwachsen geworden waren. Bei meiner Ankunft in Beauclair waren sie kaum größer als Hunde, doch inzwischen hatten sie Pferde und Kühe hinter sich gelassen. Aus den Küken Sam und Dean waren zwei gefährliche Jäger geworden, was am Ende auch der Grund dafür war, dass ich sie nur gelegentlich besuchen konnte. Gemeinsam mit Regis und Dettlaff hatte ich meine Babys ausgewildert. In einer menschlichen Gesellschaft wären sie niemals glücklich geworden, aber weit weg von jeder Zivilisation konnten sie frei leben. Zumindest, solange sie niemanden störten, der dann auf die Idee kam, einen Hexer zu engagieren. Geralt zumindest würde den Auftrag garantiert ablehnen, bei anderen Hexern hingegen wollte ich darauf nicht bauen. Gut, dass davon keine hier herumstreunten, soweit ich es in Erfahrung hatte bringen können. Wirklich viele gab es ja ohnehin nicht mehr.
 

„Nein, ich fühle mich hier eigentlich ganz wohl, denke ich“, antwortete ich Dettlaff verspätet, der nur wieder brummte. So liefen viele unserer Unterhaltungen. Anfangs hatte ich mich damit schwergetan, doch mittlerweile war ich fast daran gewöhnt. Bei Themen, die ihn interessierten stieg er nach einer Weile meistens auch ein und erwies sich als ziemlich aufmerksamer Gesprächspartner. Allein der große Schatz seiner Lebenserfahrungen und Beobachtungen war außergewöhnlich. Er ließ mich daran nicht halb so oft teilhaben, wie mir lieb war, und umso kostbarer waren die Tage, an denen wir stundenlang diskutierten. Regis hatte mal gemeint, das sei ein gutes Zeichen, aber genauer war er diesbezüglich nicht geworden. Nun gut, behalte deine Geheimnisse! Apropos Regis. Der ergraute Vampir war von einer kleinen Traube Gäste umringt, denen er irgendetwas gestenreich erläuterte. Sogar Orianna hatte sich zu der Gruppe gesellt und lauschte mit einem Lächeln auf den dünnen Lippen. Ihre Gäste wurden gut unterhalten, dafür sorgte nicht nur Regis. In einer Ecke des Raumes standen Musiker, die gerade ihre Instrumente stimmten und uns sicher nicht mehr lange auf ihre Darbietung warten ließen. „Wo warrrrroooääää“, verlor ich mitten im Satz die Kontrolle über meine Worte. Verwirrt sah Dettlaff mich an und nicht weniger verwirrt starrte ich zurück. „Uuhhmmeeeennneee.“ Fassungslos hielt ich inne. Eigentlich hatte ich mich entschuldigen wollen. Was stimmte bitte nicht mit mir? „Soll das lustig sein?“, herrschte mich Dettlaff genervt an. Eilig schüttelte ich den Kopf. „Oooohhfffeee“, antwortete ich, ohne nachzudenken. Meine Stimme wollte mir einfach nicht gehorchen.

Hilfesuchend sah ich zu Dettlaff hoch. Das hatte ich nicht gewollt und Späße machte ich ganz bestimmt nicht. Ich hatte nicht den blassessten Schimmer, was hier gerade geschah und wieso ich solche komischen Brummlaute von mir gab. Der Blick des Vampirs ging jedoch längst an mir vorbei, als er plötzlich eine Hand auf meine Schulter legte. „Wir sollten von hier verschwinden“, meinte er kurzangebunden. Irritiert folgte ich seinem Blick, der meine Aufmerksamkeit auf die anderen Gäste lenkten. Offenkundig war ich nicht die einzige, die gerade Probleme hatte. Binnen Sekunden war heilloses Chaos ausgebrochen. Jemand schrie, ein anderer brüllte und ich glaubte sogar, eine Stichflamme zu sehen. Was passierte hier nur? Bis gerade eben war das hier noch eine mehr oder weniger normale Kostümfeier gewesen, doch jetzt eskalierte einfach alles. Jeder schien sich zu benehmen wie die Kreatur, als die sie sich verkleidet hatten. Anders konnte ich mir zumindest nicht erklären, wieso die Frau im Federkleid wild gackerte und wild mit den Armen schlug, als hoffe sie, abzuheben, wenn sie sich nur genug bemühte. Ungläubig ließ ich meinen Blick über die Gäste schweifen, die genauso verwirrt sein mussten, wie ich. Vielleicht wenig, denn mein Kostüm verkörperte wenigstens ein humanoides Ungeheuer, kein tierisches. Gerade, als ich Regis entdeckte, bemerkte ich noch jemand anderes Bekanntes. Jemanden, den ich hier nicht erwartet hatte und von dem ich genau genommen gehoffte hatte, ihn niemals zu treffen. Oh nein. Oh nein, nein, nein. Wenn das hier einer seiner Scherze war, hatten wir wirklich Probleme. „Uunnnnn“, machte ich nach Aufmerksamkeit heischend und griff nach Dettlaff. „Ja, ich sehe, dass hier alle durchdrehen“, gab der nur genervt zurück. Seine Haltung war angespannt. „Scheinbar bleibt meinesgleichen von diesem seltsamen Zauber verschont“, schloss er grimmig, bevor ich auch schon spürte, wie sein Arm sich um meinen Bauch legte. Mit einer schnellen Bewegung warf der Vampir mich über seine Schulter. Das hatte er schonmal gemacht. Damals, bei unserer ersten Begegnung, als er mich quasi entführt hatte. Nicht unbedingt meine bevorzugte Art zu reisen. Ergeben ächzte ich. „Uwww.“
 

Frustriert wedelte ich mit meinem linken Arm. Zwischen den Binden, die mir inzwischen halb über die Augen hängen, konnte ich vage erahnen, wie ungelenk ich dabei aussah. Seit ich nicht nur nach einer Mumie aussah, sondern tatsächlich eine war, hatte die Genauigkeit meiner Bewegungen ziemlich gelitten, von meinem Sprachvermögen ganz zu schweigen. Mein Verstand jedoch lief auf Hochtouren. Ich war absolut sicher, Gaunter O’Dimm gesehen zu haben! Wenn irgendjemand in dieser Welt die Macht hatte, einer ganzen Gruppe von Menschen anzutun, was immer uns angetan worden ist, dann er! „Aaaaafffffuuuuu“, machte ich laut und lenkte damit vor allem Regis‘ Aufmerksamkeit auf mich. Er hatte mit Orianna zusammen die Gäste teils eingesperrt, teils an Stühle gebunden, nachdem Dettlaff mich fortgebracht hatte. Da zeigten sich die beiden Persönlichkeiten der Vampire wirklich gut. Regis‘ erster Gedanke galt dem Allgemeinwohl, er wog ab und versuchte, die Situation in den Griff zu bekommen, während Dettlaff nie verhohlen hatte, dass er die seinen vorzog und ihr Wohl für ihn Vorrang hatte. Damit war ich dann wohl ganz offiziell aufgenommen in die vampirische Familie. Wären die Umstände anders, ich wäre sicher geschmeichelt gewesen. Jetzt jedoch hieß es vermutlich, dass ich als Einzige wusste, wer an diesem Schlamassel schuld war und diese Person sich bereits verkrümelt hatte. Vermutlich lachte sich Gaunter gerade irgendwo scheckig.

„Es ist faszinierend“, murmelte Regis, der meine rechte Hand inspizierte. Das tat er schon seit einigen Minuten und es war offenkundig, dass er zwar mit Enthusiasmus dabei war, aber nicht die geringste Ahnung hatte, wie diese Metamorphose möglich gewesen war. „Ich nehme an, wir sind vor diesem Zauber sicher gewesen, weil wir Vampire sind“, grollte Dettlaff finster. Seine Miene wurde mit jeder Sekunde, die verstrich, verkniffener. Ihm gefiel das Ganze scheinbar genauso wenig wie mir. Konnte ich gut verstehen. Bei aller Liebe zum alten Ägypten, eine wandelnde Mumie zu werden, gehörte nicht auf meine Bucketlist. „Nun, es könnte auch schlicht daran liegen, dass wir bereits sind, was unsere Kostüme implizieren“, statierte Regis, der nun von meiner Hand abließ und seine ans Kinn hob. „Wer immer diese Magie gewirkt hat – und ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich um ein magisches Phänomen handelt – muss über außerordentliche Macht verfügen. Und einen sehr seltsamen Sinn für Humor.“ Klang für mich eindeutig nach Gaunter. Hätte ich Regis doch vom Spiegelmeister erzählt! Dann wäre er sicher auch auf die Idee gekommen, dass Gaunter hinter diesem Scherz steckte. Aber was würde es ändern? Nicht einmal so mächtige Kreaturen, wie Dettlaff und Regis es ohne Zweifel waren, durften unvorsichtig im Umgang mit jemandem wie Gaunter sein. Was immer der Spiegelmeister auch sein mochte, er war ohne Zweifel unglaublich mächtig. Selbst die Zeit vermochte er anzuhalten. Wenn er hinter dieser Gruppenverwandlung steckte, hätte keiner von uns die Macht, ihn zu zwingen, es umzukehren und der Versuch allein, Gaunter zu überreden, war überaus gefährlich.
 

Ich ächzte frustriert. Könnte ich Regis doch nur aufschreiben, was ich wusste, doch das hatte ich direkt nach unserer Ankunft in der Gruft versucht. Das Ergebnis erinnerte nicht einmal im entferntesten an Buchstaben. Es war hoffnungslos. Meine Arme und Beine, nein, mein ganzer Körper wollte mir einfach nicht mehr richtig gehorchen. Obendrein waren mir noch ein paar andere Veränderungen aufgefallen, von denen ich nicht sicher war, ob sie mich für den Moment zumindest erleichtern oder beunruhigen sollten. Ich fühlte keine Temperaturen. Oder wenigstens nicht so schnell. Weder konnte ich sagen, ob Regis warme Hände hatte, als er die dunkle, ledrige Haut zwischen meinen Bandagen studierte, noch ob die Steinplatte unter mir so kalt war, wie sie es sein müsste. Ich war also nicht nur dem Aussehen nach eine Mumie geworden, soweit ich es beurteilen konnte. Machte mich das untot? Vermutlich. Das war definitiv kein Gedanke, der zu meiner Beruhigung beitrug. Würde ich womöglich anfangen, zu faulen, wenn ich mich nicht trocken lagerte? Würden sich Schimmelpilze an oder in mir bilden? Wie konnte ich überhaupt noch denken, wenn ich gar kein Gehirn mehr hatte? Es war frustrierend, darüber nachzudenken und noch frustrierender, diese Gedanken niemandem mitteilen zu können. „Mrrrraaa.“ Vielleicht sollte ich mich einfach in einen Sarg legen und ein paar Stunden über alles schlafen. Nun ja, vorausgesetzt ich konnte überhaupt noch schlafen.

„Nuuunnuuu“, seufzte ich tief. „Nein wirst du nicht“, antwortete mir Dettlaff. Überrascht sah ich ihn an. Hatte er mich etwa verstanden? Fragend wanderte mein Blick zu Regis, der ebenso erstaunt aussah, wie ich mich fühlte. „Du kannst diesen Lauten einen Sinn entnehmen?“, stellte der ergraute Vampir die Frage, die bei mir wieder nur zu irgendeinem Gemurmel verkommen wäre. Dettlaff zögerte. „Nicht wortwörtlich, aber in groben Zügen. Es ist ähnlich wie mit unseren Artverwandten.“ „Ah, natürlich. Mit ihnen vermagst du auch zu kommunizieren. Diese spezielle Gabe erweist sich nun als äußerst nützlich“, bemerkte Regis sichtlich erleichtert in meine Richtung. Ich versuchte zu nicken. „Niiiifff faaammmi uwann gahhheee“, wandte ich mich sofort aufgeregt an Dettlaff, der nur genervt dreinsah, jedoch nichts erwiderte. „Was sagt sie?“, wollte Regis wissen. Sein Blutsbruder seufzte. „Sie sagt, sie hat jemanden gesehen.“ Danke! Danke, Dettlaff! „Iwiwiiiwiwi“, ließ ich ihn wissen, doch Dettlaff ignorierte das ebenso sehr wie Regis‘ fragenden Blick. „Dann weißt du, wer diese außergewöhnliche Magie gewirkt hat?“, wandte sich Regis nun direkt an mich. Ich nickte. „Veaanngan hu!“ Unser beider Blicke glitten wie von selbst zu Dettlaff, meinem frischgebackenen Dolmetscher.
 

„Dann werde ich Geralt konsultieren und ihn bitten, schnellstmöglich Kontakt zu Yennefer von Vengerberg aufzunehmen“, beschied Regis nach einer langen, etwas komplizierten Unterhaltung, bei der Dettlaff zumindest den Großteil dessen übersetzte, was ich ihm mitteilte. Einiges ließ er aus und ich wollte wetten, er tat das absichtlich. „Möglicherweise kann sie diesen Bann aufheben.“ Regis‘ Hoffnung in allen Ehren, aber ich glaubte nicht, dass Yen das konnte. Sie mochte eine brillante Zauberin sein, doch Gaunter O’Dimm war eine Nummer für sich. Wir sprachen hier immerhin von einem Wesen, das die Zeit nach Gutdünken anhalten konnte! Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendein Mitglied der Loge das vollbringen könnte. Besorgt runzelte ich die Stirn, auch wenn man das unter den Bandagen vermutlich nicht sah. „Mnnnaaauuu umu woo“, murmelte ich unsicher. „Mh?“, galt Regis fragender Laut mehr Dettlaff denn mir. „Dieser Spiegelmeister ist gefährlich“, übersetzte Dettlaff halbherzig meine Bedenken. Gefährlich? Das war die Untertreibung des Jahrhunderts! „So wie ich das verstanden habe, hat Geralt bereits Erfahrung mit dieser Kreatur“, entgegnete Regis zögerlich. „Dann wird er Dame Yennefer zweifellos über seine Erfahrungen informieren. Im Moment sehe ich jedoch keine bessere Option. Besonders, wenn du darauf bestehst, diesen Mann nicht selbst zu konsultieren.“

Regis sah ruhig zu mir herüber, doch die Frage hinter seinen Worten, war unüberhörbar. Was war dieser Gaunter O’Dimm, dass ich solche Angst vor ihm hatte und sogar davon ausging, dass Regis und Dettlaff, immerhin zwei höhere Vampire und damit den allermeisten Kreaturen weit überlegen, ihm nicht gewachsen waren. So richtig erklären konnte ich das leider selbst nicht und Dettlaffs halbgare Übersetzungen halfen auch nicht unbedingt. Ich erwiderte Regis‘ Blick entschieden. Wir durften O’Dimm auf gar keinen Fall ansprechen. Je weniger Beachtung er uns schenkte, desto besser. Der Preis des Spiegelmeisters war einfach zu hoch. Lieber bliebe ich für den Rest meiner Existenz, wie lang die auch dauern mochte, eine brabbelnde Mumie, als zuzulassen, dass irgendjemand seine Seele verkaufte. Das galt besonders für Regis, den ich im Grunde für zu klug hielt, ein solches Opfer zu bringen, als auch Dettlaff, bei dem ich mir da nicht so sicher war. Sein Bedürfnis, seine Familie zu beschützen, war groß und wenn er mich dazuzählte, traute ich ihm so einige Dummheiten zu. Besser, kein Risiko einzugehen. O’Dimm war unberechenbar und dieser Halloween-Scherz machte ihm vermutlich ohnehin schon viel zu viel Spaß. Kein Grund, ihn noch dafür zu belohnen.
 

„Faaaanneeeiiil“, verabschiedete ich Regis mahnend. Dessen Blick glitt sofort zu Dettlaff, der jedoch keine Anstalten machte, meine Warnung weiterzugeben. Nach einer kurzen Weile hüstelte Regis auffordernd. Dettlaffs Miene war so einfach zu lesen wie ein Buch. Ihn nervte diese ganze Situation nicht wirklich, sie beunruhigte ihn vielmehr. Die angestrengten Denkfalten auf seiner Stirn und der verkniffene Ausdruck um seine Mundwinkel verrieten das ziemlich schnell, wenn man den Vampir erst einmal gut genug kannte. Ich fühlte mit ihm, doch im Moment waren uns allen die Hände gebunden. Keiner von uns beherrschte Magie, oder wenigstens nicht die Art, die uns hier weiterhalf. Die den Vampiren eigene Form der Magie hatte mit der Magie der Zauberinnen und Zauberer schon nichts gemeint und fiel außerhalb jeder Kategorie und was ich zu zaubern vermocht hatte, war nicht wirklich kontrolliert abgelaufen und selbst wenn es mir gelänge, mithilfe meines Schmuckstücks noch einmal die Zeit zu manipulieren, wagte ich zu bezweifeln, dass uns das irgendwie weiterhelfen würde. Nein, wir mussten eine andere Möglichkeit finden und die hieß meiner Einschätzung nach nicht Yennefer von Vengerberg, zumindest nicht direkt. Sie konnte den Bann vielleicht nicht lösen, aber ihr Wissen über alle möglichen Formen von Magie könnte dennoch nützlich sein. Genau genommen hoffte ich, sie würde uns erzählen, dass ein Djinn diesen Bann aufheben könnte. Es bliebe zwar immer noch wahnsinnig schwierig, einen zu finden und dazu zu bringen, uns zu helfen, aber es erschien mir immer noch machbarer, als Gaunter zu überzeugen, den Zauber aus reiner Nächstenliebe aufzuheben.

„Bitte?“, fragte Regis schließlich, als Dettlaff stumm blieb. „Traurige Mumiengeräusche.“ Empört sah ich zu Dettlaff hinüber. Traurige Mumiengeräusche? War das sein verschissener Ernst? „Frrruuuummaaae!“, protestierte ich entgeistert. „Wütende Mumiengeräusche“, übersetzte Dettlaff dieses Mal ungefragt. Missmutig wollte ich ihn gegen die Schulter boxen, doch verfehlte den Vampir knapp. Verdammt Scheiße! Wie ich es hasste, dass mir mein Körper einfach nicht richtig gehorchte! Frustriert ächzte ich und schimpfte ausgelassen. „Das übersetze ich nicht“, schnaubte Dettlaff pikiert. AHA! Er hatte mich also doch verstanden. „Frruuu“, brummte ich in seine Richtung. Er wusste schon, was ich ihm sagen wollte. Blödmann! Dem gab ich wütende Mumiengeräusche. Regis‘ Seufzen klang mehr amüsiert denn besorgt, als er meinte: „Nun, wie ich sehe, seid ihr beieinander in guten Händen. Sobald ich Geralt informiert habe, werde ich bei Orianna nach dem Rechten sehen“, erklärte der Babierchirurg mit einem leichten Schmunzeln, welches die Unruhe aus seinem Blick jedoch nicht zu überspielen vermochte. Er stellte sich bestimmt die gleiche Frage, wie Dettlaff und ich: Ließe sich dieser Bann aufheben oder war das nun die Realität, an die wir uns gewöhnen mussten? Letzteres würde mich endgültig zur Außenseiterin der menschlichen Gesellschaft machen, zu der ich in dieser Welt nie recht Anschluss hatte finden können. Das war eine Sache, aber nur noch mit Dettlaff reden zu können, würde ihn und mich früher oder später in den Wahnsinn treiben.
 

„Fiiirunn“, seufzte ich bedrückt. Regis war seit schon vor einer gefühlten Ewigkeit weg und hatte mich mit Dettlaff allein gelassen. „Mefaaaviiinne.“ „Hab mehr Zuversicht hinsichtlich der Zauberin“, brummte Dettlaff zurück. Ich seufzte und klang dabei wie ein Meerschweinchen, das gerade überfahren wurde. Ob ich mich jemals an diese Form der Existenz gewöhnen könnte? Als Kostüm war mir diese Sache noch als eine tolle Idee erschienen, aber wie hätte ich auch ahnen können, dass ich mir wirklich in eine Mumie verwandeln würde? Ich versuchte, die Knie anzuziehen, doch nicht einmal mehr das ging so richtig. Meine Glieder fühlten sich seit der Verwandlung seltsam steif und ungelenk an. Ergeben gab ich schließlich auf und streckte die Beine aus. In Filmen blieben Monstermumien oft innerhalb ihres Grabes, doch das schien auf mich nicht zuzutreffen. Immerhin hatte ich Oriannas Haus und auch die Gruft verlassen können, in der ich derzeit hauste. Ob das Sonnenlicht wohl eine Wirkung auf mich hätte? Viele Monster schreckten in den Legenden immerhin davor zurück. Mumien waren da zwar nicht unbedingt die ersten Wesen, an die man dachte, doch was hieß das schon? Ich hatte die Regeln für diesen Zustand immerhin nicht gemacht. Soweit es mich betraf, konnte noch alles mögliche passieren. Vielleicht war die Verwandlung auch noch gar nicht abgeschlossen und ich begann, zu verdummen? Mumien hatten ja faktisch nicht einmal mehr ein Gehirn. Ganz zu schweigen von ein paar anderen Organen. Essen bräuchte ich dann wohl nichts mehr. Himmel, ich war noch keine 24 Stunden eine Mumie und fühlte mich schon wie eine Art Mischung aus Haustier und besserem Staubfänger.

„Hennavananamm. Tareamuun fi ennkaladish. Mmm eeefun.“ Mir war einfach nur zum Heulen zumute. Dettlaffs Hand auf meinem Rücken hörte ich mehr, als ich sie fühlte. Das leise Rascheln der Bandagen hatte ihn verraten. „Das wird nicht passieren“, murmelte er zögerlich. Dabei sah er mich nicht einmal an, sondern in die Ferne, wo sich die frühe Morgensonne abzuzeichnen begann. Komisch, ich war gar nicht müde. „Du wirst wieder du selbst.“ Ich wusste, er meinte es gut, aber Dettlaff klang selbst nicht überzeugt von dem, was er da sagte und wenn ich ganz ehrlich war, machte mir das nur noch mehr Angst. Wenn weder er und Regis mit all den Jahrhunderten an Lebenserfahrung auf der einen Seite und ich mit meinem Wissen aus einer anderen Realität über die verschiedensten Mächte dieser Welt keine Ahnung hatten, wie man diesen Bann aufheben könnte, wie sollte ich da optimistisch sein, dass alles gut werden würde? „Fifian miiifuuu“, entgegnete ich bitter. Dettlaffs Miene verzog sich und ich konnte hören, wie seine Hand über meine Schulter rieb. Das war wohl seine Art, mich aufzumuntern. Dankbar sah ich zu dem Vampir hoch. „Die Zauberin wird einen Weg finden. Und wenn nicht, werden wir uns diesen Spiegelmeister zu-“ „FANNUUIN!“, unterbrach ich Dettlaff energisch. „Miraaahennmm olleff noo- in Frage! O’Dimm ist einfach zu gefährlich und selbst wenn er sich bereiterklärt, den Bann zu heben, wird er dafür etwas viel zu Wertvolles verlangen. Auf gar keinen Fall, hörst du?! Nichts ist diesen Preis wert. Nichts!“ Auch nicht das Leben der Leute von Oriannas Party oder meines. Eine Seele war etwas, dessen Wert womöglich niemand wirklich ermessen konnte. Ich könnte mir niemals verzeihen, zahlte jemand diesen Preis für mich.
 

Dettlaffs Augen weiteten sich überrascht, dann lächelte er. Etwas, das man nur selten bei ihm sah, weshalb ich in meinem Redeschwall überhaupt erst innehielt. Sonst wäre mir womöglich auch noch gar nicht aufgefallen, dass ich wieder normal sprach. Verdattert hielt ich den Atem an. „Dettlaff?“, flüsterte ich dann vorsichtig, mich davon überzeugend, dass meine Stimme wieder tat, was ich wollte. Anstatt zu antworten, griff mein nicht ganz freiwilliger Gesprächspartner einfach nach den Binden an meinem Arm. „Was hast du vor?“, wollte ich verwundert wissen, da zerrte er auch schon daran, im Versuch sie abzuwickeln und mich davon zu befreien. Ungeschickt half ich ihm dabei. So sehr ich mich am frühen Abend auf das Kostüm gefreut hatte, so schnell wollte ich es jetzt wieder loswerden. Vom Mumiesein hatte ich gehörig die Nase voll. Für meinen Geschmack dauerte es viel zu lange, die ganzen Bandagen loszuwerden und Dettlaff ging es wohl ebenso. Wir hatten scheinbar beide das Gefühl, als wären sie geradezu verflucht. Das Geräusch reißenden Stoffs verriet, dass der Vampir kurzen Prozess mit den Verbänden machte, während ich mich nach und nach aus meiner Verkleidung schälte, bis ich nur noch in einem dünnen Unterkleid nebst Strumpfhose in der frühmorgendlichen Oktoberkälte stand. Es fühlte sich an, als falle eine schwere Last von mir ab, als ich aus den letzten herabfallenden Bandagen stieg.

Dettlaff und ich hatten die ganze Zeit kein Wort gewechselt, aber jetzt sah ich dankbar zu ihm hinauf. „Danke“, meinte ich aufrichtig. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach sein würde, aber... Huff. Zum Glück ist das vorbei.“ Ich atmete erleichtert durch. „Mhmh“, brummte Dettlaff zurück, wortkarg wie meist. Mit einem Fuß schob er die Bandagen von uns weg, als wären sie am Unheil der vergangenen Nacht schuld. Fröstelnd blickte ich auf die weißen Stoffstreifen hinab, die mir in den letzten Stunden wie ein Gefängnis erschienen waren. „Nächstes Jahr kostümiere ich mich dann wohl besser als Vampir“, scherzte ich halbherzig im Versuch, die Stimmung etwas aufzulockern. Dettlaff wirkte noch angespannter als ich, ganz so, als erwarte er, dass noch irgendetwas passierte. „Wär vielleicht besser“, murmelte er dann zurück, den Blick von den Bandagen lösend und mir zuwendend. „Bist du unversehrt?“, erkundigte er sich skeptisch. Prüfend blickte ich an mir herab, bewegte erst meine Arme, dann die Beine und sprang schließlich demonstrativ auf der Stelle. „Ja, scheint alles wieder in bester Ordnung zu sein“, befand ich schließlich erleichtert. „Fühlt sich auch alles wieder ganz normal an. Ein bisschen kalt, aber gut. Menschlich“, lachte ich. Dass sich das so gut anfühlen konnte! „Gut.“ Dettlaff beäugte mich noch einmal skeptisch von Kopf bis Fuß, dann zog er wortlos seinen Mantel aus und legte ihn mir um die Schultern. „Danke. Ist dir denn nicht kalt?“ „Nein“, antwortete der Vampir kurzangebunden und nickte dann wortlos Richtung Gruft, ein stummes Zeichen, hineinzugehen.
 

„Wir sollten nachsehen, ob Oriannas andere Gäste sich auch wieder wie sie selbst benehmen“, gab ich zu bedenken. Zwar ging ich davon aus, doch zur Sicherheit wollte ich dennoch nachsehen. „Regis ist dort. Zweifellos wird er uns bald wissen lassen, dass auch die Menschen vom Zauberbann befreit wurden“, schob Dettlaff meinen indirekten Vorschlag beiseite. So wie er das sagte, könnte man meinen, ich sei kein Mensch. Natürlich wusste er, dass ich aus einer anderen Welt kam, aber doch wohl auch, dass ich ein Mensch war. Sah er mich nicht als Mensch? Das sollte ich wohl als Kompliment werten, wenn man bedachte, wie wenig er nach Syannas Intrigen für die Menschheit übrig hatte. Ich schmunzelte und wandte mich gen Gruft. Sicher hatte Dettlaff Recht und Regis würde jeden Moment eintreffen. Nur schade für Yennefer, dass es für sie keinen Zauber mehr zu untersuchen geben würde, falls sie sich dieser Sache persönlich anzunehmen gedachte. Am Ende war das aber wohl besser so. Ich hoffte nur, der Spiegelmeister war weitergezogen. Ich wollte auf keinen Fall, dass Regis, Dettlaff oder ich seine Aufmerksamkeit auf uns zogen. Wir alle drei waren anders als die typischen Bewohner dieser Welt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Am Ende jedoch verfügte jeder von uns über Fähigkeiten oder Wissen, das in den Händen O’Dimms ein zu gefährliches Werkzeug wäre.

„Dettlaff, kommst du?“, hielt ich an der Tür zur Gruft inne. Der Vampir stand noch immer an der steinernen Friedhofsbank, auf der wir gesessen hatten. Irritiert runzelte ich die Stirn, als er nicht reagierte. „Dettlaff?“ Sorgte er sich etwa wegen der Bandagen. Die würde ich morgen definitiv verbrennen, nur zur Sicherheit und ich war mir sicher, dass da weder Regis noch Dettlaff widersprechen würden. Verwirrt drehte ich mich um und wollte gerade noch einmal nach meinem Freund rufen, als dieser sich plötzlich aus seiner Starre löste und auf mich zu stapfte. „Alles in Ordnung?“, wollte ich wissen, die Stirn skeptisch gerunzelt. Dettlaff nickte, doch seine Miene blieb seltsam steinern. „Ja. Es ist nichts. Gehen wir hinein.“ Ich glaubte ihm nicht ganz, dennoch nickte ich und schlüpfte als Erste durch die schwere Steintür in die Gruft, die ich derzeit mein Zuhause nannte. Vorsichtig tastete ich mich durch die Dunkelheit. Inzwischen wusste ich, wo ich Stahl und Stein fände, um ein Feuer zu entfachen. Geschickt war ich darin zwar nicht, aber Übung machte den Meister. „Dieser Gaunter O’Dimm“, ergriff Dettlaff in der Finsternis unerwartet das Wort. Ich konnte ihn neben mir hören, dann umfasste eine Hand meine Schulter. „Mh?“ „Er hat ein kahles Haupt, nicht wahr?“ Dettlaffs Frage brachte mich völlig aus dem Konzept. Das hatte ich nicht erwähnt, da war ich sicher. „Hat er“, brachte ich leise heraus. Meine Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt. Stille legte sich über Dettlaff und mich. „Dettlaff, wo hast du ihn gesehen?“, flüsterte ich nach einer Weile. Eine Weile lang erhielt ich keine Antwort, dann konnte ich ein leises Kratzen hören, schließlich ein Zischen. Dettlaff hatte eine Kerze angezündet, deren flackernde Flamme die Gruft spärlich erhellte. „Vorhin, auf dem Friedhof.“



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