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Von Schwänen, Freunden und Familie

Eine kurze Lebensreflexion
von

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Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war das Geräusch der abgefeuerten Patrone. Schon ein wenig lachhaft, fast schon zynisch, dass mein Leben durch jene Person beendet wurde, die ich eigentlich als Mutter bezeichnete, verehrte, ja sogar liebte. Natürlich war meine Mom nicht unbedingt das, was man als gute Mutter bezeichnen konnte, aber sie hatte mich immerhin geboren. Sie hätte mich auch abtreiben können. Gut, dann wäre sie auch um einiges an Geld umgefallen, aber dennoch. Neun Monate lang hatte sie mich mit sich herumgetragen, sich wahrscheinlich sogar ein wenig zurückgenommen was Feiern und dergleichen anging und wie habe ich es ihr gedankt?
 

Nach dem Schuss war es schwarz um mich geworden. Der stechende Schmerz in der Schulter, der mich von den Füßen gerissen hatte, er war einfach verebbt. Eine süße Dunkelheit umfing mich, aus der ich gar nicht mehr aufwachen wollte. In diesem kleinen Refugium, diesem kleinen Stück Realität, das außerhalb von Raum und Zeit zu existieren schien, da war ich frei und glücklich. Ich konnte mein Leben Revue passieren lassen.
 

16 Jahre hatte ich gehabt. Okay, 16 und ein halbes Jahr. Auf letzteres kam es nämlich an. Ich hatte in diesem halben Jahr wirkliche Freunde gefunden. Gleichaltrige, die sich nicht, oder nicht ausschließlich für mein Geld interessierten. Dann eine Familie. Jonathan war zweifelsohne ein guter Aufpasser gewesen, vielleicht sogar ein väterlicher Mentor, ähnlich wie Alfred für Batman, aber er war eben nicht biologisch verwandt mit mir. Das mochte nun recht kleinkariert klingen, nur hatte ich mich mein Leben lang nach einer echten Familie gesehnt. Dads Bemühungen waren einfach fruchtlos gewesen, er zu beschäftigt und für mich deprimierend, wenn bei meinen Turnieren im Ziel die anderen von ihren Eltern jubelnd empfangen wurden und Jonathan einfach mit meiner Jacke wartete. Nach der Pokalvergabe und der Siegerehrung fuhren wir wieder heim. Er war mir einfach zu fremd. Ein guter Alfred, ja, aber eben kein Onkel, keine Tante und auch keine Cousine.
 

Was mich wirklich im Leben nach vorne gebracht hatte, das waren Stiles und Scott. Sie hatten beide natürlich davon profitiert, dass mein Vater reich ist, aber das war es nicht gewesen, was uns so eng zusammengeschweißt hatte. Ich glaube, beide haben meinen guten Kern erkannt, das Verletzliche, das ich mit den lockeren Sprüchen zu kaschieren versuchte. Okay, vielleicht hatte auch ein wenig der Mercedes geholfen und die Tatsache, dass ich der Cousin von Scotts Freundin war. Das hatte jedoch niemals zwischen uns gestanden. Wir waren ein Team.
 

„Gewesen“, korrigierte ich mich gedanklich.
 

Ich fragte mich, wie Mom einfach so hatte abdrücken können. War ihr Wahn, die Welt von allen Werwölfen zu befreien, wirklich so viel stärker als die Gefühle für mich? Es gab dutzende Geschichten und Zeitungsberichte in denen liebende Mütter ihre Kinder aus nahezu unmöglichen Situationen retteten. Frauen, die Autos in die Höhe stemmten, sich in brennende Häuser begaben und sogar Stahlträger verbiegen konnten. Meine Mom konnte mit einer Waffe auf meinen besten Freund zielen und jedes Hindernis, das sich ihr in den Weg stellte, mochte es auch ihr eigener Sohn sein, beiseiteräumen.
 

Seltsamerweise fühlte ich nun doch wieder etwas: Trauer, Enttäuschung und auch Schmerz. Ich weiß nicht was ich mir erwartet hatte: Dass mir Mom um den Hals fiel, sie stolz auf mich war oder mir einfach ein ehrliches Lächeln schenkte, aber nicht das. Kinder brauchten Eltern, sei es Mutter oder Vater, am besten beide. Mir war das nicht vergönnt gewesen. Dad war beruflich zu beschäftigt und Mom hatte mich nach der Geburt gleich weggegeben. Ich fragte mich einfach nach dem Warum. Würde ich auch einmal so sein, wenn ich einmal Kinder hatte? Oder wäre ich so gewesen, denn die Chancen waren relativ gering, dass ich in den Genuss trappelnder Kinderfüße kommen würde.
 

Was wohl gerade in der Realität passierte? Hatten Mom und Allison es geschafft, Scott auch zu erschießen? War es ihr gelungen meine Cousine weiterhin zu manipulieren? Sie dazu zu zwingen, das, was sie liebte, auszulöschen? War vielleicht Stiles aufgetaucht, als der Retter, mit einer guten Idee? Würde ich sie jemals wiedersehen? Ich vermisste Scott und Stiles bereits jetzt schon, genauso wie Allison. Sogar die Sticheleien mit Jackson erschienen mir plötzlich nicht mehr als nervig, sondern viel mehr wie eine amüsante Routine.
 

Das mochte nun albern klingen, aber ich hoffte tatsächlich, dass mein Opfer irgendetwas verändert hatte. Vielleicht war Mom zur Besinnung gekommen? Oder Allison? Hatte ich Scott genügend Zeit erkauft, dass jemand ihn retten konnte? Sie gemeinsam dieses Monster umbringen hatten können? Am Ende waren es schließlich unsere Taten, die uns einer Seite, Gut oder Böse, zuordneten.
 

In der Ferne ertönten plötzlich Laute, wie ich sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gehört hatte. Das letzte Mal vor ca. vier Jahren. Ich erinnerte mich noch gut daran:
 

Die restlichen vier Schwäne umkreisten ihren Gefährten, der leblos im Weiher dahintrieb. Sie hatten die langen Hälse gesenkt. Ihre Stimmen so voller Trauer und Schmerz. Das Lied, welches sie anstimmten, es berührte einen, sogar mich, mit meinen zwölf Jahren. Ich begriff zwar nicht, was sie da taten, außer ihren Kameraden zu betrauern, aber sie taten es mit so einer Hingabe und auch Liebe, die ich nicht in Worte fassen konnte. Ihr Handeln trieb einen die Tränen in die Augen.
 

Vier Jahre später hörte ich diese Laute wieder. Heute verband ich aber nicht nur Trauer und Schmerz damit, sondern auch eine Spur Freude. Der Legende nach hat Apollon Kyknos in das Sternenbild des Schwans verwandelt, ob dessen Trauer, weil sein bester Freund aus der Kutsche des Helios gefallen und gestorben war. Die Schwäne waren die heiligen Tiere des griechischen Gottes der Dichtkunst und er hatte ebenfalls um Kyknos´ Freund getrauert. Würde Scott wohl auch so um mich trauern? In welches Sternenbild man ihn wohl verwandelte? Einen Wolf? Zu kitschig. Einen Lacrosse-Spieler in voller Montur? Schon eher, aber nein, das war es auch nicht. Ich glaube, Apollon würde einfach sein wunderschönes Gesicht nehmen und die Sterne so anordnen, dass sie es widerspiegelten.
 

Noch immer sangen die Schwäne ihr trauriges Lied. Wohin würde ich eigentlich kommen? Ins Paradies? Bei der Geschichte um Kyknos musste ich ans Elysium denken. Oder nach Walhalla, ich war schließlich als Krieger gestorben (das redete ich mir zumindest ein)? Würde ich überhaupt irgendwohin gelangen oder dieser Moment des Nichts einfach ewig dauern? Ich in der süßen Schwärze verrotten bis ans Ende aller Tage? War es das, was mit einem passierte, wenn man starb?
 

Etwas oder jemand zerrte an mir. Ich sollte fort von diesem Ort, fort aus meinem kleinen gedanklichen Sanktum. Ich spürte, wie ich geschüttelt wurde, wie ich atmete, das beständige Pochen meines Herzens und warme, sanfte Hände, die mich umschlossen hielten. Jemand rief meinen Namen. Dazu gesellten sich andere Stimmen, die es ihm gleichtaten. Sie schrien förmlich. Ein letztes Mal blickte ich zurück, auf all die Gedanken und Gefühle, die ich hinter mir ließ und gab schlussendlich dem Rufen nach.
 

Kaum, dass ich das getan hatte, setzte auch der Schmerz wieder ein. Er war omnipräsent. Von meiner rechten Schulter aus strahlte er in meinen ganzen Körper aus. Es tat höllisch weh und ich glaubte mir würde die Schulter ausgerissen werden. Das Schütteln war auch nicht sonderlich angenehm. Mir wurde von dem Stimmengewirr schlecht. Ich konnte Blut, Schweiß und den Geruch von frischer Erde wahrnehmen. War ich also doch tot oder nur so halb und wurde gerade lebendig begraben? Panisch riss ich die Augen auf und…
 

„Luke?“
 

Nein, ich war nicht begraben worden. Ich war noch nicht einmal aus dem Waldstück fortgeschafft worden. Ein ziemlich mitgenommener Scott schaute auf mich herab. Er musste mich in seinen Armen halten, so wie ich gerade dalag. Eine seiner Hände konnte ich im Nacken spüren, die andere auf meiner Brust. Dreck und Blut verunstalteten sein Gesicht. Die Haarspitzen klebten ihm durchnässt an der Stirn. Er wirkte wie ein Häufchen Elend und doch lächelte er erleichtert als ich mich zu rühren begann.
 

„Er kommt wieder zu sich!“
 

Ich wurde mir tatsächlich sämtlicher meiner Sinne wieder bewusst, auch der Verletzung in meiner Schulter, die ich nicht anzusehen wagte. Das würde einen guten Arzt brauchen, ganz sicher. Ich würde außerdem das Interieur meines Wagens vollbluten und jemand anderen fahren lassen müssen. In einen Krankenwagen stieg ich sicher nicht. Das störte mich aber kaum, sogar der Schmerz ebbte ein wenig ab, denn ich reckte mich vorsichtig nach oben. Bevor Scott oder irgendjemand anderer reagieren konnte, da legte ich meine Lippen auf seine. Für den Hauch einer Sekunde, der einer kleinen Ewigkeit glich, stand die Zeit still. Es gab nur ihn, mich und das Gefühl seiner warmen, weichen Lippen auf den meinen. Mir war es egal was die anderen dachten. Bevor ich die Schwäne ein weiteres Mal weinen hören würde, wollte ich zumindest diesen einen Moment voll auskosten. Das Leben war zu kurz, um zu zögern und ich wusste jetzt, dass ich das Richtige getan hatte. Ich wollte, dass er es wusste. Scott sollte begreifen was er mir bedeutete.
 

Ich bereute es nicht mich gegen meine Mutter gestellt zu haben. Natürlich würde ich sie dadurch vollends verlieren, doch das war es wert. Ich hatte mich bewusst gegen sie entschieden, und ich brauchte sie auch nicht mehr. Das was ich hatte war besser als eine Mutter, die mich nicht wollte, die mich höchstens als Mittel zum Zweck betrachtete: Freunde. Seine Familie konnte man sich nicht aussuchen, seine Freunde aber schon. Wir waren ein Team und würden es auch immer bleiben. Nichts konnte uns trennen. Höchstens diese eine unbedachte Aktion.
 

Hoffentlich konnte Scott mir verzeihen.



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