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Lebwohl...

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Lebewohl...

Schon als ich am Morgen meine Augen öffnet, wusste ich, dies würde der schlimmste Tag meines Lebens werden ... Denn heute war es so weit, ich würde David endgültig Lebewohl sagen müssen… Wie sollte ich das nur schaffen? Wir hatten quasi unser ganzes Leben miteinander verbracht…

Wir waren von Anfang an mehr als nur Freunde gewesen, schon als ich ihm das erste Mal gesehen hatte, habe ich gewusst, dass wir ein Leben lang Seite an Seite bleiben würden…

Ein Leben lang… pah, ein Leben war viel zu kurz… Davids leben war viel zu kurz. … Die Zeit, die ich mit ihm hatte, war zu kurz…

Kraftlos hievte ich mich aus unserem Bett, oder mehr versuchte es, denn kaum war ich aufgestanden, musste ich mich schon wieder hinsetzten, ich fühlte mich so unendlich kraftlos seit diesem beschließenden tag… Dabei tat ich doch eigentlich nichts anderes als Rumsitzen vor mich hinzureden oder zu weinen… Alles andere war in den letzten 5 Jahren zur Nebensache geworden…

 

5 Jahre… solang lag David jetzt schon im Koma… 5 Jahre, in denen ich tag ein Tag aus an seinem Bett Gesäßen habe, wenn ich nicht gerade beim Anwalt war, um zu kämpfen, das seine Eltern die Maschinen nicht abstellen ließen… 5 Jahre, in denen ich nicht einmal sein lachen gehört hatte… Sein wundervolles lachen… Dabei hatten wir damals gerade erst begonnen, uns gemeinsam etwas aufzubauen, wir hatten diese Wohnung gekauft, weit weg von unseren beiden Eltern…

Unser gemeinsames Outing war damals nicht wirklich gut ausgegangen, weder seine noch meine Eltern verstanden, was wir wirklich für einander empfanden… Wir liebten uns verdammt noch mal und daran war nichts falsch, auch wenn sie versucht hatten, es uns einzureden…

Egal was meine oder seine Eltern sagten, ich liebte ihn… Ich liebte ihn mit meinem ganzen herzen… Und ich würde es immer tun… Schmerzlich fühlte ich, wie sich der kleine herzförmige Muskel in meiner Brust verkrampfte…

Ich versuchte mich abzulenken und warf einen Blick auf den Wecker schon kurz nach 8… Ich musste mich beeilen, ich wollte noch so viel zeit wie nur irgendwie möglich mit David verbringen… Wenn die Pfleger mich lassen würden, wäre ich vermutlich 24 Stunden am Tag bei ihm, doch auch ich musste mich an besuch Zeiten halten, etwas, das ich schmerzlich gelernt hatte…

Denn als ich mich vor 5 Jahren, als seine Eltern in dieses Langzeitpflegeheim gesteckt hatten, geweigert hatte zu gehen, als die Besuchszeit rum war, warf man mich buchstäblich raus, das ganze ging 3-mal so, bis man mir androhten ich dürfte nicht mehr kommen, seitdem hielt ich mich penibel an die Zeiten.

Punkt 9 Uhr morgens stand ich vor der Tür und Punkt 19 Uhr und keine Minute früher verließ ich das Pflegeheim wieder… Wenn nicht James Dienst hatte, er war oft so lieb und ließ mich bis kurz vor 21 Uhr bleiben, bis die Schicht wechselte, dann musste ich weg sein und das war ich, schließlich wollte ich nicht, dass er ärger bekam.

Ob James heute dienst hatte? Wenn ja, würde er mich vielleicht ein paar Minuten früher rein lassen.

Allein der Gedanke an noch ein paar extra Minuten mit David sorgte dafür, dass ich mich aus dem Bett schwang und in ein paar herumliegende Klamotten sprang.

Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal gewaschen? Ach egal, wer weiß, vielleicht stank ich ja so das David vor Schreck aus dem Koma aufwachen und mich unter die Dusche zerren würde…

Reines Wunschdenken… Der letzte Gutachter hatte daran keinen Zweifel gelassen, David würde nie wieder aufwachen… Und selbst die kleinste Hoffnung würde heute mit dem Abschalten der Maschinen enden…

 

Allein bei dem Gedanken wurden meine Schritte Richtung Bushaltestelle langsamer… Ich wollte David sehen, wirklich, ich wollte bei ihm sein, aber allein bei dem Gedanken, dass dies wirklich das letzte Mal seihen sollte, verließ mich fast alle kraft… Zum Glück war es nicht sehr weit und ich konnte mich an der Bushaltestelle auf einen der Knall orangen sitze fallen lassen…

Schwer atmend stützte ich meinen Armen auf meinen Knien ab während ich mein Gesicht in meinen Händen verbarg…  Ich konnte spüren, wie mir schon wieder die Tränen in die Augen schossen…

Wie sollte ich das nur packen, wie sollte ich nur ohne ihn weitermachen?

Und das vollkommen allein… unsere gemeinsamen Freunde ertrugen mich schon seit Jahren nicht mehr, ich wollte immer über David reden, über unsere guten Zeiten, aber sie… Sie für sie war er schon vor 5 Jahren gestorben, genauso für seine Eltern… Sie hatten sich, so muss ich zugeben, damals rührend von ihm verabschiedet… Alles, was sie daran erinnerte, dass David noch lebte, wahren vermutlich die Rechnungen des Pflegeheims und die Schreiben meines Anwaltes…

Doch alles Prozessieren hatte nichts gebracht… Sie würden heute die Maschinen abstellen und ihn endgültig für tot erklären lassen… und seine Eltern, sie würden nicht mal kommen, ob ich darüber froh sein sollte, wusste ich nicht…

 

Ein verräterisches zischen ließ mich aufsehen, der Bus war da. Schnell stand ich auf, kramte mein Handy hervor, zeigte dem Busfahrer mein digitales Ticket, denn auch wenn er mich bereits kannte und ich ihn, na ja, zumindest vom Sehen… Immerhin fuhr er jeden Tag die Gleiche strecke und ich ebenso nur er als Fahrer, ich als Gast…

Gestern Abend hatte er mir sogar mitfühlend die Hand auf die Schulter gelegt… Vermutlich hatte ich noch verheulter ausgesehen als sonst schon…

Nicht einmal die letzte Nacht hatten sie mich mit ihm verbringen lassen… Wie gern wäre ich nur ein letztes Mal neben ihm eingeschlafen und wieder aufgewacht und das nicht auf seiner Bettkante…

Der Bus setzte sich in Bewegung und wir fuhren durch die kleine Vorstadt hinaus, durch die Felder, wie gern war ich mit David hier mit seinem Bike durch die Gegend gefahren, meine arme fest um seine Taille geschlungen, sein raues Aftershave in der Nase, dass der wind mir entgegenwehte.

Wieso, wieso hatte ich ihn damals nur alleine fahren lassen. … Verdammt. Wieso haben wir die Wände nicht einfach so gelassen wie sei wahren? Dann hätte mich nicht ein verdammter Pinsel das wichtigste im Leben gekostet… Mit einer weißen Wand oder sogar einer untapezierten ja sogar ganz ohne Wand hätte ich leben können, ja wirklich, aber nicht ohne David… und doch, doch würde ich genau das ab heute müssen…

 

Gerade als ich wieder erneut in Tränen ausbrechen wollte, hielt der Bus. Wir waren an unserem Ziel…

Langzeitpflegeheim, Waldlauf… wer hatte sich diesen beschließenden Namen eigentlich ausgedacht…

Länger als sonst brauchte ich für den kleinen weg hoch zur Klinik, es war komisch, einerseits konnte ich es nicht erwarten, sein Gesicht zu sehen, andererseits hatte ich Angst… Ich würde ihn heute gehen lassen müssen und ich hatte mir vorgenommen, es ihm so leicht wie möglich zu machen…

Ich hatte mir vorgenommen, ihm zu sagen, dass es okay war, dass er gehen durfte… Aber es war nicht okay… Garnichts war okay… am allerwenigstens ich…

 

Wie jeden Morgen war ich der erste und einzige Besucher, der wartete, bis um 9 Uhr die Türen geöffnet wurden ... Die meisten kamen höchstens mal mittags für eine Stunde oder so und das auch nur mal alle paar Wochen oder Monate… Die meisten stellten nach einer weile ihre Besuche ganz ein, zumindest hatte James mir so was mal erzählt…

James… er war wirklich ein sehr netter Junger Mann, er arbeitete inzwischen fast einem Jahr hier in der Klinik… Im Gegensatz zu den meisten Mitarbeitern hatte er immer ein Lächeln auf den Lippen, und wenn er sich um David kümmerte, sprach er jedes Mal mit ihm so als könne er ihn hören, nicht wie die anderen, die einfach grob ihre Arbeit machten oder mich sogar aus dem Zimmer schmissen… Angehörige hatten bei der Grundpflege und Versorgung der Patienten nicht zu suchen…

Als gäbe es da irgendwas, was ich nicht kannte… Dabei hätte David inzwischen einen Vollbart, wenn ich ihn nicht regelmäßig rasieren würde…

Vielleicht sollte ich das heute auch noch einmal tun… Schoss es mir durch den Kopf… ein letztes Mal… Alles, was ich heute tun würde, würde ich wohl das letzte Mal tun können…

Ihm durch sein Haar streichen, ihn küssen…

Schnell versuchte ich mich von diesen düsteren Gedanken ablenken, ich wollte nicht, dass David die Trauer in meiner Stimme hören konnte… Immer wenn ich hier war, war ich bemüht gewesen, fröhlich und optimistisch zu klingen… Und ja, die ersten Wochen und Monate war ich das vielleicht sogar wirklich gewesen, dabei hatten die Ärzte uns von Anfang an kaum Hoffnungen gemacht und doch hatte ich mich stehst an den Gedanken geklammert, dass er noch lebte, dass er noch da war…

Kaum hatte ich die Klingel betätigt, kam schon eine gesetzte ältere Dame zur Tür.

 

„Herr Malberg, wie oft habe ich ihnen gesagt, das die Besuchszeit erst um 9 Uhr beginnt?“

 

Frau Schneider, na klasse, dieser Drachen hatte mir heute auch noch gefehlt… Sie hatte etwas gegen schwule… Für sie waren wir abnormal und trotzdem bemühte ich mich um Freundlichkeit…

„Entschuldigen sie Frau Schneider, anscheinend geht meine Uhr ein paar Minuten vor. … Könnte ich vielleicht trotzdem schon mit reinkommen?“

die dicke Frau rümpfte ihre Nase und wollte schon wütend ansetzten, als sie plötzlich davon abließ und lächelte. Ich wusste nicht mal, dass sie so etwas überhaupt konnte…

„Normal nicht Herr Malberg und das wissen sie auch, aber na gut, so muss ich wenigstens nicht noch einmal zur Tür laufen und wie ich in den Akten gesehen habe, werden sie uns wohl heute eh das letzte Mal beehren.“

Wie konnte diese Schabracke nur so leichtfertig über Davids bevorstehendes Ende reden, am liebsten hätte ich sie angeschrien, aber nachher ließ sie mich gar nicht mehr rein und dann könnte ich mich nicht mal von David verabschieden… Also nickte ich nur und trottete hinter ihr her, ins Innere des kleinen Gebäudes.

 

Mit den Worten „Sie wissen ja, wo sie hinmüssen.“ Verabschiedete sich Frau Schneider von mir und ließ sich wieder hinter dem Empfangstresen nieder und widmete sich wieder ihrem Morgen Kaffee.

Ich hingegen ging direkt am Tresen vorbei, die Treppe hoch in die erste Etage.

Davids Zimmer lag ganz am Ende des Flurs, welcher trotz der bunten Bilder für mich heute trostlos, ja fast erdrückend anfühlte…

Fast hatte ich das Gefühl, als würde ich meine eigene grüne Meile entlanglaufen, wie einst John Coffey… Nur mit dem Unterschied, dass es heute nicht mein Leben sein würde, das endete…

Stattdessen erwartete mich etwas viel Schlimmeres… lebenslänglich ohne David… der Tot wäre eine wahre Erlösung gegen das, was mich erwartete…

 

An Davids Tür angekommen griff ich nach der Klinke, doch ich bracht es nicht fertig, sie herunterzudrücken ... Ich konnte förmlich spüren, wie der Klos in meinem Hals immer dicker wurde und mir fast die Luft abdrückte, zumindest fühlte es sich so an…

Wie sollte ich das nur schaffen? Ich war kein starker Mensch… David war immer der Starke der Selbstbewusste von uns beiden gewesen, er war es, der die meisten schlachten für uns geschlagen hatte, nicht ich… Ich war schon als wir klein waren, immer der schwächere und weinerliche Typ von uns beiden gewesen, auch wenn David immer gesagt hatte, dass er genau dies an mir so lieben würde, meine Empfindsamkeit…

Er hatte es immer geschafft, dass ich meine größten schwächen auch als stärken sehen konnte, aber er war es auch gewesen, der mir stets denn halt gegeben hatte, alles zu versuchen… Er hatte mich sogar in meinem Traum bestärkt, Schriftsteller zu werden.

 

In meinen Kopf schwirrten die Erinnerungen der Feier meiner ersten Buchveröffentlichung.

David hatte ein riesen Spektakel deswegen veranstaltet und all unsere Freunde und verwandten zu uns nach Hause eingeladen, sogar meine Eltern, besser gesagt meinen Vater, meine Mutter war schon gestorben, als ich klein war…. Dass mein Vater nicht auftauchte, könnt ihr euch sicher denken… Doch statt sich darüber aufzuregen, machte David stolz ein Foto von uns und meinem Buch und schickte es ihm zusammen mit einem Exemplar per Post.

In meinem Buch ging es um einen kleinen Jungen, der wie ich damals entdeckte, das er Interesse am eigenen Geschlecht hatte und sich in den Nachbarsjungen verliebte…  Indirekt war es unsere Geschichte oder zumindest daran angelehnt.

Ich hatte damals viel geschrieben und viel verworfen, bis David meinte, schreib doch über etwas, das du kennst, das du selbst einmal erlebt hast, oder gleich über mich… David dieser Spinner und doch habe ich schließlich genau das getan… Und was soll ich sagen, das Buch verkaufte sich ziemlich gut.

Ich war zwar keine J.K Rowling, aber die Tantiemen meiner Bücher, inzwischen waren es 2 Stück, reichten, dass ich nicht auf Harz4 oder so etwas angewiesen war.

Gott sei danke, ich wollte mir gar nicht ausmalen, unsere gemeinsame Wohnung verkaufen zu müssen…

 

Auf einmal spürte ich eine starke Hand auf meiner Schulter. „Ethan, du packst das.“

Ich wusste sofort, wem diese starke aber doch sanfte Hand gehörte, James. Also hatte er heute doch Dienst, irgendwie erleichterte mich das… Bemüht um ein lächeln ließ ich die Türklinke los und drehte mich zu ihm um. „Morgen James, ich wusste gar nicht, dass du heute Dienst hast.“

Kurz erstarb, das lächeln in seinem Gesicht. „Ich habe getaucht, ich habe gehört, das heute Davids Maschinen abgestellt werden, da… da dachte ich, du könntest mich vielleicht brauchen…“

Er hatte, er hatte extra wegen mir seinen Dienst getauscht? Wie lange hatte niemand mehr etwas so Rührendes für mich getan. „Danke…“  Kam es leise über meine Lippen, ich wusste einfach nicht, was ich stattdessen sagen sollte…

 

Ich wusste inzwischen, dass James auch schwul war und auch das er Interesse an mir hatte, aber genauso wie ich wusste, dass er auf mich stand, wusste er, das mein Herz nur für den Mann schlug, der hinter dieser Tür lag, und er akzeptierte es mehr noch, er war trotzdem für mich da…

Nahm mich sogar abends in seinem Auto mit, wenn er mich länger bleiben ließ, da so spät nachts kein Bus mehr fuhr… Sicher würde er sich das heute Abend auch nicht nehmen lassen… Wenn, wenn ... Wieder spürte ich die Tränen ihn meine Augen schießen… „James. Ich, ich weiß einfach nicht, wie ich das machen soll… Ich… Wie, wie soll ich ihm nur Lebewohl sagen… Ich, ich bin einfach noch nicht bereit, ihn gehen zu lassen und doch… doch…“

 

Plötzlich tat James etwas, das er noch nie getan hatte, er nahm mich in den Arm, ich konnte spüren, wie sich seine warmen Arme um mich legten und er mir beruhigend über den Rücken strich, ehe er mich auch schon wieder losließ und ernst ansah.

 

„Ethan, du schaffst das für David, so wie er es bis heute geschafft hat zu kämpfen für dich am Leben zu bleiben, musst du heute die Kraft haben, ihn zu sagen, dass es okay ist, dass er gehen darf und das du auch ohne ihn klarkommen wirst. Das du für euch beide weiterleben wirst. Denn ich glaube, genau das würde er von dir hören wollen. Er würde sich ganz sicher wünschen, dass du weitermachst, zumindest würde ich mir das an seiner Stelle wünschen.“

 

Zum Schluss hin war James immer leiser geworden und schließlich meine Arme

losgelassen, vermutlich glaubte er mit seiner persönlichen Ansprache eine Grenze überschritten zu haben, und vielleicht hatte er das auch, aber genau das hatte ich jetzt gebraucht, und doch war mir die Situation wie ihm etwas peinlich, also nickte ich nur ehe ich mich umdrehte und Davids Zimmer betrat. David lag wie immer in seinem Bett, wäre er nicht an so viele Maschinen und Schläuche angeschlossen, hätte man glatt glauben können, er schliefe nur…

Schnellen Schrittes lief ich zum Fenster und zog die Gardinen auf, wobei mich das grelle Sonnenlicht kurz blendete… Was für ein schönes Wetter…  Vorsichtig kippte ich das Fenster, um wie jedem morgen etwas frische Luft ins Zimmer zu lassen, ehe ich mich zum Bett umdrehte.

„Guten Morgen Schlafmütze…“ Wie jeden Morgen gab ich ihm einen Kuss auf die Stirn, ehe ich mich neben ihn ans Bett setzte und seine Hand in meine nahm… Sie war schon wieder eiskalt, als ich dies das erste Mal gespürt hatte, hatte ich panisch nach dem Klingelknopf gegriffen…

Das war auch der Tag gewesen, an dem ich James kennengelernt hatte… Er war sofort gekommen und hatte gefragt, was los sei, als ich ihm meine Sorge mitteilte, lachte er nicht über meine Unwissenheit, sondern erklärte mir, dass dies bei Komapatienten öfter mal der Fall sein würde, weil der Kreislauf der Patienten immer mehr abbauen würde.

Ich hatte damals panische Angst bekommen, dass David sterben würde, doch James hatte mir die Angst genommen, indem er mir erklärte, dass sie deswegen normalerweise die Hände der Patienten unter die Decke legen würden, aber vermutlich eine der Nachtschwestern dies heute Nacht wohl nur vergessen hatte…

Er drehte die Heizung im Zimmer auf und nahm danach einfach meine Hand und legte sie gemeinsam mit Davids unter die Decke und in der Tat wurde sie wenige Augenblicke später wieder warm.

Als ich mich damals bedanken wollte, hatte James allerdings schon das Zimmer verlassen.

Vielleicht sollte ich mich später noch einmal für seine fürsorgliche Pflege bedanken… Er kümmerte sich nicht nur rührend um David, sondern auch mich… Er brachte mir in seinen Pausen einen Kaffee und hörte sich meine Sorgen an, ehrlich gesagt war mir das am Anfang ziemlich unangenehm gewesen, schließlich wollte ich niemanden zur Last fallen, doch James hatte mir versichert, dass er dies gerne tat… Da hatte ich das erste Mal geahnt…

 

Ein leises klopfen ließ mich aufschauen und schon betrat James das Zimmer. „Ich, bring dir einen Kaffee, du sahst so blass aus, du hast heute bestimmt wieder nicht gefrühstückt oder?“

War das so offensichtlich? Ehrlich schüttelte ich mit dem Kopf und James drückte mir die Tasse Kaffee in die Hand, ehe er einen kleinen weißen Frühstücksbeutel aufs Bett legte.

„Ich habe heute Morgen belegte Brötchen gemacht, du solltest etwas essen… Ich muss jetzt leider zurück an die Arbeit, aber wenn der Dr. kommt, um… um die Maschinen abzustellen, werde ich da sein. Ich habe mich dafür einteilen lassen, die Überwachungsgeräte zu beobachten… Ich dachte mir, dass du dabei sicher niemanden wie Frau Schneider dabeihaben möchtest.“

Wie recht er damit hatte. …

„Ich, lass euch beide dann mal wieder allein…“ und schon war er wieder aus dem Raum verschwunden, ehe ich etwas sagen konnte. Wie konnte man nur so viel Energie haben?! Ob ich auch mal so gewesen war? Ich konnte mich ehrlich gesagt nicht mehr daran erinnern…

 

Vorsichtig nahm ich die Tüte und legte sie neben die Tasse auf den Nachtisch… Ich hatte einfach keinen Hunger, auch wenn James recht hatte… Ich würde all meine kraft heute brauchen…

Liebevoll strich ich immer wieder mit meinem Daumen über Davids Handrücken… Ich musste es jetzt tun, wo ich noch mit ihm alleine war, denn in nicht mal einer Stunde war es so weit und ich wollte mir Zeit nehmen, um mich von ihm zu verabschieden….

„Liebling…?! Ich, ich muss dir etwas sagen… Ich, ich habe doch immer gesagt, dass du dir schön deine Kräfte einteilen und gesundwerden sollst nicht?! Und das hast du bis heute wirklich… wirklich wunderbar gemacht, mein Herz…“ vorsichtig hob ich seine Hand an und küsste sie.

Eine Weile sah ich ihn einfach nur an und versuchte die folgenden Worte über meine Lippen zu bringen… „David ich weiß, dass du bis heute wirklich hart für uns gekämpft hast… Dass du es für mich getan hast, aber ich weiß auch, dass du schon lange nicht mehr kannst… Und du sollst wissen, dass du das nicht für mich tun musst… Ich, ich habe nie gewollt, dass du meinetwegen leidest…“ nun, konnte ich die Tränen doch nicht mehr unterdrücken. „Wenn… wenn du also so weit bist dann, dann… weißt du hoffentlich, dass es für mich okay ist ... Ich, ich komm schon irgendwie klar… und… und ehe du dich versiehst, bin ich auch schon wieder bei dir… "Gott, wie sehr ich mir wünschte, einfach mit ihm gehen zu können, wohin auch immer… Himmel, Hölle, alles ganz egal. Hauptsache, ich würde bei ihm sein…

 

Kurz warf ich einen Blick auf die Geräte… Ich wusste, dass es Irrsinn war, dass er irgendwie auf meine Ansprache reagieren würde, und doch musste ich mich einfach versichern, dass dem so war…

Die Geräte zeigten allerdings weder eine Verbesserung noch Verschlechterung an…

Vielleicht konnte er mich wirklich nicht hören und vielleicht war er ja schon längst nicht mehr da, doch alles in mir weigerte sich dies zu glauben… Ich konnte doch seine Haut an meinem Spüren sehen, wie sich sein Brustkorb hob und senkte… Vorsichtig legte ich meinen Kopf an seine Brust, sein Herz schlug noch immer kräftigt, als seie alles wie immer, als seie er nicht irgendwo ganz weit weg…

„David ich, ich liebe dich…“ weinend klammerte ich mich an ihn.

 

 

Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich so dagelegen hatte, aber ein Klopfen und ein anschließendes lautes Räuspern ließen mich aufsehen…

„Herr Malberg, es ist so weit, ich muss jetzt die Maschinen abstellen und denn Tubus und die Nahrung Sonde entfernen, ich muss sie leider bitten, solange auf dem Flur zu warten. Danach können sie natürlich sofort wieder zu Herrn Petzol.“

Ich setzte mich auf und nickte und doch brachte ich es nicht fertig, Davids Hand loszulassen… Was, wenn ich im Moment seines Todes nicht bei ihm war, wenn nur diese stille Ärztin hier war, wenn niemand seine Hand hielt? Er sollte nicht das Gefühl haben, alleine zu sein…

Als Frau Dr. bereits ansetzte, um etwas zu sagen, unterbrach James sie zu meiner Verwunderung.

„Dr. Mayer, vielleicht können wir für Herrn Malberg eine Ausnahme machen… Ich bin sicher, dass er uns nicht behindern wird, nicht war Ethan?“

Schnell nickte ich. „Ich möchte nur hier sein… Wenn… wenn sie es verlangen, stell ich mich in eine Ecke und bin mucks Mäuschen still und rühre mich keinen Millimeter…“

Dr. Mayer schien einen Moment zu überlegen und nickte dann zu meiner Verwunderung, ich hatte wirklich gedacht, sie würde mich um jeden Preis rausschmeißen… “Wenn sie wollen, können sie da sitzen bleiben, wo sie sind. Ich würde ihnen allerdings raten, nicht so genau hinzusehen, das ziehen einer Magensonde kann nun ja ziemlich befremdlich auf nicht medizinisch geschultes Personal wirken.“

Ich nickte als Zeichen, das ich verstanden hatte, und rutschte mit meinem Stuhl noch etwas Richtung Bettende, so dass ich gerade noch Davids Hand halten konnte… Ich wusste James und Frau Dr. Mayer würden denn Platz brauchen. So fest ich konnte, hielt ich Davids Hand, er sollte um jeden Preis wissen, dass ich da war ...

 

Das Ganze dauerte nur wenige Minuten, aber es kam mir eine Ewigkeit vor…

Als Sie fertig waren, verließ Frau Dr. Mayer das Zimmer und James legte mir seine Hand auf die Schultern. Ich wusste, dass es jetzt recht schnell gehen oder aber auch eine Weile dauern konnte… ein kleiner Teil von mir wünschte sich, dass David einfach weiter atmen würde, dass er doch kämpfen und all diesen Zweiflern zeigen würde das er noch da war, doch das Gegenteil war der Fall… Kaum hatte Frau Dr. Mayer das Zimmer verlassen, fingen die Geräte auch schon an, wie wild zu piepen…

James schaltete das Geräusch ab. Doch das bekam ich nur am Rande mit. Ich war aufgesprungen und strich David nervös über dem Kopf, während ich versuchte, ihn zu beruhigen… Dabei war es vermutlich nur ich, der sich eigentlich beruhigen musste…

Ich wiederholte immer wieder dieselben Worte, das ich ihn lieben würde und dass es okay sei… Wie eine kaputte Schaltplatte immer und immer wieder, bis James mir erneut seine Hand auf die Schulter legte… Ich wusste, was es bedeute, und doch wollte ich es nicht glauben…. „Nein… Nein…“

Es war ein Gefühl, als hätte jemand mein Herz aus meiner Brust gerissen und es in tausend teile zerfetzt…  Ich konnte spüren, wie meine Beine nachgeben und James mich gerade noch auf den Stuhl zurückdrücken konnte, während ich noch immer Davids Hand hielt… Ich konnte sie einfach nicht loslassen… Ich konnte nicht…

 

„Ethan ich muss dich eben einen Moment allein lassen und Frau Dr. Bescheid geben…“

 

Ich nahm James Worte nur am Rande war alles, was ich konnte, war denn Mann vor mir anzustarren, dessen Herz vor wenigen Sekunden aufgehört hatte zu schlagen… „Ohhh…David…“ verzweifelt raffte ich mich wieder auf und gab ihm einen aller letzten Kuss… Seine Lippen waren noch ganz warm… Ungläubig legte ich meinen Kopf auf seine Brust, doch da war nichts…

Mit meiner letzten verbliebenden Kraft kletterte ich zu ihm ins Bett und nahm ihn ein letztes Mal in meine Arme… „Ich liebe dich… Ich liebe dich so sehr… Nimm mich doch bitte mit… Lass mich hier nicht alleine. … Ich kann das nicht ohne dich, ich pack das einfach nicht… Egal was ich gesagt habe… Ich brauch dich…“

Doch nichts… Die Welt drehte sich einfach weiter, als seihe nichts gewesen….

Ich bekam nicht mal wirklich mit, wie Frau Dr. reinkam und denn Todeszeitpunkt verkündete, ehe sie mich auch schon wieder mit ihm alleine ließ… Ich war froh, dass sie mich nicht einfach rauswarf….

Doch als James das nächste Mal ins Zimmer kam, wusste ich, dass es jetzt bald so weit war…

 

„Ich muss ihn jetzt umkleiden, bevor…“

 

James brauchte es nicht aussprechen, ich wusste, wovon er sprach… Ich hatte so viele Bücher zu dem Thema gelesen, ich könnte vermutlich ein eigenes dazu schreiben… und doch konnte ich mich nicht dazu aufraffen, David loszulassen…

Erst als James mich mit sanfter Gewalt von ihm loslöste und mich auf den Besucher Sessel drückte, konnte er seiner Arbeit nachgehen… Immerhin schmiss er mich dabei nicht aus dem Zimmer…

Wie in Trance sah ich dabei zu, wie er David in einen schwarzen Anzug steckte…

David hätte dieses Teil gehasst… Der steife Kragen, der altmodische Schnitt, mit Sicherheit hatten seine Eltern das Teil ausgesucht… Kein Wunder, das es viel zu groß an ihm wirkte…

Immerhin hatten sie ihn seit Jahren nicht gesehen, nicht mal heute waren sie aufgetaucht…

 

Als James fertig war, nahm er sich denn Besucher Stuhl und setzte sich zu mir. „Hast du jemanden, der dich nach Hause fährt und heute bei dir bleibt?“

Nach Hause? Allein, denn Gedanken, David hier allein zurückzulassen und auch wenn es nur sein lebloser Körper war, schienen mir undenkbar… Vehement schüttelte ich meinen Kopf. „Ich, ich möchte einfach nur bei ihm bleiben… Ich…“ verzweifle kämpfte ich mit den Tränen…

„Kann… Kann ich nicht noch, noch ein bisschen hierbleiben, bei ... bei ihm…Ich…“

James schwieg einen Moment und hoffnungsvoll sah ich zu ihm auf, doch das sonst so lebensfrohe Lächeln war verschwunden ... Stattdessen sah er mich mitleidig an.

„Ethan… Frau Schneider hat schon denn Bestatter angerufen… Ich… ich glaube nicht, dass du dabei sein solltest, wenn… wenn sie ihn abholen…“

James Worte waren wie ein Messer, das man mir in die Brust rammte. „Kann… kann ich nicht wenigstens hierbleiben, bis… bis… sie kommen?“ Zu meiner Verwunderung nickte James und stand auf. „Aber natürlich kannst du das, ich geh mich jetzt umziehen und dann fahre ich dich später nach Hause und nein, ich dulde keine wieder rede.“

James Stimme hatte etwas so Bestimmendes, das ich nicht widersprach… Allerdings hätte ich dafür vermutlich sowieso keine Kraft mehr gehabt… Die letzte mir verbliebene nutzte ich lieber dazu, mich wieder auf Davids Bett kannte zu setzten und mir noch einmal jede einzelne kleine Falte, jede Pickelnarbe in seinem Gesicht einzuprägen, ich schwor mir nie auch nur ein Detail davon zu vergessen, genauso wie alles, was wir jäh mit einander erlebt hatten…

 

Viel zu schnell kam James zurück in der Begleitung eines älteren Mannes, welchen James allerdings noch einmal vor die Tür schickte. „Ethan ... Du solltest dich jetzt endgültig verabschieden…“

Verabschieden? Nein, ich, das konnte ich nicht… Ich konnte nicht gehen und… und… Vehement schüttelte ich mit dem Kopf und klammerte mich an Davids Hand, welche so unglaublich kalt war…

Ich wusste, dass ich das Unausweichliche nur hinauszögerte und doch konnte ich nicht anders… „Ich… geb. mir nur noch ein paar Minuten okay… nur ein paar Minuten…“ flehte ich, doch ich konnte spüren, wie James mich plötzlich von hinten in den Arm nahm.

„Ethan, du musst ihn endlich loslassen… Es ist vorbei, okay? Du warst so stark bis hier her… Du schaffst das… Bitte zwing mich nicht, dich gewaltsam hier heraus bringen zu müssen…“

Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, dass er weggehen, dass er uns in Ruhe lassen sollte, doch ich wusste, dass er recht hatte… Und er hatte so viel für uns… für mich getan…

 

„Ethan… Was würde… David jetzt sagen?“

 

David? David würde jetzt vermutlich sagen, dass ich ihn ein letztes Mal küssen und dann weitermachen sollte, doch das konnte ich nicht… Ich war nicht so stark wie er oder wie James anscheinend von mir dachte… „Ich kann nicht… Ich, wenn ich gehe, dann… dann ist er ganz alleine… ich…“

kurz glaubte ich, James würde nachgeben, denn er ließ mich los, doch wenige Augenblicke später steckte er etwas in Davids Brust Tasche…

„Was war das?“

James zeigte auf den leeren Bilderrahmen auf dem Nachtisch, ehe er auch mir etwas in die Brust Tasche steckte. Zögerlich griff ich danach und sah, dass es die Hälfte des Fotos war, auf der David zusehen war.

„So hast du ihn bei dir und er hat dich bei sich.“ Erklärte James sein verhalten.

Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie tröstete mich diese Tatsache tatsächlich… Vorsichtig ließ ich das Foto wieder in meine Brust Tasche gleiten und beugte mich ein letztes Mal zu David hinunter und küsste ihn… „Ich liebe dich mein Herz… leb wohl, wo auch immer du jetzt bist…“

 

 



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