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Amnesie

Wo ist Katsuya?
von
Koautor:  MAC01

Vorwort zu diesem Kapitel:
Schon folgt das zweite Türchen, für euch zum lesen.
Vielen Dank für die Kommis. Die Erklärung zum Namen steht unten am ende des Kapitels.
Habt freude am lesen.

LG
Onlyknow3
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Yamada Taro*

Kapitel 02 - Yamada Tarō*
 

Der Nebel, der Yamada Tarō in seinem Traum umgab, war wie immer mehr als dicht. Wenn er seine Hand hob konnte er sie kaum noch sehen. Von irgendwoher konnte er ein Nebelhorn hören. Der Untergrund, auf dem er stand, schwankte verdächtig von einer Seite zur anderen. Ihm wurde bewusst, dass er auf einem Boot stehen musste. Wasser plätscherten gegen das Holz des kleinen Boots. Es schwankte immer heftiger im Wellengang des Meeres. Tarō verlor sein Gleichgewicht und stieß gegen den niedrigen Mast, den das kleine Boot trotz seiner geringen Größe bot. Ungehalten knurrte er, denn er hasste Wasser und insbesondere das Meer. Erneut dröhnte das Nebelhorn, jedoch wesentlich lauter, als noch vor einigen Augenblicken.

"Hey, ist da jemand?", rief Tarō in den Nebel, doch seine Stimme wurde durch das erneute Dröhnen des Nebelhorns übertönt. Das kleine Boot geriet mehr ins Wanken und Tarō war sich sicher, dass ein größeres Schiff in unmittelbarer Nähe an ihm vorbei fuhr. Ein merkwürdiges Klappern wurde hörbar. Tarō kannte das Geräusch, konnte es aber erst nicht zuordnen. Dann wurde ihm bewusst, dass dieses Geräusch seine Zähne waren, die aufeinander schlugen. Er fror. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Kleidung schwer und nass an ihm hing.

Aus einer Richtung konnte er etwas sehen. War das ein Leuchtturm? Nein. Das war nicht nur ein Licht, was er im Nebel zu erkennen glaubte. Es waren zwei. Sie standen nebeneinander und leuchteten in einem unglaublich durchdringenden Blau.
 

Der Wecker beendete die Nacht für Yamada Tarō, der die Augen aufschlug und kurz gegen die Wand, an der sein Bett stand, starrte. Er konnte spüren, wie sein Herz heftig schlug. Es war keine Angst oder Panik, aber er konnte auch nicht wirklich benennen, was es war.

Langsam setzte er sich auf und schaltete den Wecker aus, der auf dem Fensterbrett stand. Er blickte aus dem Fenster auf den kleinen Fischerort, in dem er seit dreieinhalb Jahren lebte. Der Himmel war blau und der Schrei der Möwen drang an sein Ohr. Der Ort schmiegte sich in die Krümmung einer natürlichen Bucht, die so groß war, dass man die andere Seite dieser nur in der Ferne verschwommen sehen konnte. Dort lag eine große Stadt, deren Wolkenkratzer wie kleine Nadeln in den Himmel empor ragten.

Tarō strich sich mit den Fingern die langen, blonden Haare zurück und atmete die Meeresluft tief ein. Er hasste zwar das Meer, doch diese Art von Luft tat ihm doch gut. Langsam und ohne Hast schlug er seine Bettdecke zurück und stand auf. Seine Füße trugen ihn ins Badezimmer, in dem er kurz duschen ging und seine Morgentoilette absolvierte.

Mit einem Handtuch um die Hüfte kam er zurück, ging in die kleine Kochnische und setzte den Wasserkocher auf. Dann kehrte er zu seinem Bett zurück, schüttelte das Kissen auf, faltete die Decke ordentlich und platzierte beides sorgfältig auf dem Bett. An der Wand hingen einige Zeichnungen von ihm, die er von der kleinen Stadt gemacht hatte. Auf manchen waren auch Freunde und Bekannte zu sehen oder Tiere, die er täglich sah. Einige seiner Bekannten hatten ihm wiederholt bescheinigt, er habe Talent, doch Tarō hatte jedes Mal nur darüber aufgelacht und abgewunken. Er und Talent? Sicher nicht.

Er zog sich eine Jeans an und darauf ein einfaches, uni-farbiges T-Shirt. Dann zog er sich ein Lederarmband an das linke Handgelenk, um die dortige Narbe zu verbergen. Noch immer konnte er sich nicht erinnern, wie er zu dieser Narbe gekommen war oder was in seinem Leben so furchtbar schief gelaufen sein mochte, dass er scheinbar versucht hatte sich selbst das Leben zu nehmen. Oder ob die Narbe einen anderen Ursprung hatte. Doch ihm waren die Blicke der Leute unangenehm und wollte keine Fragen provozieren, auf die er keine Antwort hatte.

Der Wasserkocher klackte, als er die gewünschte Temperatur erreicht hatte. Also ging Tarō zurück zur Kochnische, nahm sich eine Tasse und befüllte ein Teeei. Dann brühte er den Tee auf und ließ ihn durchziehen. In der Zeit ging er zurück ins Badezimmer um sich die Haare zu trocknen und mit einem Gummi zusammenzubinden. Als er zurück kam war der Tee fertig und nicht mehr zu heiß. Also holte er das Teeei heraus und setzte sich mit der Tasse an einen kleinen Schreibtisch, auf dem allerlei Mappen lagen. Er nahm einen Schluck und zog dann eine bestimmte Mappe hervor. Als er sie öffnete kamen weitere Zeichnungen von ihm zum Vorschein. Alle hatten das gleiche Motiv: durchdringende, eisblaue Augen, die von Schwärze umgeben waren. Wem gehörten diese Augen? Gab es sie überhaupt? Oder entsprangen sie einer Fantasie?

Immer wieder nahm er einen Schluck Tee, während er durch die Zeichnungen blätterte, die er teils mit Buntstifte, teils mit Öl-Pastell-Kreide angefertigt hatte. Erst als seine Armbanduhr, die an der Tür auf einer Ablage ruhte, piepste wurde ihm bewusst, dass es Zeit war. Er schlug die Mappe wieder zusammen, brachte die Tasse zur Spüle und wusch sie kurz aus, bevor er sie zum Trocknen auf die Abtropffläche stellte. Dann ging er zu seiner Wohnungstür, zog seine Uhr, die ein breites Lederband besaß und dem Lederarmband glich, an, nahm seinen Schlüssel und verließ die Wohnung.

Er ging über den Laubgang zur offenen Treppe und stieg die drei Stockwerke hinab. Dann überquerte er eine kleine, gepflegte Grünfläche und erreichte den Parkplatz seiner Wohnanlage. Dort stieg er in sein Auto und fuhr los. Sein Weg führte ihn einmal durch den 100.000-Seelen-Ort, zum Industriegebiet, dass gleich neben dem Hafen lag. Dort parkte er auf einem Angestelltenparkplatz, schloss sein Auto ab und lief die Straße zu seinem Arbeitsplatz entlang. Auf dem Weg hob er immer wieder kurz die Hand zum Gruß und winkte den Menschen, die er kannte und mit denen er teilweise bekannt war.

Dann kam er an Kens Meisterwerkstatt für Autos und Motorräder an, wo sein Chef - Ken - ihn freundlich grüßte. Tarō ging in die Umkleide, um aus seiner Jeans zu schlüpfen und dort in seinen Werkstattoverall. Dann suchte er das Auftragsboard - ein Whiteboard im Büro seines Chefes - auf und grüßte dort noch Yayoi, Kens Frau und Verwaltungsangestellte der Werkstatt.

"Tarō, kannst du bitte Auftrag drei übernehmen?", bat sie ihn, während sie ihm eine Tasse Tee hinhielt.

"Klaro", kam es salopp von dem Blonden. Vom Board erfuhr er, dass es sich um ein Motorrad handelte, eine Honda Rebel 250, die bereits einige Jahre auf den Reifen hatte. Honda ... Tarō blieb an dem Namen hängen. Er wusste nicht warum, aber irgendwas verband er damit. Etwas, was er wohl vermissen sollte, wenn er sich nur erinnern könnte.

Dann ging er in den Teil der Werkstatt, wo das gute Stück stand und wartete. Er strich mit der Hand über den Sattel. Als er dann von vorne auf die Maschine blickte wurde ihm bewusst, dass er so eine Maschine schon einmal gesehen hatte. Jemand grinste ihn vom Sattel her stolz an. Doch in seiner Erinnerung hatte dieser Jemand kein Gesicht. Das einzige, was ihm auffiel, war diese absurde Frisur, die nach vorne spitz hoch gegelt waren.
 

In seiner Mittagspause verließ Tarō das Gelände der Werkstatt und suchte ein nahes Restaurant auf, deren Besucher auf Hocker an einer nach außen gewandten Theke saßen. Dort bestellte er sein übliches Mittagessen: Soba. Als der Mann hinter der Theke ihm die Schüssel reichte lächelte er Tarō an.

"Na, wie geht es dir?", fragte er wie jeden Tag.

"Gut", erwiderte Tarō und nahm seine Stäbchen in die Hand. "Und dir?"

"Muss. Muss", meinte der Ältere. "Und... wieder von diesen blauen Augen geträumt?"

Tarō sah auf und lächelte verlegen, bevor er die ersten Nudeln probierte und nickte.

"Ja, hab ich tatsächlich", meinte er danach.

"Gehören bestimmt einer ausländischen Schönheit", kam es von dem Koch.

"Wie kommst du auf ausländisch?", fragte Tarō überrascht nach.

"Na, weil die Augen blau sind. Japaner haben doch eher dunkle, also kommt sie bestimmt aus Amerika oder Europa. Vielleicht Russland? Da gibt es viele Blauäugige. Blonde, vollbusige Blauäugige", schwärmte der Mann in seinen klischeebehafteten Vorstellungen. Tarō lächelte nur und zeigte nicht, dass die Vorstellung, dass die Augen einer Frau gehören konnten ihm gar nicht gefiel. Plötzlich hielt er inne. In den letzten dreieinhalb Jahren hatte er nie einen Gedanken an eine Beziehung verschwendet. Es hatte sich immer gefühlt, als würde er auf etwas warten. Oder jemanden? Er wusste es nicht. Sex in irgendeiner Form hatte in dieser Zeit auch keine Rolle für ihn gespielt. Ob das unnormal war? Aber was war - auf ihn bezogen - schon normal?

"Ich sag es dir, Sakamoto, der Freak gehörte bestimmt 'ner Gumi an und ist hier untergetaucht.", hörte er die Stimme eines anderen Gastes, der zwei Hocker weiter saß. Es war ein Schweißer, der in einer der umgebenden Firmen arbeitete und der ihm nicht glaubte, dass sich Tarō an nichts vor den dreieinhalb Jahren erinnern konnte.

"Wenn ich ein Yakuza wäre, dann hättest du jetzt aber ein Problem", kam es amüsiert von Tarō. "Oder meinst du, ein Yakuza würde dir so ein Spruch durchgehen lassen?"

Der Koch lächelte nur stoisch weiter und servierte dem Schweißer ein Glas Bier, um diesen zu beschwichtigen, der Tarō bitterböse anfunkelte. Doch dieser aß ruhig und gelassen seine Schale mit Soba weiter.

"Dann biste halt ein anderer Krimineller, der meint, hier in der Kleinstadt untertauchen zu können. Räuber oder Vergewaltiger oder sowas", keifte der Schweißer. "Dies ist eine ordentliche Stadt und so einen Verlierer, wie dich, brauchen wir hier nicht."

Tarō kramte ein paar Scheine aus seiner Geldbörse und legte sie auf den Tresen unter seine Teetasse, hob die Hand zum Gruß und ging, obwohl seine Schale erst zur Hälfte leer war. Als er sich abwandte hörte er den Schweißer laut auflachen.

"Wie ein räudiger Köter zieht er den Schwanz ein und macht sich davon", hörte er die raue Stimme des anderen und stockte auf einmal im Schritt.

Schon die Bezeichnung Verlierer hatte einen Knoten in seinem Magen entstehen lassen. Doch 'Köter' ließ sein Inneres auf einmal erzittern, wie eine Fensterscheibe, wenn ein Erdbeben nahte. Er griff sich an die Brust. Sein Herz schlug wieder schneller und heftiger. Was war das nur, was ihm gerade den Atem raubte? Seine Finger gruben sich mehr in den Stoff seines Shirts und er musste sich an der Hauswand abstützen. Da war eine Stimme in seinem Kopf, die dieses Wort immer und immer wieder sagte. Dabei klang sie mal spottend, mal abschätzig, beleidigend oder belustigt.

Tarō schloss seine Augen und zählte von zehn langsam herunter. Langsam beruhigten sich sein Herz und die Gefühle in seinem Inneren wieder. Als er die Augen wieder öffnete stellte er überrascht fest, dass der Koch vor ihm stand und ihn besorgt ansah. Wann war der ihm hinterher gekommen.

"Hey, ist alles in Ordnung? Soll ich einen Krankenwagen rufen?", fragte er besorgt.

"Nein, alles wieder okay", meinte Tarō und richtete sich langsam wieder auf. In seinen Ohren rauschte noch das Blut, was ihm erst jetzt auffiel.

"Biste sicher, Junge?", hakte der Ältere nach und wollte ihn am Arm packen. Doch Tarō wich mit zwei Schritten nach hinten aus und entzog sich der drohenden Berührung.

"Ja, wirklich. Wir sehen uns morgen Mittag", lächelte er nun den Koch wieder an, der ihn immer noch kritisch musterte, ihn aber dann gehen ließ.
 

Als Tarō an diesem Tag nach Hause kam legte er seine Uhr und den Wohnungsschlüssel in die Schale auf der Ablage neben der Tür, schlüpfte aus seinen Schuhen, durchquerte den Wohnraum mit der Kochnische und ließ sich erschöpft in sein Bett fallen. Nach einem langen Augenblick setzte er sich auf seine Ellenbogen auf und zog ein Büchlein unter der Matratze hervor. Er schlug es dort auf, wo das Lesebändchen war, nahm den Stift auf der Lasche und schrieb die Worte 'Verlierer' und 'Köter' hinein. Auf der anderen Seite waren ebenfalls einige Worte notiert, die in ihm komische Gefühle ausgelöst hatten. Er wollte das Buch schon wieder zuschlagen, als er inne hielt und sich dann noch 'Honda' notierte. Erst dann schlug er es wieder zu, schob den Stift in die Lasche zurück und legte das Buch wieder unter die Matratze.
 


 

* Yamada Tarō ist der japanische Platzhaltername für unidentifizierte Männer in Japan, so wie John Doe in den USA, John Smith in UK oder Max Mustermann in Deutschland



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Neko20
2020-12-02T19:14:21+00:00 02.12.2020 20:14
Das zweite Türchen liefert einige Antworten. Es ist gut, dass Katsuya die Sachen aufschreibt an die er sich erinnert, auch wenn es nicht viel ist und er den Zusammenhang nicht versteht. Das er immer wieder von diesen eisblauen Augen träumt ist sehr interessant.
Mir gefällt, wie realistisch ihr das alles beschreibt, so kommen ihm nur durch Wörter manche Erinnerungen bruchstückhaft wieder und auch seine körperliche Reaktion dabei ist realistisch. Natürlich hat dieses Türchen auch zum Nachdenken angeregt.
Bin sehr gespannt, wie es weitergeht und freue mich auf das nächste Türchen.
Außerdem finde ich es super, dass ihr die japanischen Namen verwendet. Ich finde die japanischen Namen viel schöner.
Wünsche euch einen schönen Abend.
LG Neko20
Antwort von:  Onlyknow3
02.12.2020 20:46
Ja manches macht Nachdenklich, da es wirklich nahe an der Realität ist.
Danke für deinen Kommi.

LG
Onlyknow3
MAC01
Von:  Shijin
2020-12-02T13:03:09+00:00 02.12.2020 14:03
Shijin: Och, ist das doof. Erinnerungsbruchstücke und nichts mit anfangen können.
Romantiker: Macht nichts, die wichtigsten Punkte sind doch da. Das wird schon!
Seto: Du hast dir da aber ein hübsches Leben aufgebaut.
Shijin: Joey als Automechaniker... also, das hätte ich mir ja gar nicht vorstellen können... die Idee gefällt mir.
Antwort von:  Onlyknow3
02.12.2020 20:41
Katsuya muss ja nicht in jeder FF, ein Zeichner, oder so was in der Richtung sein.
Danke dir für deinen Kommi.

LG
Onlyknow3
MAC01
Von:  Alistor
2020-12-02T11:05:38+00:00 02.12.2020 12:05
Es wird immer spannender
Sein Leben ohne Erinnerungen zu leben, stelle ich mir ziemlich hart vor. Dann noch die Sticheleien von den anderen
Und die blauen Augen, die ihn in seinen Träumen verfolgen, die Worte „Köter“ und „Verlierer“
Ich freue mich schon sehr auf morgen
Habt ihr super gemacht
Antwort von:  Onlyknow3
02.12.2020 20:38
Das ist ein Lob den ich gerne an MAC weiter geben werde. Danke für deinen Kommi.

LG
Onlyknow3
MAC01
Von:  Tsumikara
2020-12-02T10:00:21+00:00 02.12.2020 11:00
Katsuya <3 Auch wenn er sich noch nicht an sich selber und seine Freunde erinnert. Ich frage mich, in welchem Ort er wohl wohnt und ob die anderen ihn schnell finden oder nicht. Und wie. Das ist alles so spannend geschrieben, da fühlt man sich wirklich wie damals als kleines Kind, das vor dem Adventskalender steht und immer ermahn wird, nicht in das nächste Türchen zu linsen.

Weiter so!
Tsumi
Antwort von:  Onlyknow3
02.12.2020 11:17
Vielen danke für deine Worte, ich gebe sie weiter an MAC. Wir sind froh euch über die Zeit hinweg zu helfen.
Hoffen wir das es mit Corona im nächsten Jahr ein ende hat. Danke für den Kommi.

LG
Onlyknow3
MAC01


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