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Küssen kann man nicht allein

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Küssen kann man nicht allein


 

Küssen kann man nicht allein

Mörderische Ferien
 

Er wusste nicht, was ihn dazu gebracht hatte, Urlaub in den Bergen zu machen. Doch Heiji wusste, wem er diese Tortur verdankte:

Brünetter Pferdeschwanz, klein und laut.

»Heiji, ich rede mit dir!« Natürlich tat sie das. Ständig. Und außer ihm war niemand in Sicht, den sie mit ihrer schrecklich keifenden Stimme belästigen konnte. Nun, bis auf den Herren am Empfang, der mit leichter Panik im Blick die Zimmerreservierung bestätigte.

Als die Nacht allmählich der aufsteigenden Sonne wich und ihre Strahlen über das glitzernde Weiß schickte, musste sich selbst der Schülerdetektiv eingestehen, dass dieser Anblick ihm den Atem raubte. Und Kazuha? Er würde ihr beipflichten, irgendwann, dass diese achtstündige Busreise, per Nachtexpress, ihnen eine Menge abverlangte, doch die Erholung und das Ambiente diese Anstrengung allemal wettmachten.

»Siehst du das? Ist das nicht absolut traumhaft?« Mit breitem Lächeln wandte sie sich ihm zu und schien das Rütteln und Holpern des Busses geflissentlich zu ignorieren. »Mit der aufgehenden Sonne und dann der ganze Schnee!«

Ihrem Jubel pflichtete er nur mit einem Schnalzen der Zunge bei, da seine Ferienplanung hätte anders aussehen sollen:

Seine Eltern, so die Absprache, würden Entspannung in den Bergen der Präfektur Nagano suchen und er allein das Haus hüten. Es hätte mich schlechter treffen können, so Heijis Gedanke, doch eine hartnäckige Grippewelle machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Die Nachrichten warnten vor einer Influenza, deren Dauer und Intensität noch nicht abzusehen sei, und diese machte selbst vor dem Polizeipräsidium Osakas nicht halt.

Der Urlaub der Hattoris war in Gefahr und zu Heijis Verdruss übergab sein Vater ihm die Reservierung mit den Worten, dass er, statt ihrer, nach Nagano fahren müsse, damit das Angebot nicht verfiele.

Zu allem Überfluss hatten ihm Vater und Mutter die Begleitung geradezu aufgedrängt:

»Ihr habt Ferien. Warum fährst du nicht mit Kazuha nach Hakuba

Und diese kleine Nervensäge war tatsächlich Feuer und Flamme und ließ sich diese Reise partout nicht ausreden.

Jetzt standen sie im Foyer eines der edelsten und teuersten Hotels im Hakuba Valley.

Heiji spürte den brennenden, wartenden Blick des Mädchens, denn noch immer war er ihr eine Antwort schuldig.

»SPA klingt gut«, nuschelte er, schulterte die Reisetasche und machte Anstalten, sich zu den Aufzügen zu begeben.

»Aber nein, mein Herr. Bitte, wir bringen Ihnen das Gepäck aufs Zimmer.« Rasch wurde nach dem Dienstpersonal geschnippt. Nicht weniger hastig wurden die Habseligkeiten in Empfang genommen.

Fast wäre ihm ein Pfiff entkommen, doch Kazuha stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen.

»Benimm dich!«, zischte sie, hakte sich bei ihm unter und zog und zerrte ihn zu den Fahrstühlen.
 

***
 

Es war das verspielte, aufreizende Kichern einer jungen Frau, das sich ihnen in den Weg stellte. Verdutzt blinzelten die Gäste, als sie Zeuge des Spektakels wurden, das sich vor ihren Augen auftat.

»Gib schon her!« Nicht weniger aufreizend erklang der tiefe Bariton des Herren, dessen Arme fest um die Mitte der Dame geschlungen waren.

Die Lippen einander zugewandt, folgte ein Flötenspiel wispernder Worte, dem jeder, den es danach verlangte, ungeniert beiwohnen durfte.

»Nimm ihn mir nicht schon wieder weg.« Das leise Jammern war perfekt, zu perfekt.

»Wo hast du ihn versteckt? Sag schon, wo ist er?«, fordernd war die Stimme des Mannes.

»Ich habe ihn aufgegessen ...«, kokettierte seine Begleitung und linste, kaum merklich, zu den Neuankömmlingen herüber.

»Du kleine Lügnerin. Dann sei ein braves Mädchen und gib mir einen.« Sie ergab sich seinen verlangenden Worten, schob die bleichen, langen Finger in die Manteltasche und zauberte eine kleine Süßigkeit hervor.

Die Schultern waren ihm vor aller Unruhe angespannt. Es erschien ihm wie eine kleine Ewigkeit, bis er seiner Gier nachgeben durfte. Eilig war das Bonbon dem Papier entwickelt, noch immer verharrte es zwischen den Fingern des Fräuleins, das keuchend auflachte, sobald der Hunger ihn dazu trieb, nach dem Nachschwerk zu haschen. Sowie seine Lippen den sensiblen Kuppen die Freiheit schenkten, hallte ihr Lachen durch das Foyer.

Erleichtert, diesem Schauspiel zu entkommen, ergriff Heiji den Moment, Kazuha in den Lift zu bugsieren. Mit einem Pling waren die Türen geschlossen und der Weg in die oberen Etagen in Angriff genommen.

»Peinlich«, murmelte er. Die verglaste Kabine schoss nach oben und gab den Blick auf die immer kleiner werdenden Besucher frei.

»Heiji«, ein aufgeregtes Keuchen war neben ihm auszumachen. »Weißt du, wer das war?«

»Nein.« Sein Desinteresse ließ er durch das Schnalzen der Zunge sprechen.

»Das war Emi Shimasawa!« Das Funkeln in Kazuhas Augen war ihm nicht geheuer.

»Sollte ich sie kennen?«, grunzte er.

»Sie ist ein aufstrebendes Starlett. Du weißt schon, in dieser Seifenoper Das Leben der Ashikagas. Wir haben erst letzte Woche zwei Folgen gesehen.« Heiji tat, als leide er Mangel, was die Erinnerungen an das nachmittagliche Fernsehprogramm anbelangte.

Sein Zucken der Schultern quittierte sie mit einem schiefen Blick. »Das war sie, ganz bestimmt. Wie aufregend.«
 

***
 

Ihrer Begeisterung konnte er nur wenig abgewinnen. Es wäre bei Weitem nicht unwahrscheinlich, in einem der größten Skigebiete Japans, in einem noblen Hotel, auf solch ein hochtrabendes Klientel zu treffen. Doch was kümmerten ihn eine Schauspielerin und ihr Begleiter?

»Glaubst du, wir treffen sie beim Abendessen?« Kazuha ließ nichts von der Bewunderung und dem Erstaunen, einer solchen Persönlichkeit begegnet zu sein, missen.

Seufzend ließ er ihr Geplapper über sich ergehen. Von Erholung oder einem ausgedehnten Ausflug in das weiße, kalte Nass konnte bisher noch keine Rede sein. Doch er würde sich nicht davon abbringen lassen, mit Skiern die Pisten hinunterzusauen. Obschon er eine leichte Müdigkeit verspürte, zwang Heiji sich, und Kazuha, hinaus in den Tag.

»Aber wir wollten doch ins SPA«, klagte sie, sobald ihre Füße endlich in den Stiefel steckten. Missmutig stapfte Kazuha ihm nach und erschrak, sobald sie dem Aufzug entkommen waren. Beinahe wäre sie in eine Frau hineingestolpert, deren gehetzter Blick ihr einen Schauer über den Rücken schickte.

»Unfassbar!«, zischte diese, verharrte jedoch, als erwarte sie entschuldigende Worte.

»Verzeihen Sie«, beschwichtigend hob Kazuha die Hände in die Höhe, ehe sie sich erlaubte, die Dame in Augenschein zu nehmen. Das Emblem auf der Steppweste wies sie als Mitarbeiterin eines Lebensmittelgeschäfts aus. Ein Mann mittleren Alters, den Kazuha auf den ersten Blick als Koch identifizieren konnte, da seine Aufmachung keinen anderen Schluss zu ließ, eilte herbei und war versucht, die Empörung der Dame mit einer Erklärung zu mildern.

»Frau Iwahara, es tut mir sehr leid, doch mir wurde von oberster Stelle aufgetragen … Bitte, Sie müssen das verstehen. Es ist bedauerlich, dass wir unsere jahrelange Partnerschaft so beenden müssen, doch die Kritiken und Zeitungen ...« Auf der gefurchten Stirn des Mannes glitzerten bereits die Schweißperlen.

»Nun gut, wenn die oberste Stelle Ihnen eine weitere Zusammenarbeit versagt.« Deutlich waren Wut und Unverständnis in den Worten der Händlerin zu vernehmen.

Kazuha beschlich das unangenehme Gefühl, zwischen den Fronten zu stehen. Sie reckte den Hals, um nach Heiji zu sehen. Doch von diesem fehlte jede Spur. Das Stimmengewirr war längst verebbt, ehe Kazuha begriff, dass der Koch bereits seinen Arbeitsplatz aufgesucht haben musste und noch immer stand sie mit der Frau vor den Fahrstühlen.

»Bitte entschuldige meinen Auftritt.« Kazuha horchte auf und wandte sich der Dame zu. »Doch nach all den Jahren ist es wohl ein weiterer Abschied eines Stammkunden, den ich verkraften muss.«

»Das tut mir sehr leid.« Ehrliche Betroffenheit mischte sich unter Kazuhas Worte. »Sie besitzen einen Lebensmittelhandel?«

Ein freundliches Lächeln zupfte an den Lippen der Dame. »Yoshino Iwahara. Ich bin Geschäftsführerin des kleinen Familienbetriebes »Momo to Tamanegi« in Yasuoka und beliefere die umliegenden Hotels in Hakuba.«

»Belieferte trifft es eher, nicht wahr?« Kazuha fuhr zusammen. Diese Stimme, die sie soeben vernahm, war ihr nicht unbekannt. Es war der Herr, der ihr und Heiji vor wenigen Minuten erst eine Szene wie aus einem Liebesroman geboten hatte.

»Fukubashi«, keuchte Frau Iwahara und taxierte den hochgewachsenen Mann, der auf sie und Kazuha zuhielt und diese ergab sich der leisen Hoffnung, ein weiteres Mal auf Emi Shimasawa zu treffen. »Genügt es Ihnen nicht, mir meinen Laden abspenstig zumachen? Müssen es jetzt auch noch die einzigen Unternehmen sein, die mich über Wasser halten?«

»Ich entsinne mich, Ihnen einen guten Preis für Ihren kleinen Laden gemacht zu haben, Iwahara. Sie waren es, die mein Angebot ausschlug.« Fukubashi nahm keinerlei Notiz von den Schaulustigen, die bereits Neugierig die Ohren spitzten.

Yoshiko Iwahara schnaubte nur abfällig und stutzte, als abermals jemand auf sie zutrat.

»Fukubashi, wären Sie jetzt bereit für das Interview?« Ein junger Mann trat auf das Gespann zu, in den Händen Stift und einen Block haltend. An der Brust baumelte ein Ausweis, der ihn als Reporter einer kleiner Zeitung legitimierte.

Und auch wenn es ihr unwichtig erschien, so hatte Kazuha, in den Jahren der Freundschaft zu Heiji, gelernt, sich jedes kleine Detail einzuprägen. Fukubashi, als solcher, sagte ihr nichts, ebenso wenig der Reporter, dessen Namen sie einzig aufgrund kleinen Namensschildes erspähte: Kitagawa, Takashi. Es mochten unwichtige Namen zu noch unwichtigeren Personen sein. Was ihr jedoch auffiel, war der kleine, blaue Anhänger, der ab und an unter dem Schal Frau Iwaharas aufblitzte. Ein solches Schmuckstück machte eine Menge her, mochte es auch noch so klein sein.

Der Reporter zog mit Herrn Fukubashi von dannen. Doch der Blick, den Frau Iwahara dem Journalisten zuwarf, irritierte Kazuha.

»So, dann werde ich meine Tour fortsetzen«, erklärte Frau Iwahara.

Kazuha zuckte zusammen. »Bitte verzeihen Sie meine Neugierde, aber … Was hat Fukubashi damit gemeint?«

Ein trauriges Lächeln umspielte die Lippen der Händlerin. »Du stammst nicht von hier, richtig?«

Kazuha schüttelte den Kopf.

Leise schnaubend wandte Frau Iwahara den Kopf. »Nur wenige Touristen interessieren sich für den Verbleib der örtlichen Geschäfte und Zulieferer. Ihnen ist Luxus und Komfort wichtig, was kümmert es sie da, dass die ansässigen Läden von Leuten wie Fukubashi zunichte gemacht werden?«

Verwirrung zierte Kazuhas Gesicht, sodass sich die Ladenbesitzerin gezwungen sah, fortzufahren:

»Fukubashi ist der Immobilienmogul Naganos. Kaum ein Geschäft ist vor ihm und seinen raffgierigen Händen sicher. Nur noch wenige Händler können ihr Überleben sichern, wenn die Ländereien billig erkauft und für horrende Preise an Großfirmen verkauft werden. Er treibt die kleinen Unternehmen systematisch in den Ruin und mein Laden bildet keine Ausnahme.«

»Das ist furchtbar«, keuchte Kazuha auf.

Frau Iwahara tat die wahren Worte mit einem bedauernden Zucken der Schultern ab. »Mach dir keine Gedanken. Irgendwie geht es immer weiter.« Mit einem letzten Lächeln ließ sie das Mädchen zurück.

Kummer zierte ihre Miene, als Kazuha endlich zu Heiji nach draußen trat.

»Was hat denn da drinnen so lange gedauert?« Doch statt ihm zu antworten, seufzte sie nur.
 

***
 

»Ich bin zu müde, um Essen zu gehen«, jammerte Kazuha, als es ihnen gelang, sich auf das Zimmer zu schleppen. In halsbrecherischen Manövern war Heiji über die verschneiten Hügel gejagt und obschon Kazuha versuchte es ihm gleichzutun, gelang ihr dies nur mit mäßigem Erfolg.

»Du bist doch der Vielfraß und jetzt willst du dir das teure Futter entgehen lassen?« Eine hochgezogene Augenbraue sollte sie motivieren, doch Kazuha kostete es alle Mühe, den Kopf von der Matratze zu hieven. Murrend erklärte sie sich dennoch bereit, Heijis Angebot zu folgen, denn den Worten Heizo Hattoris zu urteilen, brauchten sie für das leibliche Wohl nicht einen einzigen Yen berappen. All inclusive.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf, ließen sie sich die Köstlichkeiten schmecken, die man ihnen auftischte. Das hoteleigene Restaurant rühmte sich mit den vortrefflichsten Speisen für verwöhnte Gourmetgaumen. Sowie ihre Augen die Karte überflogen, stutzte Kazuha.

»Hm? Was ist?« Heiji war ebenjene Regung nicht entgangen.

»In der Karte werden die regionalen Firmen aufgeführt, die die Küche beliefern«, erklärte Kazuha.

»Na und?« Heiji zuckte mit den Schultern. »Wenn alles regional ist, dann kann es ja nur gut sein.«

Kazuha neigte den Kopf, ehe sie sich knapp über den Tisch beugte und mit gedämpfter Stimme fortfuhr: »Ich hatte vorhin einen Zusammenstoß mit einer Frau, die dieses Hotel mit Obst und Gemüse beliefert.«

»Und?« Er konnte ihr sein Desinteresse nicht weniger gekonnt auf dem Tablett servieren.

»Erinnerst du dich an heute Morgen? Dieser Kerl, der mit Emi Shimasawa -« Vorsichtig sah sich Kazuha zu allen Seiten um.

»Du meinst diese Schmierenkomödie? Dieses Laientheater?«, unterbrach er sie.

Kazuha nickte bekräftigend. »Dieser Kerl, dieser Fumi- … Warte, Fuko – nein. Jetzt ist mir doch – Fukubashi. Richtig, er heißt Fukubashi, und er soll die all diese kleinen Firmen ruinieren.«

»Und was geht es dich an?«, gelangweilt stocherte Heiji in dem Salat herum.

»Mir liegt auch das Wohl meiner Mitmenschen am Herzen. Und dieser Fukubashi ist keiner von der netten Sorte. Er soll ein Immobilienmogul sein. Interessiert es dich gar nicht, was mit diesen armen Menschen geschieht?« Fassungslosigkeit zierte ihr Gesicht. »Deine Ignoranz schreit manchmal wirklich zum Himmel. Wenn nicht irgendwo ein Mord geschieht, dann -«

Heiji sah auf. Wut hatte ihr die Wangen gefärbt. Ein Gefühl des Unwohlseins wallte in ihm auf. All das hier war zu chic, so prunkvoll. Und Kazuha? Sie grollte ihm für sein unsensibles Verhalten.

»Du benimmst dich wie ein keifendes, altes Weib!«, knurrte Heiji, wenngleich es ihm sofort leidtat.

Sie schmälerte den Blick und war geneigt, sich zu erheben.

»Sie wollen doch nicht schon gehen, oder doch?« Kazuha ließ sich wieder auf den Stuhl sinken und sah mit großen Augen zu dem Mann auf, der soeben, in Begleitung Emi Shimasawas, an ihren Tisch trat. »Ich möchte mich bei Ihnen für diesen kleinen Fauxpas entschuldigen. Es war höchst unangebracht, diese Angelegenheiten vor Ihren Augen auszutragen.«

»Nein, nicht doch«, peinlich berührt winkte Kazuha die Worte Fukubashis ab.

»Masaru Fukubashi und dieses bezaubernde Wesen an meiner Seite ist Emi Shimasawa«, erklärte der Herr sich und seine Gefährtin.

Ihr blieb beinahe der Mund offen stehen. Eiligst sammelte Kazuha den kümmerlichen Rest ihrer Kinderstube zusammen. Knapp warf sie Heiji einen triumphierenden Blick zu. Doch obschon Kazuha voller Bewunderung für die junge Frau sein mochte, so unangenehm war ihr der Geschäftsmann.

Heiji und Fukubashi bedienten sich eines knappen Gesprächs, während Kazuha verstohlen zu der jungen Frau aufsah, deren Blick einzig an den Lippen des Mannes hing. Die zarten Finger umklammerten den Arm des Herren. Emi Shimasawa strahlte vor Eleganz, dass es Kazuha beinahe schwindelig wurde.

Sobald das Duo den Tisch verließ, schien auch Kazuhas Wut auf Heiji verpufft.

»Das war also dieser Fukubashi?« Unhöflicher Weise wedelte er mit seinen Händen vor ihrer Nase herum. »Hallo? Kazuha?«

Diese schreckte auf.

»Alles in Ordnung? Du siehst ganz benommen aus.« Seine Worte quittierte sie mit einem verstimmten Blick.

»Erzähl keinen Unsinn, Heiji!«, zischte Kazuha, besann sich jedoch schnell. »Etwas ist komisch.«

»Ach ja? Und was ist es dieses Mal?« Heiji lehnte sich in dem Stuhl zurück, da Kazuha ihm eine Antwort schuldig blieb.
 

***
 

Schweigen hatte die Stunden des Essens begleitet. Eine Kazuha, die sich nachdenklich und grüblerisch zeigte, wollte so gar nicht zu dem Mädchen passen, das ihm nie von der Seite wich. Doch der nächste Morgen begann, wie der erste Abend endete: In Stille und dem Gefühl, einander auf die Füße getreten zu sein.

Obschon Heiji versuchte, mit Wort und Witz ihrem Missfallen entgegenzuwirken, es gelang ihm nicht. So ließ er von dem Vorhaben ab, sie zu einem Wettstreit auf der Piste überreden zu wollen. Kazuha, so ihre wenig wortreiche Erklärung, würde sich in den hochgelobten, exquisiten SPA-Bereich zurückziehen.

Als Heiji am späten Nachmittag wieder das Foyer des Hotels betrat, war ihm, als habe er ein Déjà-vu: Dieselbe Frau – ein anderer Mann.

Heiji tat, als bemerke er die flüsternden Worte kaum, wenngleich die Schmatzenden Laute mehr Aufmerksamkeit verlangten, als die Schauspielerin und der Fremde vorsahen. Im Halbdunkel der Treppe wähnten sich beide sicher, doch dem wachsamen Detektiv entging nichts.

Kopfschüttelnd trat er ins Zimmer und fand das Mädchen schlafend vor. Dass Massagen und Anwendungen dem Seelenheil guttaten, darin bestand für Kazuha keinerlei Zweifel. Heiji würde sie nicht wecken, hütete sich davor, dem zu begegnen, was aus dem Mädchen würde emporkommen, riss man es mit Gewalt aus seinen Träumen.

So begnügte er sich mit dem wenigen Platz, dem sie ihm überließ. Die Stunden bis zum Essen würden sicherlich schnell vergehen. Doch Heiji ahnte nicht, wie schnell man nach seinem Gespür verlangte.
 

***
 

Mit verdrießlicher Miene ließ sich Kazuha zu einem erneuten Essen überreden. Beide durchquerten das pompöse Foyer, als die aufgeregte, hysterische Stimme einer Frau die Geistesgegenwart Heijis erforderte. Der Rezeptionist versuchte beruhigend auf die Dame einzureden.

Kazuha keuchte auf, als sie die junge Frau als Emi Shimasawa erkannte, deren hübsches Gesicht zu einer flehenden, angstvollen Grimasse verzogen war.

»Bitte«, forderte sie mit aller Dringlichkeit. »Sie müssen einen Arzt rufen. Bitte …«

»Ist etwas passiert?« Heiji trat an ihre Seite.

»Mein Freund, er … er ist plötzlich umgefallen und reagiert nicht mehr.« Panik spiegelte sich in den Augen der jungen Frau. Dann wandte sich das Fräulein Shimasawa wieder an den Herren vom Empfang.

»Ihre Zimmernummer«, forderte Heiji, während Kazuha das Geschehen aus sicherer Entfernung verfolgte.

»471«, wimmerte Emi und stieß verzweifelte Schluchzer aus.

»Kazuha, kümmere dich bitte um sie, bis ich wieder da bin.« Noch ehe sie wusste, wie ihr geschah, war Heiji auch schon die Stufen in die vierte Etage hinaufgeeilt. Ihm folgten drei Bedienstete des Hauses, sowie Kazuha mit einer hysterischen Schauspielerin im Schlepptau.

Mit Vorsicht stieß Heiji die angelehnte Tür zum Zimmer 471 auf, linste hinein und schob sich in kleinen Wohnbereich der Suite. Weder sah, noch hörte er jemanden im Raum. Erst, als er die Tür zum Bad mit dem Fuß anstupste, und diese nur einen spaltbreit aufschwang, war er sich sicher, Fukubashi gefunden zu haben.

»Masaru.« Der qualvolle Aufschrei Emi Shimasawas ließ Heiji zusammenfahren.

»Was tut ihr denn hier? Ich hatte dir gesagt, dass du dich um sie kümmern sollst!«, fuhr Heiji, neben dem Opfer kniend, die eintreffende Schar an.

»Masaru, der Arzt wird gleich hier sein.« Emi weinte bitterlich und entwand sich den tröstenden Armen Kazuhas.

»Vergessen Sie den Arzt, rufen Sie die Polizei!«, orderte Heiji und war versucht, Emi daran zu hindern, den Tatort zu betreten.

»Was?«, schockiert blinzelte sie, doch Heiji schenkte ihr keinerlei Aufmerksamkeit. Sein Blick glitt von den drei Hausangestellten zu Kazuha.

»Kazuha, wird's bald!«, zischte er.
 

***
 

Inspektor Manabu Akiba hatte veranlasst, dass niemand dieses Zimmer ohne Erlaubnis betreten dürfe. Der Präfektur-Polizei Naganos angehörend, war ihm der Landkreis Kitaazumi-gun unterstellt, sodass er als erster Ansprechpartner in Mordangelegenheiten rund um Hakuba und die anderen, umliegenden Dörfer und Städte galt.

»Wer hat den Toten gefunden?« Akiba ließ sich von einem Polizisten die nötigen Informationen aushändigen. Sein Blick flog über die Notizen, als er die Namen der Anwesenden in Augenschein nahm.

»Wer von Ihnen ist Hattori?«, rief er in die Runde. Akiba neigte den Kopf, als sich der jüngste Spross des Kollegen aus Osaka bemerkbar machte. »Du bist Heizos Sohn?«

Heiji nickte knapp.

»Es tut mir leid, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen, mein Junge.« Abermals ließ der Detektiv eine Geste der Zustimmung erkennen. »Und du hast ihn gefunden?«

»Frau Shimasawa war es, die unten im Foyer nach einem Arzt verlangte, da das Opfer zu keinerlei Regung mehr fähig schien. Zufällig kamen meine Freundin Kazuha und ich -«, begann Heiji zu erläutern, hielt jedoch inne, da er den musternden Blick des Beamten bemerkte.

»Toyama nehme ich an?«, riet Akiba mit einem nicht weniger knappen Nicken auf Kazuha.

»J-ja«, gab diese kaum hörbar zu Wort.

Akiba ging die weiteren Namen auf der Liste durch, ohne auf die Ausführungen Heijis einzugehen, befragte und ließ die notwendigen Aussagen notieren.

»Inspektor Akiba«, wandte sich Heiji an den Kommissar. »Das Opfer wurde vergiftet.«

»Nun, mein Junge, das wird die Gerichtsmedizin bei der Untersuchen feststellen«, erwiderte Akiba tonlos. Das Klicken der Kameras ertönte. Blitze flackerten auf und erloschen mit jedem Foto, das der zuständige Beamte vom Opfer schoss.

»Bittermandel«, verkündete Heiji. »Es war Mord.«

»Dass wir dich und das Fräulein Kazuha nicht längst des Tatortes verwiesen haben ist der Tatsache geschuldet, dass eure Väter hervorragende Polizisten sind. Dennoch halte ich es für angebracht, wenn ihr eure Aussagen zu Protokoll gebt und dann meinen Männern und mir das Feld überlasst.« Akibas Autorität schien von den anwesenden Polizisten nicht in Zweifel gezogen zu werden. Emsig waren die Beamten bei der Arbeit.

Die übrigen Zeugen waren bereits in einem separaten Zimmer untergebracht, um das Gesehene und Geschehene der Polizei mitzuteilen, doch weder Heiji noch Kazuha wollten sich damit zufriedengeben.

»Gibt es noch weitere Personen, die dem Opfer nahe standen? Oder mit ihm in Verbindung stehen?« Abermals huschte der Blick des Inspektors über die kleine Traube an Menschen.

Emi schlug die Hände vors Gesicht und jammerte klagend über den Verlust ihres Geliebten, während die Angestellten des Hotels nicht mehr zur Aufklärung des Falls beitragen konnten. Man entließ die drei Herren mit dem Verweis, sich für weitere Befragungen in der Nähe aufzuhalten.

»Auch das noch«, murmelte Akiba und rieb sich die Schläfen. »Masaru Fukubashi … Das musste irgendwann passieren.«

»Wie meinen Sie das?«, hakte Kazuha nach, sobald sie ihm und Heiji hinaus auf den Gang folgte.

»Dieser Kerl ...« Akiba wandte den Kopf, gab jedoch nicht mehr preis, als den beiden Oberschülern bereits bekannt war.

»Inspektor Akiba«, hob Kazuha an. »Heute Morgen, da … Es gab einen kleinen Zwischenfall mit dem Opfer und einer Frau, die das Hotel mit Lebensmitteln beliefert.«

»So?« Akiba schien sich nicht für die Belange der Polizisten-Tochter zu interessieren.

»Außerdem gab es noch ein Interview mit einem Reporter, und ...«, fuhr Kazuha fort, doch sie wurde durch Heiji in ihren Ausführungen unterbrochen.

»Kazuha, du willst doch wohl nicht den armen Inspektor Akiba mit solchen Geschichten langweilen, oder?« Das breite Grinsen auf seinem Gesicht sollte den Kommissar beruhigen. »Der Mann hat keine Zeit, sich von dir jedes Gespräch aufzählen zu lassen, dem du zufällig beigewohnt hast, nicht wahr?«

»Aber Heiji -«, empörte sie sich, doch der plötzliche Druck, den seine Finger auf ihre Schulter ausübten, brachte sie zur Räson.

»Wir bleiben im Hotel, wenn Sie uns brauchen«, sagte Heiji, schob Kazuha vor sich her und den Flur hinab.

»Was soll das?«, zischte Kazuha erzürnt.

»Beruhige dich und geh einfach weiter, immer weiter den Gang entlang, kapiert?«, knurrte Heiji und erst, als beide zwischen den Aufzügen standen, ließ er von ihr ab. »Bist du wahnsinnig? Du kannst diesem Inspektor doch nicht einfach so in die Parade fahren?!«

»Parade?«, empört schnappte Kazuha nach Luft. »Er hat dich und deine Vermutung nicht einmal angehört.«

»Das ist keine Vermutung!« Heiji verschränkte die Arme vor der Brust und gebot ihr in den Fahrstuhl zu steigen, sobald dieser auf ihrer Etage zum Stehen kam.

Kazuha zeigte sich nicht weniger stur, als sie vor ihm in die Kabine trat, ebenso die Arme verschränkte und ihn mit wütendem Blick taxierte.

»Es war Mord, Kazuha. Ganz eindeutig. Der Bittermandelgeruch lässt keinen anderen Schluss zu.« Heiji gesellte sich zu ihr in das gläserne Gefährt. »Stellt sich jedoch die Frage, wer diesem Kerl nach dem Leben trachtet.«
 

***
 

»Ein Mord in einem Nobelhotel, das wird eine fette Schlagzeile,« tönte es bis ihrem Zimmer hinauf, als sich die Meute geiernder Journalisten vor dem Hotel versammelte, um jedes noch so kleine Detail des Mordes am Immobilienmogul Fukubashi in einem Artikel für die Abendzeitung aufzuschnappen.

Nervös nagte Kazuha auf ihrer Unterlippe herum. Sie hatte Heiji von den Begegnungen am Tag ihrer Anreise erzählt. Dieser hatte jedes Wort nur mit einem stummen Nicken abgenommen.

»Vielleicht sollten wir auf eigene Faust Nachforschungen anstellen?«, riet sie.

Das Klopfen an der Tür ließ beide verdutzt dreinblicken. Mit drei Schritten hatte Heiji die Distanz zur Tür überbrückt und bereits die Klinke in der Hand.

»Fräulein Shimasawa?« Vor ihm erhob sich die erste Tatverdächtige.

»Ich hatte mich an der Rezeption nach eurem Zimmer erkundigt, und ...«, haspelte diese und strich sich die verirrten Strähnen des hellen Haares aus dem Gesicht.

Zwar zierte seine Miene Skepsis, doch Heiji gebot ihr Einlass. Kazuha sprang vom Bett auf und eilte zu dem bekümmerten Mädchen herüber.
 

***
 

»Es wird eine lange Nacht werden«, sagte Heiji und wurde von Kazuha mit einem Zischen zum Schweigen verdammt, da sich die junge Schauspielerin auf dem weichen Bett niedergelassen und eingeschlafen war. Er tauschte mit Kazuha einen Blick, deren Fokus jedoch auf etwas lag, das ihm noch entging.

»Kazuha?« Er trat auf sie zu und versuchte dem zu folgen, was sie so fesselte.

»Heiji!«, knurrte sie eindringlich und schob den jungen Detektiv hinaus auf den Flur. Leise fiel die Zimmertür hinter ihr ins Schloss.

Irritiert über ihren Wagemut, blinzelte Heiji. »Was?«

»Das Armband.« Sie hielt den Kopf gesenkt, sobald ihr Rücken das Holz der Pforte fand.

Heiji kratzte sich am Hinterkopf. »Hm? Was ist damit?«

»Ich habe es schon einmal gesehen«, gestand Kazuha und blickte zu ihm auf.

Seine Augenbraue hob sich interessiert. »Wo?«

»Es ist der Anhänger«, fuhr Kazuha fort und kam nicht umhin, abermals grübelnd die Zähne in die Unterlippe zu schlagen.

»Kazuha!«, drängte der Detektiv energisch, denn nichts war ihm mehr verhasst, als Wortfetzen, die zu nichts führten.

»Bei Frau Iwahara.« Kazuha schluckte bei der Erinnerung an jedes Zusammentreffen. »Die Frau mit dem kleinen Lebensmittelgeschäft. Sie trug eine Kette mit demselben Stein. Und sie war nicht gut auf Fukubashi zu sprechen!«

»Und das soll ein Beweis sein?«, lachte er auf.

»Nein.« Kazuha wandte den Kopf. »Aber sie wäre eine Verdächtige, schließlich scheint dieser Fukubashi vielen, armen Menschen das Leben und die Existenz zu ruinieren.«

Schweigend tat Heiji die Worte seiner Freundin ab. »Gab es noch jemanden? Du hast etwas von einem Reporter gesagt.«

Ein bejahendes Nicken ihrerseits folgte. »Takashi Kitagawa.«

»Gut«, grinste Heiji, »dann nehmen wir uns diese drei erst einmal zur Brust.«

»Und wie willst du das anstellen?« Ein nervöses Kichern begleitete ihr Anliegen.

»Lass das mal meine Sorge sein.« Mit einem Zwinkern marschierte Heiji abermals den Gang entlang. »Pass du mir gut auf unsere Tatverdächtige auf.«

Keuchend rang Kazuha nach Luft. »Aber, Heiji -«
 

***
 

Wie auch immer es ihm gelungen war, die Hoteldirektion zeigte sich, in Anbetracht des Vorfalls, einsichtig und überließ dem jungen Detektiv bereitwillig den Computer im Büro des Hotelmanagers. Rasch flogen seine Finger über die Tasten. Es war zu leicht, an Informationen zu gelangen. Erster Anlaufpunkt blieb die Website des Immobilienhais. Als Zweites nahm er sich das kleine Starlett vor. Schnaubend schüttelte Heiji den Kopf. Diese Leute und dieser Medienwahn. Viel zu leicht gingen diese Berühmtheiten mit ihrem Privatleben hausieren.

Auch über diesen Reporter ließen sich einige, nennenswerte Ergebnisse erzielen. Einzig Frau Iwahara bereitete ihm Sorge. Mehr gelangweilt, als dem Forscherdrang folgend, scrollte sich Heiji durch die bisher veröffentlichten Artikel aus der Feder Kitagawas.

Heiji stutzte, scrollte den Bericht rauf und herunter, ehe ihm ein lautes Lachen entkam. Rasch waren die Notizen beisammen und er auf dem Weg zum Inspektor.

Akiba zeigte sich unbeeindruckt, nahm sich dennoch der gesammelten Informationen an.

»Meine Männer waren auch nicht untätig«, verkündete Akiba, doch Heijis Miene blieb ungerührt. »Und du denkst, dass diese drei etwas mit dem Mord an Fukubashi zu tun hätten?«

»Sie und Ihre Männer sollten zu demselben Schluss gekommen sein, Inspektor.« Ein schiefes, überlegenes Lächeln zupfte an Heijis Lippen.

Akiba schnaubte abfällig. »Und du verlangst, dass ich diese potenziellen Verdächtigen vorlade, um diese Uhrzeit?«

»Ich bitte darum.« Mit diesen Worten wandte sich der junge Detektiv zum Gehen.
 

***
 

Er fand Kazuha im Restaurant vor, das zu dieser späten Stunde kaum noch Gäste empfing.

Seufzend ließ sich Heiji ihr gegenüber auf den Stuhl fallen. Die handgeschriebenen Notizen warf er vor sich auf den Tisch. Kazuha blickte nicht einmal auf. Erst, als eines der Blätter durch den von Heiji verursachten Schwung zu ihr hinüberglitt, schluchzte sie.

»Hey, ist alles in Ordnung?« Seine Frage barg tiefe Sorge, doch ob Kazuha diese auch zur Kenntnis nahm, konnte er nicht beurteilen.

»Du verdächtigst sie?«, brüchig quoll ihr die Anschuldigung aus der Kehle hervor. »Heiji, sie hat nichts getan.«

Er schwieg, rieb sich die Augen. Ein knappes Schnauben entkam ihr, ehe Kazuha es schaffte, ihn anzusehen. Sie war erschöpft, traurig.

»Jeder ist verdächtig, Kazuha«, hob er an und erntete, zu seiner Überraschung, ein zustimmendes Nicken.

Zaghaft streckte sie die Finger nach den Ergebnissen aus, überflog die Zeilen und keuchte auf. »Heiji, ist das -?«

Ihr sanken die Schultern herab. Noch war die Schuldfrage nicht geklärt, nicht einmal ein Motiv ließ sich aus den Notizen ersehen. Doch ihr schwante nichts Gutes.

»Ich weiß nur noch nicht, wie ...«, merkte Heiji an.

Ein bekümmertes Lächeln zupfte ihr an den Mundwinkeln. »Ich schon.«

»Wie meinst du das?«, erschrocken blinzelte er.

»Emi erzählte mir davon«, begann Kazuha langsam. »Fukubashi ist ein Raubtier. Gierig, verschlagen, doch ich glaube, dass sie ihn wirklich gemocht hat. Irgendwie

»Und inwieweit hilft uns das weiter?«, hakte Heiji nach.

»Sie sagte, dass er eine Vorliebe für Süßes hege und dass er immer etwas in seinen Taschen hätte.« Kummer zierte ihr Gesicht. »Erinnerst du dich nicht mehr? Vor dem Fahrstuhl, da …« Kazuha hielt inne, schien zu überlegen, wie sie ihm das Gehörte präsentieren solle. »Sie sagte, dass er sich einen Spaß daraus macht, wann immer sie etwas im Mund habe, er es nicht lassen könne, es ihr wegzunehmen.«

Heiji horchte auf.

»Ihre Beziehung schien sehr intensiv zu sein.« Ein unsicheres Kichern begleitete ihre Worte. »Und küssen kann man nicht allein, oder?«

Unter geschmälertem Blick verfolgte Heiji das Gesagte. Dann erhob sich von seinem Platz, trat auf sie zu und zog sie zu sich empor. »Du bist genial, Kazuha.«
 

***
 

»Kaliumcyanid«, tönte der Detektiv, sobald sich die kleine Runde in einem ruhigen Nebenzimmer niedergelassen hatte und Redeschwall der Anwesenden endlich abebbte. »Kurz: Zyankali

»Zyankali?« Emi Shimasawa blinzelte gegen das soeben gefallene Wort an.

»Ein Gift, höchst tödlich. Äußerst … tödlich und wohl jeder von Ihnen hatte ein Motiv«, erklärte Heiji.

»Was soll das heißen?« Überrascht von der Reaktion, zierte ein wissendes Lächeln die Lippen des jungen Mannes, da Yoshiko Iwahara es war, die ihre Stimme erhob und ihrer Empörung Raum verschaffte.

»Ich denke, dass Sie, Frau Iwahara, ziemlich genau um die Wirkung dieses, aus der Blausäure extrahierten Salzes wissen, und die Folgen, die die Einnahme mit sich bringt. Ein qualvoller, aber schneller Tod.«

Yoshiko schnappte nach Luft. »Was soll das bedeuten? Soll ich etwa die Mörderin sein? Was erlauben Sie sich!«

»Ihrem aufbrausenden Naturell zu urteilen, gefällt Ihnen meine Mutmaßung nicht?« Dass Heiji gern provozierte, und die Täter aus der Reserve zu locken versuchte, war Kazuha durchaus vertraut. Doch in diesem Augenblick behagte ihr seine Coolness ganz und gar nicht.

»Sie sagen es«, fauchte Frau Iwahara. »Und mit Ihrer Mutmaßung haben Sie soeben zugegeben, dass Sie keinerlei Beweise für Ihre Anschuldigung vorbringen können.«

Heiji war die Ruhe selbst. »Ich habe Sie keineswegs beschuldigt. Ich habe lediglich gesagt, dass Ihnen die toxische Wirkung bekannt ist.«

»Wie meinen -?« Emi Shimasawa

»Zyankali ist an jeder Ecke für einen gewissen Obolus erhältlich. Doch Frau Iwahara ist nicht nur Inhaberin eines kleinen Lebensmittelgeschäfts«, fuhr Heiji fort.

»Was wollen Sie damit sagen?« Takashi Kitagawa lauschte den gefallenen Worten.

»Und, wittern Sie schon eine gute Story, Herr Kitagawa?« Abermals spielte Heiji den Überlegenden. »Frau Iwahara – Sie sind Apothekerin, nicht wahr? Um einen Fall, wie diesen, aufzuklären, gehört es sich, nicht nur die Motive ans Tageslicht zu zerren, sondern auch die Vergangenheit der potenziellen Täter und Zeugen zu beleuchten. Und bei meinen Recherchen stieß ich auf einen kleinen Artikel in einer Zeitung, der da besagt, dass die zweitälteste Tochter der Iwahara-Familie vor gut zehn Jahren ihre Tätigkeit als Apothekerin zum Wohle des Familienbetriebes aufgab, da die anderen Geschwister kein Interesse an einem kleinen, kläglichen Laden hegten. Ist es nicht so, Frau Iwahara?«

Die Miene der Beschuldigten wirkte wie versteinert, als diese die Wahrheit bezeugte. »Ja, ich – Apothekerin zu sein, war mein Leben. Dann starb mein Vater, und Mutter konnte den Laden nicht allein führen. Von meinen Brüdern und meiner Schwester konnten wir keine Unterstützung erwarten. Sie alle hatte es in die weite Welt hinausgezogen. Was kümmerte sie denn das Geschäft, das ihnen einen gutes Leben, eine gute Kindheit beschert hatte? Also kündigte ich meine Anstellung, gab mich und mein Leben auf, zog zurück nach Yasuoka und widmete mich aufopfernd nicht nur dem Familienbetrieb, sondern auch meiner kranken Mutter, die den Tod meines Vaters nicht verkraftet hatte. Sie starb, kurz vor meinem achtundzwanzigsten Geburtstag, und überließ mir das Geschäft.«

Schweigend nickte Heiji das Gehörte ab, ehe er die Frau zum Weiterreden drängte. »Dann erschien Fukubashi und unterbreitete Ihnen ein Angebot, war es nicht so?«

Frau Iwahara schnaubte. »Vor einem halben Jahr etwa, kam dieser schmierige, kleine Geldhai in meinen Laden. Höhnte, er wolle mir das Geschäft meines Lebens unterbreiten, wenn ich ihm Grund und Boden verkaufe. Doch all das gehörte noch immer meiner Familie. Als ich sein Angebot ausschlug, warnte er mich und drohte mir. Seit Monaten erhalte ich Anrufe, Steine fliegen durch die Fensterscheiben. Die Kunden bleiben aus. Zeitungen -« Yoshiko warf dem Reporter einen frostigen Blick zu. »Zeitungen verkünden, dass sich -« Ihr brach die Stimme. Kraftlos sank die gebeutelte Frau in sich zusammen. »Er hat mich ruiniert. Die Rechnungen haben unaussprechliche Beträge angenommen. In zwei Wochen sitze ich vor den Scherben meiner Existenz.«

»Sie geben also zu, Herrn Fukubashi nicht nur gekannt zu haben, sondern ihm auch nach dem Leben zu trachten, da er sich, als einflussreicher Immobilienmagnat, darauf verstand, kleine Geschäfte dem Erdboden gleichzumachen.« Heijis Schlussfolgerungen ließen keinen Zweifel zu. »Allerdings sind Sie nicht die Einzige mit einem Motiv, nicht wahr? Sie haben das Wissen, die Mittel und die Motivation ...«

»Was wollen Sie damit andeuten?« Herr Kitagawa tat einen Schritt auf den Ermittler zu.

»Frau Iwahara hatte das Werkzeug, doch Sie kam nicht an Herrn Fukubashi heran. Dieses Vorhaben gelang einzig und allein Ihnen, Fräulein Shimasawa!« Der Blick des Detektivs ruhte nunmehr auf der kleinen, zierlichen Person.

»Ich, aber … was reden Sie denn da?«, hastig überschlug sich das zarte Stimmchen des jungen Starletts.

»Sie kamen dem Toten nicht nur ziemlich nahe, auch Sie hatten ein Motiv. Hat er Ihnen Geld versprochen? Eine Lebensversicherung vielleicht?« Seine Taktik, nicht locker zu lassen und die vermeintlichen Täter in die Ecke zutreiben, gelang ihm vortrefflich. Doch die Angst vor einer übereilten Reaktion der Anwesenden hockte auch ihm stets im Nacken.

»Ich wollte die Trennung -«, hob das Fräulein Shimasawa an.

»Emi.« Takashi warf ihr einen mahnenden Blick zu.

»Wusste ich es doch!« Statt eines überheblichen Grinsens, zierte Abgeklärtheit Heijis Miene. »Sie Drei stecken unter einer Decke.«

»Das können Sie nicht beweisen, Hattori!«, knurrte der Reporter.

»Oh, wirklich nicht?« Nun entfloh dem Detektiv ein keines Lachen. »Ich kann, Herr Kitagawa, und das werde ich auch.«
 

***
 

Das Schweigen, je länger es anhielt, schien den kleinen Raum zum Bersten zu bringen. Inspektor Akiba hatte das Schauspiel aus der Ferne genossen und dem jungen Grünschnabel das Feld überlassen. Heiji Hattori war kein blutiger Anfänger. Er tapste nicht blindlings umher oder stolperte zufällig über Indizien. Die Polizei Osakas hätte in diesem Jungen wahrlich einen guten, fähigen Mann und würdigen Nachfolger Heizo Hattoris.

Doch die Lage um den Mord spitzte sich zu. Die Anspannung und Aufregung der Zeugen wuchs mit jeder Sekunde, die voranschritt. Dass dieser Schülerdetektiv es wagte, seinen Männern Befehle zu erteilen, hatte dem alten Akiba nicht behagt, doch seine Leute waren tüchtig und strebsam, fügten sich dem Befehl ihres Chefs und lieferten die benötigten Informationen in beinahe schwindelerregender Eile.

Masaru Fukubashi war in ganz Nagano bekannt dafür, durch seine skrupellosen Methoden, den armen Bauern die Ländereien abzujagen, kleine Läden einzustampfen und alles, dem er habhaft wurde, zu Geld zu machen. Er war ein Scheusal, das Seinesgleichen suchte. Korrupt, verschlagen. Doch Beweise für seine Betrügereien waren haltlos und die Geschädigten waren zu verängstigt, als dass sie sich gegen diesen Mann, mit Einfluss und Geld, zur Wehr setzen konnten.

Die Polizei war machtlos. Immer fand dieser Gauner einen Weg, die Verträge rechtens und das Geld sauber aussehen zu lassen. Er war ihnen durch die Finger geglitten wie ein Fisch. Windig, wendig und doch stets vorsichtig und wachsam und all seinen Gegnern immer einen Schritt voraus.

Akiba ließ die Zeugen und mutmaßlichen Täter nicht aus den Augen. Mit einem Ohr lauschte er den Ausführungen Hattoris, während sein Fokus den Anwesenden anhaftete.

Die Aussagen des Jungen waren provozierend und zeugten entweder von Wissen, das ihm und seinen Leuten abhandengekommen war, oder sie waren reine Spekulationen, um den drei Tatverdächtigen eine Falle zu stellen.

»Sie«, begann Heiji von neuem, den Blick auf Kitagawa gerichtet, »sind nicht nur Reporter der örtlichen Zeitung, auch schrieben Sie den Artikel, der die Übernahme des kleinen Ladens der Familie Iwahara beinhaltete. Und Sie haben eine Affäre mit ihr!«

»Junge, nun lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster!«, mahnte Inspektor Akiba.

»Wer? Mit wem soll ich was?«, verdattert wandte Kitagawa den Kopf.

»Das geht zu weit, Herr Inspektor! Ich lasse mich nicht von einem dahergelaufenen Hobby-Sherlock-Holmes einer Affäre beschuldigen! Nehmen Sie Ihren Lehrling an die Leine, bevor ich Sie wegen Verleumdung -«, echauffierte sich die einstige Apothekerin.

»Nicht Sie, Frau Iwahara«, leise lachte Heiji auf. »Ich rede vom Fräulein Shimasawa.«

»Also, das ist ja«, empörte sich der Reporter, doch ein geschultes Auge entlarvte die Lüge.

»Nun geben Sie es schon zu«, verlangte junge Detektiv.

»Heiji«, keuchte Kazuha auf, doch dieser gebot ihr, sich nicht einzumischen und die Ruhe zu bewahren.

»Soll ich weit ausholen oder gestehen Sie freiwillig?«, drohend und donnernd hallte Heijis Stimme durch das Zimmer. »Gut, wenn niemand von Ihnen bereit ist, mit der Wahrheit herauszurücken, dann bleibt es wohl an mir hängen. Oder fühlen Sie sich jetzt in der Lage, die Karten auf den Tisch zu legen?!«

Betreten tauschten Herr Kitagawa und das Fräulein Shimasawa einen Blick.

Heiji seufzte gedehnt. »In Ordnung -«

»Moment«, warf sich Inspektor Akiba dazwischen, trat an Heiji heran und flüsterte eindringlich auf ihn ein: »Junge, du hast keine Beweise, weder für den Mord, noch für irgendeine Affäre. Du bringst dich und uns in Teufelsküche, wenn deine Beweise haltlos sind.«

»Das sind sie ganz und gar nicht, Herr Inspektor«, hob Heiji an, während ein triumphales Grinsen seine Lippen zierte. »Ich sollte vielleicht am Anfang beginnen, meinen Sie nicht auch?«

Seine Stimme drang laut und klar bis in den kleinsten Winkel, als Heiji die Beteiligten ins Visier nahm. »Dann klären wir wohl erst einmal die Verwandtschaftsverhältnisse, oder möchten Sie es für mich tun, Fräulein Shimasawa, Frau Iwahara?«

Beide Damen fuhren ertappt zusammen, als die Worte des Ermittlers zu ihnen drangen.

»Sie sollten wissen, dass diese beiden Frauen mehr miteinander teilen, als die bloße Abscheu Herrn Fukubashis gegenüber. Emi Shimasawa und Yoshiko Iwahara sind Tante und Nichte.« Genüsslich ergab sich Heiji dem Keuchen und Japsen und der gewisperten Fassungslosigkeit. »Die Ketten, die Sie beide tragen, die eine um den Hals, die andere am Handgelenk, haben Sie verraten. Und erzählen Sie mir nicht, es würde sich dabei um billigen Modeschmuck handeln. Die Saphire sind echt, jeder Juwelier kann und wird Ihnen das bestätigen können.«

»Was erzählen Sie denn da für einen Unsinn?«, fauchte Yoshiko Iwahara.

»Wir haben Nachforschungen angestellt, meine Damen«, erlaubte sich Akiba zu sprechen. »Es sind Familienerbstücke. Und nur wenige dieser Anhänger wurden in Japan, und vor allem in der Präfektur Nagano, unter die Leute gebracht. Man kann dabei von Zufall sprechen oder vielleicht hat eine von Ihnen diesen Schmuck bei einem Händler erstanden, wer weiß? Doch gegen Aufnahmen wie Fotografien oder dem Geburtsregister können Sie nicht angehen.«

»Sie sind die Tochter von Aimi, der einzigen Schwester von Frau Iwahara. Und Sie, und Ihre Tante Yoshiko, verbindet nicht nur ein familiäres Band, sondern auch eine gewisse Freundschaft, Zugehörigkeit und Vertrauen, trotz eines Altersunterschieds von elf Jahren«, erklärte Heiji. »Diesen Anhänger, Fräulein Shimasawa, haben Sie von Aimi, von Ihrer Mutter bekommen, nicht wahr?«

Schluchzend nickte das Mädchen die Wahrheit ab. »Sie, sie gab ihn mir anlässlich meines achtzehnten Geburtstages und sagte, dass dieser Anhänger das Einzige sei, das sie noch mit ihrer Familie verband. Nachdem sie starb, suchte ich meine Tante auf. Ich erfuhr, dass auch meine Großeltern nicht mehr am Leben seien und Yoshiko allein für das Geschäft verantwortlich ist. Wir trafen einander öfter und frischten so das Verhältnis zu einander auf.«

»Gut, und Fukubashi -« Heiji jedoch ließ sich nicht von der rührenden Geschichte von den Motiven und Beweisen abbringen.

Frau Iwahara schnaubte. »Als ich bemerkte, wie er Emi ansieht, als er vor sechs Monaten meinen Laden betrat, da wusste ich, was ich zu tun hatte. Sie ist jung, vielleicht ein wenig einfältig.«

»Und Sie wollten Ihre Nichte zu einem Mord anstiften?« Inspektor Akibas Stimme schwoll an.

»Nein, nein so war das nicht«, warf Emi hastig ein. »Ich sollte ihn davon abbringen, unser Geschäft kaputt zu machen. Das müssen Sie mir glauben, Herr Inspektor.«

»Sie wollen uns erzählen, dass Sie Ihre blutjunge Nichte auf einen Immobilienhai angesetzt haben, damit er Ihr Geschäft verschont? Und Herr Fukubashi ließ sich darauf ein?«, verlangte Inspektor Akiba zu wissen.

»Schmierig, hinter dem Geld her, wie der Teufel hinter der Seele, und er bevorzugte junge Frauen«, zischte Takashi Kitagawa.

»Ah, hervorragend«, begeistert klatschte der Inspektor in die Hände. »Und ich erlag der Annahme, dass Sie Ihrem Auftritt in dieser kleinen Komödie nicht mehr gerecht würden, Herr Kitagawa.«

»Was erlauben Sie -«, empörte sich Yoshiko Iwahara erneut.

»Bleiben wir bei den Tatsachen: Sie, Frau Iwahara haben Ihre Nichte auf Herrn Fukubashi angesetzt, ohne den Hintergedanken eines Mordes. Wie passt dann aber unser Herr Kitagawa da ins Bild?« Akiba sah von einem Verdächtigen zum nächsten.

»Ihr kleiner Polizist hat recht«, knurrte Kitagawa, »Emi und ich, wir … Und ich war es auch, der den Artikel über das kleine Familienunternehmen schrieb. Yoshiko und ich kennen uns noch aus der Schule.«

»Und wie passt das alles zusammen? Wie es den Anschein hat, hat jeder von Ihnen ein Motiv. Rache? Eifersucht?« Akiba ließ den Anwesenden Zeit, sich eine plausible Antwort zu überlegen, sich der Schuldigkeit zu bekennen. »Wer hat Fukubashi vergiftet?«

»Ich wollte ihn diffamieren«, sagte Kitagawa. »Dank Emi hatte ich genug Beweise zusammen, um ihn und seine abscheulichen Geschäfte hochgehen zu lassen. Sie, unsere so hoch geschätzte Polizei, haben sowieso nichts unternommen! Dieses korrupte Schwein. - Er hatte ihnen gedroht, Emi und Yoshiko, und rühmte sich mit seinen Schandtaten, armen Leuten die Häuser wegzunehmen, um deren Grundstücke teuer zu verkaufen, oder weitere Luxusresorts und Erholungszentren darauf zu bauen. Diesem Mistkerl musste Einhalt geboten werden!«

»Das nenne ich ein Motiv. Hat noch jemand von Ihnen etwas beizutragen? Nein? Dann fasse ich zusammen, und sollte ich etwas vergessen haben, dann unterbrechen Sie mich höflich«, erhob Akiba das Wort.

»Ich habe ihn nicht umgebracht!«, schrie Kitagawa verzweifelt, als einer der Beamten neben ihn trat.

»Das ist die Wahrheit!«, unterbrach die junge Schauspielerin und versuchte, den Polizisten an der Festnahme des Mannes zu hindern.

»Ich war es.« Klar und deutlich war das Geständnis Yoshiko Iwaharas zu vernehmen.

»Yoshiko«, japste Emi leise auf.

»Na, so was?«, höhnte der Inspektor, darauf wartend, dass die Schuldige vortrat.

»Sie haben recht, es ist wahr. Ich bin Apothekerin, und ich habe das Zyankali in die Kapseln getan.« Tränen schwammen ihr in den Augen.

»Und nicht nur das, Frau Iwahara. Sie sind auch eine tüchtige Köchin mit Hang zu Süßigkeiten, nicht wahr?« Die Blicke aller richteten sich auf den jungen Schülerdetektiv aus Osaka. »Laut dem Laborbericht starb Fukubashi an den toxischen Folgen, die Zyankali unweigerlich mit sich bringt. Doch sie würden Ihrer Nichte, egal wie nah sie diesem Immobilienhai auch stand, nie diese bloßen Kapseln geben, damit die ihm diese verabreicht. Wie also haben Sie das angestellt? Nun, das will ich Ihnen erklären:

Herr Fukubashi hegte nicht nur eine Vorliebe für junge Frauen, er war auch einem kleinen Bonbon nie abgeneigt. Doch das Zyankali einfach auf Schokolade zu träufeln, oder es zu verbacken funktioniert nicht. Also haben Sie sich die Angewohnheit des Opfers, um die Sie unweigerlich von Ihrer Nichte wussten, zunutze gemacht, immer ein paar Minzbonbons bei sich zu tragen. Und, wie ich selbst Zeuge wurde, stibitzt er seiner Begleitung gern solche Leckereien direkt aus dem Mund. Mit diesem Wissen haben Sie, Fräulein Shimisawa, und auch Sie, Frau Iwahara, zwar mit Ihrem Leben gespielt, doch um die Gier dieses Mannes wissend, war Ihnen sehr wohl bekannt, dass er Ihnen, Fräulein Shimasawa, das Tatwerkzeug schneller abluchste, als sie erwartet hatten. Sie hatten ja noch nicht einmal Zeit, das Bonbon auszuwickeln. Glück für Sie, für Sie beide. Pech für den Herrn Fukubashi. Sie, Frau Iwahara, haben das Bonbon so präpariert, dass dem Opfer ein Loch im Innern, in das Sie diese kleine Kapsel versteckten, gar nicht auffiel. Sie wuschen Ihre Hände in Unschuld, denn Ihre Fingerabdrücken wären durch das Zuführen der Süßigkeit nicht mehr nachweisbar. Und da Sie, Fräulein Shimasawa, stets ein paar Bonbons für Ihren Begleiter mit sich führen, können wir davon ausgehen, dass Ihnen das Risiko, nur den zuvor gefüllten Drops zu erwischen, zu hoch erschien. Also werden die restlichen, vergifteten Bonbons sicherlich noch in Ihrem Besitz, in Ihrer Jackentasche, zu finden sein. Ist es nicht so?«

»Nein, ich habe sie weggeworfen, alle!«, wimmerte Emi schluchzend.

»Das lässt sich ganz leicht überprüfen. Ihren Mantel, bitte!«, gebot Akiba ihr und der Beamte, der zuvor Kitagawa in Gewahrsam genommen hatte, langte nach der Kleidung.
 

***
 

Das Klicken der Handschellen zerbrach das stille Schweigen.

»Hiermit nehme ich Sie, Frau Iwahara, Fräulein Shimasawa und Sie, Herr Kitagawa fest. Ihnen wird der Mord am Unternehmer Fukubashi zur Last gelegt. Sie haben das Recht, sich mit Ihren Anwälten zu besprechen.« Akiba ließ den Konvoi abziehen. Zurück blieben einzig der Inspektor, der Schülerdetektiv und dessen Freundin, die beklommen neben ihm stand.

»Mord, Beihilfe zum Mord und Mitwissen ...«, verkündete Heiji.

»Gute Arbeit, mein Junge, und das sage ich aus tiefstem Respekt, denn so, wie du meine Männer herumgescheucht hast ...«, lachte Inspektor Akiba auf, bedankte sich bei den beiden und folgte seinen Leuten ins Freie hinaus.

»Ich … ich verstehe es immer noch nicht«, murmelte Kazuha und ließ sich auf den Boden sinken.

»Hey, alles okay? Mach keinen Mist, ja?« Heiji wandte sich nach ihr um und ließ sich neben ihr auf den Dielen des kleinen Besprechungszimmers nieder. »Was verstehst du nicht?«

Kazuha seufzte und zog nachdenklich die Stirn in Falten. »Wer … hat ihn umgebracht? Die Apothekerin, die das Mittel herstellte oder seine Freundin, die ihm die Süßigkeit verabreicht hatte?«

»Vom vielen Grübeln bekommst du nur noch mehr Furchen im Gesicht«, spottete Heiji und ließ den Knuff gegen die Schulter über sich ergehen.

»Es ist mir ernst, Heiji.« Ihrem Murren beugte er sich.

»Das wird die Staatsanwaltschaft entscheiden. Die Schuldfrage bleibt jedoch, fürs Erste, ungeklärt.« Sein Blick war auf die Tür gerichtet. »Na komm, versuchen wir uns noch ein wenig zu erholen.«

Heiji erhob sich und bot ihr seine Hand dar, doch Kazuha schien ihn kaum wahrzunehmen.

»Sie war so nett«, murmelte sie und wischte sich die stummen Tränen von den Wangen.

Heiji seufzte leise. »Da kann man nichts machen.«

Kazuha biss sich auf die Lippen, nickte beklommen. Schwankend gelang es ihr, auf die Beine zu kommen. »Ich glaube, sie hat sich selbst gestellt.«

Ein schnaubender Laut entkam ihm. »Nach dieser Szene zu urteilen, blieb ihr auch nichts anderes übrig, als dir davon zu erzählen. Menschen neigen häufig zu irrationalen Handlungen. Und wer weiß, vielleicht wusste Fukubashi von ihren Plänen, nicht nur, was die Trennung, sondern auch den Mord betraf? Man kann nie wissen, an wen man gerät.«

Schweigend nickte Kazuha seine Worte ab. Als ihr Magen jedoch lautstark um Anerkennung bettelte, erglomm Schamesrote auf ihren Wangen.

»Hey, wie wäre es mit einem Eisbecher?« Heiji tat, als habe er das Knurren geflissentlich überhört.

Kazuha verzog das Gesicht, peinlich berührt und irritiert zugleich. »Um diese Uhrzeit?«

»Ich bezahle auch«, bot er mit breitem Grinsen.

»Heiji, hier ist alles All inclusive.« Kazuha schnalzte mit der Zunge und schüttelte, leise lachend, den Kopf.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Goetterspeise
2020-03-17T17:38:30+00:00 17.03.2020 18:38
Hallo irish,

zunächst vielen Dank für die Geschichte und die Charakterkonstellation. :3

Ich bin ein sehr großer Fan von Heiji x Kazuha und freue mich immer, die beiden gemeinsam in Aktion erleben zu dürfen.
Ich finde es außerdem toll, dass du dir selbst einen Fall hast einfallen lassen, den es zu lösen gilt. Gerade, weil ich das echt tricky finde: Hut ab!
Und: ich habe natürlich fleißig mitgeraten.

So, dann wollen wir mal. :)

Ein wenig irritiert war ich vom Anfang. Es liest sich so, als wären sie längst im Hotel, dann wieder so, als würden sie noch im Bus sitzen und dann sind sie doch im Hotel? Mich hat das ziemlich ins Schleudern gebracht, was extrem schade ist, weil es den Einstieg erschwert hat. Dabei sind die Beschreibungen der Umgebung so schön <3

Ansonsten musste ich jetzt beim zweiten Mal lesen ein bisschen schmunzeln, weil du eine hartnäckige Grippe reingenommen hast. Als hättest du gewusst, dass uns Corona bevorsteht (wobei Heiji und Kazuha den Urlaub dann auch nicht angetreten hätten XD).
Und ich möchte erwähnen, dass es wohl logisch ist, Kazuha als Reisepartnerin vorzuschlagen. Heiji braucht da gar nicht so genervt tun. o.ô
Man hätte hier auch neben dem Krimi ein paar lustige Szenen im Hotelzimmer einbauen können, aber die Streitereien der beiden bzw. das über den jeweils anderen nachdenken und schweigen, was du wirklich schön eingebracht hast, helfen ungemein, mein Kopfkino in Schwung zu bringen. :D

Das All Inclusive hätten sie für mich auch gern noch viel, viel intensiver ausleben dürfen. Man gönnt sich im Leben ja sonst nichts und auch wenn sie für Schüler recht häufig mal von Osaka aus quer durch Japan fahren/fliegen können, liegen die Speisen wahrscheinlich nicht unbedingt in ihrer Preisklasse. Und aus dem Spa wäre ich wohl auch nicht mehr raus. XD

Spannend fand ich auch, dass du die Problematik der kleinen Betriebe eingebracht hast. Es gibt ja tatsächlich und je nach Gegend wirklich Schwierigkeiten, weil die großen Firmen die kleinen aufkaufen. Darum liebe ich auch z. B. unseren örtlichen Gemüseladen. Und als Werbung ist es auch nicht schlecht, bei den regionalen Anbietern zu bleiben - aber klar, ist auch eine Kostenfrage.

Mir gefällt auch die Rollenverteilung aller Beteiligten und der Anhänger ist in meinen Augen immer ein schönes Symbol. Ich muss da an einen extrem alten Fall denken (ich glaube, es war der erste Fall, in dem Heiji und Kazuha nach Tokyo kamen :D), bei dem es allerdings ein Liebespaar verbunden hat statt einer Familie. Aber das schmälert die Bedeutung für mich nicht. Und ist natürlich ein sehr dankbares Indiz - dass es Kazuha auffiel, mag ich übrigens sehr gern. Ist aber wohl auch ein Detail, das Heiji jetzt vielleicht nicht direkt ins Auge gesprungen wäre.

Was ich immer nicht verstehe, wenn sie eine Leiche finden: warum sie den Arzt dann ‘abbestellen’? Auch, wenn Heiji den Bittermandelgeruch schon bemerkt (eine ziemlich praktische Eigenschaft, die gefühlt jeder im DC-Universum hat XD), benötigt man doch einen Arzt, der den Tod offiziell feststellt.

Ein wenig schade fand ich, dass du in Nagano (und ich hatte da tatsächlich schon extreme Vorfreude als ich die Region gelesen habe) einen neuen Polizisten - der Name sagt mir zumindest nichts - genommen hast, statt Kansuke und Yui.
Wobei es aber natürlich mal wieder amüsant war, zu lesen, dass ein Polizist versucht, Heiji von einem Tatort fern zu halten.
Ich freue mich auch, dass Kazuha hier eine ziemlich gute rechte Hand abgegeben hat. Das kommt mir im Manga gerne mal zu kurz, leider.

Was ich ein wenig anstrengend fand, war den Verlauf der Beweissuche. Da du nicht zu viel vorab verraten wolltest, was absolut nachvollziehbar ist, liest es sich für mich etwas konfus, was sich negativ auf den Spannungsaufbau ausgewirkt hat.
Mir ist leider dadurch auch in der Auflösung nicht alles klar. Ich hab den Trick verstanden, das Motiv, die Affäre, aber trotzdem habe ich das Gefühl, irgendwas nicht ganz fassen zu können, gerade im Bezug auf den Journalisten.

Die Schuldfrage am Ende hat mich dafür voll in meiner philosophischen Ader getroffen.
Ich finde sie sehr spannend und bin mir sicher, dass hier auch wieder jeder seine eigene Ansicht haben wird - für mich ist die Person, die alles präpariert, es plant und in ‘Auftrag’ gibt die Hauptschuldige. Beihilfe durch Übergabe des Bonbons. Der Herr Journalist als Mitwisser, wenn ich das richtig begriffen habe, wäre dann am unteren Ende der Kette.
Heiji hat allerdings Recht und eine Diskussion zwischen ihm und Kazuha würde auch nicht zu viel führen. Am Ende wird das ein Gericht entscheiden müssen.

Der Kommentar mag ggf. phasenweise ein wenig negativ klingen, aber das bitte nicht überbewerten. Es ist eine enorme Leistung sich einen Kriminalfall auszudenken, diesen auszuformulieren und zu einer guten Auflösung zu bringen. Das ist für mich etwas, das man nicht hoch genug loben kann. Deshalb: vielen Dank dafür!
Ich knobel sehr gerne mit und das war hier definitiv möglich (anders als bei vielen Fällen im Manga selbst) - auch wenn ich nicht alle drei in Kombination erraten habe, das mit dem Bonbon hatte ich :D

Abschließend noch einmal: vielen herzlichen Dank für diese Geschichte. Es hat mir Spaß gemacht, sie zu lesen und zu rätseln und Heiji und Kazuha in ihren Diskussionen - oder teilweise auch in ihrem Schweigen - begleiten zu dürfen. :)

Nun hoffe ich nur noch, dass du die Coronazeit gut überstehst und natürlich gesund bleibst!

Ganz liebe Grüße

Speise

Antwort von: irish_shamrock
21.03.2020 16:43
Hallo goetterspeise,

ich wollte dich mit der ENS wirklich ungern hetzen, doch nach fast 7 Wochen, ohne wirkliche Reaktion, war ich wirklich schon in Sorge, nicht nur, dass dir die Geschichte nicht gefallen könnte, sondern auch, ob sich bei dir, krankheitsbedingt, nicht noch etwas Akutes eingeschlichen hätte.
Doch ich danke dir, dass du Zeit gefunden und sie dir genommen hast, um meinem Warten (und dem Nägelkauen) ein Ende zu bereiten.

Ich weiß, dass die Geschichte hier und da noch ein paar viele Schwachstellen aufweist (nicht nur im rechtschreiblichen oder grammatikalischen Sinne). Und sicherlich hätte sich die eine oder andere Situation/Szene anders gestalten lassen. Im Übrigen:
Danke fürs Draufstupsen, was das Festellen des Todes durch einen Arzt betrifft. ... Vielleicht liege ich verkehrt, aber ich glaube, dass solches kundige Fachpersonal bei DC nur selten auftritt (hau' mich, wenn ich dem Unrecht tue) ...
Ja, der Anfang ... ich muss gestehen, dass ich auch nicht sonderlich zufrieden bin und ich habe ihn mind. 5x umgeschrieben. ._. ... dass das alles so verwirrend klingt, tut mir leid.

Bei näherer Betrachtung fällt mir auf, dass es eigentlich eher ein Fall für Kazuha, da sie mit den Verdächtigen am ehesten in Kontakt steht. Ich wollte sie aber auch ungern als doofe Ziege dastehen lassen, deshalb griff ich ganz gern mal zum Mittel des Schweigens. Und sicherlich hast du recht, dass ich die Landschaft, den All-inclusiv-Aspekt und weitere Dinge mehr hätte ausschmücken müssen.
Dass bereits Inspektoren in Nagano in den Folgen/Kapiteln auftraten, habe ich wirklich wirklich erst durch das Stöbern im Wiki erfahren. Doch ich weiß nicht, inwieweit dein Fanherz schlägt, und da mir diese Beamten leider nur wenig sagten (ich kenne doch nur den Anime + notfalls die Filme, und da kommen sooo viele Charaktere vor, dass ich mir Herkunft, Position ect.pp nur schlecht merken kann), wollte ich mich ungern noch mehr in die Nesseln setzen, sollte ich die Charakteren, das Auftreten und alles schlecht oder nicht gemäß darstellen. Akiba selbst rutschte als OC ins Geschehen.

Möglicherweise geht hier in der Antwort wieder eniges flöten und daneben, doch ich hoffe, dass du die momentane, vorherrschende Situation innerhalb Ds gut überstehst.

Liebe Grüße,
irish C:


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