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Nie mehr.

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15. Juni 2011

Nie mehr.
 

Warum musste es enden? Es tat so weh.

Krampfhaft umklammerte ich das Glas in meiner Hand. Ich war kurz davor, es über den Tresen hinweg an die gegenüberliegende Wand zu schleudern, nur um meinen ganzen Schmerz rauszulassen. Doch es würde nichts ändern. Würde nichts rückgängig machen, nicht die Geschehnisse, nicht das offizielle Statement, nicht unsere endgültige Trennung. Nichts. Es war unumkehrbar vorbei.

Und dennoch wollten der Schmerz und die Leere in mir nicht weichen. Sie wurden von Stunde zu Stunde größer. Hatte ich bei unserem Meeting, unserem letzten Meeting, noch unbeteiligt gewirkt, nur die Leere in mir gespürt, begann der Schmerz in meiner Brust nun alles andere auszulöschen. Er schnürte mir die Kehle zu, nahm mir die Luft zum Atmen. Es konnte doch nicht einfach zu Ende sein. Ich ertrug das nicht. Ich konnte sie nicht verlieren, die Band nicht. Und am wenigsten IHN.

Ich kniff die Lider zusammen, versuchte das Brennen zurückzudrängen, das sich seit Stunden dahinter hielt. Wie ging es nun weiter?

Der Alkohol brannte in meinem Hals, als ich das Glas in einem Zug austrank. Gleichzeitig machte sich die allzu bekannte Schwere in meinen Beinen bemerkbar, doch das war egal. Dann war ich eben betrunken. Wen kümmerte das schon? Er sollte nur den Schmerz in meiner Brust betäuben, meine Gedanken zum Schweigen bringen. Mehr wollte ich nicht. Ich wollte nicht mehr denken, mich nicht mehr nach der Vergangenheit sehnen müssen, sie nicht mehr vermissen. Es sollte aufhören.

Schwankend erhob ich mich, legte das Geld auf den Tresen und verließ die Bar. Ich musste hier weg. Diese ganzen fragenden und mitleidigen Blicke waren zu viel, ich wollte Getuschel nicht hören. Es ging sie nichts an.
 

Der kalte Regen auf meiner Haut war wie ein Schlag in die Magengrube. Mir wurde schlecht. Hastig schnappte ich nach Luft, rutschte an der Wand neben dem Eingang hinab. Nach der erdrückenden und stickigen Enge in der Bar fühlte sich die Luft hier draußen regelrecht befreiend an. In meinem Kopf drehte sich alles. Verzweifelt kniff ich die Augen zusammen, versuchte die Übelkeit zurück zu kämpfen, den Schwindel zu ignorieren. Ich würde mich jetzt nicht hier auf offener Straße übergeben, wie der letzte Loser, auch wenn ich nichts lieber wollte, als mich einfach gehen zu lassen. Was gäbe ich dafür auf der Stelle einzuschlafen und dann am nächsten Morgen aufzuwachen, um festzustellen, dass alles nur ein böser Traum gewesen war – dass die gesamten, letzten Monate nur ein böser Traum gewesen waren. Dass wir alle wieder beisammensäßen, Pläne schmiedeten und gemeinsam lachten. Dass mich diese warmen, dunklen Augen, die mein Herz jedes Mal von Neuem zum Flattern brachten, besorgt musterten, um mich dann streng zu ermahnen, die Finger vom Alkohol zu lassen. Würden sie mich jemals wieder so ansehen?

Mühsam drängte ich die bittere Galle, die meinen Rachen hinaufkroch, zurück und richtete mich schwerfällig auf. Was machte ich hier eigentlich? Es kümmerte ja doch keinen, wenn ich hier herumsaß. Sie würden alle ihre eigenen Wege gehen. Das, was sich die letzten Monate angebahnt hatte, war nun offiziell: es gab kein Wir mehr. Die letzten 12 Jahre waren umsonst gewesen.

Ich konnte nicht verhindern, dass die altbekannte Wut erneut in mir aufflammte. Dabei wollte ich mich nicht so fühlen, wollte nicht so denken. Diese Zeit war das Beste gewesen, was mir jemals passiert war. Ich hatte unzählige Male mein Herz verloren: an die Musik, an die Band, an meine Kollegen und Freunde, an die Konzerte und Fans. Und natürlich an IHN. Niemals zuvor hatte ich mich so lebendig gefühlt, doch jetzt war es vorbei. Endgültig.
 

Wie betäubt blickte ich die Straße entlang und nahm trotzdem nichts wahr. Wohin sollte ich gehen? Meine Kleidung klebte mir bereits am Körper. Ich fror, obwohl Sommer herrschte. Meine Wohnung lag nicht weit entfernt, doch dorthin konnte und wollte ich nicht zurück.

Langsam setzte ich mich in Bewegung, folgte dem schmalen Fußweg den Fluss entlang. Die Menschen, die mir entgegenkamen, machten einen großen Bogen um mich. Ihre Blicke ignorierte ich. Sie sollten mich in Ruhe lassen, würden sie meinen Schmerz ohnehin nicht verstehen.

Abermals vibrierte es in meiner Hosentasche, wie schon unzählige Male zuvor. Doch ich ignorierte es. Wer sollte schon anrufen? Wer sollte sich schon um mich sorgen? Es war doch egal.

Kurz darauf erstarb das Vibrieren und ich atmete auf.

Ja, lasst mich einfach in Ruhe. Lasst mich allein, damit ich mich schon einmal dran gewöhnen kann.

Ich war Nichts ohne die anderen.

Ohne es zu merken war ich stehen geblieben. Die Sicht verschwamm vor meinen Augen, doch ich wehrte mich dagegen. Was sollte ich nur tun? Ich wollte nicht allein sein, konnte mir mein Leben nicht ohne sie vorstellen. Der Schmerz in meiner Brust wurde stärker, krampfhaft versuchte ich den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, doch er wollte keinen Millimeter weichen. Wenn es nur aufhören würde, so weh zu tun.
 

Müde blickte ich auf die schmale Treppe vor mir, die zum Flussufer hinunterführte. Der Regen tropfte aus meinen Haaren, rann über mein Gesicht. Ich hatte schon viele Male dort unten gesessen, meist tagsüber, hatte meine Gedanken schweifen lassen, die Sorgen des Alltags vergessen, während ich dem leisen Rauschen des Flusses gelauscht hatte. Nun war es an dieser Stelle dunkel, nur vereinzelte Lichter der gegenüberliegenden Häuser spiegelten sich im gemächlich dahinfließenden Wasser. Sollte ich-?

Wie in Trance folgte ich den steinernen Stufen in die Dunkelheit, weg von der Straße, weg von den Menschen.

Seufzend zog ich die Schuhe aus, stellte sie beiseite und nahm die letzten Stufen ins Wasser. Der Fluss war nicht tief, umspielte sanft meine Waden. Trotz dessen, mich der Regen bereits völlig durchweicht hatte, hatte dieses kühle Nass etwas Besänftigendes an sich. Ich ging noch ein paar Schritte weiter, ehe ich stehen blieb. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Das Rauschen um mich herum überdeckte alle anderen Geräusche der Stadt. Es schien mich beruhigen zu wollen, aber auch zu sich zu rufen. Sollte ich ihm folgen? Würde es mich alles vergessen lassen?
 

Erschrocken über mich selbst riss ich die Augen auf. Mein Kiefer schmerzte, so stark hatte ich ihn in den letzten Minuten zusammengepresst. Ich wollte vergessen, doch nicht alles. Nur den Schmerz, der in mir wütete, aber nicht IHN. Ihn wollte ich nicht vergessen – weder seine warmen Augen, noch das versteckte Schmunzeln, mit dem er mich immer begrüßt hatte, wenn ich den Proberaum betrat, seine Nähe, die mich jedes Mal zum Strahlen brachte. Wieso hatte ich in den ganzen Jahren nie den Mut gefunden, es ihm zu sagen? Jetzt war es zu spät. Dabei hatte ich immer bei ihm sein wollen.
 

„-ryu…“

Wie von weiter Ferne durchdrang eine leise Stimme das Plätschern des Flusses und ließ mich den Blick von der glitzernden Wasseroberfläche lösen.

„...Karyu...“

Mein Name. Wer rief da nach mir? Warum? Irritiert sah ich über die Schulter zurück zum Ufer.

„KARYU!“

Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, da näherten sich schon schnelle Schritte im Wasser. Ein kalte Hand umschloss mein Handgelenk so fest, dass es schmerzte, gleichzeitig wurde ich unbarmherzig zu dem anderen herumgezerrt.

„Karyu! Warum bist du abgehauen? Was machst du hier?!“

Erschrocken zuckte ich zusammen, mein Herz raste. Selten hatte ich diese sonst so tiefe und ruhige Stimme, derart laut gehört. Zero. Wieso sah er so wütend aus?

„Rede mit mir! Was machst du hier mitten im Fluss, noch dazu im Regen?“

Wieder zuckte ich wie unter einem unsichtbaren Schlag zusammen. Meine Augen fingen an brennen, während sich sein Blick in meinen bohrte.

Zero, sei nicht sauer. Nicht meinetwegen.

Ich war doch gerade jetzt unwichtiger als je zuvor. Das Gefühl nicht atmen zu können, war mit aller Macht zurückgekehrt und machte es mir unmöglich zu sprechen.
 

Der finstere Ausdruck wich aus Zeros Gesicht, wurde sanfter, Besorgnis blitze in diesen schönen Augen auf. Verwirrt blinzelte ich ihn an, weiterhin unfähig zu sprechen. Noch verwirrter wurde ich, als er eine Hand hob, nicht um mich zu schlagen, wie ich es erwartet hätte, sondern um mit ihr sanft über meine Wange zu streicheln.

Zero...

Ehe ich begriff, was geschah, legten sich seine Arme behutsam um meinen Nacken und zogen mich zu ihm nach unten, sodass ich gar nicht anders konnte, als meine Stirn an seine Schulter zu lehnen. Ich hätte mich nicht einmal wehren können, wenn ich gewollt hätte, denn er ließ mich nicht los. Doch ich wollte auch gar nicht. Zu sehr nahm mich diese plötzliche und vertraute Nähe gefangen, ließ das unerträgliche Gedankenkarussell für den Moment verstummen.

„Karyu.“ Nur leise, einem Seufzen gleich.

Das brach den mühsam erhaltenen Damm mit einer Wucht ,die mich nach Luft schnappen ließ. Gleichzeitig kniff ich die Augen zusammen und krallte mich in Zeros ebenfalls völlig durchgeweichtes Oberteil, in dem verzweifelten Versuch mich irgendwie zu beherrschen.

Oh Gott, Zero, er ist wirklich hier.

Ich verlor, konnte die Tränen nicht mehr länger zurückdrängen. Aus Angst, er könnte jeden Moment verschwinden, klammerte ich mich wie ein Ertrinkender an ihn, vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge, seinen Namen wieder und wieder flüsternd. Es tat so weh. Ich wollte ihn nicht verlieren. Ich brauchte ihn doch – sie alle. Wie die Luft zu atmen. Sie würden nicht mehr da sein.

„Zero, ich will das nicht!“, presste ich mit erstickter Stimme hervor. Das konnte doch nicht das Ende sein. Ich musste doch endlich aus diesem endlos erscheinenden Albtraum aufwachen! Ich wollte nicht, dass unsere Band sich auflöste. Wie sollte ich es ertragen, dass wir nie wieder miteinander Proben und Konzerte spielen sollten, dass jeder von uns von jetzt an seinen Weg allein finden musste? Ich würde das nicht aushalten. Nicht nur die Band hatte sich aufgelöst – auch ich löste mich gerade auf, zerfiel in alle meine Einzelteile.

Ich kann das nicht.
 

Ich wusste nicht, wie lange wir so aneinander geklammert im Fluss standen. Die Leere, Wut, Machtlosigkeit und Trauer, die vergebliche Hoffnung der letzten Monate – das alles brach in diesem Moment aus mir heraus. Ich konnte es nicht länger zurückhalten und weinte einfach. Ich gab niemandem die Schuld – nicht Hizumi, der seine Stimme verloren hatte, nicht Tsukasa, der immer der Halt der Band gewesen war und doch aufgab, nicht Zero, der all diese schönen, kaum begreiflichen Gefühle in mir ausgelöst hatte und mich jetzt zurücklassen würde. Ich weinte einfach um alles, was ich nun verlor und fortan nicht mehr mit ihnen würde erleben dürfen.

Irgendwann war eine von Zeros Händen in mein nasses Haar gewandert und strich leicht hindurch, während die andere beruhigend über meinen Rücken streichelte. Mit der Zeit wurde ich ruhiger, der unerträgliche Schmerz in meinem Herzen ließ nach und ein wehmütiges Ziehen blieb zurück. Ich atmete tief ein, sog Zeros Duft regelrecht in mich auf. Wann würde ich das nächste Mal diese Nähe und Wärme spüren? Ihn bei mir haben? Jetzt, wo es endgültig vorbei war. Ich durfte ihn nicht verlieren. Ihn nicht.

Ich spürte, wie ich abermals verkrampfte, während meine Gedanken wieder anfingen wild durcheinander zu wirbeln.

„Ganz ruhig, Karyu.“ Seine samtene Stimme vibrierte an meinem Hals. Augenblicklich bekam ich eine Gänsehaut.

Ach, Zero. Was würde ich ohne ihn machen? Er hatte mir, ohne es zu merken, über all die Jahre so viel gegeben, war mein Anker geworden und irgendwie immer da gewesen. In einer kleinen Ecke meines Hinterkopfes wusste ich, dass er nicht plötzlich verschwinden würde, nur weil es D'espairs Ray nicht mehr gab. Wir waren immer noch Freunde, auch über die Band hinaus und egal, wohin es uns verschlagen würde. Doch es fühlte sich im Moment einfach nicht so an. Die Angst, dass er sich vor meinen Augen auflösen würde, sobald ich ihn losließ und blinzelte, war erdrückend.

„Sieh mich an.“ Wieder ein Flüstern, dass mir eine Gänsehaut am ganzen Körper bescherte und durch die Hand, die sanft meinen Nacken kraulte, noch verstärkt wurde.

Langsam löste ich mich von seiner Schulter und sah unsicher zu ihm.

Seine Augen. Sie funkelten, als er meinen Blick erwiderte. Mir wurde angenehm warm, auch wenn meine Augen immer noch brannten und ich das Gefühl hatte, dass meine Stimme brechen würde, sobald ich versuchen würde etwas zu sagen. Diese dunklen Augen, die weichen Züge, diese vollen, stets leicht lächelnden Lippen – er war mir so vertraut. Ich musste es sagen, es musste raus. Es war doch sowieso alles vorbei.
 

„Zero… Ich kann D'espairs Ray einfach nicht loslassen“, presste ich hervor und schloss gleichzeitig die Augen. „Und ich kann dich nicht loslassen. Niemals.“

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, während meine Worte in mir nachhallten. Es war die Wahrheit und mir in diesem Moment bewusster denn je. Ich würde ihn niemals loslassen können.

Zero zog mich enger an sich und ich war mir sicher, mein Herz würde aus meiner Brust springen, als ich plötzlich seinen warmen Atem und dann weiche Lippen auf meinen spürte.

„Das sollst du doch auch gar nicht.“

Ich blinzelte ihn sprachlos an, als er sich wieder von mir löste. Mein Körper war in Aufruhr, wie das Zittern bewies. Noch immer waren wir nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, ich spürte nach wie vor seinen Atem auf meiner Haut. Er hatte dieses Lächeln auf den Lippen, das mich vom ersten Augenblick an verzaubert hatte und das ich so liebte.

Mir schwirrte der Kopf, gleichzeitig hörte die Welt auf, sich zu drehen.

Dieser liebevolle Blick.

„Karyu, du wirst mich nicht verlieren – egal, was kommt.“

Seine Lippen wanderten über meine Wange, das Kribbeln in meinem Körper nahm zu und explodierte, als er sie sanft auf meine legte und flüsterte: „Denn ich kann dich auch nicht loslassen. Nie mehr.“
 

Ende



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